Der erste barrierefreie Wagen auf dem CSD – Initiator Techmo im Interview

Der DJ und Producer Moritz Scheibe ist unter seinem Pseudonym Techmo regelmäßig in renommierten Berliner Clubs zu Gast und veröffentlicht seine Produktionen auf Labels wie Victor Ruiz‘ Volta und Alaula Music. Darüber hinaus ist er der Initiator des ersten inklusiven Trucks beim CSD in Berlin, auf dem auch Menschen im Rollstuhl teilnehmen können. 2024 feierte das Projekt sein Debüt und erfreute sich auf Anhieb einer positiven Resonanz.
Wir haben mit Techmo, der beim Verein Ickmachwelle als Mentor tätig ist und Menschen mit Behinderung das Auflegen und Produzieren beibringt, über seine Aktivitäten gesprochen. 

Moritz, wie bist du auf die Idee, einen behindertengerechten Truck beim CSD zu gestalten, gekommen? Gab es einen bestimmten Auslöser dafür und für dein allgemeines soziales Engagement?

Erst Einmal vielen Dank für die Einladung an das ganze Team. Ich habe meine Veranstaltungsreihe „WohnzimmerTechno Berlin“ im Jahr 2022 ins Leben gerufen, während alle Berliner Clubs zu hatten. Die Veranstaltungen wurden mit der Zeit immer größer und somit habe ich mich auch stets mit dem Gedanken befasst, wie ich meine Plattform nutzen kann, um auf die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung aufmerksam zu machen. Mein fünf Jahre älterer Bruder (32)  ist mit einer schweren Mehrfachbehinderung zur Welt gekommen. Somit war ich stets von jemandem umgeben, der eine Vollzeit-Betreuung braucht und nicht selbstständig leben kann. Er hat seine Wege gefunden, sich selbst Gehör zu verschaffen, aber viele können dies eben nicht. Somit will ich nicht nur in der Form von Auftritten meines DJ-/Producer-Projektes und Veranstaltungen unserer Eventreihe von der Szene profitieren, sondern möchte eben auch etwas zurückzugeben und Personen ein Gehör verschaffen, die dies selbst nicht tun können und/oder es verdient haben gehört zu werden.

Wie wurde die Aktion beim CSD aufgefasst? Wie viele Menschen im Rollstuhl sind bei euch mitgefahren?

Die Aktion wurde durchweg positiv aufgefasst, weil es sowas in der Art beim CSD in Berlin noch nie gab. Wir hatten also den ersten barrierefreien Truck beim CSD Berlin jemals. Und allein das zeigt, wie dolle wir hier im Rückstand beim Thema Inklusion sind, wenn bei einer der größten Demos für Inklusion und Vielfalt erst im Jahre 2024 der erste Truck teilnimmt, auf dem auch Menschen im Rollstuhl und Menschen mit anderen Beeinträchtigungen teilnehmen können. Und an der Stelle möchte ich erwähnen, dass ich zwar die Idee hatte, aber das Projekt nicht ohne die organisatorische Hilfe und Projektteilhabe der beiden tollen Vereine queerhandicap e.V. und der Lebenshilfe Berlin gGmbH, umsetzbar gewesen wäre. Danke an Angela und Markus an der Stelle! Finanziert wurde der Truck durch den paritätischen Verband Berlin. Wir hatten Platz für drei Menschen im Rollstuhl gleichzeitig. Gerne würden wir das Projekt nächstes Jahr größer angehen, sodass mehr Menschen teilnehmen können. Wir hatten aber nicht nur Menschen im Rollstuhl an Bord, sondern auch Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und nicht offensichtlichen Behinderungen.

Moritz Scheibe alias Techmo (rechts) und sein Schüler Uwe

Mit deiner Eventreihe hast du einen Erlös von 1200 Euro erzielt, der einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung zugute gekommen ist. Sind weitere dieser Aktionen geplant? An welche Einrichtung geht das Geld?

Genau, wir haben am Abend nach dem CSD ein Charity-Event im Void Club auf vier Floors organisiert, mit DJs, wie A.D.H.S., Mehr is Mehr, A.N.I., Techmo u . v. m.., bei dem 1200 Euro Gewinn erzielt wurden, der an die Einrichtung Seewalde e.V. in Mecklenburg-Vorpommern gespendet wurde. Das ist eine Vollzeit-Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, die überwiegend nicht selbstständig leben können. Auf dem Gelände gibt es einen Bauernhof, eine Werkstatt und einen Bioladen, in dem u. a. selbst hergestellte Produkte, wie z.B. Kerzen, verkauft werden. Mein Bruder lebt dort seit über zehn Jahren, weshalb ich ein sehr gutes Bild darüber habe, was für eine tolle Arbeit dort geleistet wird. Die Betreuer und Betreuerinnen wohnen ebenfalls in dem Dorf und deren Kinder gehen in den dorfeigenen Waldorfkindergarten. Also eigentlich eine kleine, soziale Kommune, in der Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammenleben. Genutzt wird das Geld für einen gemeinsamen Tagesausflug mit der ganzen Einrichtung, der immer mit viel Planung und Kosten verbunden ist. Wir sind froh, dass wir einen schönen Tag ermöglichen können.

Du bist außerdem Mentor beim Verein Ickmachwelle, wo du Menschen mit Behinderung das Produzieren und Auflegen beibringst. Erzähl uns etwas über deine Tätigkeit. Was macht dir daran am meisten Spaß und was sind die größten Herausforderungen?

Ich bin nun seit über einem Jahr Mentor bei ickmachwelle e.V., einem Verein, in dem Musiker Menschen mit Beeinträchtigung das Auflegen und Produzieren beibringen. Ich habe dort einen Schüler Uwe, der ein sehr begeisterter Fan der elektronischen Musik ist, insbesondere von Techno. Da sind wir auf einer Wellenlänge. Ziel unseres Projektes war es, Uwe das Spielen auf Club-Equipment beizubringen. Bereits nach ein paar Sessions hat er schon so gut aufgelegt, dass es so aussah, als ob er schon seit Jahren in Clubs spielen würde. Schnell folgten zwei Auftritte im about blank, bei denen ich ihn begleitet und unterstützt habe. Zudem habe ich ihm einen Auftritt bei meiner Veranstaltung WohnzimmerTechno ermöglicht, bei der er ein super Set hingelegt hat.
So richtige Herausforderungen gibt es bei uns gar nicht. Ich denke, dass ich durch das Aufwachsen mit meinem Bruder extrem geduldig und unterstützend bin, was genau das ist, was Uwe brauch. Ihn unter Druck zu setzen oder genervt werden, wenn etwas nicht klappt oder man etwas mehrmals erklären muss, hätte einen negativen Effekt. Wenn man sich stattdessen Zeit nimmt und Verständnis zeigt, erzielt man die besten Ergebnisse mit Uwe. Übrigens auch großes Lob an Nico, den Gründer von ickmachwelle, ohne den es dieses wichtige und unglaublich tolle Projekt gar nicht geben würde. Sie veranstalten zudem einmal pro Jahr das Krake Festival im about blank, wo auch Menschen mit Beeinträchtigung eine Bühne gegeben wird. Mir macht es riesen Spaß zu sehen, wie sich Uwe stets weiterentwickelt und wir zudem ein freundschaftliches Verhältnis entwickeln, sowie ab und zu einfach mal so telefonieren, um uns über allgemeine Themen auszutauschen.

Gibt es schon Hörbares von deinen Schülerinnen und Schülern vorzuzeigen?

Uwe hat bereits im berühmten Badezimmer von HÖR Berlin gespielt. Wir arbeiten aktuell an einem neuen Set für SoundCloud, mit dem wir uns bei weiteren Clubs auf Playtimes bewerben werden. Wir sind hier für jede Hilfe dankbar!

Was kann getan werden, um Inklusion innerhalb der elektronischen Musik weiter voranzutreiben?

Die elektronische Musikszene schmückt sich oberflächlich damit inklusiv zu sein, jedoch setzen sich dafür die aller wenigsten wirklich ein. Deswegen schätze ich es so sehr, Resident bei der Symbiotikka im KitKat von Chris und Charlotte zu sein, weil hier wirklich jede*r willkommen ist und Inklusion auch gelebt wird. Ich habe das Gefühl, dass es so sehr in aller Munde ist, wie inklusiv die Techno-Szene ist, dass sich hier niemand tiefergehend mit beschäftigt. Inklusion ist eben nicht nur die Teilhabe von queeren Menschen, PoC, FLINTA-Personen usw, sondern sollte eben vor allem auch die aktive Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen bedeuten, die sich selbst kein Gehör verschaffen können. Und das kommt mir in der Szene etwas zu kurz oder wird nicht zu Ende gedacht. Bei uns gibt es z.B. bei jeder Veranstaltung kostenlosen Eintritt für Menschen mit Beeinträchtigung und wir haben mehrmals Kunstschaffenden vom Verein Ickmachwelle eine Playtime gegeben, um für mehr Inklusion auf dem Line-up zu sorgen.

Wie sieht es musikalisch bei dir persönlich aus? Ein paar Worte zu deinen letzten Veröffentlichungen?

Ich bin sehr glücklich und dankbar über den musikalischen Verlauf des Jahres mit meinem Alias Techmo. Ich habe u.a. auf Victor Ruiz‘ Label Volta zusammen mit HNGT aus Brasilien den Track „Dream Machine“ veröffentlicht, der es in die Top 10 bei Beatport geschafft hat, weltweit von Amelie Lens, Enrico Sangiuliano uvm gespielt wurde und auf Spotify in der größten Techno-Playlist „Techno Bunker“ gelandet ist. Wir sind jetzt bei knapp 1,5 Millionen Streams für dieses Jahr auf Spotify auf meinem Profil angekommen, wofür ich vor allem dem Label Alaula Music und Alex, dem A&R, danken möchte, mit denen ich viel zusammen veröffentliche. Ich habe in vielen tollen Clubs, wie dem Sisyphos, Ritter Butzke, DNA München, Kit Kat und Odonien spielen dürfen und freue mich bereits sehr auf nächstes Jahr und die vielen anstehenden Releases. Ich habe vor drei Monaten meinen Job gekündigt und bin unglaublich froh zu 100 Prozent das zu tun, was ich liebe – und das ist Musik und mit Menschen zu arbeiten.

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