
Actor, Biker, Crazy Malamute, Disc Jockey, Esoteriker, Fußballfanatiker, Godfather, Hesse, Idealist, Juveniler, Kreativkopf, Laptop-Hasser, Mime, Nature-One-Legende, Omen-Original, Produzent, Querkopf, Raucher, Schauspieler, Tattoofan, Unikat, Vollblutmusiker, Weltenbummler – es gibt viele Substantive, die Dag Lerner aka DJ Dag beschreiben und doch kratzen sie nur an der Oberfläche. Der 1960 in Südhessen geborene Dag hat im Laufe seiner lang andauernden Karriere viele Clubs er- und überlebt. Wie kein anderer DJ steht er für den Sound des legendären Frankfurter Flughafenclubs Dorian Gray. Wir haben mit ihm über das ‚Gray‘, seinen Titel ‚Godfather Of Trance‘ und vieles mehr gesprochen.
Hallo, Dag, ein frohes neues Jahr dir noch nachträglich! Wie bist du ins neue Jahr gekommen? Hast du Neujahrsvorsätze und worauf freust du dich dieses Jahr am meisten?
Also, am meisten freue ich mich in diesem Jahr auf meine Autobiografie, die zu meinem 40-jährigen DJ-Jubiläum im Juni erhältlich sein soll. Es wird eine Biografie der etwas anderen Art. Kein Co-Autor, keine KI und kein gegoogeltes Fachwissen. Einfach so geschrieben, als würde ich euch meine Geschichte am Lagerfeuer erzählen.
Im September 2023 hattest du einen Motorradunfall. Du konntest einige Monate lang keine Gigs spielen, lagst im Krankenhaus und hast eine Physiotherapie begonnen. Was genau ist passiert? Welche Beschwerden hattest du danach und wie geht es dir inzwischen? Wie wirkt sich der Unfall in deinem Alltag oder während deiner Gigs noch aus?
Natürlich wird auch die Geschichte meines Motorradunfalls ein eigenes Kapitel in der Biografie einnehmen. Ich möchte hier nicht so viel darüber erzählen, nur, dass ich eigentlich nicht schuld daran war. Eine Baustelle, an der die Straße ausgefräst war, war falsch beschildert und ich bin auf die Fräskante gekommen – da hat es mich zerrissen. Ich wurde am Schienbein genäht, bei meinem linken Knie waren alle Bänder gerissen, die reißen können, meine Hüfte war ausgekugelt, ich hatte vier gebrochene Rippen und die Wirbelsäule war an zwei Stellen gebrochen. Alles ist gut verheilt. Nur mit dem Knie mach ich noch rum. Da werde ich auch noch ein Jahr Physiotherapie brauchen. Wenn ich die mal nicht mache, merke ich das natürlich. Ich habe zwar keine Schmerzen mehr, aber das Knie wird dann steif und fühlt sich unangenehm an. Ein leichtes Hinken wird wohl auch immer bleiben, aber damit kann ich leben. Ich kann wieder arbeiten; auch lange Sets gehen. Ich kann wieder Motorrad fahren und ins Stadion gehen – was will Mann mehr.
Wer hat dich in dieser Zeit am meisten unterstützt und siehst du manche Dinge nach dem Unfall eventuell anders als zuvor?
Der Unfall hat auf jeden Fall mein Leben verändert. Er hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Ich nehme nichts mehr für selbstverständlich und weiß Dinge mehr zu schätzen. Ich weiß jetzt auch so richtig, was ich an meinen Fans habe, die für mich gespendet haben. Und wie sich Freunde, die teilweise selbst genug eigene Probleme hatten, selbstlos um mich gekümmert haben. Und wie mich andere „Freunde“, die mir viel zu verdanken haben, in der Stunde der Not einfach im Stich gelassen haben. Aber auch für diese Erkenntnis bin ich dankbar.
Kommen wir zur Musik. Du hast gerade ein Reissue deines Progressive-Klassikers „People Of The Main” zum Jahresbeginn veröffentlicht. Wie kam es dazu und was bedeutet der Track für dich?
Das ist eine lustige Geschichte. Ich war mit Boris B. im Studio und wir hatten Vernon als Sänger dazu geholt, der einen Text singen sollte. In der Gesangskabine wärmte er seine Stimme auf und wiederholte immer wieder: „People of the Main – release yourself!“ Ich schaute Boris an und rief: „Hast du die Aufnahme an?“ Das hatte er zum Glück. Schnell hatte Vernon auch den Part im Break eingesprochen. Ich liebe diesen Track, weil er eine schöne Hommage an Frankfurt am Main ist. Sehr gefreut hat es mich auch, als Patrick Teikei von DeeJay.de auf mich zukam und fragte, ob er die Nummer auf Vinyl re-releasen darf. Ansonsten kommt jetzt die neue Dag & Zolo „Spacer Woman“ raus, auf der wieder meine Tochter Suna gesungen hat. „Spacer Woman“ ist eine alte Italo-Disco-Nummer aus den 80ern, bei der ich damals immer die Tanzfläche geentert habe. Auch Sunas Freundin Lilly habe ich mitsingen lassen, denn ich wollte den für Disco typischen Harmoniegesang. Dann wird die neue DJ Dag & Matthew Kramer kommen. „Keep Moving On“ ist sehr „funky“, aber trotzdem im gewohnten Style.
Das Original von „People Of The Main“:
Wie läuft es derzeit DJ-mäßig bei dir?
Echt gut. Obwohl ich nicht auf dieser 160bpm-Welle mitschwimme, werde ich trotzdem noch gebucht. Jeder Gig ist voll und ich kann sehen, wie die Leute sich freuen, dass ich wieder auf den Beinen bin. Auch etwas, wofür ich dankbar bin.
Für das FAZEmag lieferst du den Mix des Monats Februar 2025. Einen Oldschool-Frankfurt-Dorian-Gray-Mix? Was dürfen wir erwarten?
Für alle FAZEmag-Leser habe ich etwas ganz Besonderes, denn ich habe einen alten Original-Mix aus dem Dorian Gray gefunden. Er spiegelt genau den Spirit von damals wider.
Aktuell finden diverse Revival-Partys unter dem Motto „Dorian Gray“ statt. Was ist deine Meinung hierzu?
Zu den Revival-Partys, die da aktuell am Frankfurter Flughafen laufen, kann ich nur sagen, dass das für mich ok ist. Ich habe da selbst schon aufgelegt, aber vom richtigen Dorian-Gray-Feeling ist es doch weit entfernt. Es wird nie ein zweites Dorian Gray geben, denn das Gray war einmalig. Ich habe in meiner Autobiografie versucht, das Gray, und vor allem den „Großen Club“ zu beschreiben, aber das ist unheimlich schwer. Das kann man nicht in Worte fassen.
Du trägst den inoffiziellen Titel „Godfather of Trance“. Einige unserer Leser*innen haben dem nach unserem letzten Artikel zugestimmt. Wie siehst du diesen Titel und deine Verbindung zur Trance-Musik?
Durch mein Faible für Native Americans habe ich festgestellt, dass diese sich durch monotone Drums in einen Trance-Zustand versetzen. Da dachte ich mir: „Hey, das ist ja genauso wie bei meiner Musik“, und habe dann meinen Sound Trance genannt. Somit habe ich dem Kind seinen Namen gegeben. Und dies mit der Dance 2 Trance „We Came In Peace“ auch in Beton gemeißelt. Die Nummer gilt als der erste Trance-Track im Techno/House-Bereich. Und noch heute ist es mein Bestreben, trancige Musik zu machen. Deswegen nennt man mich „Godfather of Trance“. Natürlich ist es ein bisschen vermessen, mich „Godfather“ zu nennen, aber verdammt, auf den Titel bin ich trotzdem stolz. Heute nenne ich meine Musik „Progressive Trance“, aber es ist noch immer der gleiche Sound. Und mit Trance meine ich nicht diesen „Hands in the Air“-Sound mit ewig langen Breaks, cheesy Gesang und cheesy Melodien, der „Trance“ genannt wird. Trance ist ein Zustand und wenn ich nicht dahin komme, ist es auch kein Trance. Versteht mich bitte nicht falsch. Ich laufe jetzt nicht durch die Clubs und entscheide, was Trance ist und was nicht. Ich bin nicht von der Trance-Polizei. Nur manchmal stimmt es mich schon traurig, was für Musik unter „Trance“ läuft und was für DJs sich das auf die Fahnen schreiben. Mein Steuerberater hatte damals zu mir gesagt: „Dag, du musst dir Trance schützen lassen.“ Aber das wollte ich nicht, denn es sollte Gemeingut sein. Hätte ich gewusst, was daraus wird, hätte ich es doch lieber machen sollen. Ich hätte heute ausgesorgt, denn jeder müsste mir seine Sachen vorspielen und ich hätte entscheiden können, ob da der Trance-Stempel drauf darf. Das stell ich mir lustig vor, da zu sitzen, wie einer vom Ordnungsamt, hinter dem Schreibtisch mit einem Stempel in der Hand und zu entscheiden, was darf und was nicht.
Hast du das Gefühl, Newcomer-DJs laufen den „alten Hasen“ inzwischen ihren Rang ab?
Dass die Newcomer-DJs uns Alten den Rang ablaufen, würde ich nicht sagen, den DJ-Nachwuchs gab es schon immer. Ich hätte früher nie gedacht, dass ich mit 64 Jahren immer noch auflegen würde, aber auch meine „alten“ Kollegen gibt‘s ja noch. Also müssen wir ja irgendetwas richtig machen. Die Masse dieser Newcomer siehst du auch nur auf Festivals und im Winter haben die nichts zu tun. Wir Alten sind in den Clubs groß geworden und deshalb spielen wir auch das ganze Jahr.
Was zeichnet einen guten DJ heutzutage deiner Meinung nach aus? Welche Skills und Techniken braucht man?
Mir ist es eigentlich auch egal, auf welchem Medium ein DJ auflegt, Hauptsache, die Leute tanzen dazu. Auch ist es mir egal, ob sie meterlange Rider haben und der Champagner die richtige Temperatur haben muss. Ob sie mit der Stretchlimo anreisen oder mit dem Privatjet, das geht mir am Arsch vorbei.
Solange sie auch richtig auflegen und keinen im Studio vorgefertigten Mix abspielen. Denn einfach nur die Play-Taste zu drücken und dann so rumhampeln, als würde man auflegen, das geht gar nicht. Das ist Fake, und vor solchen „DJs“ habe ich keinen Respekt. Und die Kids zahlen für so etwas auch noch horrormäßigen Eintritt. Früher konnte ich in dem Alter für 20 DM Pink Floyd in der Festhalle sehen. Und die zahlen das Vielfache, um einen Fake-DJ zu sehen, das ist mir unbegreiflich. Ansonsten macht einen guten DJ aus, wenn er selbst mal auf der Tanzfläche war. Wenn er weiß, wie es ist, da stundenlang zu tanzen. Dann weiß er, wie er die Tänzer zu führen hat, denn das ist der Job des DJs. Wir sind Dienstleister und haben die Verantwortung für die Tanzfläche. Das eigene Ego oder wie toll ich auf Tik Tok rüberkomme, sollte da keine Rolle spielen. Vielleicht sollte er auch mal zu Hause den Sync-Button abschalten und probieren, ob er es auch ohne kann. Das heißt jetzt nicht, dass er darauf verzichten soll – warum die Technik nicht nutzen, wenn sie schon mal da ist. Es geht darum, es einfach mal für sich auszuprobieren, ob man das kann. Denn man sollte es können, um sich DJ zu nennen. Einen Doktortitel muss man sich schließlich auch verdienen.

Was ist deiner Meinung nach dein größtes Achievement in deiner jahrzehntelangen Karriere? Worauf bist du am meisten stolz und was war dein schönster Moment in deiner DJ-Karriere?
Ich möchte keinen bestimmten Moment in meiner langen DJ-Karriere hervorheben. Mann, da waren sooo viele tolle Nächte, vor allem im Gray und im Omen oder die Sonntagmorgen auf der Nature One. Aber auch die tollen „All Night Long“-Nächte im Freud in Frankfurt. Und am meisten stolz bin ich, dass ich meiner Linie treu geblieben bin und nie mein Fähnchen nach dem Wind gehalten habe. Das hat mich musikalisch schon durch ein tiefes Tal geführt, aber ich habe mich wieder hochgekämpft und bin nach wie vor da. Und dass ich immer noch großen Spaß an meinem Job habe, macht mich glücklich.
ARTE hat vor Kurzem eine Doku über das Comeback von Trance und Eurodance herausgebracht. Hast du die Doku gesehen? Hast du dieses Comeback durch Kollektive wie Sachsentrance und Nachwuchs-DJs mitbekommen?
Die Doku auf Arte mit den Sachsen-Trancern fand ich echt gut. Klar, es ist nicht alles, was sie toll finden, mein Geschmack, aber ich fand die gute Laune, die sie dabei verbreiten, super. Auch dass sie ein Trance-Revival zelebrieren und dabei das Publikum im Vordergrund steht. So muss das sein. Ich spiele bei Classic-Veranstaltungen auch wirklich nur die alten Sachen und keine geremixten Tracks von damals, wo man nur an der Stimme oder der Melodie erkennt, dass es etwas Altes sein soll. Wenn auf dem Flyer „Classics“ steht, wollen die Leute auch Classics hören. Dafür haben sie Eintritt bezahlt. Es gab mal einen Slogan von Radio HR1: „Gib mir das Gefühl zurück.“ Und genau dieses Gefühl möchte ich den Leuten auf Classic-Partys schenken. Ein alter Track kann wie eine Zeitmaschine sein.
All Time Top 5
- Peyote – I will fight no more forever
- Peter Richard – Walking on Neon
- Melt – Radioactivity
- Pete Bartens – In Dreams I can Fly
- Snape – Do you see the Light? (Dance 2 Trance-Remix)
Die EP „People Of The Main” von DJ Dag ist am 20. Dezember 2024 via D.A.M.N. erschienen. Hier könnt ihr die Vinyl käuflich erwerben.
Aus dem FAZEmag 156/02.2025
Text: David Fuchs / Sven Schäfer
Web: www.instagram.com/dj_dag_