DJ Shadow – Der Pionier

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Josh Davis alias DJ Shadow ist eine Turntable-Legende: 1996 legte er mit „Endtroducing“ das erste vollständig gesampelte Album der Musikgeschichte vor, zwei Jahre später brachte er mit UNKLE die Rock- und die DJ-Kultur zusammen. Seitdem ist der 44-Jährige Hans Dampf in allen Gassen: Er leitet sein eigenes Label, komponiert Soundtracks, arbeitet mit befreundeten Künstlern und geht regelmäßig auf Tournee. Kein Wunder, dass er für sein neues Werk „The Mountain Will Fall“ geschlagene fünf Jahre gebraucht hat.

Josh, darf man fragen, warum du eine halbe Dekade benötigst, um einen Tonträger zu veröffentlichen? 

Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nie vorhatte, ein Album-Künstler zu sein. Ich meine, ich veröffentliche 12Inches, Mixtapes, ich toure, ich mache viele unterschiedliche Sachen. Je nachdem, worauf ich Lust habe. Und wenn man sich meine Diskografie vor Augen führt, erkennt man, dass zwischen zwei Alben noch zehn andere Sachen passieren. Mindestens … Ganz abgesehen davon arbeite ich nicht wirklich schnell.

Deshalb der Titel bzw. der Berg auf dem Cover-Artwork? Weil es ein langer Weg bis zur Spitze ist?

Ganz genau. Ich brauche meine Zeit. Was bedeutet, dass ich zwei, drei, vier, fünf Wochen an einem einzigen Track bastle. Und auf ein Album hochgerechnet, entspricht das locker anderthalb Jahren im Studio.

Welches Konzept und welchen Anspruch verfolgst du diesmal?

„The Mountain Will Fall“ ist der Soundtrack zu einem Film, der sich in meinem Kopf abspielt und mir sehr gut gefällt (lacht). Außerdem ist es keines dieser typischen DJ-Alben, die heute so populär sind und wo ein angesagter Rapper nach dem anderen auftaucht. Das wollte ich nicht, sondern es sollte etwas Eigenständiges sein. Und mit den meisten Kollaborationen wollte ich andere Instrumentalisten ansprechen. 

Wie Nils Frahm oder Matthew Halsall? 

Ja, Matthew ist ein traditioneller Jazz-Künstler, aber er macht Musik, die sich sehr lebendig anfühlt. Und ich hatte die Vorstellung: Wenn wir zusammenarbeiten, könnte etwas entstehen, das ganz anders als sein bisheriges Werk klingt – und meines. Ich bin sehr stolz auf „Ashes To Oceans“. Einfach weil es nichts mit dem zu tun hat, was er sonst macht. Und auch für mich ist es sehr ungewöhnlich. Genau wie der Track mit Nils.

Wie bist du auf den Songtitel „Bergschrund“ – ein Begriff aus dem Bergsteiger- und Geologenjargon – gekommen? 

Ich bin darüber gestolpert, als ich einen Artikel übers Bergsteigen gelesen habe. Und Nils kannte ihn gar nicht. Er meinte: „Ich glaube nicht, dass das ein echtes Wort ist.“ Doch als ich ihm einen Wikipedia-Link schickte, meinte er: „Ein cooler Begriff.“ Und er passte zu meiner Idee, dass einige Songtitel mit Geografie und Bergsteigen zu tun haben.

Du bist in diesem Sommer wieder auf Tour. Was wird uns bei den Gigs erwarten? 

Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich nicht das spielen muss, was das Publikum von mir erwartet. Für mich ist ein DJ-Set ein künstlerischer Ausdruck. Und ich will die Fans bis zu einem gewissen Grad herausfordern. Schon in den 80ern habe ich es so gehalten, dass ich statt eines radiotauglichen Songs von LL Cool J lieber etwas gespielt habe, wo die Leute denken: „Was ist denn das? Es ist Underground, es ist irgendwie intensiv.“ Das ist es, was mich interessiert.

Stimmt es, dass du ein Tagebuch führst, in dem du all die Horrorstorys festhältst, die du unterwegs erlebst? 

Ja, das tue ich (lacht). Einfach weil ich dazu tendiere, Dinge zu vergessen, wenn ich sie nicht sofort aufschreibe.

Zum Beispiel?

Vor Kurzem war ich in einem Hotel in New York und bin um 4 Uhr morgens aufgewacht, weil ich einen merkwürdigen Sound hörte. Als ich das Licht anmachte, sah ich, dass an sämtlichen Wänden Wasser herunterfloss. Es war sehr surreal – wie im Traum. Also rief ich die Rezeption an und es stellte sich heraus, dass der Gast über mir beim Einlaufen seines Badewassers eingeschlafen war. Es hat den ganzen Raum geflutet und lief dann in mein Zimmer. 

Und davon gibt es noch mehr?

Jede Menge. Wer weiß, vielleicht veröffentliche ich das demnächst in Buch-Form … / Marcel Anders


Aus dem FAZEmag 053/07.2016

 

Foto: Derick Daily