Er ist einer der legendärsten Figuren der Technokultur. Auch heute noch, über 20 Jahre nach der Entstehung des Videos, ist der Techno Viking ein virales Internet-Phänomen, dass sich durch soziale Netzwerke, mittlerweile durch Memes oder Reels, stetig weiterverbreitet und immer wieder auftaucht. Der Viking ist zu einer der ikonischsten Figuren der Techno-Szene geworden – und das, obwohl die Person dahinter es nie sein wollte. Doch wohin führen eigentlich die Spuren des Techno Viking heute? Wir sind der Sache auf dem Grund gegangen.
Am 14. September zieht die Fuckparade wieder durch die Straßen Berlins. Wer auf die Instagram-Seite der unkommerziellen subkulturellen Techno-Demo geht, liest schnell die Zeile „home of technoviking“. Richtig, das Phänomen des Techno Vikings wurde auf der Fuckparade geboren, genauer gesagt während der bis dato größten Ausgabe der Gegenbewegung zur damaligen Loveparade im Jahr 2000. Anlässlich der in zwei Wochen anstehenden Fuckparade hat es uns interessiert, welche Updates es eigentlich zum Techno Viking gibt.
Aber erst mal von vorne: 2000 drehte Matthias Fritsch von einem kleinen Wagen der Berliner Fuckparade, die in diesem Jahr 28 Wagen hatte, ein etwa vierminütiges Video. Dieses zeigt ein Dutzend Teilnehmer der Parade, die zu einem alten Technolectro-Track hinter dem Wagen tanzen. Eine weiblich gelesene Person hat eine markante, blaue Perücke auf, wie sie in den späten 90er- und frühen 2000er-Jahren typisch für Technoparaden gewesen ist – wenn auch die Fuckparade ja eigentlich eine undergroundige Gegenbewegung zur karnevalistisch gewordenen Loveparade geworden war. Die Frau wird von einem Mann, der plötzlich ins Bild läuft, angerempelt. Daraufhin hält der Techno Viking den Mann, der einfach weiterlaufen möchte, fest und verweist ihn in anderer Richtung der Parade. Ob es die blaue Perücke war, die dem Rempler missfallen hat? Nach der länger andauernden, deutlichen Zurückweisung des Mannes fängt der Techno Viking an zu tanzen und bekommt kurze Zeit später von einem anderen Mann eine Wasserflasche angeboten.
Der Name Techno Viking rührt nicht nur von den Handlungen des unbekannten Protagonisten her, sondern auch von dessen Aussehen. Ein langer, blonder Bart, der unten zum Zopf geflochten ist, lange Haare, die hinten zum Zopf geflochten wurden, mehrere Ketten um den Hals, ein sehr trainierter, muskulöser Oberkörper und extrovertierte Tanzbewegungen. 2001 ging das Video das erste Mal online, 2006 wurde es vom Ersteller Matthias Fritsch unter dem Titel „KNEECAM No. 1 – the original Technoviking tape from 2000“ auf YouTube hochgeladen. Erst 2007 wurde es zum viralen Internet-Phänomen, unter anderem durch die Weiterverbreitung des Videos als „Techno Viking“ durch andere Nutzer.
Hier eine der Weiterverbreitungen des ursprünglichen Videos:
Weihnachten 2009 erst bekam Matthias Fritsch einen Unterlassungsbrief vom Anwalt des Techno Vikings, als das Video schon längst viral gegangen und der Techno-Viking eine schillernde Internet-Kunstfigur geworden war. Fritsch editierte das Video. 2013 erst zog der Mensch, der als Techno Viking bekannt ist, Fritsch dann erst vors Gesicht, als die Angelegenheit schon fast verjährt gewesen ist. Als Resultat musste Fritsch etwa 8 000 Schadensersatz aufgrund der Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen zahlen
Der Fall löste eine Debatte über die Persönlichkeitsrechte im Internet versus der Kunstfreiheit aus. Das Video wurde von verschiedenen Seiten als Filmkunst bewertet, der Techno Viking war ein eine Kunstfigur mit Kultcharakter. Das Gericht bemängelte hingegen, dass es sich bei der Aufnahme um Raw Footage handele, der Film nicht künstlerisch bearbeitet wurde und der Ersteller damit trotzdem Einnahmen generiert habe, ohne die Zustimmung des Protagonisten. Andererseits wurde das Video auf diversen Medienkunstveranstaltungen, wie etwa in Asien, London, Warschau oder auch Berlin gezeigt. Es entstand sogar ein eigenes Technoviking-Archiv. Außerdem gab es Nutzerreaktionen in Form von anderen anderen Medienformen wie Collagen, Comics und Grafiken.
2015 veröffentlichte die irische Newsportal Waterford Whispers News eine Reportage, die behauptete, man habe den Techno Viking getroffen und interviewt. Der Protagonist solle angeblich Gunther Ackermann heißen und mit seinem Ehepartner in einem Bungalow in einem Berliner Außenbezirk leben. Der Ehepartner Steven solle der Rempler aus dem Video sein. Damals sei Ackermann Holzfäller gewesen, inzwischen jedoch Biologe. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei dem Artikel um einen Satirebeitrag handeln müsse. Im Beitrag: sogar ein Foto eines Menschen, der dem Techno Viking, als „Normalo-Version“ verblüffend ähnlich sieht und glatt hätte mit KI erstellt werden können. Über die Jahre behaupteten auch viele Menschen, der Techno Viking zu sein – was sich aber jeweils als falsch herausstellte.
Auch im Jahr 2015 erschien eine Reportage des Video-Creators Matthias Fritsch, die die Story des Techno Vikings behandelt. Seit 2013 hatte Fritsch als Gegenoffensive zum Gerichtsprozess zum Crowdfunding für die Dokumentation aufgerufen. Das Spendenziel wurde nicht erreicht, der Film trotzdem gedreht. Der in der Kurzfassung 50-minütige Film beschäftigt sich mit dem Phänomen, den Hintergründen und den Folgen sowie der Debatte – enthüllt aber logischerweise nicht, bei wem es sich um den Techno Viking handelt – kein Wunder, wird doch das Persönlichkeitsrecht des Protagonisten laut Gerichtsurteil gegenüber der Kunstfreiheit hervorgehoben. Das Urteil des Landgerichts Berlin kann übrigens hier als Kopie nachgelesen werden. Allerdings wurde der Name des Klägers geschwärzt.
Trotz des Gerichtsurteils tauchen ständig wieder Reels und Memes zum Techno Viking mit dem Originalvideo auf – er wird als Held der Technokultur gefeiert und ist ein Kult-Phänomen. In der letzten Zeit etablierte sich der Techno Viking zudem als Action-Figur des Hersteller Shark Sandwich Toys, wurde von einem deutschen Rapper imitiert und von einer KI in einem Anime-Clip reanimiert. Außerdem erschien ein Video, das den Footage über den Techno Viking Behind The Scenes zeigen soll. Es ist allerdings davon auszugehen, dass dieses ebenfalls mittels KI erstellt worden ist:
Was der Mensch hinter dem Techno Viking heutzutage wirklich macht, bleibt aber ungeklärt. Wir wissen weder seinen richtigen Namen, noch, wo er lebt, noch, was er so in seinem Leben macht – und werden es so schnell auch nicht erfahren. Denn anscheinend liegt es nicht im Interesse der Person dahinter, seinen Kunstlegenden-Status auszuleben. Der Techno Viking wurde nicht mehr, zumindest nicht erkennbar, auf der Fuckparade gesichtet und auch sonst nicht aufgespürt. Auch ansonsten ist nichts über den Menschen dahinter bekannt – der Persönlichkeitsrechte im Internet und der Klage sei Dank. Wer weiß, vielleicht hat sich der Techno Viking ja so sehr verändert, dass man ihn heute gar nicht mehr wiedererkennen würde und weilt unter uns Ravern. Vielleicht tritt er inzwischen auch als Marshmello oder sonstiger Masken-DJ auf. Naheliegend ist, dass der Viking, zumindest noch im Jahr 2013, in Berlin oder Umgebung gewohnt haben könnte – zumindest wurde sein Fall ja vor dem Landgericht Berlin verhandelt.
Vielleicht meldet sich der Techno Viking im hohen Alter ja doch noch, um seine Lebensgeschichte mit uns zu teilen – oder taucht doch nochmal überraschend auf der Fuckparade auf. Wir würden uns jedenfalls freuen, ihn dort als Beschützer der Technoszene vor fiesen Remplern wiederzusehen – solange er nicht mit diesen verheiratet ist – das würde das Bild dann doch etwas kaputtmachen.
Was man zumindest über die Jahre herausgefunden hat, anstelle der Person zum Techno Viking, ist das Musikstück, das im Video gespielt wird. Es handelt sich um den Track „Navigator“ von Can-D-Music, der 1999 via Low Spirit Recordings erschienen ist.
Quellen: vimeo.com, giga.de, 20min.ch, waterfordwhispernews.com, irights.info, musikexpress.de
Die Fuckparade 2024 findet am 14. September 2024 in Berlin statt. Weitere Informationen gibt es hier.
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