Gabber History & Future 1/2 – Rotterdam, Bunker, Fuckparade
. Interview mit Xol Dog 400 & Trauma XP


Fotos: Trauma XP

Wer die elektronische Szene aufmerksam verfolgt, wird nicht erst jetzt festgestellt haben, dass Hardcore- und Gabber-geprägte Sounds, sowie Tracks oberhalb der 160 BPM schon seit Längerem wieder Einzug in den Fokus der elektronischen Hörerschaft gefunden haben. Das liegt nicht zuletzt auch an Partys, wie denen vom Kollektiv Wixapol SA aus Polen oder Künstlern wie Gabber Modus Operandi aus Bali. Um ein bisschen detaillierter darauf einzugehen, wie Gabber als eigenständige Szene entstand, welche Prozesse das Nischendasein nährten und warum das Genre sich jüngst immer zunehmender Beliebtheit erfreut, werden wir euch in zwei Teilen ein bisschen ausführlicher über das Thema berichten. Im ersten Teil des Artikels, werden wir einen Blick auf die Entstehungszeit werfen, wozu wir zwei absolute Urgesteine der Szene befragen konnten, Xol Dog 400 und Trauma XP, beides Gründer der Fuckparade und zwei absolute Hardcore Souls.

Rotterdam und die Entwicklungen in Berlin

Die Wurzel dessen, was heute gemeinhin unter Hardcore-Techno oder auch Gabber als Sammelbegriff verstanden und bezeichnet wird, auf einen einzigen Ort festzunageln, würde den vielen Labels und Künstlern, die diesen Weg ebneten, nicht gerecht werden. Denken wir z.B. nur an Marc Acardipane / PCP (Planet Core Production) aus Frankfurt, Industrial Strength Records aus New York oder später Bloody Fist Records aus Australien. Dennoch spielt Rotterdam natürlich eine tragende Rolle in der Entwicklung und gilt bei eingefleischten Gabbers weiterhin als Geburtsort und Epizentrum schlechthin.

Gabber, was dem hebräischen Wort „khaver“ entspringt und soviel wie Freund bedeutet, beschreibt eine Variante des Hardcore-Techno, welche sich Anfang 1990 als eigenständiger Sound vorzugsweise in Rotterdam und als Nachfolger des New Beat- und Techno-Auflebens herauskristallisierte und durch stark übersteuerte Bassdrums im Bereich von 140 bis 220 BPM sowie synthetisierte Melodien gekennzeichnet ist. Als einer der Pioniere der Hardcore-Szene kann neben Namen wie eben Marc Arcadipane, Paul Elstak,  Laurent Ho oder Liza ´N´ Eliaz auch DJ Rob Janssen angesehen werden, ein Techno- und House-DJ der ab 1989 in in der Diskothek Parkzicht in Rotterdam auflegte. Dabei vermischte er die gespielte Musik, vornehmlich härtere deutsche Produktionen, mit den Rhythmen eines Drumcomputers (Roland TB-909) und kreierte somit seinen eigenen, neuartigen Sound, der schnell als Gabberhouse bezeichnet wurde und sich durch Härte und Geschwindigkeit gegenüber der derzeit in den Niederlanden anführenden, Amsterdamer Techno- und Housemusik (Mellow), abgrenzte. Schnell erlangten die Partys mit Janssen als DJ auch über die Grenzen Rotterdams einen exzellenten Ruf und zogen vermehrte Aufmerksamkeit auf sich. Auch der erste Thunderdome, Mutterschiff aller Gabber-Festivals und bis Mitte der 90er Jahre das bekannteste Hardcore-Festival Europas, fand 1992 in Heerenveen statt. Bekanntheit, die bis heute andauert, erlangten auch die in dem Zuge gleichnamigen veröffentlichten Mix-Compilations der niederländischen Firma ID&T.

Parallel zu den Entwicklungen in Rotterdam, gab es auch die ersten Hardcore- und Gabber-Partys um 1992 in den Berliner Clubs Tresor und Bunker. Damals schon selbst als DJ im Bunker tätig, der im selben Jahr von Werner Vollert im ehemaligen Reichsbahnbunker Friedrichstraße eröffnet wurde, war Christian Müller alias Xol Dog 400, begeistert von den harten Sounds, die er vergebens im Bereich des EBM und Frankfurter Technos suchte. Der Bunker wurde schnell zu etwas wie seinem zweiten Wohnzimmer. Auf die Frage hin, ob er die Entstehung von Gabber an einem bestimmten Motiv festmachen würde, verneint er jedoch:

Xol Dog 400: Gabber ist vermutlich nur die Fortschreibung einer Entwicklung die über Techno und Hardcore-Techno ging. Gabber hat allerdings recht gut die typischen Eigenschaften einer neuen Musikkultur bedient, die seit je her geeignet sind eine neue Szene zu erzeugen. Im Vergleich zu gängigen Stilen: Hart, primitiv und für die meisten als unmusikalisch wahrgenommen… Alles was man braucht um sich abzugrenzen und ein gewisses Elitegefühl zu bilden. Das haben vorher schon Rockabilly, Beat, Hardrock, Punk oder eben Techno geleistet.

Auch Martin Kliehm alias Trauma XP aus Frankfurt, Gründer des Labels „Bembelterror“, kann sich noch gut an die Nächte im Bunker erinnern. Zusammen mit Xol Dog 400, der im Gegensatz zu Kliehm in Berlin ansässig war, besuchte er regelmäßig den Bunker für Sets, vorzugsweise von Gabba Nation, die längere Zeit als Residents im Bunker engagiert waren. Die Berliner Truppe ist seit 1993 aktiv und produzierte ab 1996 auch eigene Platten. Als stilprägend neben ihrem musikalischen Einfluss, gelten sie auch für die Initialisierung der Schreibweise „Gabba“.

Fortschreitende Kommerzialisierung des Technos und dessen Opfer

Fortan war speziell der Bunker, der noch anders als der Tresor, härtere, schnellere und auch diversere Sounds spielen ließ, wichtiger Anlaufpunkt für die Hardcocre-Szene in Deutschland. Doch der Bunker fristete damals schon eher in einer Außenseiterrolle dahin, genauso wie Vollert, dem seitens der alteingesessenen Clubbetreiber in Berlin, eher mit ablehnender Haltung entgegnet wurde. Die Entwicklung der Kommerzialisierung und die dadurch entstandenen Machverhältnisse des Technos gegenüber den Abzweigungen einzelner Subgenres, spiegelte sich auch gut in der Szene selbst wieder, da sowohl Verdrängungswettbewerb als auch Monopolstellungen wirtschaftlicher Natur, längst Einzug erhielten. (Vgl. O. Henkel, K. Wollf: Berlin Underground – Techno und HipHop zwischen Mythos und Ausverkauf, Berlin 1996, S. 105)

Die damalige Veröffentlichung „Localizer 1.0 – the techno house book“ im „Die Gestalten Verlag“, widmete dem Bunker beispielsweise kein eigenes Kapitel, wo sie doch über Artverwandte, allerdings reine Technoclubs wie dem UFO, Tresor oder E-Werk, ausführlich berichteten. Auch die Loveparade, die zwar unter dem Deckmantel des Demonstrationsrechtes agierte, jedoch kaum politische Aussagekraft gegen jüngste Entwicklungen der Gentrifizierung beinhaltete, fand keinen Platz mehr für für einen eigenen Wagen des Bunkers, was die Anhänger der Hardcore- und Gabber-Szene als Offensive der Verdrängung seitens der kommerziell erfolgreicheren House- und Techno-Szene empfanden. Letztlich musste der Bunker dem Vorwurf des nichtlizensierten Diskothekenbetriebes weichen, womit die Szene einen weiteren Verlust erlitt.

Idee zur Gegenbewegung – Fuckparade (Geburtsstunde des Techno Viking)

Schon bald sollte als Reaktion darauf, eine Antwort folgen. Eine eigene Demonstration im Stile der Loveparade, jedoch mit fundierterer politischer Motivation und wirklichem Ansporn, auch die Nischen der Technokultur abbilden zu wollen.

Wie kam es zur Gründung der Fuckparade?

Xol Dog 400: Die initiale Idee kam nach der Schliessung des Bunker Ende 1996. Auslöser war also der Verlust von Raum, in dem wir unseren Kram machen konnten. Der Bunker war ja viel mehr als ein Club, da liefen Gabbers rum und Freunde von softerem Techno, die Fetisch-Leute und im ExKreuz Club gab es Kabarett. Und Sonntags trafen sich Leute um an der Bunkeraussenwand Freeclimbing zu üben (da hatte jemand diese Klettergriffe angebracht) und um Kaffee zu trinken. Die Loveparade hatte sich mittlerweile voll dem Kommerz verschrieben und war für uns daher Teil des Problems: Was an Techno Geld abwerfen konnte blieb, der Rest musste weg! Dagegen haben wir uns gerichtet. Die Loveparade war so gesehen nur eine Art Kondensationspunkt unseres Unbehagens, dass die Gabber- oder auch nur Hardcore-Wagen nicht mehr zuließ.

Trauma XP: Kurz nach der Schließung des Bunkers gab es eine Party im Eimer in der Rosenthaler Straße in Mitte, einem Club in einem besetzten Haus, auf der wir nochmals die voranschreitende Gentrifizierung und damit einhergehenden Clubschließungen sowie die zunehmende Kommerzialisierung der Loveparade thematisierten. Wir wurden von der Loveparade zu den „Schmuddelkindern“ der Techno-Szene degradiert und waren Seitens der Sponsoren nicht mehr erwünscht, obwohl sie von sich behaupteten die gesamte Technoszene zu repräsentieren.

Kurz darauf studierte Trauma XP eine Lektüre zum Thema Demonstrationsrecht und meldete schließlich per Fax an die Versammlungsbehörde Berlin, die erste Fuckparade, damals noch „Hateparade” an. Wichtig zu betonen ist, dass neben Hardcore auch Genres wie House oder Drum n Bass, Platz auf der Demonstration fanden. Schnell erhielt die Parade größeren Zulauf, wo einem die Frage aufkommt, was die Macher selbst dagegen unternahmen, nicht dem gleichen Schicksal wie der Loveparade zum Opfer zu fallen?

Trauma XP: Gegen 2000 rum bestand die Fuckparade aus ca. 30 Wagen und rund 10.000 Besuchern, die den ganzen Prenzlauer Berg füllten, was uns schnell auf den Gedanken brachte, dass das ganze zu groß wird. Im darauffolgenden Jahr planten wir dann einen Sternmarsch um das ganze etwas auszudünnen was aber daran scheiterte, dass die Stadt Berlin im selben Jahr das kommerzielle Potenzial der Loveparade und in dem Zuge auch der Fuckparade entdeckte und uns den Schutz des Demonstrationsdeckmantels entzog.

Xol Dog 400: Besonders Martin und ich überlegten dann was man tun könnte und letztlich war seine Idee, 2001 noch einen Sternzug zu machen um die Menge der Leute zu verteilen und dann die Fuckparade zu beerdigen. Wir haben also schon recht ernsthaft diskutiert, die Fuckparade nach 2001 zu beenden. Ich wollte eigentlich sogar sofort aufhören… Dann hat der Leiter der Versammlungsbehörde, Herr Hass, die Parade 2001 verboten, was das ganze Thema nochmals stark politisiert hat. Wir haben dann im Grunde aus Trotz weiter gemacht. Ohne das Verbot wäre die Fuckparade 2001 vermutlich die Letzte gewesen. Das Verbot aber hat den Charakter viel stärker von einer an sich, wenig durchdachten diffusen Protestveranstaltung zu einer echten politischen Demo mit Musik verändert und das überleben bis heute garantiert. Herr Hass hat sich also wenn man so will episch ins Knie geschossen.

Glatzen, nur auf oder auch in den Köpfen?

Die politische Gesinnung einer ganzen Szene festzumachen ist unmöglich, das ist uns klar, dennoch war es uns wichtig auch mit den Anschuldigungen der Rechtsgesinnung umzugehen, die gerade im Bezug mit der Optik oftmals aufgegriffen werden. Diese weist sich durch eine gewisse Androgynität aus, da sowohl weibliche als auch männliche Gabbers meist einheitlich, sportlich gekleidet sind. Zurück geht das mancher Meinung nach auf die enge Verbindung der Musik in frühen Tagen, zu den Fans von Feyenoord Rotterdam. Bunte Australians der italienischen Marke L`Alpina z. B. galten neben Fila oder Kappa Sportklamotten als kultiges Statussymbol, dienten aber auch ganz praktisch gesehen dem Tragekomfort beim Rave. Kurzhaarfrisuren waren sowohl bei Frauen als auch Männern beliebt, genauso wie gemütliche Treter in denen man stundenlang tanzen konnte.

Kann man die Gabberszene grob im politischen Spektrum verorten?

Xol Dog 400: Die Gabberszene selbst ist im Gegensatz zur Punkbewegung zum Beispiel relativ unpolitisch, jedenfalls wenn man eine klassische Verortung im Spektrum versucht. Ich weiss nichtmal, ob sie ein Ideal hat. Es ist sicher zutreffend, dass es eine Menge rechts eingestellte Leute in der Gabberszene gibt aber auch eine Menge Linke. Die Gabberszene war aber nie so deutlich “Links” wie es die Punkbewegung war und ist, was eine große Angriffsfläche bot.

Trauma XP: Insbesondere in Holland gab es damals jedoch eine Menge nationalistisch eingestellter Gabbers, die sich darauf beriefen endlich mal eine Musik aus Holland hören zu können. Auch rechts Organisierte versuchten immer wieder genau das auszunutzen, was sie sehr häufig über den Zugang der Musik probieren, beispielsweise über Gruppen wie Freiwild.

Welche Rolle Spielte die Optik damals?

Xol Dog 400: Kleidung ist immer ein Identifikationsmerkmal. Es wird eine Art Familienzugehörigkeit über die Musik hinaus ausgedrückt. Viele konnten das aber nicht durchhalten und sind im Laufe der Zeit “normaler” geworden. Es gibt wenige die z. B. mit einer Camo-Weste auf der Arbeit auftauchen können. Tatsächlich kann ich heute kaum noch Einheit in der Optik feststellen. Am ehesten noch bei TerrorcoreLeuten … Aber schon Gabbers aus Holland sehen anders aus, als die aus Deutschland und der Stil als Identifikationsmerkmal spielt heute kaum noch eine Rolle meiner Meinung nach.

Wo verortet ihr euren persönlichen Höhepunkt der Gabber-Zeit und wie seht ihr die Entwicklung bis heute.

Xol Dog 400: John Peels Meltdown 1998 in London. Musikalisch war spätestens Ende der 90er alles gesagt und mit der Schliessung des Bunkers 1996 war eine gewisse Ära sowieso vorbei.
Das war mir natürlich damals noch nicht klar, spätestens aber so um 2003 wusste ich, dass der Höhepunkt bereits hinter uns lag.

Trauma XP: Für mich 1999-2000. Da konnten wir die Fuckparade noch im einstigen Sinne durchführen. Ebenso gab es wunderbare Afterpartys auf der Insel oder im Stellwerk. Einmal bin ich für eine Afterparty mit Mark Newlands von Bloody Fist und Simon Underground nach Prag gefahren, in ein besetztes Haus, was für mich die geilste Party war die ich jemals besuchte.

Welche maßgeblichen Entwicklungen hat die Gabber Szene eurer Meinung nach bis heute erfahren?

Xol Dog 400: Offen gestanden: nicht mehr viel! Es gibt die Szene noch, das ist manchmal für mich überraschend. Ich ziehe da Parallelen zu Punk oder Rockabilly, es gibt auch da ja noch immer einen harten Kern aber die Prime-Time ist lange vorbei. Gabber ist meiner Meinung nach in einer Sackgasse. Das Genre ist recht eng und Innovationen werden von den Fans nur schwer akzeptiert. Aber Gabber funktioniert noch immer und daher gehts weiter und es gibt auch neue Fans. Die erste Generation ist ja jetzt zwischen 45 und 50 Jahren alt und wenn ich da noch Leute aus der Zeit treffe bin ich immer froh, dass die noch kommen und nicht wie Oma in den Sessel pupsen. Mein Ziel ist, zumindest einen Aufritt zu haben wenn ich 60 bin und das Publikum fertig zu machen. Ist nicht mehr lange hin 😉 Gegen ein Revival oder neue Einflüsse hätte ich absolut nichts.

Trauma XP: Die Technik hat sich verändert. Statt 8bit-Trackern werden halt gute Computerprogramme verwendet aber ehrlich gesagt, die Musik hat sich nicht wirklich weiterentwickelt… Was ich heute so höre, hört sich doch teilweise genauso an, wie Ende der 90er.

 

Genau damit befassen wir uns im zweiten Teil des Artikels. Dazu haben wir mit Gabber Eleganza und Paul Seul, von den Casual Gabberz sprechen können und näher beleuchtet, wie sie die jüngsten Entwicklungen und die Zukunft von Gabber betrachten.

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