Gabi Delgado – Zwischen DAF und Disco

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Gabi Delgado-López kennt man vor allem als eine Hälfte der legendären Deutsch-Amerikanischen Freundschaft, kurz DAF, deren Songs wie „Der Mussolini“, „Kebab-Träume“, „Ver- schwende deine Jugend“ und „Brothers“ auch nach all den Jahren immer noch heftigst ein- schlagen. Während DAF jedoch lange nichts mehr veröffentlicht haben, sondern in den letzten Jahren (nach einer erneuten Wiedervereinigung) nur live spielten, tritt Delgado jetzt wieder solo ins Rampenlicht. Neben Projekten, die er undercover betreibt, erscheint ein neues Album namens „1“. Darauf hört man eine energiereiche Mischung von Songs, die sowohl von DAF, als auch von aktueller Clubmusik beeinflusst sind und die für Gabi Delgado typischen Songtexte eint. Für ein ausführliches und gleichfalls sehr angenehmes Interview erreiche ich den Künstler in einem Studio in Spanien.

Du arbeitest gerade an Videos?
Ja genau, über meine Homepage und über YouTube kommt „Delgado TV“. Im weitesten Sinne haben diese Videos auch immer etwas mit dem neuen Album zu tun. Aber es ist auch mit anderen Musikprojekten von mir verbunden. „Delgado TV“ wird keine reine Musikvideoseite, im weitesten Sinne eher ein Kulturmagazin. Es geht auch um Videogames, um Mode, um Gedichte … Es ist nicht nur, wie sagt man heutzutage „project-related“? (lacht)

Welche anderen Projekte hast du denn in den letzten Jahren so betrieben?
Ich habe die Hälfte meiner Zeit eigentlich für reine Musikforschung verwendet, das heißt für die Entwicklung neuer Sounds, Klangexperimente, Beschäftigung mit ganz anderen Musiken, die jetzt gar nicht im Elektro-/Dancebereich stattfinden. Zum Beispiel Flamenco oder afrikanische Musik. Ich höre sehr viel Musik und lerne dabei auch sehr viel. Ich experimentierte mit Setups. Mit Unterhaltungselek- tronik und wie man die einsetzen kann. „Neosexy“ von meinem Album basiert ja auf der Playstation 1. (lacht) Solche Sachen eben, ganz unabhängig von rgendwelchen Projekten. Ich arbeite nicht gerne so, dass man einen Anlieferungstermin hat und sechs Wochen Zeit, um etwas zu machen. Ich arbeite ganz frei, und wenn ich etwas habe, dann archiviere ich das und schaue, wie es sich entwickelt. Wenn es dann soweit ist, kann ich aus den Vollen schöpfen. Für „1“ hatte ich fast dreißig Stücke zur Auswahl, die alle einen Platz darauf verdient hätten. Aber viel mehr als achtzehn gingen eben nicht auf die CD, daher werde ich die anderen nach und nach zum freien Download zur Verfügung stellen.

Dein erstes und letztes Soloalbum („Mistress“) erschien 1983. Bist du dir selbst gegenüber eher kritisch eingestellt, so dass du Tracks nicht gleich zur Veröffentlichung frei gibst? Oder hast du einfach keinerlei Druck verspürt, neben DAF regelmäßig solo in Erscheinung zu treten?
Ich hatte andere Projekte und DJ-Arbeiten, die ich nicht unter meinem Namen gemacht habe. Da habe ich mich bewusst nicht als Gabi Delgado dargestellt. Das Album ist aber nun ein persönlicheres Ding, und da passte es, dass das unter Gabi Delgado läuft. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn ich ein Stück als Gabi Delgado veröffentliche, jeder schreit: Das klingt ja gar nicht wie der „Mussolini“. Wenn ich aber das gleiche Stück als DJ X veröffentliche, sagen die Leute: Super, gibts noch mehr davon? Im Prinzip finde ich es auch richtig, die Sachen danach zu benennen, für was sie stehen. DAF ist DAF. Gabi Delgado ist Gabi Delgado. Zur Zeit habe ich noch drei andere Projekte. Eines für House, eines für härtere, dupstep-mäßige Klänge und eines für Funk mit Bläsern und so. Früher war es ja so, dass einer Hans Schmidt hieß, sein Vater war Bäcker, und er wurde dann auch einer. Heute hat man eine multiple Persönlichkeit. Erst heißt man Hans Schmidt, und zehn Jahre später nennt man sich ganz anders und ist in einem ganz anderen Berufszweig tätig. Eine feste Persönlichkeit reicht heute gar nicht mehr zur Definition des eigenen Seins. Die Leute wollen viel sein. Und das äußert sich auch in der Kunst und Musik. Fast alle, die ich kenne, haben mehrere Projekte am Start.

Genießt du es, undercover Projekte zu machen, wo die Leute nicht den Gabi von DAF mit verbinden, sondern erst einmal nur die Musik hören?
Das finde ich gut. Und wenn man es dann später erfährt – „Ach das ist ja der Gabi Delgado!“ – dann hat das einen ganz anderen Effekt. Außerdem soll das Werk überzeugen. Manchmal interessiert es mich vielmehr, etwas ganz neu aufzubauen, als immer auf das Gleiche zu setzen. Da lernt man auch andere Leute kennen. Manchmal macht es mir einfach Spaß, ganz unten zu beginnen, ein ganz neues Fundament zu legen. Dann definiere ich das Projekt und halte mich auch daran. Ich mische nicht gerne Sachen. Ich halte sie lieber auseinander, dann kann ich im Studio auch zwischen den Projekten wechseln. Das macht mehr Spaß, als nur an einem Ding zu arbeiten und dort zu versuchen, alles hineinzubringen. Warum soll ich auch bei Gabi Delga- do Dubstep, funky Sachen oder Salsa oder Klaviermusik, was ich auch alles mache, unterbringen? Das gehört da einfach nicht hin. Da starte ich lieber eine andere Band, die konkret Salsa macht.

Gab es eine bestimmte Ursache für dein neues Soloalbum, oder hattest du einfach irgendwann genug Material für ein solches vorliegen?
Ich hatte so um die fünfzehn, sechzehn Stücke, die ich von vornherein als Gabi Delgado-Stücke gesehen habe. Da sind die für mich typischen, knappen deutschen Texte, da ist die Elektronik, so wie ich sie mag, die an der Schwelle zwischen DAF und Disco gelegen ist. Wenn man erst einmal ein Gerüst hat, dann weiß man, was man noch braucht. So sind die restlichen Stücke extra für dieses Album gemacht worden.

Ist es dir bei den Songtexten schwergefallen, sie so anzulegen, dass du nicht direkt wieder mit DAF verglichen wirst, oder war es für dich eher ein großer Spaß, Ähnlichkeiten einzubringen?
Das, was für die Musik gilt, gilt auch für die Texte. Die meisten schreibe ich ohne Musik, als Gedichte. Sie entstehen ganz unabhängig. Wortmusik nenne ich das. Ich schreibe sehr viele Gedichte und habe dadurch Hunderte von Texten. Wenn mir ein Stück gefällt und ich denke, dass man darauf singen sollte, dann kann ich ausprobieren, was da gut zu passen würde. Manche Texte entstehen aber auch zur Musik, weil die Musik mir irgendeine Assoziation liefert, etwa „Nebelmaschine“. Dann gehe ich in die Gesangskabine, lasse die Nummer laufen und schaue was mir dazu einfällt. Das funktioniert sehr gut. Live improvisiere ich auch manchmal, mache Texte länger oder tausche sie aus, singe sie auf andere Nummern. Das macht mir Spaß.
In deinen Songs schwingt immer mal wieder Gesellschaftskritik mit. Wie schwierig ist es, ernste Themen in Tanzmusik unterzubringen? Ich denke nicht, dass das schwierig ist. Es ist sogar eine sehr gute Möglichkeit, sich mit der Realität zu beschäftigen und diese darzustellen. George Clinton hat mal gesagt: „Free your mind and your ass will follow.“ Wenn man sich bewegt und der Körper etwas spürt, dann nimmt man Texte viel leichter auf. Weil es nicht nur über das Hirn läuft, sondern auch über den Körper. Es muss in der Dance Music nicht immer nur „I wanna take you higher“ heißen. Man kann auch andere Sachen singen. Das stört nicht die Tanzbarkeit. Man kann die Messages fantastisch rüberbringen. Ich stehe darauf, wenn man intelligente Musik auch mit intelligenten Texten verbindet. Die Bedeutung von Texten in der Musik wird manchmal unterschätzt. Nimm als Beispiel den „Mussolini“, der ganz klar eine geile Sequenz hat. Aber stell dir vor, ich hätte da „I wanna take you higher and higher and higher“ gesungen. Dann hätte das nicht den gleichen Effekt gehabt. Worte sind für den Menschen sehr wichtig. Der Mensch ist ein Worttier, sage ich immer. Wenn man zu einer guten Musik belanglose Texte macht, wird die Musik auch belanglos.

 

Ein Beispiel für gesellschaftskritische Songs auf deinem Album ist „Langweilig“. Du thematisierst darin, dass Deutschland langweilig für dich ist. Warum ist das so?
Das entspricht dem Regulierungswahn, der in Deutschland zu einem großen Teil herrscht. Ich wohne ja in Spanien und sehe die Unterschiede zwischen den Ländern. Wenn in Deutschland schönes Wetter ist und ein Café die Tische nach draußen stellen will, dann muss es erst einmal drei Amtsgänge machen. Und es wird genau beschränkt, bis wie viel Uhr sie da stehen dürfen und wie viele Stühle und wie viel Meter Abstand zum Straßenrand … Das macht Deutschland so langweilig. Es ist alles extrem reguliert, es gibt extrem viele Gesetze, und das nimmt den Menschen auch die Eigeninitiative. Ich kenne so viele Leute, die etwas machen wollen, und es geht nicht, weil irgendein Ordnungsamt oder Gesundheitsamt Nein sagt. Einer will eine Suppenküche nach asiatischem Vorbild auf dem Fahrrad montiert machen, und es geht nicht, weil es kein Waschbecken gibt. Einer hat eine Disco gebaut, da war das Dach 0,2 Zentimeter zu niedrig. Der musste dann die Lichtanlage rausreißen.

Ist es generell schlimmer in Deutschland geworden, als früher in den 70ern, 80ern, 90ern?
Ja, das denke ich schon. Von den 70ern bis zu Beginn der 80er herrschte noch eine optimistisch in die Zukunft schauende Stimmung. Heute herrscht die Angst. Angst vor der Krise etwa. Da versucht man natürlich, das, was man hat, zu halten. Und dafür muss man unheimlich viele Mauern bauen, damit es nicht abfließt. Im Übrigen trägt die EU auch einiges an Regulierungswahn dazu bei. Da muss die Salami genau fünfzehn Zentimeter dick sein, sonst ist es keine Salami. Es liegt daran, dass irgendwelche Menschen, die sich mit der Materie nicht auskennen, in irgendwelchen Büros sitzen und völlig losgelöst von der Realität sagen: Was ist denn jetzt eine Gewürzgurke? Eine Gewürzgurke ist achtzehn Zentimeter lang.

Ist es, wenn du dich in Songs kritisch äußern möchtest, wichtig die Texte eher knapp und reduziert zu halten?
Es gibt das schöne deutsche Wort Dichtung, also dass man etwas verdichtet. Es lohnt sich nicht, irgendwelche Schnörkel zu bauen, sondern man muss versuchen zu reduzieren, damit die Message klar rüberkommt. In einem Stück wie „Langweilig“ könnte ich lang und breit erklären, warum und wieso und über den Regulierungswahn reden. Aber wenn ich es so knapp ausdrücke und versuche, es in drei, vier Sätzen auf den Punkt zu bringen, dann ist das stärker. Das ist, wie wenn man einen guten Wein hat. Klar kann man eine Schorle daraus machen, aber richtig gut, richtig klar und wahr schmeckt er ohne Wasser.

Im Songtext von „Alles Gute zum Geburtstag“ ziehst du den Synthie dem Klavier vor. Was fasziniert dich denn besonders an elektroni- scher Klangerzeugung?
Mit dem Synthesizer kannst du alles machen, was du willst. Eine akustische Gitarre wird immer wie eine akustische Gitarre klingen. Auch bei meinen anderen Projekten mache ich überwiegend elektronische Musik. Die große Chance und Herausforderung des Synthesizers ist, dass er ein weißes Blatt Papier ist. Da kannst du alles mit machen. Eine Trompete etwa, aber auch einen Sound, den es bisher noch nicht gab. Ich mag zwar auch andere Instrumente, das Klavier zum Beispiel sehr. Aber das kann ich mit einem Synthesizer auch machen und eben auch einen Klavierklang erzeugen, den man vorher noch nie gehört hat. Die Harmonielehre reicht mir nicht. Sie, wie auch die normalen Instrumente, finde ich sehr einschränkend. Warum muss ich mich an diese paar Töne halten? Ein Synthesizer ist völlig frei. Es gibt Stücke, die mir eigentlich gut gefallen, wenn da nicht ein bestimmter Sound dabei wäre, den es schon gab, als ich geboren wurde. Und jetzt klingt die akustische Gitarre noch immer so.

Verfolgst du eigentlich die heutige Clubmusik noch?
Absolut. In meinem Leben gab es ja drei prägende Ereignisse. Das eine war, als ich zum ersten Mal Donna Summers „I Feel Love“ gehört habe und dachte: Mensch, ist das toll. Elektronik und Sex. Die Moroder-Sequenzen und das Gestöhne, das ist großartig. Das zweite waren die Sex Pistols, wo ich dachte: Die sind frech und haben eine Energie. Punk hat mit total von der Attitüde und vom Spirit her gefallen. Aber die Musik hat mir nicht gefallen. Ich habe nie verstanden, warum sich so eine neue und tolle Bewegung die Instrumente der Väter schnappt. Mit ein Grundgedanke von DAF war ja dann, Punk zu machen, aber mit neuen Instrumenten, nicht mit dem alten Schrott von gestern. Das dritte prägende Erlebnis hatte ich, als ich 1986 die erste Houseplatte hörte. Chicago House von Adonis. Das hat mich auch beeindruckt, auch wegen der Einfachheit der Beats.
Ich verfolge auch heute noch die Musik sehr. Ich bin ein richtiger Clubgänger, lege auch auf.
Wenn ich tanzen gehe, will ich House hören. Also richtigen House. Heute wird ja alles mögliche House genannt. Wenn man sagt, man steht auf House, denken die Leute oft, man steht auf David Guetta. Manche denken sogar, House wäre etwas ganz Neues, und es gäbe House erst seit zwei, drei Jahren.

Tanzen spielt sowohl bei deinen Solosachen, als auch bei DAF eine wichtige Rolle …
Ja, das ist ganz wichtig. Sogar Kinder reagieren mit Tanzbewegungen auf Musik. Das ist in der menschlichen DNA vorgesehen. Musik ist vor allem zum Tanzen da. Und das ist etwas, das ich der klassischen Musik und anderen Musiken vorwerfe. Wenn man die Körperlichkeit aus der Musik herausnimmt und lieber auf den Stühlen sitzen bleibt und sich nicht dazu bewegen will, dann kastriert man die Musik im Endeffekt. Musik ist körperorientiert.

Du gehst mit deinen Solostücken jetzt auf Tour. Wie werden die Shows aussehen?
Ich werde sie ganz alleine gestalten. Ohne weitere Mitmusiker. Mit einem Telefon.

Ähm, mit einem Telefon?
(lacht) Ja. So wie wir damals bei DAF die Kassetten genommen haben, um unsere Elektronik zu abzuspielen, so werde ich ein Telefon für die Musik verwenden.

Du benutzt das dann als Controller, um die Musik zu steuern, und tanzt und singst dazu?
Genau, ich werde damit verschiedene Zugriffsmöglichkeiten auf die Musik haben und habe die Backings als Wavs. Ich stehe auch nicht darauf, einen riesigen Zirkus drumherum zu machen, mit Videoleinwänden, Pyrotechnik und so. Ich will es, so wie bei DAF auch, sehr nackt halten. Die Musik und der Mensch, der sie darstellt, sollen für sich sprechen. Nichts soll davon ablenken. Ich kenne Bands, die stellen sich ein riesiges Instrumentarium hin und dann kommt die Musik perfekt produziert vom Laptop. Das grenzt an Betrug.

Was war denn dein bizarrstes Bühnenerlebnis in den letzten Jahren?
Wir haben vor zwei oder drei Jahren in Paris gespielt. Da kamen sehr viele Leute auf die Bühne. Alles Jungs. Die haben sich dann ihre Oberteile ausgezogen und angefangen Liegestützen zu machen. Über mehrere Songs lang. Die ganze Bühne war voller Körper, die zum Beat Liegestützen gemacht haben. Das war im besten Sinne von Electric BodyMusic (lacht).

Aus dem FAZEmag 024/02.2014

 

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