Hatikwa – Vom Fusion-Acker in die weite Welt

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Wir baten mit Hatikwa einen der derzeit gefragtesten Produzenten und Live-Acts im Bereich Progressive Minimal/Psytrance um ein Interview. Seit 2009 kreiert der in Berlin lebende Autodidakt Hatikwa musikalische Landschaften, die so recht in keine Schublade passen wollen. Wir sprachen mit ihm über seine zittrigen Anfänge als Musiker, die Magie der Social Media und das Streben nach kreativer Freiheit.

Thomas, wie bist du zur Musik gekommen bzw. wann speziell zu Psytrance?


Ende der 1990er-Jahre landete ich mit Freunden rein zufällig und eher gelangweilt auf einem norddeutschen Acker, auf dem laute Musik gespielt wurde. Für uns war das damals absolut neu und wir konnten nicht fassen, dass so was überhaupt möglich ist. Psytrance kannten wir da noch gar nicht und das besagte Festival bot neben Psytrance sogar noch einen Reggae- und einen Techno-Floor. Erst später begriff ich, dass ich auf einem der ersten Fusion-Festivals war. Ich war damals absolut überwältigt. Viele weitere Festivals folgten daraufhin und ich sog alles in mich auf. Es bleibt eine unvergessene Zeit. Etwa 2008 habe ich dann auch angefangen, meine eigene Musik zu produzieren. Zuerst als Hobby und ohne jegliches Wissen. Nebenbei versuchte ich mich auch als DJ. Aus Dankbarkeit für ein DJ-Booking sendete ich 2009 einem befreundeten Deko-Künstler aus Hamburg einen meiner Tracks. Ich benannte den Track auch noch spaßeshalber nach seinem gleichnamigen Deko-Projekt – „Lonely Forest“. Er packte diesen Song dann kurze Zeit später auf eine Free Compilation. Und was dann folgte, war lebensverändernd für mich. Dank Social Media verbreitete sich der Track nahezu auf der ganzen Welt – quasi ohne einen Cent an Marketingkosten auszugeben. Unfassbar.

Hat dein Künstlername Hatikwa eine bestimmte Bedeutung und wie bist du darauf gekommen?

Hatikwa bedeutet im Hebräischen „Hoffnung“. Das fand ich passend. Minimal und dennoch auf den Punkt. Ich wollte damals einen Namen mit Bedeutung. Hatikwa ist aber auch der Name der israelischen Nationalhymne. Nach einem Auftritt in Israel vor ein paar Jahren hat mir das eine stundenlange Befragung seitens der Flughafen-Security in Tel Aviv eingebracht. Ich nahm es mit Humor.

Wann und wo hast du dann zum ersten Mal als Hatikwa gespielt und wie war das für dich?  

Das war, soweit ich mich erinnere, auch für das Hamburger Deko-Projekt „Lonely Forest“. Und zwar in einem kleinen Hamburger Club. Keine 30 Leute waren da und ich versteckte mich die ganze Zeit hinter meinem Bildschirm. MIDI-Controller hatte ich damals noch nicht und ich versuchte, einige Effekte mit der Maus zu triggern. Mit zitternden Fingern gar nicht so einfach.

Deinen Sound beschreibst du als Progressive Minimal. Wer oder was hat dich dazu inspiriert?

Nun, ich tue mich sehr schwer damit, meine eigene Musik zu kategorisieren. Der Begriff Progressive Minimal stammt eigentlich aus meiner Zeit als normaler Partygast – denn der Psytrance hatte bis etwa 2010 noch nicht diesen Hang nach Kategorisierung. Damals gab es Progressive Trance, Psychedelic Trance und Full-On. Fertig. Für mich als normaler Gast war es das Schönste, wenn ich stundenlang auf dem Floor tanzen konnte, ohne alle zwei Minuten durch ein Break „gestört“ zu werden. Ich verliebte mich damals auch in die Einfachheit von Sounds. Kick und Bass als Fundament, verspielte Hi-Hats als Garnierung und knarzige Synth-Sounds als Dessert – mehr brauchte ich damals nicht, um glücklich tanzen zu können. Und genau dieses Feeling versuche ich in meinen Songs einzufangen. Einfach mal wieder auf das Wesentliche kommen. Der eigene Kopf soll quasi entscheiden, ob die Beine sich bewegen sollen. Nicht der Typ hinter dem Pult mit hochgerissenen Armen und wilden Animationsgesten.

Du betreibst auch dein eigenes Label, Xonica Records. Erzähl uns davon!


Nach diversen Releases auf verschiedenen Netlabels wollte ich einen Schritt nach vorne wagen. Die damaligen klassischen Labels konnten aber nicht wirklich etwas mit mir anfangen. Mal war ich zu minimal, mal nicht modern genug. 2013 habe ich zwar mein erstes Album „Point Of View“ über Magical Sounds Records digital releasen können, aber selbst da gab es Probleme. Denn das Label schaffte es nicht einmal, die richtige Musikkategorie für mein Album digital zu hinterlegen. All das nervte mich und deswegen gründete ich 2015 mein eigenes Label Xonica Records. Und zwar ausschließlich für Veröffentlichungen mit persönlicher Beteiligung. Ohne Termindruck und mit 100-prozentiger Entscheidungsfreiheit. Deswegen gab ich Xonica Records auch den Leitsatz „Creative Freedom“. Was gibt es denn Schöneres, als nur sich selbst Rechenschaft ablegen zu müssen? Na okay, dem Finanzamt vielleicht noch.

Was war dein emotionalster Moment als Künstler?

Tief bewegt hat mich 2015 die Einladung, bei der „Listen To The Music“-Tour von Loud in Tokio zu spielen. Das war atemberaubend. Ich war logischerweise noch nie weiter entfernt von zu Hause und der Held meines Heimatdorfes. Der kleine Hatikwa in Tokio – ich werde diese Tour wohl nie vergessen. Dann gibt es da diese speziellen Events, die mich immer wieder umhauen. So auch meine Gigs für das Waldfrieden-Event-Team. Jedes Mal bekomme ich da Gänsehaut. Beim letzten Mal blieben Tausende im strömenden Regen und tanzten bis zur letzten Sekunde. Wahnsinn. Unvergessen auch das Sea-You-Festival dieses Jahr, als zwei Gäste die Bühne stürmten, um mich einfach nur umarmen zu können. Die Security konnte gar nicht reagieren, so schnell waren die. Oder ein Fan aus Ungarn, der sich meine Unterschrift auf den Unterarm tätowieren lässt. Auch surreal: Nach dem Indian-Spirit-Festival dieses Jahr sendeten mir Unmengen von Fans Danksagungen für mein Set. Ein absolut perfekter Sommerabschluss für alle Beteiligten. Aber auch die Fertigstellung meines zweiten Albums „The Second Narration“ Anfang dieses Jahres bleibt unvergessen. Ein wahrer Marathon mit zwischenzeitlichem Trommelfellriss im linken Ohr und abstürzendem PC samt Datenverlust. Emotional gesehen ein Höllentrip und Meilenstein zugleich. Und ich könnte noch weitere Momente aufzählen …

Auch in diesem Jahr bist du viel herumgekommen – Auftritte u. a. in der Schweiz, in Schweden, Frankreich, Österreich und Dänemark. Woher nimmst du die ganze Energie?

Ich schlafe einfach gern und viel, nehme keine Drogen und trinke nur mal ein Bierchen, wenn es gerade passt. Ich bin sozusagen die geborene Spaßbremse. Letztens hat mich ein Gast auf Facebook als „Waldorflehrer“ betitelt, als er mich auf einem Video sah. Fand ich witzig. Solange ich alle dazu bringe, ihren Namen zu tanzen, ist mir das recht. Aber ich sehe eben auch andere Künstlerkollegen, die nicht auf sich achten bzw. deren Job noch stressiger ist als meiner. Und das hat mir die Augen geöffnet.

Zuletzt hast du einen Klopfgeister-Remix deines Klassikers „Lonely Forest“ veröffentlicht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Thorsten (Klopfgeister) steht mir seit meinem ersten Album mit Rat und Tat zur Seite. Ich schätze ihn sehr. Wir haben mit der Zeit eine gesunde Freundschaft aufgebaut und arbeiten gern miteinander. Er war auch der einzige Künstler, der die „Lonely Forest“-Files von mir bekam. Somit war ein Remix von ihm nahezu unausweichlich.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?


Zum einen wird es eine Single als Free Download geben. Wann genau, ist noch nicht ganz geklärt. Aber das war schon lange fällig. Weiterhin steht schon eine knackige Single namens „Metamorphosis“ als Release bereit. Ein Remix von Mondero aus Berlin wird dazu just in diesem Moment erstellt. Beide Tracks werden demnächst auf Xonica Records erscheinen. Eine weitere Zusammenarbeit mit Klopfgeister droht ebenfalls. Diesmal wird er mich mit Daten füttern – ich bin gespannt! Ich habe auch eine kleine Wunschliste sehr talentierter, aber eher unbekannter Künstler, mit denen ich gern eine Kooperation starten möchte. Auch das wird interessant. Mein Terminkalender für 2018 füllt sich glücklicherweise auch – also, von mir aus kann die Reise weitergehen. Tja, und ansonsten: dankbar und kreativ bleiben.

Aus dem FAZEmag 068/10.2017
Text: Jeanette Leiendecker

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