Interview mit EDX bei der Street Parade 2024

EDX aka Maurizio Colella ist seit über 30 Jahren im Musik-Business als Produzent und DJ tätig, sowie Labelmanager von Sirup Music aus der Schweiz. Wir haben ihn während der Street Parade in Zürich getroffen und uns mit ihm über die Entwicklung der Parade, das Insomnia Dance Festival nach der Parade, seinen persönlichen Werdegang, Aktuelles und Pläne für die nächste Zeit unterhalten.

Hallo Maurizio, schön, dass du Zeit gefunden hast. Wir befinden uns hier gerade an der Street Parade in Zürich, der an der Besucherzahl gemessen global größten Veranstaltung für elektronische Musik. Welche Bedeutung hat die Street Parade für dich persönlich? Zur ersten Street Parade, als die Parade noch als „Demonstration für Liebe, Friede, Freiheit, Großzügigkeit und Toleranz“ angemeldet gewesen ist, warst du noch nicht mal volljährig. Hast du die Anfänge damals miterlebt?

Tatsächlich war die Street Parade damals, 1992, extrem ausschlagtragend für mich. Da hat sich meine eigene musikalische Richtung definitiv gesetzt. Ich stand da gerade als DJ noch ganz jung in meinen Anfängen. Ich glaube die ganze Rave-Kultur, die sich da Ende der 80er-Jahre mit der Loveparade und dann bei mir zuhause persönlich in Zürich eingeschlagen worden ist, hat mich definitiv geprägt. Genauso wie die Raves, die damals noch in alten Fabrikhallen stattfanden.

Ich war auch an der ersten Parade 1992. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Damals hat es geregnet und ich und mein DJ-Kollege Luis waren sich deshalb nicht sicher, ob wir überhaupt gehen sollten. Wir sind dann doch gegangen. Damals war das noch ganz klein und eventuell auch noch verrückter als heute. Das Ganze hat definitiv meinen Werdegang als DJ und die Kultur, die ich nun seit über 30 Jahren lebe, geprägt.

EDX im Interview mit dem FAZEmag

Man könnte also quasi sagen, du bist mit der Parade gewachsen, die Parade gleichzeitig an sich auch?

Ja, wobei es nach der zweiten oder dritten Parade, ich glaube im Jahr 1994, dann schon offizielle Probleme gab. Da wollte die Stadt die Parade verhindern. Damals haben wir vor dem Stadthaus zum Erhalt der Parade demonstriert. Ich bin mit der Parade gewachsen und die Parade hat die Stadt Zürich extrem geprägt und auch dazu beigetragen, dass die Stadt Zürich ein UNESCO-Weltkulturerbe für ihre Technokultur geworden ist.

Das sind schon starke Kontraste, wenn man bedenkt, dass die Parade 1994 verboten werden sollte und 2012 die Zürcher Technokultur sogar als immaterielles Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde.

Man muss schon dazu sagen, dass diese ganz Subkultur in Zürich nicht erst mit der Parade angefangen hat. Los ging es Ende der 80er-Jahre mit Acid House. Da hat es sich, glaube ich, das erste Mal abgehoben davon, nur eine Musikrichtung zu sein. Es kam die Subkultur dazu. Zunächst gab es dann kleine, sehr diverse Events, in kleinen Locations, später Fabriken. Die Stadt hat schon immer pulsiert und war irgendwo ndergroundig. Anfang der 90er-Jahre wurde es dann kommerziell, auch in Berlin, als die großen Medien in die Übertragung der Loveparade gingen, auch die öffentlich-rechtlichen. Die ganze Kultur und der ganze Spirit der Parade war aber immer sehr undergroundig. Deswegen ist es eigentlich eine ganz natürliche Entwicklung, dass man dieses Kulturerbe bekommen hat.

Wie hast du das mitbekommen, als die Parade Schwierigkeiten hatte?

Damals hat man das sehr gelebt, diese Subkultur. Ich war jung und es war selbstverständlich, das so zu leben. Damals war alles wie eine Musikrichtung, die Rave-Kultur, egal ob House, Goa, Trance, Techno, Breakbeat – es war einfach eine Family. Die standen auch alle ein für die Parade.

Die Parade hat sich entwickelt über die Jahre und ist noch hier. Weil die Stadt nur eine bestimmte Größe hat, konnte die Parade auch irgendwann nicht mehr weiterwachsen, auch wenn sie das entsprechende Potenzial hätte. Sonst wäre die Parade auch weltweit noch viel bekannter. Trotz der Größe gegen eine Million Menschen, die jedes Jahr in die Stadt strömen, doch noch etwas Uriges, Schweizerisches ist und nicht zu kommerziell. Es könnte definitiv noch viel bekannter sein als Marke, aber es reicht so, wie es ist. Es ist schweizerisch.

Bist du auch bei der Loveparade in Berlin dabei gewesen?

Ich war 1994 in Berlin. Da habe ich aufgelegt. Damals war ich 17 Jahre alt. Ich spiele unter dem Namen EDX schon seit fast 32 Jahren. Ich habe mit 12-13 mit der Hip-Hop-Subkultur angefangen, als diese in Form von Filmen wie „Mixing“ und „Wildstyle“ nach Europa kam. Da kamen solche Sachen wie Breakdance, Graffiti und die ganze weitere Kultur nach Europa. Es gab ja noch kein Internet, das Ganze kam über Kinofilme. Erst Ende der 80er begann elektronische Musik in Europa Fuß zu fassen, Acid House, Techno. Ab dann wurde es eine eigene europäische Musikkultur. Im Gegensatz zu Rock oder Punk, kann man meiner Meinung nach sagen, elektronische Dance-Musik war etwas Europäisches. Meine Brüder sind beide älter, einer war Breakdancer. Mit elf Jahren kam ich in die ganze Kultur rein, schon mit 13 bin ich mit dem Fahrrad und ein paar Schallplatten zum Jugendhaus gefahren, um dort aufzulegen. Ich habe viele Urlaube mit meinen beiden Eltern in Italien verbracht, beide kommen daher. Wir hatten diese Dance-Kultur schon im Blut. Ich bin damit gewachsen. Irgendwann kam Rave und Techno. Mit der Parade wurde es sehr stark. Da war ich 15 oder 16 und es hat mich gepackt. Ich habe schon relativ früh angefangen.

Bereits in den 90er-Jahren hast du House-Musik produziert und veröffentlicht als eigentlich gerade Trance groß wurde. Wie war das, als House-Artist neben den ganzen Trance-Künstlern an der Parade aufzulegen?

Ja, Soulful House. Über meinen italienischen Einfluss, dort ist die housige Kultur viel ausgeprägter, hatte ich mehr Sympathie dafür. Ich fand die Verknüpfung mit Vocals sehr cool, sehr sexy. Das ist bei meinen Urlauben mit der Familie in Italien entstanden. Ich bin auch ein Trance-Kind, das hat damals zur Rave-Kultur dazugehört. Ich bin immer ein Hybrid geblieben und habe meinen eigenen Stil daraus entwickelt.

Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Make people smile oder groovy und sexy.

Mit Leon Klein hast du zahlreiche Compilations zur legendären Energy, dem großen damaligen Hallen-Rave Energy, der immer direkt nach der Street Parade stattgefunden hat produziert. Die Energy gibt es seit einigen Jahren nicht mehr, dafür aber nun bereits zum zweiten Mal die Nachfolgeveranstaltung Insomnia Dance Festival. Wie war deine Verbindung zur Energy und was sagst du zur neuen Veranstaltung, die auch heute wieder stattfindet?

Ja, richtig. Damals gab es noch das Format Compilation. Ich habe das erste Mal 98 auf der Energy aufgelegt, damals schon in der Arena, der größten Indoor-Location in der Schweiz. Damals zur Energy war das alles noch querbeet. Sven Väth hat Trance gespielt, Aphex Twin, Derrick May, aber auch Marusha und Westbam waren da – alle im gleichen Floor. Ein großes Happening in der definitiv geilsten Location in Zürich. Letztes Jahr im Rahmen des Insomnia Dance Festivals nochmal dort zu spielen hat auch ziemlich Spaß gemacht. Ich denke ich schaue heute Abend auch mal dort vorbei. Es ist gut, dass diese Rave-Kultur wieder wächst und auch wieder junge Menschenmassen zu solchen Events lockt.

Credit: Suzy Paylan

Während deiner Karriere hast du zahlreiche Remixe für diverse Künstler und Weltstars produziert. Darunter sind Namen wie Avicii, Charli XCX, Armin Van Buuren, Sam Feldt, Axwell, Deadmau5, Sebastian Ingrosso & Laidback Luke, Charlie Puth, Dubfire, John O’Callaghan, Yves Larock, Robbie Rivera, ATB, Loud Luxury, Benny Benassi, Kelis und Apl.De.Ap von den Black Eyed Peas und viele mehr. Welche der Remixe bedeutet dir am meisten und welcher hat am meisten Spaß gemacht?

Alle Remixe haben Spaß gemacht. Es gibt bestimmte Remixe, bei mir etwas Gewisses bewirkt haben. Der Remix für Kaskade (Age On My Shoulder) war definitiv ein Door Opener für mich. Für Kaskade war es der erste große Hit und Karrierestart. Außerdem „Show Me Love“ für Sam Feldt. Das war für mich speziell, da ich das Original von Robin S nächtelang bei mir im Keller dazu benutzt habe, um Beatmatching zu lernen – eine Nummer, die mir immer sehr nahestand. Dann haben wir das anders als das Original geremixed, die ganze Rhythmik geändert. Wir (Anm. der Redaktion: Sirup Music) sind jetzt bei fast einer halben Milliarden Streams auf YouTube, Soundcloud und Spotify zusammen. Jeder Remix hat eine Geschichte, da könnte ich noch viele Geschichten erzählen. Noch zu nennen ist auch mein Remix von Charlie Puth für „How Long“, da reichte es sogar zur großen Grammy-Nominierung. Das war auch ein Ziel, dass ich schon zwanzig Jahre lang vor Augen hatte und wusste, wir müssen da einfach dranbleiben, die amerikanischen Acts über die Jahre zu verfolgen. Das Ziel haben wir erreicht, ein Remix, der mir auch sehr wichtig ist, auch wenn er mir persönlich gar nicht so sehr gefällt. Der Remix war sehr zeitnah und nicht zeitlos. Normalerweise versuche ich immer, meine Musik sehr zeitlos zu halten. Schon im Trend, aber nicht zu konventionell.

Für den Remix von Charlie Puth wurdest du sogar für den Grammy nominiert – für viele Künstler eines der größten Ziele ihrer Karriere. Wie war es dann für dich, den Grammy nicht gewonnen zu haben?

Das war überhaupt nicht schlimm. Das Ziel war es nicht, den Grammy zu gewinnen, sondern nominiert zu sein. Wir haben alle zusammen eine wunderschöne Woche in Los Angeles gehabt. Mein Team und meine Frau waren mit dabei, die war damals noch schwanger von unserem ersten Sohn. Der rote Teppich, mit Leuten, die mir wichtig sind und mir immer zur Seite standen, zu betreten war echt cool und spaßig. Wir sind noch jung und haben viel Zeit für uns, vielleicht reicht es ja noch zur nächsten Nominierung, wer weiß, vielleicht gewinnen wir auch einen. Ich kenne einige Künstlerfreunde von mir, die schon etliche Male nominiert waren und trotzdem den Grammy noch nie gewonnen haben. Es hat definitiv Spaß gemacht, mit dabei zu sein.

Mit einem Augenzwinkern: Für welchen Artist erstellst du dann den nächsten Grammy-Remix?

Wir (Team EDX) zielen noch nicht darauf ab. Ich habe dieses Jahr wieder viel Musik veröffentlicht, sehr vieles mit dem typischen EDX-Signature-Sound. Ich habe nach der Covid-19-Pandemie nicht zu viel rechts und links versucht, um das ganze wieder ins Rollen zu bringen. Es läuft jetzt echt gut, geht wieder los und wer weiß, vielleicht wird es ja etwas im nächsten Jahr. Im Moment mache ich Musik und Kooperationen, die mir passen. Mal schauen, wo mich die Musik hinbringt.

Du bist Geschäftsführer der Tonträgergesellschaft Sirup Music. Außerdem gibt es dazu die Sirup Artist Agency und auch das Künstlermanagement, welches du schon seit 30 Jahren betreibst.

Für die Artist Agency arbeite ich mit zwei Partnern zusammen. Mein Partner Daniel Caruso ist dort Geschäftsführer. Ich habe die Agentur bereits 1994 gestartet und über 20 Jahre allein geführt. Vor zehn Jahren haben wir dann unter dem Umbrella Sirup den Relaunch mit einem Team gestartet, das sehr fokussiert an den Live-Karrieren unserer Künstler arbeitet. Das läuft echt gut. Der Fokus der Agency ist es, Acts erst in der Schweiz zu etablieren und danach auch international. Ich selbst bin als dortiger Künstler nicht so sehr federführend mit dabei und habe da eher andere Bereiche, beim Label Sirup und dem Musikverlag. Dort haben wir fast 400 bis 500 Releases im Jahr und administrieren fast 20 Labelmarken. Da bin ich aktiver mit dabei, denn dort geht es um die Musik, Künstler und Karrieren. Das reizt mich nach wie vor ziemlich. Ich mache auch das Management für Künstler, unter anderem Nora En Pure, Croatia Squad und diverse andere, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.

Welche Releases stehen bei dir als EDX als nächstes an?

Meine aktuelle Single heißt „Osculate“ – ein typischer EDX-Sommer-Track, sehr tribal, rhythmisch, housig. Ende August erscheint eine weitere EDX-Nummer, eine Hommage, zum eher housigeren Part von EDX. Ein wenig vom typischen EDX-Signature und ein wenig von der aktuellen Afro-Bewegung, die sich gut miteinander mischen. Der Titel heißt „Longlivedad“ und kommt am 23. August raus.

Hier könnt ihr euch die letzte Single, „Osculate“ anhören. Den Link zu „Longlivedad“ gibt es unten im Artikel.

Und Gigs?

Gig-technisch bin ich gerade aus Ibiza zurückgekommen. Es hat wieder sehr viel Spaß gemacht dort zu sein. Einerseits ist es musikalisch sehr pulsierend, andererseits trifft man viele DJ-Freunde, aber auch Fans, die aus der ganzen Welt nach Ibiza reisen. Im Herbst geht es in den USA für ein paar Wochen weiter. Dann die üblichen der europäischen Städte. Außerdem geht es nach Asien. Im Januar und Februar ist dann wieder Australien angesagt.

Du hast heute auf dem Love Mobile von SUNSHINE LIVE an der Street Parade hier in Zürich gespielt.

Es ist immer der Hammer bei sich zuhause in der Heimatstadt an der Parade zu spielen. Speziell ist es, auf einem der Trucks zu spielen. Es hat definitiv Spaß gemacht. SUNSHINE LIVE supportet unsere Release extrem, seit Jahren haben wir immer am Donnerstag zwei Stunden Sirup Music Special. Seit knapp einem Jahr ist SUNSHINE LIVE ja auch in der Schweiz, senden hier auf Rundfunk und prägen die hiesige elektronische Musik sehr. Das ist ein Novum, da die Schweiz ansonsten Radio-technisch nicht so sehr auf elektronische Musik fokussiert ist. Ein Freund von mir, Moguai, war auch mit auf dem Love Mobile. Er hatte gestern Geburtstag, meine Frau heute. Wir hatten alle ziemlich viel Spaß, auch wenn es auf dem Love Mobile ziemlich laut war.

Wenn wir jetzt in einem Video-Interview wären hätte ich einmal auf den SUNSHINE-Live-Sticker, der dort noch auf dem Ärmel deines T-Shirts klebt, mit der Kamera geschwenkt. Danke dir für das Interview und viel Spaß dir heute noch an der Street Parade!

Die aktuelle Single „Longlivedad“ von EDX erscheint am 23. August via Club Control Records. Weitere Infos zu EDX gibt es etwa auf seiner Instagram-Seite. Hier könnt ihr in in den Track reinhören:

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