Kaiserdisco – They like it raw

„Wie bei jedem langjährigen Partnerschaftsverhältnis gibt es sicherlich Momente, in denen wir uns wie ein altes Ehepaar fühlen. Wir können uns oft gegenseitig einschätzen, wissen, wie der andere tickt und wie wir am besten zusammenarbeiten können. Es gibt eine eingespielte Dynamik zwischen uns, die es uns ermöglicht, effizient und harmonisch als Team zu agieren.“

 

Foto: Rikkart

 

Es darf gefeiert werden in Hamburg. Natürlich immer und jeden Tag – doch gilt es jetzt auch, zwei Jubiläen des hanseatischen Duos Kaiserdisco zu begehen. Frederic Berger und Patrick Buck sind inzwischen nicht nur seit 15 Jahren gemeinsam als Producer und DJs aktiv, ihr Imprint KD RAW ist mittlerweile bei der Katalognummer 100 angekommen und aus diesem Anlass wird die Jubiläumscompilation „KD RAW 100“ veröffentlicht. Natürlich das zentrale Thema des Interviews, aber wir werfen auch einen Blick auf 15 Jahre Zusammenarbeit, diesen Sommer, die Zukunft und freuen uns auf den Mix des Monats aus dem Hause Kaiserdisco.

Hallo, Frederic und Patrick, herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! 100 Releases alt und kein bisschen leise. Das trifft es doch ganz gut, oder?

Patrick: Das trifft es sogar ziemlich genau. Leise waren wir ja eigentlich noch nie, aber gerade jetzt ist es labeltechnisch gesehen gerade ziemlich laut. Wir haben in den letzten zwei Jahren die Frequenz der Veröffentlichungen auf unserem Label auf alle zwei Wochen erhöht, da wir mittlerweile so viele gute Demos von den unterschiedlichsten Künstler*innen zugesandt bekommen, dass wir den Abstand zwischen den Releases einfach verkürzen mussten. Nun haben wir die magische Zahl von 100 Veröffentlichungen erreicht und da dachten wir uns natürlich, dass wir unbedingt etwas Besonderes machen sollten und haben angefangen, befreundete Künstler, die wir selbst feiern, zu fragen, ob sie uns nicht einen exklusiven Track für eine Compilation beisteuern mögen. Herausgekommen ist, zumindest unserer Meinung nach, ein wirklich gelungener Sampler mit richtig tollen Tracks.

Los ging es 2014 als Sublabel von KD Music, das schon 2011 an den Start ging. „Raw“ impliziert ja schon, dass der Sound anders klingen sollte als der des Mutterschiffs.

Frederic: KD Music stand immer für einen sehr groovigen und auch eher tech-housigen Sound. Wir selbst haben aber im Laufe der Zeit beim Auflegen und auch Produzieren eine immer technoidere Richtung eingeschlagen. Somit sind wir dann schließlich vor neun Jahren an dem Punkt angekommen, dass wir die unterschiedlichen Musikstile einfach auch Label-technisch trennen wollten und somit haben wir KD RAW aus dem Boden gestampft. RAW steht natürlich für einen raueren Sound, aber im Großen und Ganzen wollten wir einfach Tech-House und Techno voneinander trennen.

Wie hat sich das Label aus eurer Sicht in diesen fast neun Jahren entwickelt? Und was ist mit KD Music, wo seit einigen Jahren Funkstille herrscht?

Patrick: Wenn man ein Label gründet, fängt man natürlich mehr oder weniger immer bei Null an. Der eigene Künstlername hilft schon dabei, somit stimmt das nicht ganz. Unser Fokus lag damals hauptsächlich auf Veröffentlichungen von unbekannten Künstler*innen. Das heißt, wir haben einfach viele Demos gehört und auch viele „kleinere“, in unseren Augen talentierte Künstler*innen angeschrieben, denen wir eine Chance auf eine Veröffentlichung geben wollten. Das hat sich bis heute und mit stetig steigendem Erfolg des Labels natürlich ganz schön verändert. Heute kriegen wir nicht nur Demos von unbekannten, sondern zusätzlich auch von bereits lange etablierten und erfolgreichen Künstler*innen. Wir können uns sozusagen heute die Kirschen herauspicken, was uns die Arbeit logischerweise ein wenig erleichtert. Nichtsdestotrotz geben wir aber auch weiterhin immer wieder neuen, jungen Künstler*innen die Chance, bei uns ihre Musik zu veröffentlichen. Vorausgesetzt natürlich, sie ist gut und gefällt uns. Unser Motto zum Signen eines Tracks oder einer EP hat sich da seit der Gründung von KD Music im Grunde nie verändert und lautet nach wie vor: Würden wir es selber kaufen und würden wir es selber spielen?

Das Kapitel KD Music liegt mehr oder weniger auf Eis, ist aber noch nicht beerdigt.

Kommen wir zurück zum Jubiläumsrelease. Wie ist die Idee dazu entstanden, wie lange dauerte die Planung und Umsetzung und wie erfolgte die Auswahl der beteiligten Acts?

Frederic: Wie bereits erwähnt wollten wir zum Jubiläum einfach etwas Besonderes machen und nicht nur ein normales, einfaches Release. Was bietet sich da als Label mehr an als eine Compilation? Damit haben wir das Rad natürlich nicht neu erfunden, aber es ist nun mal einfach sehr passend für ein Jubiläum wie das eines 100. Releases. Die Planung startete im Januar 2023 und dauerte somit ein bisschen mehr als ein halbes Jahr. Die Auswahl der Künstler war nicht besonders schwierig. Wir haben eine ganze Menge an befreundeten Künstlern nach exklusiven neuen Tracks gefragt. Erfahrungsgemäß kommen am Ende deutlich weniger Titel zustande als zugesagt. Von denen, die wir bekommen haben, haben wir diejenigen ausgewählt, die uns am besten gefallen haben. Wir kennen das selber von uns und somit ist das auch kein Vorwurf an diejenigen, die es nicht bis zur Deadline geschafft haben, einen Track beizusteuern. Auch wir haben schon das ein oder andere zugesagt, und am Ende fehlt manchmal einfach die Zeit oder vielleicht auch die Inspiration und plötzlich ist es dann zu spät. Das passiert halt einfach.

Wenn ihr auf die 100 Releases blickt und ganz spontan jeder von euch jeweils drei Lieblingstracks/-releases benennen müsstet …

Frank Biazzi – Take Control
Klaudia Gawlas – Acid Kicks
Thomas Hoffknecht – Relax
Kaiserdisco – Bipolar Disorder
Axel Karakasis – Faded Riots
Uncertain – Whack

Ihr feiert in diesem Jahr auch euren 15. Geburtstag als Kaiserdisco, ebenfalls Glückwunsch dazu! 15 Jahre, das ist Kristallhochzeit bzw. Gläserne Hochzeit, weil der Partner mittlerweile durchschaubar ist. Habt ihr euch schon komplett durchschaut und fühlt ihr euch auch manchmal wie ein altes Ehepaar? 😉

Frederic: Nach 15 Jahren kennt man die Vorlieben und Abneigungen des anderen inzwischen nur zu gut. Wir teilen die Vorliebe für Nickerchen vor dem Gig, schnarchen beide leidenschaftlich und sind beide echte Rechthaber. Ich habe leider schon so einige Millionen an Paddy verloren bzw. schulde ihm noch etliche. Im Vergleich zu meiner Frau streite ich mich aber eigentlich nie mit Patrick, klar gibt es mal die ein oder andere hitzige Diskussion, vor allem weil wir beide immer meinen, Recht zu haben, aber einen richtigen Streit hatten wir eigentlich noch nie. Ich habe Patrick mal eine WhatsApp-Nachricht mit den Stichworten „Bombe“, „Al-Qaida“ etc. geschickt um ihn zu ärgern, weil damals durch die Presse ging, dass alles vom Staat mitgelesen würde. Das war der einzige Tag, an dem er mir gedroht hat, Kaiserdisco aufzulösen und nie wieder mit mir zu sprechen (lacht). Aber natürlich ist es so, dass wir unzählige Stunden gemeinsam im Studio verbracht haben, zusammen gereist sind, viele Shows gespielt haben und uns in musikalischer Hinsicht kontinuierlich weiterentwickelt haben. Dadurch haben wir eine starke Verbindung und ein tiefes Verständnis füreinander entwickelt.

Wie bei jedem langjährigen Partnerschaftsverhältnis gibt es sicherlich Momente, in denen wir uns wie ein altes Ehepaar fühlen. Wir können uns oft gegenseitig einschätzen, wissen, wie der andere tickt und wie wir am besten zusammenarbeiten können. Es gibt eine eingespielte Dynamik zwischen uns, die es uns ermöglicht, effizient und harmonisch als Team zu agieren. Gleichzeitig sind wir aber auch immer bestrebt, uns weiterzuentwickeln und neue kreative Wege zu gehen. Wir versuchen, uns gegenseitig zu inspirieren und neue Impulse in unsere Musik einzubringen. Vor allem beim Auflegen merke ich das immer wieder, wie wir uns die Bälle zuspielen und uns gegenseitig pushen. Trotz unserer langjährigen Zusammenarbeit streben wir danach, uns nicht in festgefahrenen Mustern zu verlieren und offen für frische Ideen zu bleiben. Insgesamt betrachtet ist es eine wunderbare Erfahrung, so lange als Kaiserdisco zusammenzuarbeiten. Wir schätzen die Verbundenheit und das Vertrauen, das wir aufgebaut haben, und freuen uns darauf, auch in Zukunft als kreatives Duo gemeinsam zu wachsen und unsere Leidenschaft für elektronische Musik zu teilen.

Wird es noch einmal ein neues Album von Kaiserdisco geben? 2010, 2013, 2017 – Fortsetzung folgt? Oder ist das Format für euch mittlerweile uninteressant?

Patrick: Im Moment ist da definitiv nichts geplant. Wir würden aber trotzdem „Sag niemals nie“ sagen.

Der Sommer läuft auf Hochtouren, was war denn bisher ein besonderes Highlight und was steht noch für den Rest des Jahres an?

Frederic: Als besonderes Highlight können wir guten Gewissens unseren Gig auf dem „B:East-Truck“ von Revolver Events bei der diesjährigen Rave-The-Planet-Parade in Berlin erwähnen. Besten Dank an dieser Stelle nochmals an Olli. Wie schon im letzten Jahr waren wir auch dieses Mal wieder mit dabei beim Nachfolger der einstigen Loveparade. Es war voll, wenn auch nicht ganz so voll, wie von uns erwartet. Nach dem letztjährigen und sehr erfolgreichen Comeback der Parade hätten wir tatsächlich in diesem Jahr mit noch mehr Menschen gerechnet.

Es war wohl ungefähr so voll wie im letzten Jahr, wobei es auch sein kann, dass viele der Feiernden sich auf Grund der extrem heißen Temperaturen auch immer wieder im schattenspenden Tiergarten aufgehalten haben. Der Vorteil war, dass zwischen den Trucks immer wieder genug Platz war, sodass diese sich tatsächlich, und anders als im letzten Jahr, auch mal vorwärts bewegen konnten und nicht immer nur auf der Stelle standen. Alles in allem hat es aber wieder echt Spaß gemacht und für uns, die ja auch schon damals dabei waren, lag ein Hauch von Nostalgie in der Luft. Ein großer Dank geht natürlich auch noch an Dr. Motte und das gesamte Rave-The-Planet-Team, die es nach dem ganzen Hickhack mit dem fehlenden Sanitätsdienst, der sehr verkürzten Strecke und der drohenden Absage der Veranstaltung doch noch geschafft haben, all diese Probleme in kürzester Zeit zu klären, sodass die Parade stattfinden konnte.

Das war also eines der Highlights bisher. Ein weiteres großes Ereignis, das uns  dieses Jahr noch bevorsteht, wohl aber eher als ein Lowlight zu bezeichnen ist, wird der baldige Umzug unseres Studios und unserer Büroräume sein. Leider wurde uns nach über 15 Jahren unser Mietvertrag gekündigt, da unser jetziges Fabrikgebäude einer kompletten Sanierung unterzogen wird und somit allen jetzigen Mieter*innen inklusive uns gekündigt wurde. Es hat eine ganze Weile gedauert, etwas Neues und vor allem Passendes zu finden. Es sollte etwas werden mit einer kreativen Ausstrahlung, man muss Lärm machen können und zusätzlich sollte es noch halbwegs bezahlbar sein. Und das in einer Stadt wie Hamburg. Eine nicht ganz einfache Aufgabe. Glücklicherweise haben wir nun aber etwas Neues gefunden und somit steht uns nur noch der Umzug bevor. Das Studio ist schon zum großen Teil auseinandergepflückt, und wenn jemand ein paar alte Kabel gebrauchen sollte, kann er sich gerne bei mir melden, ich hätte da so ein paar übrig.

Könnt ihr uns etwas zu dem Mix sagen, den unsere Leser*innen hören dürfen? Wie seid ihr da herangegangen?

Patrick: Wir haben selbstverständlich etliche Tracks von KD RAW dabei und einen stampfend funkigen Techno-Mix zusammengezaubert, der hoffentlich keinen Schlübber trocken lässt.

Meine All-Time-Top-3-Tracks …

Frederic:
DK8 – Murder Was The Bass (DK Recordings)
Joakim – Come Into My Kitchen / Basement Dub (Versatile)
Woody – Body Music (Fumakilla)

Patrick:

Sandrino & Frankey – Acamar (Innervisions)
Nirvana – Come As You Are (DGC Records)
Alter Ego – Rocker (Alter Ego Recordings)

Aus dem FAZEmag 138/08.2023
Text: Tassilo Dicke
Foto: Rikkart
www.kaiserdisco.net