Kölsch – Raum für Experimente

Credit: Solovov

2010 tauchte Kölsch unter diesem Namen erstmals auf. Das war rund sieben Jahre nach seinem Hit „Calabria“, den er unter dem Namen Rune veröffentlichte. Kölsch startete natürlich auf einem Kölner Label – Kompakt Records. Es war die EP „Speicher 68“ und es folgten viele weitere und erfolgreiche EPs sowie vier Alben. Mittlerweile hat Rune Reilly Kølsch auch sein eigenes Label IPSO, auf das er schon Schwergewichte wie Dubfire, Sasha, Tiga oder Michael Mayer gelotst hat oder auf dem er einen Remix von Jam & Spoons Klassiker „Stella“ veröffentlicht hat. Hier folgt Kölsch im Interview über Kopenhagen, Calabria, Covid – und IPSO.

Hallo Rune, wie geht es dir und was machst du gerade?

Mir geht’s gut. Die Welt öffnet sich langsam wieder und ich freue mich so sehr, zurück auf Tour zu sein. Ich komme gerade aus Prag und habe fünf Stunden im Club Roxy gespielt. Es war unglaublich.

Auf deinem Label IPSO hast du gerade zusammen mit Dubfire zwei Tracks veröffentlicht. Seit 2016 betreibst du es und bisher gab es nicht viele Veröffentlichungen, aber dafür sehr außergewöhnliche. Wie lockst du diese großen Namen an, was ist dein Rezept?

IPSO ist mehr ein Experiment als ein Label. Die Idee ist, einen Raum zwischen Freund*innen und Leuten, die ich bewundere, zu teilen. Eine Plattform, auf der wir unsere Kräfte bündeln und völlig kreativ sein können. Viele Labels, die von DJs betrieben werden, scheinen die Aufmerksamkeit auf ebendiesen ziehen zu wollen, um damit seinen oder ihren Status zu zementieren.

Ich bin der Meinung, dass die Musik im Mittelpunkt stehen sollte und deshalb habe ich beschlossen, dass alle Releases zu gleichen Teilen zwischen den von mir eingeladenen Kollaborateuren und mir aufgeteilt werden. Ich mag demokratische Strukturen, in denen alles gleich ist. Es muss einen Sinn ergeben.

Was das Verlocken angeht, es gibt kein Rezept – und eigentlich auch kein Locken. Ich frage einfach nach und jede*r scheint das Konzept und den kreativen Ansatz zu mögen. Eine Zusammenarbeit kann nur auf Grundlage gegenseitigen Respekts und gegenseitiger Bewunderung erfolgen. Und glücklicherweise hat bisher noch niemand nein gesagt.

Wie sieht es mit kommenden IPSO-Veröffentlichungen aus, womit können wir rechnen?

Im Moment arbeite ich an Tracks zusammen mit Joris Voorn, Tiga, Magit Cacoon und Tim Engelhardt. Ich weiß noch nicht, wann das nächste Release kommen wird, da wir noch dabei sind, die Tracks zu testen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Musik eine Weile zu testen, bevor man sie veröffentlicht. Sie muss ihre richtige Form finden. Kölsch-Fans werden so im Laufe der Jahre eine Million verschiedene Versionen meiner Tracks gehört haben. (lacht)

Momentan arbeite ich in Bezug auf zukünftige Kölsch-Veröffentlichungen von Track zu Track. Bei all den Konzeptalben, die ich im Laufe der Jahre veröffentlicht habe, wurde der intellektuelle Aspekt ein wenig zur Last. Ich experimentiere gerade mit Gospelchor-Elementen, um zu sehen, ob das funktioniert. Ich versuche immer, etwas Neues zu schaffen.

Wie kam es eigentlich zu dem Namen IPSO?

Der Name leitet sich von dem lateinischen Ausdruck „Ipso Facto“ ab. Was grob gesagt die „Summe seiner Teile“ bedeutet. Es ist ein sehr passender Name für ein Label mit so vielen Kollaborationen. Das Logo ist stark von alten Skateboard-Grafiken inspiriert, ich war zum Beispiel schon immer vom Alva-Skateboards-Logo besessen. Ich wollte, dass es einen sehr handschriftlichen und entspannten Charakter hat.

IPSO gibt es mittlerweile auch als Eventreihe. Worauf liegt hier der Fokus?

Bei IPSO-Veranstaltungen herrscht das gleiche Gefühl der Freundschaft und des Respekts wie beim Label. Die Partys bieten den Künstler*innen mehr Freiheit, das zu tun, was sie in dem Moment fühlen. Normalerweise spiele ich lange Sets, denn ich kann nie all die Musik, die ich liebe, in zwei Stunden unterbringen. In Antwerpen habe ich letztlich elf Stunden für 5.000 Leute gespielt. Das war absolut unglaublich, ein Moment, den ich nie vergessen werde.

Lass uns kurz auf das Jahr 2021 zurückblicken. Es gab wieder Auftritte, in Dänemark gab es den „Freedom Day“ im September, aber am Ende des Jahres war die Situation wieder schwierig. Wie war (ist) es für dich, das zu verarbeiten?

Es war herzzerreißend. Um ganz ehrlich zu sein, habe ich während der Pandemie eine Zeit lang über eine Frühpensionierung nachgedacht, ich fühlte mich so isoliert und meiner Identität beraubt. Die Musik war immer mein Leben, und jetzt war es auf Streams und Erinnerungen reduziert. Es fiel mir sehr schwer, damit umzugehen.

Im September gab es einen Hoffnungsschimmer, und ich spielte im Herbst ein paar Konzerte, aber als erneut Lockdown war, traf es mich noch härter. Werden wir jemals zu einem Leben zurückkehren können? Mir taten all die jüngeren Leute leid, die noch nie auf einer Techno-Veranstaltung gewesen sind. Es muss hart sein, nur die Echos in den sozialen Medien zu sehen.

Was war denn dein persönliches Highlight des letzten Jahres?

Mein persönliches Highlight war das Zusammensein mit meiner Familie und meinen Freund*innen. Es war eine der wenigen Freuden von Covid, wieder mit ihnen zusammenzukommen. Außerdem habe ich die Natur sehr genossen. Es ist wahr, was man sagt, sie hat eine große heilsame Wirkung. Ich versuche, gesund zu bleiben, bewege mich sehr viel mit dem Fahrrad oder zu Fuß fort.

Du wohnst in Kopenhagen, wie war es dort in den letzten zwei Jahren?

In den letzten zwei Jahren war es hier ziemlich friedlich. Zu Beginn der Pandemie mussten wir unsere Wohnung auf Ibiza aufgeben, also lebten wir die ganze Zeit in Kopenhagen. Zum Glück hat die Regierung die Stadt nicht komplett abgeriegelt, so dass man sich frei bewegen und die Natur genießen konnte, auch wenn alles geschlossen war.

Du hast Ende 2020 dein Album „Now Here No Where“ veröffentlicht. Damals hast du im Interview gesagt, dass für dich das große (Album-)Thema ist, wie wir im Jahr 2020 komplett von sozialen Medien dominiert werden. Wie siehst du das jetzt, mehr als ein Jahr später?

Ich habe immer noch das Gefühl, dass Social Media unser Leben dominieren. Ich bin davon überzeugt, dass Social Media schon vor Corona dazu beigetragen haben, dass elektronische Musik so populär wurde, wie sie es heute ist. Ob das gut oder schlecht ist, muss man von Fall zu Fall bewerten, aber ich habe immer daran geglaubt, den Fortschritt auf jede Weise zu unterstützen. Es kann ein sehr kreatives Werkzeug sein. Die Schattenseite von Sozialen Medien ist die Art und Weise, wie sich jede*r dabei fühlt. Während der Corona-Pandemie wurde das noch deutlicher, als sich verschiedene Länder öffneten und die Videos und Bilder weiter einflossen. Selbst als erfolgreiche und sehr glückliche Person fühle ich mich manchmal völlig unzulänglich, und darin liegt die Gefahr. Positiv anzumerken ist, dass ich bei den jüngeren Leuten eine Tendenz sehe, das alles über den Haufen zu werfen. Ich habe das Gefühl, dass sie es auf eine Weise verstanden haben, wie ich es noch nicht geschafft habe.

Gibt es, abgesehen von der Musik  – ist das überhaupt möglich? – ein besonderes Hobby, das du hast? Was machst du in deiner Freizeit?

Ich habe ein paar Hobbys. Ich liebe Kunst und verbringe sehr viel Zeit damit. Ich fahre sehr gerne mit dem Fahrrad durch die Wälder um Kopenhagen, koche und höre den ganzen Tag lang alle Arten von Musik. Ich versuche, in Form zu bleiben, damit ich weiterhin meine Marathon-Sets spielen kann.

Nächstes Jahr feiert dein Hit „Calabria“, den du unter deinem Namen Rune veröffentlicht hast, seinen 20. Geburtstag. Wie siehst du den Track aus heutiger Sicht? Gibt es etwas, das der ältere Rune dem jungen Rune sagen würde?

Ich würde ihm sagen, dass er sich zurückhalten soll. Wenn ich gewusst hätte, was vor mir liegt, hätte ich damals klügere Entscheidungen getroffen. Ein Großteil meiner alten Musik ist in schrecklichen Verträgen mit großen Labels gefangen. Zum Glück lebt man und lernt, und die Einnahmen aus „Calabria“ haben mir so viel Freiheit gegeben, kreativ zu sein und die Musik zu machen, die ich fühle. Lustige Anekdote: „Calabria“ ist aus der Idee entstanden, eine balearische Version von „The Bells“ von Jeff Mills zu machen. Mir gefiel die Idee, dass sich ein Thema ewig wiederholen könnte. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich den Track veröffentlichen konnte, weil niemand ihn haben wollte. Es war eine andere Zeit, denke ich.

Und jetzt versuchen wir, auf das Jahr 2022 zu schauen. Deine Pläne, deine Wünsche, deine Hoffnungen?

Meine Wünsche sind ganz einfach: Als Kind nahm mich mein buddhistischer Vater mit zu einem Treffen mit einem hochrangigen Lama. Er fragte mich, was ich mit meinem Leben anfangen wolle. Mein Vater hatte große Hoffnungen, dass ich Akademiker werden würde, aber ich antwortete, dass ich Musik machen wolle. Sehr zum Ärger meines Vaters antwortete der Lama, dass Musik das Beste sei, womit ich mein Leben verbringen könne, da sie die Menschen glücklich macht.

Und das ist es, was ich wirklich will. Menschen glücklich machen.

KURZ & KNAPP

Meine erste Party:

Silvester 1985. Ich tanzte die ganze Nacht.

Mein erster Gig:

Als Bandmitglied 1989, aber als Techno-DJ 1993 in Kopenhagen

Mein erstes Honorar:

Drei Bier

Meine Geheimwaffe für meine Gigs:
Interaktion und Energie

Mühlen Kölsch oder Carlsberg?

Kölsch jeden Tag

Mein Lieblingsalbum, das ich im Moment höre:
Das neue Beacon-Album „Along the Lethe“

Als das erste FAZEmag Anfang März 2012 herauskam …

… arbeitete ich an meinem „1977“-Album, das 2013 herauskam.

 

 

Aus dem FAZEmag 121/03.22
Text: Tassilo Dicke
Credit Vorschaubild: Solovov
Credit Beitragsbild:
www.instagram.com/kolschofficial