Kulturszene Düsseldorf – Aus der Krise wächst ein Dschungel an Ideen

Foto: Technostube

Die Begriffe „Kultur“ und „Krise“ tauchen in den vergangenen drei Jahren kaum noch voneinander getrennt auf. Auch in Düsseldorf haben mit „Silq“, „Golzheim“ und Co. gleich mehrere Nightlife-Instanzen ihre Pforten geschlossen. In jeder Krise stecken jedoch auch Chancen. Die Szene am Rhein hat den Kampf angenommen, wird in der Not erfinderisch und setzt darauf, dass die Menschen Lust auf Veränderung haben.

In der Nachbarstadt Köln regieren das Bootshaus und die mittlerweile breite Technowelt. Gut möglich, dass die NRW-Hauptstadt im Umkehrschluss bald Anlaufpunkt für Vielfalt, Kreativität und Ausgefallenes wird: elektronische Musik als Erlebnis. Dabei krankte das Düsseldorfer Nachtleben lange ausgerechnet daran, den Gästen nicht abwechslungsreich genug zu sein. Wird nun also die alte Schwäche zum Boomerang einer neuen Ära?

Um fair zu bleiben, langweilig war es hier nie. Immerhin gibt es jetzt schon seit Jahren die gefeierten Open-Airs der „Strandpiraten“, Glühwein-Raves im Winter, Hawa-Partys auf den Dächern des Flughafens oder ausverkaufte „Meshugge Bar“-Events. Noch dazu halten mit dem „102“, dem „Salon des Amateurs“, „Cube“ oder „Oh Baby Anna“ altbekannte Kultstätten die Stellung. Anders ist, dass auf diesem geebneten Weg viele neue Kollektive, Events und Veranstalter in den Ring steigen.

Foto: Der Hof

Wenn der Untergrund bunt wird

Der „Grossstadtdschungel“ hat sich zum Beispiel seit etwa einem Jahr in der Stadt etabliert und war von der ersten Party an ausverkauft. Das Konzept: Tech-House zwischen aufwendiger Bambus- und Palmendeko, exotische Leuchtfarben zum Bemalen, CO2-Kanonen, Ahoi-Brause und Wassermelonen. „Die meisten Gäste sind vor allem davon begeistert, dass sich jemand mit Herzblut nicht nur Gedanken um die Musik, sondern das ganze Drumherum macht“, freut sich Initiator Tim Suthoff. Auch der Alte Schlachthof in Derendorf habe seinen Anteil am Erfolg. „Ich habe vier Jahre in Berlin gelebt und der industrielle Charme der Clubs dort hat mich damals schon angesprochen. Der absolute Knaller ist aber doch, wenn du plötzlich zwischen den abgerockten Lagerhallen vier bis fünf Meter hohe Palmen und Bambus siehst. Das hat keiner“.

Nach einem Jahr des Ausprobierens soll es nun selbstbewusst ein paar Schritte nach vorne gehen. „Wir haben jetzt schon vier reguläre Events und zwei Specials geplant, die wir auf unseren Kanälen kommunizieren werden. Am 2. März geht es los“, so der 36-Jährige. Auch Konkurrenzdenken spielt im Dschungelkonzept keine Rolle, ganz im Gegenteil. „Wir haben im letzten Jahr schon mit dem ‚Stadtstrand‘ und ‚Rabiat‘ Events gestartet und die Chemie hat sofort gestimmt. Gerade durch das Networking mit Rabiat treffen neue Impulse auf ein bereits seit Jahren funktionierendes Kollektiv aus kreativen Köpfen, Künstler*innen, DJs und einer eng vernetzten Community.“ Auch das Rabiat-Team setzt auf Einzigartigkeit. Underground-Atmosphäre, innovative Designkonzepte und visuelle Erlebnisse mittels 3D-Video-Mapping, teilweise Vinyl-Sets – das alles hat den Veranstalter*innen einen exzellenten Ruf in der Szene beschert.

„Diese Verbindung aus Futurismus und Tradition trägt maßgeblich dazu bei, dass unsere Veranstaltungen einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, so DJ und Rabiat-Mitglied Hicco, der davon überzeugt ist, dass das Konzept kreativer Eventreihen die Zukunft für Rabiat sei: „Ein fester Club passt einfach nicht zu uns. Wir schätzen die Freiheit, verschiedene Locations zu nutzen und dadurch unterschiedliche Vibes und Erfahrungen zu kreieren.“ Er habe festgestellt, dass das Düsseldorfer Publikum für elektronische Musik sehr offen sei und gerne auf vielfältigen und unterschiedlichen Partys feiere – hier und da mangele es aber tatsächlich noch an Vielfalt und Abwechslung. „Generell erlebe ich ein großes aufgeschlossenes Publikum, jedoch eine stark eingeschränkte Auswahl. Die Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden und Ämtern gestaltet sich bedauerlicherweise als herausfordernd.“

Foto: Grossstadtdschungel

Düsseldorf, höre auf deine Piraten

„Strandpirat“ Sebastian Rinn aka „Diskomat“ stimmt zu. Die Hürden, mit der die Gesetzgebung Veranstalter*innen konfrontiere, seien mit all den Vorschriften, Verboten und Auflagen für den Betrieb eines Clubs „extrem hoch“. Das Kollektiv um Diskomat, Oliver van Lin und „Starskie“ spielt bereits seit 2011 an verschiedenen Off-Locations und Club-Venues der Stadt und beweist allein damit schon, dass Eventreihen als Alternative perfekt zu den Düsseldorfer*innen passen. „Diesen Sommer spielen wir wieder einige Termine im ‚Frankenheim Biergarten‘, in unserem ,Secret Garden‘, einer wunderschönen Location in einem Hinterhof, mitten in der Stadt. Ganz groß im Kommen ist das ‚Rheinriff‘ auf dem Böhler Gelände etwas außerhalb, wo auch die ,Kiesgrube‘ ein neues Zuhause gefunden hat und wo wir kürzlich zur Eröffnung der ;Boot‘ gespielt haben“.

Das Trio bringt gemeinsam Jahrzehnte an Erfahrung aus Düsseldorfer Kult-Venues, wie dem „Poison Club“, dem „La Rocca“, der „Harpune“ oder dem „Monkey’s Club“, mit. Der Blick eines Strandpiraten auf die Szene hat also Gewicht. „Ich wünsche mir weniger Eingriffe in die Kreativität und mehr Unterstützung durch die politischen Entscheidungsträger*innen, bei Open-Airs im Speziellen, aber auch bei Club-Partys“, sagt Rinn und ergänzt: „Wir zollen jedem den größten Respekt, der heutzutage noch einen Club eröffnet, wie zum Beispiel dem Kollektiv hinter ‚The Gate‘ in der ehemaligen ‚Mauer‘.“ Tatsächlich feiert mit „The Gate“ wohl eines der aufregendsten Projekte des Düsseldorfer Nachtlebens am 2. Februar sein Opening.

Techno bekommt ein Zuhause

Seit langer Zeit bekommt Düsseldorf wieder einen Club, der die Stadt mit härterem Techno liebevoll zudröhnen wird. Man mag es kaum glauben, aber mit wenigen Party-Ausnahmen macht allein das Genre den Club schon zu einem langerwarteten Unikat. „Die elektronische Musikszene in Düsseldorf war lange genug von kommerziellen Clubs und Bars dominiert. Die junge Generation wird ‚clubwise‘ nicht angesprochen oder bedient. Wir glauben, dass sich gerade im Bereich Techno und elektronischer Musik einiges ändern wird“, so Geschäftsführer Mahdi Leo Abi Haidar, der zusammen mit den lokal bekannten DJs Bytgen und Lana wieder den „richtigen Charme und Charakter“ der Stadt einfangen möchte. „Düsseldorf muss offener werden für alternative Kunst und Kultur. Vor allem braucht es mehr Raum für Clubs und Vielfalt. Wir haben kein großes Techno-Festival in Düsseldorf, obwohl die elektronische Musikszene boomt. […] Wir hoffen, diese Lücke ein wenig schließen zu können und unserer immer noch wachsenden Community eine Heimat zu bieten.“

Eine Heimat für Techno war Düsseldorf bis dato vielleicht noch nicht, aber dafür gibt es seit vielen Jahren immerhin eine „Technostube“. Seit eine Gruppe von Freunden sich 2016 ein Herz fasste und die gute Stube gründete, ging es ganz klassisch mit spontan organisierten Raves los. Acht Jahre später hat sich die Reihe einen Kultstatus erarbeitet und wird dieses Jahr zum ersten Mal im Stahlwerk stattfinden, einer bekannten Konzerthalle mit Platz für bis zu 1.500 Gäste. „Die Pandemie hat bei uns komplett auf den Pausenknopf gedrückt. Wir sind einfach in eine Art Winterschlaf gefallen“, gibt Mitgründer Maxa Klohr zu. „Raves im Underground kamen nicht in Frage. Als wir dann offiziell auch wieder veranstalten durften, haben wir schon deutlich den hedonistischen Trieb in der Szene bemerkt.“ Mit dem Stahlwerk gehe das Kollektiv nun einen großen Schritt in die Richtung exklusiver professioneller Raves mit Bookings, die „in der Szene Aufsehen erregen“. Am 31. März soll es losgehen.

Foto: Rabiat

Der große Wunsch nach Vielfalt und Offenheit

Den Wunsch nach mehr Offenheit, mehr Verständnis und mehr Vielfalt teilen wirklich alle bislang erwähnten Gesprächspartner*innen. Hier kommt eine ganz besondere Location ins Spiel: „Der Hof“ im Zentrum der Altstadt. In 60 Jahren Kulturgeschichte darf sich der „Ratinger Hof“, so ist er bis heute bekannt, u.a. als Düsseldorfer Geburtsstelle des 70er-Punk und des 90er-Techno bezeichnen. Heute gibt es dort Kunst-, vielseitige Musik-, Quiz-Abende, Podiumsdiskussionen, Konzerte oder Partys. „Wir sind ein queerfreundlicher und LGBTQiA+-unterstützender Safe Space, denn Musik ist für alle da“, sagt Stanislava Balueva, Gesellschafterin KulturImpuls gUG und Betreiberin des Hofs. Man unterstütze die Nachbarschaft, Projekte und schaffe Raum für Proben, Videodrehs, Netzwerktreffen und mehr.

„Leitkultur lebt in einer Symbiose zur Subkultur. Diese bereichert und treibt an und braucht Räume. Das treibt zum Beispiel uns an. Mehr Raum für bunt.“ Das schließe auch elektronische Nischen mit ein. „Wir haben von House, Drum ‘n‘ Bass bis Dubstep so viel zu bieten. Das braucht dringend Veranstaltungsfläche“, so Balueva. Am 30. März soll es zudem eine Hof-Party mit DJs aus den 90ern geben, die dem Hof damals sein Gesicht gaben. Eine CSD-Aftershow sei ebenfalls geplant. Je tiefer der Blick in die Kulturszene der Stadt geht, desto mehr wird klar, dass sie alle der Wunsch nach „Mehr“ eint, während sie alle selbst dabei sind, genau das anzupacken. Eine der größten Veränderungen wird es in der beliebten Mertensgasse geben, dort wo das „Silq“ sieben Jahre lang auf zwei Stockwerken Dreh- und Angelpunkt der Elektroszene war. DJ phil.F.x, der gerade erst seinen neuen Song „Tech-N-Effekt“ auf Gate98 Music, dem Label von Silq-Ex-Resident ACME, veröffentlicht hat, hat viele Venues der Stadt bespielt. „Am besten hat es mir aber gefallen, oben im Silq aufzulegen.“

Foto: SAFE

Konzept: Welten, die aufeinandertreffen

Große Fußstapfen, die an Ort und Stelle mit einem gewissen namensgebenden „FLOW“ ausgefüllt werden sollen. Und einer deutlich breiteren Zielgruppe. „Trotz der letzten Krisen heißt unser Kulturauftrag: Weitermachen“, so Geschäftsführer Yadigar Yilmaz. „Wir wollen einer wunderschönen, etablierten Location wieder neuen Glanz einhauchen.“ Weniger Underground, weniger Nischensound, „Party-Aushängeschild“ werden. Denn „gerade in schwierigen Zeiten wollen die Leute feiern und tanzen“. DJ Aenna Caelum wird beim Opening an den Decks stehen, wie zuletzt auch im Silq. „Ich habe mich im Silq schon unglaublich wohl gefühlt und freue mich auf viele tolle Auftritte im FLOW“, sagt sie. Sie möge experimentelle Drops genauso wie Momente zum Mitsingen, weshalb der neue Club „der perfekte Ort“ für sie sei. „Mein Sound vereint viele musikalische Elemente aus dem Bereich Tech-House und Techno. Kombiniert mit bekannten Tracks aus verschiedenen Genres, möchte ich einen Spagat zwischen der kommerziellen Musik und einem Underground-Sound ziehen. […] Es wird spannend sein zu sehen, wie diese zwei Welten in Zukunft aufeinandertreffen.“

Welten, die aufeinandertreffen. So könnte künftig der Slogan der elektronischen Szene Düsseldorfs lauten. Im Stadtteil Bilk gibt es sogar regelmäßige Techno-Kebab-Raves in einer türkischen Imbiss-Location. Da darf Glühwein nicht fehlen. Na klar. Von ein paar beliebten Hauspartys hat „Glüh Dich Glücklich“-Gründer Mike Naseband es geschafft, seine mittlerweile deutschlandweit bekannte Glühweinmarke mit House-Musik zu kombinieren und an der Rheinuferpromenade an den Kasematten die heute beliebteste Eventreihe des Winters anzubieten. „Ich kam immer wieder darauf, dass kleine Ableger von großen Restaurantketten, wie z.B. Mc Donald’s, meist mehr Qualität und Klasse besaßen. Warum also nicht den normalen Weihnachtsmarkt modernisieren?“

Auch in Zeiten der Inflation macht sich der 31-Jährige keine Sorgen. „Wir bleiben unserem Konzept treu und verlangen keine utopischen Preise. Deshalb spüren unsere Gäste die Inflation nicht. Während der Pandemie durften wir draußen, open-air, mit einer 3G+-Regel unsere Veranstaltung durchgehend weiterführen. Wir haben es kleingehalten und zusätzlich lustige Alternativen wie beispielsweise eine Glühweinwanderung angeboten.“ Die Szene, sie lebt. Und sie arbeitet „out of the box“, um ihren Gästen besondere Momente zu schenken. Doch auch neben den Events und Partys herrscht in Düsseldorfs Musikwelt Aufschwung. „Die Szene ist nicht tot. Sie schläft nur noch ein wenig“, sagt das Kollektiv rund um das YouTube-Projekt „Safe Room Sessions“, dem auch Hicco angehört.

Räume, Gärten, Mittagssausen

Beschrieben als „ein geheimnisvoller Ort im Raum Düsseldorfs“, können sich Follower*innen im HÖR-Berlin-Stil Sets von DJs anschauen. „Es gibt immer weniger Räume für die musikalische Subkultur bzw. die elektronische Musikszene. Mit unserem Projekt möchten wir den DJs einen Raum zurückgeben und unser Potenzial in der Stadt sichtbar machen“, so Hicco. Schon jetzt sei die Nachfrage groß, dort einmal auflegen zu dürfen. Die Warteliste sei sehr lang. Und wo Nachfrage herrscht, da braucht es Engagement. DJ und Produzent Better Than Lex, der ebenfalls bereits im Silq spielte, möchte mit seinem „Groove Garten“ künftig denjenigen eine Partyreihe schenken, die aus privaten Gründen kaum Zeit mehr für lange Nächte haben. Das Konzept: Day Partys. „Ich bin mit solchen Partys in Mexiko aufgewachsen“, sagt Better Than Lex. „Auch in Madrid, Barcelona und Lissabon werden sie immer beliebter.“ Dieses Potenzial hat Kult-Radio-DJ Annie Mac in UK ebenfalls entdeckt und eine Eventreihe für tagsüber ins Leben gerufen.

Der Wunsch von Better Than Lex wäre es, Düsseldorf zur Hauptstadt von House-Musik zu machen, sodass große Namen sich darum reißen, an den Rhein zu reisen und dort aufzulegen. „Mit den Clubs der Stadt trete ich nicht mal in einen Wettbewerb, denn: Wir spielen nun mal tagsüber.“ Wer neu in Düsseldorf ist und bei all den neuen Konzepten eine Übersicht braucht, der ist auf dem Instagram-Kanal „Düsseldorf tanzt“ bestens aufgehoben. „Das Ziel ist, Kunstschaffende und Musikliebhaber im elektronischen Bereich auf einer Plattform zusammenzubringen und die lokale Kultur zu fördern“, heißt es dort. Jede Woche fließen dort etwa fünf bis sechs freiwillige Arbeitsstunden in die Recherche nach den besten Events der Stadt. „Ich würde die Plattform in der Zukunft auch gerne noch weiter ausbauen“, so Admin M.W. „Zum Beispiel würde ich den Artists, die Woche für Woche bei uns spielen, den Veranstaltern und Gästen mehr Platz auf der Plattform geben.“ Die Kulturszene Düsseldorfs befindet sich im Wandel. Das Konkurrenzdenken nimmt ab, das Miteinander nimmt zu. Jetzt muss die Stadt nur noch mitziehen.

Aus dem FAZEmag 144/02.2024
Text: scharsigo
Fotos: Siehe Bildunterschriften

Gesprächspartner:

Tim Suthoff, Grossstadtdschungel
https://www.instagram.com/grossstadtdschungel_/

Hicco Kirici, Rabiat
https://www.instagram.com/rabiat.group/

Sebastian Rinn, Strandpiraten
https://www.instagram.com/strandpiraten_duesseldorf/

Maximilian Klohr, Technostube
https://www.instagram.com/technostube_/

Mike Naseband, Glüh Dich Glücklich
https://www.instagram.com/gluehdichgluecklich/

Stanislava Balueva, Der Hof
https://www.instagram.com/derhof_duesseldorf/

Mahdi Leo Abi Haidar, The Gate
https://www.instagram.com/thegate_official_/

Yadigar Yilmaz, FLOW
https://www.instagram.com/flowclub_official/

M.W. (will anonym bleiben), Düsseldorf tanzt
https://www.instagram.com/duesseldorftanzt/

Better Than Lex, Groove Garten
https://www.instagram.com/groovegarten/

Aenna Caelum
https://www.instagram.com/aennacaelum/

phil.F.x
https://www.instagram.com/dj.phil.f.x/