Len Faki – „… am Ende ist die Musik die Liebe meines Lebens“

Len Faki – „… am Ende ist die Musik die Liebe meines Lebens“

Er gehört zweifellos zu den renommiertesten Akteuren im elektronischen Kosmos. Einer dieser Künstler, der es auf stilsichere und unaufgeregte Art und Weise über mittlerweile zwei Jahrzehnte schafft, einen aktuellen Zeitgeist zu treffen – und das auf mehreren Ebenen. Denn Len Faki ist nicht nur DJ, er ist gefeierter Produzent und Label-Chef zugleich. Seit dem Opening in 2004 zählt Faki zu den Resident-DJs des berühmt-berüchtigten Berghain in Berlin. Fakis Stil besticht alleine schon durch seine Herangehensweise – reduziert er das Genre meist doch auf seinen wertvollen Kern. Eine subtile Spannung wird durch perfekt platzierte Hi-Hats, Drums und Bass ergänzt. Er kombiniert dabei Kontraste, dunkle und eigenwillige Grooves changieren mit verträumten Melodien. Seine Diskografie ist dabei genauso beeindruckend wie seine Vita. Nun veröffentlicht der Techno-Titan sein Debüt-Werk, das mit 24 Titeln als Doppel-Album und einer Achtfach-Vinyl erscheint. Als Plattform dafür dient selbstredend sein eigenes Imprint Figure, das in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiert. Unter dem Titel „Fusion“ hat Faki dabei sämtliche Stränge, die seine musikalische DNA der Anfangstage bis heute ausmachen, miteinander verwoben, vermischt und zu einem neuen Ganzen verschmolzen. Inmitten des Prozesses gab es brillante Höhen und gewaltige Tiefen. Das Ergebnis ist ein Album, das sowohl auf als auch abseits des Dancefloors seinen Platz hat. Aber lest selbst im Interview.

Len, wie waren die ersten Monate des Jahres 2023 bislang für dich?

Turbulent. Am Ende hängt an einem so großen Projekt wie einem Doppel-Album so viel mehr, als ich vorher gedacht hätte. Und es gehen Dinge schief, die ich nie für möglich gehalten hätte. Die Musik war gefühlt das Einfachste für mich. Liegt aber zum großen Teil wohl am Umfang des Albums, bei 24 Stücken und einer Achtfach-Vinylbox kamen viele Herausforderungen auf uns zu und wir mussten mehr als einmal neue Wege suchen. Unter anderem haben wir das komplette Artwork-Konzept während des schon teilweise veröffentlichten Projekts jetzt nochmals getauscht. Zunächst also etwas Worst-Case-Szenario, aber ich bin extrem froh, dass wir am Ende alles so hinbekommen haben, wie ich es mir vorgestellt habe.

Wie entstand die Idee zu „Fusion“? Die Arbeiten begannen während der Corona-Pandemie, korrekt?

Vielen Dank! Das Debütalbum war jetzt auch an der Zeit. Der Gedanke, dass ich gerne mal ein Album machen würde, geistert natürlich schon sehr lange durch meinen Kopf. Aber das viele Auf-Tour-sein hat es nie wirklich erlaubt, mich im Studio zu verlieren und nur so nebenbei laufen lassen wollte ich es nicht. Als die Pandemie kam, war ich ab Tag eins im Studio, und auch wenn damals nicht abzusehen war, was da auf uns zukommt, so wollte ich doch jeden Tag nutzen, als wäre er der letzte. Und sehr schnell war mir dabei klar, wie sehr ich die Zeit, die Kreativität und das ungestörte Eintauchen in diese Studioprozesse vermisst habe. Es hatte förmlich eine Mischung aus „gierigem verschlingen“, „aufblühen“ und „endlich wieder tief Luft holen können“. Rein auf meine Studiozeit bezogen war es also eine sehr schöne Zeit. Das Album entstand dann eher im Prozess. Eine konkrete Vorstellung gab es nicht und anfangs auch nicht die Absicht eines Doppel-Albums, zumal ich nicht wusste, wie viel Zeit mir im Studio in der Form noch bleibt. Aber so nach ein paar Monaten war klar, dass das meine Chance sein könnte, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Wie lange hast du am Album gearbeitet, welche Phasen hast du dabei durchlebt und wie können wir uns deinen Workflow im Studio vorstellen?

Ich habe ziemlich genau zwei Jahre daran gearbeitet, wobei ich sagen muss, dass ich nicht durchgehend nur an dem Album gearbeitet habe oder auch nicht immer Musik gemacht habe. Es gab auch immer wieder längere Phasen, in denen ich mich ausprobiert habe. Neue Techniken, Gerätschaften, Phasen, wo ich dem Flow gefolgt bin und viel mit Soundquellen experimentiert habe. Es gab auch Zeiten mit viel Theorie, in denen ich zu bestimmten Fragen und Techniken recherchiert habe. Ich habe meine bisherigen Herangehensweisen und Abläufe hinterfragt, verbessert und erweitert und hatte den Ehrgeiz, meine ganzen Produktionsprozesse noch einmal neu zu denken und zu verbessern. Ich wollte eine reale Weiterentwicklung meiner Fähigkeiten. Auch um meine Ideen so umsetzen zu können, wie sie mir in den Sinn kamen.

Es gab während der Zeit auch eine sehr emotionale Phase, als meine Mutter an Corona erkrankt und nach einigen Wochen daran verstorben ist. Das hat mich natürlich sehr mitgenommen und mein Leben stand im ersten Moment still. An Weiterarbeiten war nicht zu denken. Letztendlich hat die Musik und konkret die Arbeit am Album aber geholfen, meine Trauer zu verarbeiten, und es war schön, einen Weg zu haben, diese durch etwas Nonverbales auszudrücken. Dadurch entstanden zwei Stücke, die benannt nach meiner Mutter „Halide“ und ihr gewidmet sind. Das erste Stück ist aus der Zeit, als es noch Hoffnung gab, dass sie den Kampf gewinnen könnte, und das zweite, als er entschieden war. Das hat dem Album nochmal eine ganz andere Richtung gegeben und mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig Musikmachen für mich am Ende ist. Musik war schon so oft in meinem Leben mein Rückzugsort, mein treuer Begleiter und meine Rettung in schwierigen Zeiten. Es soll nicht kitschig klingen, weil ich es wirklich ernst meine – am Ende ist die Musik die Liebe meines Lebens. Das wurde in diesen Wochen so deutlich wie schon lange nicht mehr.

Es klingt großartig, wie du in tiefer Trauer einen Weg gefunden hast, das Beste daraus zu machen. Der Titel des Albums ist eine Anspielung auf die Gesamtheit der Stränge, die deine musikalische DNA ausmachen und die zusammengefügt wurden. Erzähle uns mehr darüber.

Das Album umfasst 24 Titel, ist aber kein reines tanzbares Techno-Album. Die Inspiration und der Fokus liegen gänzlich im Club und der Clubkultur, nur enthält Letztere für mich sehr viel mehr als nur Techno. Ich hatte Anfang der 90er-Jahre zum Beispiel ein Erlebnis bei einer Clubnacht, das mich für immer beeinflusst hat. Ich war mit meinen Kumpels am Start, wir haben uns aufs Wochenende und das Raven gefreut. Im Club war ich irgendwann ein bisschen arg zerschossen – weil man damals ja auch noch hier und da mal nachgeholfen hat – bin auf den Chillout-Floor gegangen, um kurz durchzuatmen und runterzukommen. Jetzt war ich dort natürlich nicht das erste Mal, aber in dieser Nacht habe ich diese Musik körperlich und psychisch so gefühlt wie nie zuvor und fühle mich seit diesem Moment für immer damit verbunden. Ich weiß noch, wie ich direkt zu Beginn der Woche nach dem besagten Wochenende in den Plattenladen gerannt bin und mich mit elektronischen Ambient-Chillout-Sachen eingedeckt habe. Genau das wurde dann ein fester Bestandteil meiner Plattenkäufe. Auch gab es damals noch die Freiheit, alle möglichen Stile im Laufe einer Nacht zu spielen bzw. zu hören. Das habe ich geliebt. Das Gefühl, alles in einer Nacht haben und erleben zu können, war toll und ich glaube, es war die Summe dieser frühen Einflüsse, gepaart mit allen Erfahrungen, die ich als Künstler über die Jahre erlebt habe, die jetzt im Album miteinander verschmolzen sind. Ich wollte diese Vielfalt widerspiegeln.

Du hast eingangs erwähnt, dass du dafür zahlreiche Prozesse hinterfragt und überarbeitet hast. Was waren, in Bezug auf das Album, deine Favoriten in Sachen Soft- und Hardware?

Ein großer Teil des Albums ist „in the box“ entstanden. Analoge Elemente kamen nicht viele, dafür aber sehr gezielt zum Einsatz. So kamen der Moog One und auch der Prophet 6 von Sequential sowie von Elektron der Digitone zum Einsatz. Das waren die Main-Synthesizer. Ansonsten habe ich einige digitale Tools von Arturia benutzt: Besonders der Oberheim SEM macht richtig Spaß und hat einen tollen Klang. Native Instruments kam in vielen Bereichen auch zum Einsatz. Speziell nicht nur die neuen Sachen, ich habe zum Beispiel den FM8 neu lieben gelernt und mich sehr detailliert mit ihm auseinander gesetzt. Ich muss sagen, dass der schon ein geiler Synthie ist, den man nicht unterschätzen darf.

Ich arbeite mit Ableton Live und finde da die hauseigenen Instrumente wie den Operator und Wavetable supergelungen. Mit ihnen habe ich einige Male gearbeitet. In Sachen Plug-ins nutze ich oft die Vengeance-Producer-Suite von Keilwerth Audio. Seit einigen Jahren bin ich auch ein großer Fan von Soundtoys. Auch immer mit am Start und nicht zu verachten sind die unglaublich vielen Max Devices, die es in den unterschiedlichsten Facetten gibt. Unter anderem abgefahrene Step-Sequencer und diverse Modellation-Devices, die einem unendliche Möglichkeiten eröffnen. Von Dub Machine finde ich den Magnetic superstark, tolles Tape Echo! Der kam auch viel zum Einsatz. Die Liste ist noch lang und es gibt noch viele tolle Brands, aber dafür müssten wir wohl ein gesondertes Interview führen (lacht).

Das können wir sehr gerne angehen. Das Album erscheint auf deinem eigenen Label „Figure“, das du 2003 gegründet hast. Wie hat sich das Label in den 20 Jahren entwickelt und verändert?

Die Entwicklung war riesig. Figure war am Anfang nur eine Plattform, um meine eigene Musik zu veröffentlichen und ist über die Jahre gewachsen. Erst einmal nur im sehr engen Kreis. Mit Figure 07 von Jeroen Search und Dimi Angelis gab es das erste Release von befreundeten Künstlern. Von da an hatten wir eine große Vielfalt, wobei wir gleichzeitig schon immer einer Linie treu geblieben sind. Die Musik stand und steht immer im Vordergrund und wir haben auch sehr jungen und unbekannten Künstler*innen eine Plattform und sogar öfter mal ihr erstes Release ermöglicht, wenn wir von der Musik überzeugt waren. Eher im kleinem Rahmen, wollte ich immer auch jungen Künstlern einen Chance geben und Musik veröffentlichen, die mich bewegt.

Welche Kalaognummern gelten für dich in der Labelhistorie als Meilensteine des Labels?

Figure 03, „Just A Dance“ von mir. Mit diesem Releases gab es das erste Mal richtig viel Aufmerksamkeit auf das Label, auch international. Dann die Figure 40 von DJ Hyperactive mit Wide Open. Mein Remix dazu ist der meist verkaufte Track auf dem Label bis heute. Katalognummer 64, Cleric’s Scattered Thoughts Part 1 und 2 waren für mich persönlich zwei sehr besondere EP’s für ihre Zeit damals. Die Figure LP06 und LP08, Open Space, unsere Ambient Serie auf die ich sehr stolz bin, gehört definitiv auch dazu. So tolle Künstler und Musik. Ich liebe die beiden Release sehr.

Wie hat sich in diesen über eineinhalb Jahrzehnten die Arbeit als Label-Betreiber für dich verändert?

Extrem. Das Einzige, was noch so ist wie früher – wir pressen immer noch Vinyl. Aber die Prioritäten haben sich komplett verschoben. Musik ist so viel schnelllebiger und wird ganz anders konsumiert als zu unserer Anfangszeit. Ich bin immer für Fortschritt, aber manchmal würde ich mir schon wünschen, dass die Aufmerksamkeitsspanne noch lang genug ist, dass man sich eine EP oder auch mal ein Album am Stück anhört, man eben wirklich Zeit mit der Musik verbringt, sich auf sie einlässt und von ihr mitnehmen lässt. Ein bewusstes Hörerlebnis. Das gibt es scheinbar nicht mehr so oft und dieses sich immer wandelnde Konsumverhalten verändert auch die Aufgaben des Teams permanent. Nachdem unser langjähriger Label-Manager aus privaten Gründen zurück in seine alte Heimat gezogen ist und auch beruflich einen Neuanfang gestartet hat, wurde mir erst einmal klar, dass Label-Manager, die ein hohes Maß an Erfahrung haben, sich in der Welt bewegen, am Puls der Zeit sind und darüber hinaus auch noch Spaß an dieser vielfältigen Arbeit haben, quasi nicht existieren. Wir haben einige Versuche gestartet, aber jemanden, der Figure eigenverantwortlich wirklich managt und es als sein Baby ansieht, haben wir nicht gefunden. Daher ändern wir gerade Strukturen intern und verteilen verschiedene Aufgaben auf mehrere Partner und Personen.

Seit dem Opening in 2004 bist du Resident im Berliner Berghain, dem wohl berühmt-berüchtigtsten Club der Welt. Wie würdest du deine heutige Beziehung zu dieser Techno-Institution beschreiben und wie haben sich sowohl der Club als auch du als Künstler in diesen knapp 20 Jahren entwickelt und verändert?

Als ich das Opening gespielt habe, gab es bereits damals ein Gefühl, dass das mein Ort ist und dass dieser besonders ist. Aber wo das genau hinführen würde, wussten wir alle natürlich nicht. Zurückblickend ist es eine krasse Entwicklung, in der die Residents den Club und der Club die Residents beflügelt und wir uns gegenseitig befruchtet haben. Eine unvergessliche Zeit, und wenn ich von außen darauf blicke, auch beindruckend, wie der Club und auch seine Künstler*innen über fast zwei Jahrzehnte schon so ein hohes Level halten konnten. Das wird für immer unvergleichbar sein. Und das Verrückte ist: Es ist kein Ende in Sicht. Ich denke an viele Mitarbeiter und auch Stammgäste, mehrere Generationen von Ravern, die den Laden zu dem gemacht haben, was er ist. Wie es war, als der Tourismus-Boom kam. Da gab es viel Bewegung und Veränderung, was ich grundsätzlich immer gut finde. Auch dann hat der Club seine Magie nie verloren; auch zu einem großen Teil durch das Team an der Tür, das es geschafft hat, alle Gleichgesinnten willkommen zu heißen und auch mit einer sehr internationalen Mischung an Menschen, die vielleicht auch sogar das erste Mal da war, das Gefühl von Freiheit und Gleichheit aufrechtzuerhalten. Natürlich auch durch die Musik die uns alle verbindet.

Kannst du dich noch an deine ersten Nächte dort erinnern bzw. welche waren die prägendsten Momente aus der Anfangszeit?

Ich erinnere mich sehr gut an die Eröffnungsnacht. Die ist unvergesslich, schon alleine, weil ich so aufgeregt war. Schon in den Wochen zuvor stieg die Vorfreude, aber auch die Anspannung im Team. Wir wussten schon, dass wir auf den ersten Schritten zu etwas Großem waren und für mich persönlich kann ich sagen, dass sich der Ort vom ersten Moment an richtig angefühlt hat. Wobei man auch sagen muss, dass der Club natürlich trotzdem für uns alle neu war. Die Leute vom Ostgut haben diese Hallen damals ja auch zum ersten Mal betreten und vielleicht noch Vergleiche mit ihrem geliebten Club angestellt. Es war eine Mischung aus sich erst einmal orientieren, absoluter Vorfreude, Begeisterung und ab dem ersten Moment auch tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit, Freiheit und Gleichheit. Die unvergesslichsten Nächte sollten dann noch folgen. Da gab es sehr viele und ich werde öfter mal danach gefragt, behalte sie aber immer für mich. Das Berghain ist ein geschützter Ort und ein eigenes Universum, parallel zu unserer Außenwelt. Glücklicherweise läuft dort drinnen vieles anders als in unserem sonstigen Leben. Für mich eines der wichtigsten Güter, die den Club zu dem machen, was er ist. Und das möchte ich beschützen. Manches kann man nur erleben, wenn man vor Ort ist. Wenn man sich auf den Moment einlässt und Teil einer großen gemeinsamen Energie wird – und das ist auch gut so. In unserer heutigen Zeit vielleicht mehr denn je.

Das hast du sehr schön gesagt. Während wir hier sprechen, naht der Sommer mit großen Schritten. Was sind deine Pläne für die kommenden Wochen und Monate?

Zunächst einmal das Album voll auskosten. Ich werde viel auf Tour sein und die Festival-Saison genießen. Ebenfalls aufregend wird es zum Ende des Sommers hin, dann geht ein neues Projekt von mir an den Start. Ich würde sagen, ganz anders, aber mindestens auch so toll wie das Album. Eine absolute Herzensangelegenheit von mir, in die ich, seitdem das Album musikalisch abgeschlossen war, jede freie Minute investiert habe. Mehr kann ich jetzt noch nicht verraten, aber es wird toll.

Was hast du für 2023 außerdem auf der Agenda?

Ich freue mich auf ein paar Tage in den Bergen im Juni. Und jetzt wo ich wieder so zurück im Flow bin, werde ich viel Zeit im Studio verbringen. Musik macht mich am glücklichsten und ist mein Leben, meine Leidenschaft und mein größter Motivator. Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass ich Musik für mein persönliches Glück brauche, weshalb ich ab diesem Jahr auch weniger touren werde, um mehr kreativ arbeiten zu können. Damit bin ich ganz happy.

Aus dem FAZEmag 136/06.2023
Text: Triple P
www.instagram.com/len_faki