Einer der zentralen Orte eines Clubs ist unbestritten die Tanzfläche. Zwar wird diese von manchen Clubgängern konsequent gemieden, die lieber den ganzen Abend im Chillout-Bereich ganz gechillt chillen. Andere finden ihren Stammplatz im Barbereich oder suchen sich für ihre Konversationen einen gemütlichen Stehplatz an besonders engen Durchgängen, sodass sich auch wirklich jeder Anwesende im Laufe des Abends mindestens acht Mal vorbeizwängen muss, während er “Sorry” murmelt und vorwurfsvolle Blicke erntet. Manche verbringen auch 80% des Abends im Toilettenbereich, was vielfältige Gründe haben mag. Und dennoch: Die breite Masse trifft sich auf dem Dancefloor, wo der DJ eine tolle Atmosphäre aufbaut und gemeinsam mit dem Lichtjockey für Gänsehaut sorgt, sodass die einzelnen Seelen im Verlauf der Party stetig zusammenwachsen und irgendwann nur noch eine große, gemeinsame Einheit an extremer Energie bilden und die Magie des Techno ihren Lauf nimmt.
Ich korrigiere mich: so WAR es früher.
Man kennt das bereits: Überall, wo positive magische Kräfte am Werk sind, kommen kleine Störer aus dem Reich der Dunkelheit und versuchen, die Energie zu stören oder gar zu zerstören. Deren neueste Waffe nennt sich Smartphone. Das Smartphone ist auf mehrere Weisen perfide und daher ein ernstzunehmender Feind.
Seine Stärke liegt in der weiten Verbreitung: Fast jeder hat mittlerweile eins und nutzt es auf vielfältige Art und Weise. Es versüßt uns das Leben und schleicht sich in den Alltag ein, sodass es ohne gar nicht mehr geht. Dieselbe Vorgehensweise kennt man z.b. von Drogen mit hohem Abhängigkeitspotenzial wie Kokain oder Nikotin. Und mit der Ankunft des Smartphones in der breiten Gesellschaft (und auch in dem Teil der Gesellschaft, der sich eigentlich gar nicht dazu zählt, wie unserer Techno-Szene), werfen wir leider vieles über Bord, was sich über Jahre und Jahrzehnte hinaus bewährt hatte.
Es fängt an mit simplen Regeln wie “Ich nehme nichts wertvolles mit zum Feiern, denn beim Krabbeln über den Lautsprecher oder beim breitbeinigen Rumhängen im Chillout Room kann sowas aus der Tasche fallen und dann sehe ich es nie wieder”. Wieviele Smartphones werden in Clubs geklaut, fallen runter oder gehen sonstwie unter? Negative Energie, Frust, Bäh. Das hat nichts auf einer Techno-Party verloren! Ich musste innerlich laut lachen, als mir jemand ganz aufgebracht erzählte, im Darkroom X seien letztes Wochenende fünf Smartphones geklaut worden. Ich finde, das ist noch ausbaufähig!
Schlimmer noch als der Bruch solcher Grundregeln, dessen Auswirkungen einen doch primär selbst treffen, ist der soziale Aspekt. Ausruhen im Chillout Room geht auch sehr gut ohne Facebook! Schaut euch doch lieber um und redet miteinander, auf Facebook könnt ihr auch zuhause noch surfen! Jedes längere Beschäftigen mit dem Smartphone signalisiert der Umgebung: “Ich wäre jetzt gerne woanders. Ich finde es spannender zu lesen, was meine Freunde woanders gerade machen.” Das ist fürchterlich! Wenn ihr so denkt, dann kommt doch BITTE NICHT in einen Club. Ich finde es ganz furchtbar, wenn beim Betreten eines Raumes kaum Blickkontakte ausgetauscht werden sondern ich stattdessen nur registrieren kann, wer alles körperlich anwesend ist und seinen Kopf über das Handy beugt. Geradezu absurd sind Situationen auf Partys mit vornehmlich schwulem Publikum, wo die Jungs rumstehen und auf ihr Handy glotzen, um bei Grindr oder Gayromeo nachzusehen, wer sich gerade alles in der Nähe befindet. Hallo? Macht die Augen auf und schaut euch um. Wollt ihr lieber sehen wie der Typ wirklich aussieht oder interessiert euch lieber das drei Jahre alte Profilfoto, das bei einem Fotoshooting entstand und digital bearbeitet wurde? Come on! Get real, guys!
Das Allerschlimmste ist aber die Benutzung des Smartphones auf der Tanzfläche. Ich habe ja schon viel auf einer Tanzfläche gemacht und auch schon vieles gesehen, was wohl eher nicht in den Bereich Tanzen fällt. Man kann sich streiten, wie stark jemand mitgehen muss, oder das Stehen auf der Tanzfläche vielleicht auch schon stört. Aber definitiv ist jede Benutzung des Smartphones, die länger als zehn Sekunden dauert, der absolute Stimmungskiller und daher asozial im wahrsten Sinne des Wortes! Na klar dürft ihr mal ein paar Fotos machen. Aber muss man sich direkt vor dem DJ-Pult aufbauen und zehn Minuten lang ein Video drehen und sich dabei auf das Display konzentrieren? Es zerstört den Moment! Ich habe Verständnis dafür, dass man besonders schöne Situationen für später festhalten will. Aber je mehr man sich darauf konzentriert, desto mehr entfernt man sich aus dem Jetzt! Das, was auf dem Video zu sehen ist, ist dann gar nicht mehr ein eingefangener Moment, sondern eine Farce. Man tut so, als sei das hammergeil gewesen – man hat das “Hammergeile” in Wirklichkeit aber gar nicht selbst gelebt, sondern war ja mit dem Einfangen beschäftigt.
Es KANN keine Energie entstehen und schon gar kein Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn jeder seinen eigenen Film schiebt (bzw. dreht). Wenn man in den Club geht, gibt man sein “draußen”-Leben an der Tür ab und taucht ein in eine Parallelwelt. Eure Facebook-Kontakte gehören da nicht hin und auch keine Versuche, minutenlange Videos zu drehen oder auf einer Dating-Seite zu surfen. Ihr seid im fucking CLUB, nicht im Wartezimmer beim Arzt! Und was auch ein wichtiger Aspekt ist: ein Smartphone ist Statussymbol. Das neueste iPhone zu haben, etc., blablabla. Lasst euren Status an der Tür oder wenigstens an der Garderobe! Denn dort, wo ihr reingeht, braucht ihr das nicht. Dort werdet ihr nicht danach beurteilt, was ihr euch für kostbare Dinge leisten könnt oder ob ihr up-to-date seid, sondern danach, wie ihr euch gegenüber euren Mitmenschen verhaltet. Das Smartphone im Club macht euch zu farblosen, belanglosen und asozialen Wesen, die keiner auf seiner Party braucht. Bereichtert die Party lieber mit eurer geistigen Anwesenheit, mit eurem Wesen oder meinetwegen auch mit nervigen Sprüchen oder aufdringlichem Takt-Schlagen auf dem Holztisch. Füllt die Party mit menschlichem Leben und Emotionen, anstatt unserer aller Zeit durch eure schicke, tote Technik zu verderben!
PS der Vollständigkeit halber: Eine Situation, in der ich das Smartphone situationsbezogen gerne akzeptiere, ist der “Faktencheck”. Es kommt ja durchaus vor, dass im Chillout Room mal eben die gesamten interessanten Themen der Welt behandelt und Probleme gelöst werden. Angefangen beim Beweis der Existenz von UFOs bis zum Entstehen einer Rezession, oder das Lecken von halluzinogenen Kröten, oder das genaue Jahr und den Ort des Geschehens, als Sven Väth seinen “Feierei Alda”-Spruch zum besten gegeben hat. Wenn im Rahmen einer solchen angeregten Konversation Fragen nach Fakten auftauchen, dann ist es eine tolle Sache, mal eben auf Wikipedia nachschauen zu können, wie das denn nun wirklich ist. Das kann das Gespräch wirklich bereichern und vielleicht kommt man dann sogar wirklich mal schlauer aus dem Club raus als man reingegangen ist. Dann, aber auch NUR dann, sind Smartphones eine schöne Sache für unsere Clubkultur.
Paskal Tzellos, 28, ist DJ und Producer von elektronischer Musik aus Leidenschaft. Er spielt in erster Linie TechHouse, Techno und Minimal, aber auch gerne mal Electro Swing oder Progressive House. Seit 2011 lebt Paskal in Berlin, wo er den Spagat zwischen seinen Wirkungsbereichen als Jurist und als DJ meistert und sich musikalisch besonders für seinen Stadtteil Schöneberg stark macht: Jeden Montag um 20 Uhr moderiert er die Sendung Niceberg Sessions auf DeeRedRadio, die inspiriert ist vom Schöneberger Kiez, in der er lebt. Aktuelle Referenzen sind Berliner Clubs wie Chantals House of Shame, Partysane im SchwuZ und Berlin Beats im Sky Club, die Piep-Show im KitkatClub und diverse Partys im Connection in Schöneberg.
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