Moby … is feeling so real

War früher alles besser? Gute Frage. Aber zumindest kannte man früher die Künstler*innen noch beim Namen. Heute tauchen sie oftmals so schnell in die Versenkung ab, wie sie aufgetaucht sind. Aus Shootingstars werden Superstars … werden One-Hit-Wonder … werden No-Names. Nur gefühlt eine Handvoll Künstler*innen kann sich dauerhaft, über viele Jahre, gar Jahrzehnte etablieren und ihr Standing behaupten. Einer, der seit fast 30 Jahren omnipräsent ist im internationalen Musikzirkus: Moby. Sein Stil: unverwechselbar, mit 100-prozentigem Wiedererkennungswert. Seine Leidenschaft: ausgeklügelte Songs, mit viel Liebe zum Detail geschrieben und mit der größten Portion Leidenschaft produziert. 18 Alben, mehr als elf Millionen verkaufte Tonträger. Hymnen wie „Go“ und „Feeling So Real“, die Musikgeschichte geschrieben und nicht nur die Raving Society in den 1990er-Jahren „gecatcht“ haben. Großartige Werke wie „Porcelain“, „We Are All Made Of Stars“, „Lift Me Up“, die uns fantastische Momente geschenkt haben. Und nun ist er wieder da – der Mann, der nie wirklich weg war. Mit einem neuen Album, dem 19. insgesamt: „Reprise“, das zusammen mit dem Budapest Art Orchestra entstand und am 28. Mai bei Deutsche Grammophon erschienen ist: eine Hommage an die eigenen Songs, die in ein neues musikalisches Gewand schlüpfen. Es war kurz vor Redaktionsschluss Mitte Mai, als ich mit Moby zum Zoom-Meeting verabredet war. 20 Minuten interessanter Info-Input – exklusiv für FAZEmag.

 

20.15 Uhr hier in der Nähe von München …

11.15 Uhr hier in Los Angeles. Ich bin gerade in meinem Haus und freue mich auf spannende Fragen.

Erste spannende Frage, die dir bestimmt „noch nie“ gestellt wurde: Dein neues Album „Reprise“ – welche Idee steckt dahinter und mit wem hast du zusammengearbeitet?

Auf der einen Seite wollte ich ein Album machen, das ich in dieser Art noch nie zuvor aufgenommen hatte. Ich bin ja musikalisch sehr elektronisch angehaucht, ich wuchs mit Punkrock-Bands auf, und ich war sehr jung, als ich mit klassischer Musik in Berührung kam. Ich habe dann auch Musiktheorie studiert. Und die meisten Leute verbinden mit Moby auch einfach elektronische Musik. Es war vor rund vier Jahren, als ich mit dem Los Angeles Philharmonic ein Konzert gespielt hatte. Danach wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein Album mit Orchesterbegleitung mit Deutsche Grammophon zu machen. Es ist das älteste und renommierteste Klassiklabel der Welt, und ich fand die Idee großartig. Ziel war einzig und allein: Momente schaffen. Ich habe mit vielen wunderbaren Künstler*innen zusammengearbeitet, was mir sehr viel Spaß gemacht hat.

Wie schwierig war es, die richtigen Tracks auszuwählen, die es auf das Album geschafft haben? Du hast ja schließlich unzählige Songs produziert und hättest gleich mehrere CDs aufnehmen können. 

Ich habe mir ganz ernsthaft selbst die Frage gestellt: Welche Songs eignen sich am besten, um sie mit einem großen Orchester neu aufzunehmen? Nehmen wir mal „Feeling So Real“, eine gute Nummer, aber völlig ungeeignet, daraus eine Orchesternummer zu machen. Auch „Honey“ wäre keine gute Wahl gewesen, das wäre zu tricky im Studio geworden. Ich habe mich dann bewusst für emotionale, melancholische und melodische Songs entschieden.

Es sind viele bekannte Nummern auf dem Album, aber auch viele, die man eher seltener gehört hat. Absicht, kein kommerziell angehauchtes Album zu releasen?

Es war nie der Plan, ein Mainstream-Album auf den Markt zu bringen. Ich bin ein 54 Jahre alter Musiker, der viele unbekannte Titel mit einem Orchester aufnimmt – das ist ganz sicher nicht das ultimative Erfolgsrezept. Würde ich den Mainstream erreichen wollen, hätte ich Songs mit David Guetta aufgenommen. Das ist keineswegs eine Kritik, ich ziehen den Hut vor David. Aber meine Intention war es, mit Künstler*innen aus dem Underground zu arbeiten, wie Jim oder Kris, und damit erreiche ich nicht den Mainstream. Deshalb: Ja, es war Absicht.

Reprise ist ja bei einem Konzert die letzte Aktion des Künstler oder der Künstlerin. Ich hoffe aber mal, dass Reprise kein Vorbote ist, der uns sagen soll: „Ich höre jetzt auf.“

Auf gar keinen Fall. Ich bin Vollblutmusiker und werde so lange im Studio tüfteln und produzieren, wie ich kann. Ich habe noch so viele Ideen in der Pipeline. Musik ist mein Lebenselixier. Mein Ziel ist nicht, möglichst viele Platten zu verkaufen. Mein Ziel ist es, Menschen mit meiner Musik zu erfreuen. Und so lange mir dies gelingt, mache ich auch weiter.

„Reprise“ ist der perfekte Soundtrack für den Sommer, finde ich. Es sind neue Stimmen, die man hört. Wie kamst du auf Künstler wie Jim James und Kris Kristofferson? 

Als ich jung war, wollte ich immer Sänger werden. Ich war so 13 Jahre alt und wollte sein wie David Bowie. So begann ich, in Bands zu singen. Ich hatte ungefähr das Talent wie Ian Curtis von Joy Division, der technisch ja nicht gerade der beste Sänger ist. In den 90er-Jahren, als ich meine ersten Songs aufnahm, wollte ich professionelle Sänger haben für meine Nummern. Ich sampelte Vocals und arbeitete mit diversen Sängern. Mir war von Anfang an wichtig, Stimmen aufzunehmen, die charakterstark sind, die eine gewisse Personalität haben, wie eben Kris Kristofferson und Jim James zum Beispiel. Sie haben eine so unterschiedliche Klangfarbe, und genau die faszinierte mich. Sie sind die perfekten Vokalisten für das neue Album.

Und wie bist du auf diese Underground-Künstler*innen aufmerksam geworden? Eine Rihanna zu fragen, wäre vielleicht einfacher gewesen.

Einfacher womöglich schon. Aber ich wollte keine Acts aus dem Mainstream. Nicht falsch verstehen, ich finde, dass Rihanna eine brillante Sängerin ist. Aber ich hatte halt nie Ausschau nach Superstars gehalten. Ich würde auch gerne mal mit Adele zusammenarbeiten, denn ich liebe ihre Stimme. Aber das war nicht das Konzept für das Album. Das einzige Kriterium war die Qualität der Stimmen.

Vor einigen Jahren hatte ich ein Interview mit Michael Cretu, Enigma. Er erzählte mir, dass er mit seinem Boot aufs Meer fährt, um sich inspirieren zu lassen. Das Boot verfügt über ein Tonstudio, sodass er seine Ideen direkt musikalisch umsetzen kann. Wo holst du dir Inspiration, um neue Musik zu schreiben? Gibt es einen bestimmten Ort – wie einen Garten mit einem prachtvollen Obstbaum oder Ähnliches – zu dem du fährst?

Das ist eine wunderschöne Frage, und ich finde es klasse, dass Michael das so macht. Meine Antwort wird jetzt sicherlich viele enttäuschen: Mein Studio ist meine Inspirationsquelle. Ich mache das seit 40 Jahren, spiele Instrumente, experimentiere mit ihnen und gucke, was passiert. Ich setze mich nie selbst unter Druck, sondern genieße die Zeit des „Jammens“, welches Ergebnis dann auch immer rauskommen mag. Mein Studio ist mein „favourite place of the world“, warum sollte ich also rausgehen und mir irgendeinen Ort zur Inspiration suchen?!

Allerdings schätze ich dich so ein, dass du die Natur liebst, Tiere liebst und dass du sehr emotional bist. Angenommen, du sitzt auf einer grünen Wiese, die goldgelbe Sonne scheint vom royalblauen Himmel … Ist das keine Inspiration für neue Melodien?  

Glaub mir: Die Natur ist eine großartige Inspirationsquelle. Für mich aber nicht, um neue Musik zu entwickeln. Ich liebe die Natur, und ich lebe mitten in der Natur, mein Haus ist umgeben von der Natur, wie du jetzt gerade auf dem Laptop sehen kannst. Guck, hier draußen vor dem Fenster sind riesige Bäume. Natur pur also. Natur ist ein sehr großer Part in meinem Leben. Ich verbringe auch viel Zeit mit Tieren oder lese spirituelle Bücher. Alles wunderbar – aber all das sind keine Inspirationsquellen für mich, um neuen Sound zu kreieren.

Hast du Tiere?

Nein. Aber einer meiner besten Freunde hat einen süßen Hund, einen Beagle. Den kannst du auch auf meinen Social Medias auf Fotos sehen. Ich liebe diesen Hund. Ich lebe ja in Los Angeles, ganz in der Nähe des Griffith Park, wo ich sehr oft wandern gehe. Griffith Park ist wild, kein Vergleich zum Central Park in New York. Hier gibt es Kojoten, Schlangen, Luchse – so viele unterschiedliche Kreaturen. Ich liebe es, Tiere in der Natur zu erleben. Es ist fantastisch zu sehen, wenn du die Tiere „live“ erlebst, ohne das Mitmischen der Menschen. Ich liebe Hunde, Katzen und vieles mehr. Tiere, die bei Freund*innen von mir leben. Aber in der wilden Natur ist das noch eine ganz andere Kategorie.

Seit mehr als einem Jahr ist die Welt im Lockdown. Ich persönlich fand es am Anfang sehr beruhigend, weil sich jeder Tag wie ein Sonntag anfühlte. Alles war so ruhig, kein Verkehr auf den Straßen, keine überfüllten Supermärkte, keine langen Schlangen an den Tankstellen. Wie hast du das letzte Jahr erlebt?

Das Jahr war für mich ganz normal. Ich muss auch sagen, dass ich nicht der große Unternehmer bin, der viel rausgeht, Hunderte Leute trifft und sich unters Volk mischt. Ich verbringe sehr viel Zeit im Studio und gehe gerne wandern. Das ist es, was mir wichtig ist. Viele fühlten sich eingeschränkt durch den Lockdown. Ich ehrlich gesagt nicht. Es war für mich Normalität. Was ich allerdings nach rund vier Wochen Shutdown festgestellt habe: Wenn ich abends aus meinem Haus auf die Straße ging – ich hörte Sounds, die ich nie zuvor gehört hatte. Die Straßen waren menschenleer, was (und jetzt sind wir wieder bei den Tieren) Vögeln die Möglichkeit gab, sich Gehör zu verschaffen. Die City war offline, nur das Vogelgezwitscher war zu hören. Die Ruhe war wunderbar. Das habe ich sehr genossen.

 

 

 

Aus dem FAZEmag 112/06.2021
Text: Torsten Widua
Fotos: Travis Schneider
www.moby.com