Moonbootica – Momente zum auf die Knie fallen

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Vielleicht sind es die großen Füße, auf denen Tobitob und KoweSix im wörtlichen Sinn leben und unterwegs sind, die sie als Moonbootica so lange schon durchs wankelmütige Musikbusiness tragen und die Gratwanderung zwischen Selbstloyalität und kommerziellem Erfolg ermöglichen. Auf jeden Fall machen die beiden Hamburger Jungs in all der Zeit immer ihr Ding, sind gut unterwegs, haben lockere Sprüche auf den Lippen und wagen mitunter stilistisch größere Sprünge, gern auch mal in interessanten Kollaborationen mit namhaften Kollegen.
Als feste Größe in der Szene muss man Moonbootica nicht mehr extra vorstellen. Daher zeichnen wir in großem Stil – und damit im Stil Moonbooticas – eine großzügige Linie von den Anfängen bis jetzt, am Anfang eines neuen, spannenden Jahres stehend: Seit Ende der Neunziger rocken Tobias Schmidt aka Tobitob und Oliver Kowalski aka KoweSix im Duo die Decks zahlreicher Clubs und Festivals. Vor zehn Jahren kam das Debütalbum „Moonbootica“ mit dem umtriebigen Track „June“ raus. Zusammen betreiben sie außerdem das Label Moonbootique. Vorvergangenes Jahr – also 2014, in dem Jahr vor dem gerade ausgenüchterten 2015, um es für diejenigen, die an Silvester ein bisschen härter gefeiert haben oder immer noch raven, zu präzisieren – kam das vierte Album „Shine“ raus. Mit einem einprägsamen Cover – eine massive Goldkette mit diamantbesetztem Moonbootica-Medaillon zwischen zwei wohlgeformten weiblichen Brüsten – und einem ebenso sexy, punktgenau produzierten Sound stieg es in die Top 50 der deutschen Albumcharts ein. Mit einer Mix-Compilation setzten die Moonbooticas ihrem Klassiker „June“ im gleichnamigen Monat letzten Jahres ein Denkmal und brachten sich bis Jahresende mit weiteren Releases erneut auf den Plan. Dieses Jahr wollen sie, selbstbewusst wie man sie kennt, mit einem neuen Album direkt schon wieder einen draufsetzen.
Hungrig aufs Produzieren und aufs DJing, ja, auf das, was manchem irgendwann auf die Nerven geht, nämlich auf Arbeit, blicken die beiden nach vorne. Wir haben mit den verschmitzten Nordlichtern über Vergangenheit und Zukunft, großartige Momente, über Effekthascherei, Kommerz, Gagen, EDM, künstlerischen Ehrgeiz und Verantwortung, die Pariser Anschläge, Wünsche und vieles mehr gesprochen.

Fangen wir mit der wichtigsten Frage überhaupt an. Kowe, du hast 2014 im Interview mit unserem Magazin, zu Recht natürlich (lacht), gesagt: „Wir sehen von Jahr zu Jahr besser aus und werden generell immer cooler.“ Wie macht ihr das? Hat das was mit eurer Work-Attitude zu tun?

Auch wenn ich das Wort „cooler” sicher nicht benutzt habe, sind wir doch eindeutig besser geworden über die Jahre. Das bezieht sich natürlich in erster Linie auf unsere Studioarbeit. Inhaltlich haben wir es inzwischen sehr gut verstanden, auf den Punkt zu kommen, und soundtechnisch haben wir ein Level erreicht, mit dem wir durchaus zufrieden sind. Für den Moment. Und da kommt dann unsere Work-Attitude ins Spiel. Wir haben wahnsinnig viel Freude an dem, was wir machen, und sind noch enorm hungrig sowohl auf das Musikmachen als auch auf das DJing/Auftreten. In zehn Jahren oder so haben wir wahrscheinlich wieder das Gefühl, ein ganzes Stück weitergekommen zu sein. Und besser auszusehen, natürlich …

Euer Moonbootica-Debütalbum ist zehn Jahre her – und im Musikbusiness generell seid ihr ja bereits noch länger. Habt ihr mit der Remix-Compilation zu „June“ eure zehn Jahre gefeiert?

Wir haben da eher den Track „June“ gefeiert. Wir haben das Ding ernsthaft zehn oder elf Jahre lang in wirklich jedem Set gespielt und es hat nicht ein einziges Mal enttäuscht. Mal abgesehen von der Tatsache, dass uns die Originalversion aus den Ohren raushängt und wir dringend mal ne neue Version zum Spielen gebraucht haben, wollten wir dem Track einfach mal ein neues Outfit gönnen.

Wie rekapituliert ihr eure bisherige gemeinsame Zeit als Moonbootica?

Bisher war eigentlich alles großartig, echt. Wir haben verdammt viel Spaß gehabt und so großartige Momente erlebt, dass man eigentlich auf die Knie fallen müsste.

Welche Momente waren so besonders?

Vergiss es. Viel zu viele, um da jetzt einzelne rauszupicken. Genug jedenfalls, um sich wirklich glücklich zu schätzen.

Das Video zu „Iconic“ wurde doch auch unter anderem bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt. Wart ihr vor Ort?

Nö. Ich glaube, an dem Tag waren wir in Duisburg oder so.

Worauf basieren eigentlich eure künstlerischen, beruflichen Entscheidungen? Kopf oder Bauch?

Bauch natürlich. Nicht, dass wir nicht auch schon mal versucht hätten, etwas Kopfkonstruiertes zu bauen. War aber immer kacke und wir haben es dann einfach gelassen.

Was sagten denn eure Eltern am Anfang zu dem, was ihr macht, und was sagen sie jetzt?

Was wäre aus euch geworden, wenn ihr keine Musik machen würdet?

Tobi: Meine Mutter war immer strikt gegen das Musikmachen, bis sie ein Video von Der Tobi & Das Bo im Fernsehen gesehen hat. Ab da war Ruhe. Das war glücklicherweise schon 1994. Ansonsten wäre ich Physiker oder Sozialpädagoge geworden.

Kowe: Bei mir ist das alles nie Thema gewesen. Meine Eltern haben mich eigentlich immer machen lassen. Was ich sonst gemacht hätte, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe das Gefühl, es ist alles genau so, wie es sein sollte.

Tobi, wenn deine Kinder sagen würden, sie wollten Musiker werden, wie würdest du reagieren?

Die haben nichts zu wollen. Ich gehe fest davon aus, dass beide erfolgreiche Kinderstars werden. Ansonsten hätte sich das ja überhaupt nicht gelohnt!

Zurück zu früher. Rückblickend aus eurer Perspektive: Wie habt ihr die deutsche und speziell die Hamburger Club-Szene empfunden, als ihr angefangen habt, gemeinsam aufzulegen, und wie seht ihr sie jetzt?

Wir hatten Ende der Neunziger massiv das Gefühl, dass die Leute nach dem ersten kommerziellen Overkill des Techno wahnsinnig hungrig auf neue Inhalte waren.

Wir selbst waren total davon gelangweilt, dass eigentlich jede Szene völlig abgegrenzt von den anderen vor sich hingeeiert ist. Da gab’s House und nur House, anderswo das gleiche mit Techno, Vocal House, Drum ’n’ Bass und Breaks/Big Beat. Es liefen dann immer die jeweils gleichen Platten und stereotypen Leute auf den Partys oder in den Clubs rum. Die pure Monotonie und Langeweile. Wir wollten es bunter haben und auch musikalisch diese Genregrenzen sprengen. In den folgenden Jahren waren dann erfreulich viel Bewegung und auch viele Experimente in der ganzen elektronischen Musik zu erleben, die leider irgendwann vor ein paar Jahren in dem recht unangenehmen Hybrid aus Pop und elektronischer Tanzmusik, nämlich EDM, endete. Jetzt erleben wir diesen kommerziellen Overkill wieder, worauf die einzelnen Szenen natürlich mit Abgrenzung und leider auch der implementierten Monotonie reagieren. Verständlich, aber größtenteils trotzdem total langweilig, gleichgeschaltet und völlig uninspiriert.

Ihr habt euch in den letzten Monaten mit neuen Releases weiter in den Fokus gebracht. Letztes Jahr sagtet ihr uns anlässlich des vierten Albums, dass es darum gehe, das Beste vom Status quo zu zeigen – und dass ihr euch mit „Shine“ auf ein neues Level gekickt habt. Ist es vor diesem Background eine Herausforderung oder die Herausforderung für die nächste Zeit, dieses Level nun zu halten oder nochmal einen draufzusetzen?

Wie sagte Egoexpress so schön: „Man muss immer weiter durchbrechen!” Natürlich wollen wir weiter einen draufsetzen. Alleine schon, um uns nicht selbst zu langweilen.

Apropos „Shine“: Wer hat eigentlich das Cover-Motiv für das letzte Album ausgesucht (lacht)? So schön die Kette auch ist, aber Diamanten und 168.000 EUR?

Die Idee ist unserem Artdirector Felix von Typeholics, dem Hamburger Schmuckkünstler Jonathan Johnson und uns beim Schnapstrinken gekommen. Wir dachten alle irgendwann: wenn schon, denn schon …

Apropos Geld. Kommen wir doch mal zu einem der Szene-Lieblingsthemen: EDM. In den USA geht alles völlig undifferenziert im Begriff EDM auf – und in knallharten Kosten-Nutzen-Rechnungen. Neil Moffitt, einer der Investoren des Hakkasan in Las Vegas, glaubt: „EDM ist das, was Hip-Hop für die MTV-Generation war.“ Was würdet ihr diesem Mann dazu gerne mal sagen wollen?

Das ist uns alles echt total egal.

Oliver Koletzki hat sich ja dieses Jahr auch Luft gemacht – EDM sei reiner Kommerz, Spektakel, Effekthascherei usw. Wo zieht ihr die Linie zwischen einer künstlerisch inszenierten Liveshow und einem einfachen Spektakel?

Da hat jeder so seine eigenen feinen Trennlinien. Wir bleiben bei unseren DJ-Gigs bei uns und der Musik, die wir spielen. Keine Gimmicks, nur Euphorie. Typen, die immer nur in ihre Laptops gucken, fanden wir aber auch immer langweilig, und Künstler wie Sven Väth leben ja wohl ohne Zweifel von ihrer Ausstrahlung. Was ist nun richtig und was ist falsch? Klar ist, dass Kirmes Kirmes ist und wenn ein DJ-Set so strukturiert ist, dass ein ganzes Scheißfeuerwerk dranhängt, das dann 73-mal in Folge exakt gleich abgenudelt wird, und wenn die Leute mit Konfetti weggebügelt werden, muss ich immer an diese lächerlichen Schaumpartys in den Neunzigern denken. Und die waren einfach nur kacke. Und dennoch hat auch das seine Berechtigung. Nicht jeder will oder kann sich selbst in der Musik verlieren, nicht jeder steckt so tief in dem Thema, dass er durch Reduktion Euphorie erleben kann. Wir leben in Zeiten der totalen Kommerzialisierung, des totalen Überreizes – EDM ist da eben eine Konsequenz. Kann man scheiße finden, aber überrascht tun braucht nun auch keiner.

Er sagte aber auch, wenn er eine Anfrage für ein amerikanisches EDM-Festival kriegen würde, würde er auftreten, um die Leute zu erziehen. „Selbst wer mich und mein Set nicht versteht, denkt dann vielleicht darüber nach, dass es mehr als Stimmungsmusik gibt. Über EDM zu Electro.“ Kann so etwas funktionieren? Ihr habt ja mal gesagt, ihr seid nicht auf der Welt, um die Leute zu erziehen. Was meint ihr also zu Olivers Statement?

Das Wort „erziehen“ impliziert leider, dass man selbst was Besseres anzubieten hat. Mal ganz ehrlich, wir reden hier bei elektronischer Tanzmusik im Allgemeinen eigentlich immer von „Stimmungsmusik“. Welcher höchst künstlerische Ansatz steckt schon in Tracks, die hauptsächlich den Zweck haben, Leute zum Tanzen zu bringen, außer vielleicht, dass einige Methoden subtiler funktionieren als andere?

Geschmacklich und inhaltlich ist EDM auch überhaupt nicht unsere Baustelle, aber wir haben nicht das Bedürfnis, Leute zu besserer Musik zu „erziehen“.

Aber klar, für Menschen mit begrenztem musikalischem Horizont könnte es Sinn machen, zu verstehen, dass es weit mehr zu entdecken gibt als EDM.

Kowe, du sagtest, man hätte keine andere Wahl, als das Phänomen EDM zu ignorieren. Kann man das wirklich, wenn beispielsweise der New Yorker Medien-Tycoon und EDM-Investor Robert F. X. Sillerman Beatport kauft?

Ist der Typ nicht inzwischen pleite? Da war Ignoranz ja wohl die exakt richtige Strategie.

Bedeutet denn eurer Meinung nach der Fall von SFX beziehungsweise Sillerman, dass solche Manöver nichts zu bedeuten haben, dass es sich bei der ganzen Sache um etwas Vorübergehendes handelt – oder wechseln einfach nur die Protagonisten?

Sowohl als auch. Natürlich bedeutet es was, wenn das große Geld ins Spiel kommt. Gier steckt in jedem von uns, aber wir sind doch alle selbst dafür verantwortlich, wie wir unsere Welt gestalten. Sillerman ist nur einer von vielen, die die Blase weiter aufpusten. Irgendwie interessiert uns das auch alles nicht, weil es immer die gleiche Story ist …

Das Pacha hatte ja schon mal gesagt, man würde die Gagenexplosion in der DJ-Branche nicht weiter mit anheizen wollen. Und Oliver Koletzki meint, er würde wieder härter und monotoner spielen. Was glaubt ihr, wird sich langfristig dadurch verändern, dass die Amerikaner gerade so freidrehen? Muss sich die europäische Szene (materiell) bedroht fühlen?

Ganz ehrlich, wir haben immer die Position vertreten, dass alles fair und gerecht ablaufen muss. Wenn dir ein Künstler die Bude oder das Festival vollmacht, dann muss er dafür angemessen bezahlt werden – ganz einfach. Wenn du aber blöd bist oder dich wichtig machen willst und dann dieses völlig irre EDM-Gagenspiel mitspielst, dann ist es uns scheißegal, ob du baden gehst. Wie oft haben wir das jetzt in den letzten Jahren von Veranstaltern gehört, dieses Gequatsche über zu hohe Gagen? Im Übrigen ist das ja nicht nur ein reines EDM-Phänomen, da gibt es ja noch einige „coole“ Künstler, die es genauso übertreiben – oder nicht? Und beim nächsten Mal hatten die alle wieder die gleiche Scheiße zusammengebucht und erzählen dir dann die exakt gleiche Geschichte von vorn. Es ist doch nur so irre, weil alle mitmachen. Na ja, wir hoffen jedenfalls, dass sich das Ganze bald wieder zurechtrückt und die guten Clubs und seriösen Festivals auf gesunder Basis weiterarbeiten können.

Wenn wir schon bei Rückblicken und Ausblicken sind und da wir am Anfang eines frischen Jahres stehen: Lasst uns kurz einen Blick aufs vergangene und aufs kommende Jahr werfen. Ihr seid oft an verschiedenen Orten unterwegs und spielt vor vielen Leuten – was ging in euch vor, als ihr von den Anschlägen in Paris, besonders beim Konzert im Bataclan, gehört habt?

Wir waren kurz vor einem Gig in Berlin und natürlich hat uns das alles erschüttert. Es ist selbstverständlich ein weites Feld, aber es gibt so viele erschütternde Nachrichten in dieser Welt, dass es schwerfällt, sich zwischen totaler Gleichgültigkeit, Angst und Hoffnungslosigkeit zu positionieren. Gerade deswegen ist unser Job, und damit meine ich den aller Künstler, so wichtig. Wir bringen Freude in die Herzen der Menschen – und auch wenn es in solchen Nächten, wie in der der Anschläge von Paris, schwerfällt, das durchzuziehen, muss man es doch unbedingt tun. Nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber den Geschehnissen, sondern als Zeichen, als Verehrung des Lebens, unserer Kultur und unserer Freiheit.

Was waren in aller Kürze so eure persönlichen Highlights 2015?

Da gab es echt viele. Unter anderem Gigs im Live RCA Bangkok, auf dem Echelon Festival, im Katerblau in Berlin und natürlich wie immer unsere eigenen Partys im Hamburger Übel & Gefährlich.

Habt ihr gute Vorsätze fürs neue Jahr oder habt ihr damit nichts am Hut?

Halten wir so nichts davon. Entweder du versuchst, immer ein guter Mensch zu sein, oder du pumpst eben nur Luft.

Worauf können wir uns denn 2016 von Moonbootica und aus dem Hause Moonbootique freuen? Gibt’s schon Dates, die man sich notieren sollte?

Wir haben einige Clubtracks in der Pipeline, zum Beispiel auf Riva Starrs Label Snatch!, Kollaborationen unter anderem mit Teenage Mutants und unser neues Album kommt auch 2016 raus. Gigs, auf die wir uns jetzt schon freuen, sind unter anderem die auf dem Time Warp, Love Family Park und einige mehr.

Was wünscht ihr euch für 2016?

Sonnenschein in Hamburg wäre schon mal super.

Apropos Wünsche … Gibt’s da jemanden, mit dem ihr noch unbedingt zusammenarbeiten wollt?

Da gibt’s noch ein paar. Weird Al Yankovic zum Beispiel.

Und wenn es für Normalsterbliche möglich wäre – würdet ihr zum Mond fliegen?

Natürlich würden wir das!

Vielen Dank für das Gespräch. / Csilla Letay

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