Ein Mensch formt sich durch seine Freundeskreise, Familie, Freundin/Freund, Haustiere, Berufsumfeld usw. Die Identität ist erst einmal an soziale Kontakte zu Menschen gebunden. Dadurch bin ich, wer ich bin. Ich bin Henrik, ich bin ein Nerd, nicht besonders schlagfertig oder gebildet, doch irgendwie auch clever. Ich habe viele Freunde, bin Skater, Graffiti-Sprüher und im Allgemeinen künstlerisch unterwegs. Ich bin nicht wirklich stark oder cool. In der Hierarchie meines Freundeskreises bin ich nicht weit oben positioniert. Als ich vor ca. 20 Jahren mit Musik machen angefangen habe, hatte ich keine Ziele. Ich wollte einfach Musik machen. Es nahm aber immer mehr Zeit in Anspruch. Ich bin Henrik, mein Projekt ist Neelix. Da war auf einmal dieser Neelix. Erst einmal war es ja nur ein Hobby, aber die kleinen Teilerfolge wurden häufiger. Immer mehr Leute durfte ich durch die Musik kennenlernen. Künstler werden auf Tour sehr gut behandelt. Auf einmal hören mir alle zu, wenn ich etwas sage. Wo ich essen will, werden dann alle essen gehen, wo ich schlafen will, werde ich dann absteigen usw. Es ist fast so, als wäre ich in der Hierarchie nach ganz oben aufgestiegen. Vielleicht hat aber auch nur Neelix diesen Hierarchiesprung vollführt. Henrik hingegen ist eigentlich immer noch derselbe. Vielleicht kann ich das aber auch nicht richtig trennen.
Das viele Reisen erschwert es, meine Freunde oder Familie überhaupt noch zu sehen. Der Ausgleich zwischen Henrik und Neelix gerät ins Wanken. Ständig dreht sich alles um mich. Als wäre ich so wichtig. Ich kann das kaum ertragen, mag ich mich doch eigentlich einfach gerne anderen anschließen und nicht ständig selbst entscheiden. Zum Glück hört diese Identitätskrise gleich wieder auf, wenn ich wieder Zuhause bin.
Es gibt nun aber auch Künstler, die mit einem Fan zusammen sind und nur noch Leute um sich haben, die sie durch die Musik kennen gelernt haben. Die ganze Wohnung zeugt von ihrer Karriere und ihren Erfolgen, für diese Künstler ist es schwer sich wieder zu normalisieren. Viele wollen das ja auch gar nicht, identifizieren sie sich doch nur noch durch den Künstler. Jetzt dreht sich alles um „Was habe ich geschaffen“. Da ist der Workaholic, ewig auf der Suche nach Bestätigung in der Karriere. Mein Papa hat mir mal gesagt, wenn du ganz nach oben willst, musst du ein Arschloch sein. Das kann tatsächlich so sein. Muss ich doch ständig sehr egoistisch denken. Wenn jetzt etwas nicht 100 Prozent so läuft, wie mein Ego es will, explodiere ich. “Was, ich bekomme es nicht so wie ich will…“ BAAAMMM. Ich erkenne dieses Verhalten in ziemlich vielen Künstlern. Totale Erschöpfung durch das ständige Konzentrieren auf Erfolg. Das ist so anstrengend. Ich war mal in einem Hotel und neben mir sollte ein Live-Act einchecken. „Bitte füllen sie noch schnell dieses Formular aus“ sagte der Rezeptzionist. Der Künstler schreit den armen Kerl an „Was, weißt du nicht, wer ich bin?“ Nein, lieber Künstler, das weiß er nicht, und selbst wenn: „Be nice, you moron!“ Erkranktes Ego würde ich das nennen. Die Frage ist, wäre dieser Künstler auch so ohne seinen Erfolg?
Ich habe vor kurzem über einen Superstar gelesen, dass er so unglaublich traurig sei. Er habe so viel Gold, wie er nur essen könne, Frauen, Ruhm und sehr hohes Ansehen. Warum ist er traurig? Hat er falsche Prioritäten gesetzt. Hat ihn eventuell sogar der Erfolg so traurig gemacht?
Es gab mal eine Studie, in der sehr erfolgreiche Menschen auf dem Sterbebett zu ihrem Leben befragt wurden. Auf die Frage was sie rückblickend anders machen würden, haben sie alle gesagt, dass sie weniger hätten arbeiten sollen, um mehr Zeit für sich, ihren Familien und ihrer Freunde zu haben. Dieses Konzentrieren auf Erfolg macht leer – die wichtigen Momente im Leben sind vielleicht ja die, die nicht mit der Arbeit zu tun haben.
Mein Papa hat mir mal gesagt, dass ich ein gutes Gespräch daran erkenne, dass nicht nach der Arbeit gefragt wird. Ein sehr gutes Gespräch daran, dass überhaupt nicht über die Arbeit gesprochen wird. Was du machst, ist egal. Wer du bist, ist wichtig. Ich frage mich oft, wie einige Künstler wären, würde ihnen die Karriere oder der Erfolg genommen werden.
„It doesn’t matter what you have reached in life or which position you hold. Important is just what you have left behind in the people around you and how you treated your environment.“
Arbeitet weniger und lebt mehr. Es wird euch immer gut gehen und an nichts fehlen, das verspreche ich euch!!! Es wird euch aber mit Sicherheit etwas fehlen wenn ihr, aus Angst oder Sucht, immer mehr arbeitet!
Das könnte dich auch interessieren:
Neelix on Tour – die Kolumne Pt. 1
Interview: Neelix – der riesige Baum
Unsere Lieblings-Goa-Festivals