Paul Kalkbrenner – das große Interview zur „Parts Of Live“-Tour

Schon teilweise witzig und skurril, mit welchen Menschen man an einem einzigen Tag so telefoniert: mit der Assistentin einer PR-Agentur, die einem im tief-bayrischen Dialekt mitteilt, dass „da Chäf net do“ ist. Mit Mutti, die fragt, wann man endlich wieder mal zum Vertilgen eines Sonntagsbratens vorbeikommt. Mit seinem Vermieter, der die Miete erhöhen möchte. Und mit einem Techno-Pionier, der berichtet, dass er am liebsten im Off-Modus ist – wenn er nicht gerade auf Tournee geht. Letzterer ist Paul Kalkbrenner. Es bedarf keiner großen Worte, um euch den Berliner vorzustellen. Auch dass „der Paule“ (wie er sich am Telefon stets meldet) 2019 wieder live auf der Bühne stehen wird, wissen treue FAZE-Leser. Und alles, was sie noch nicht wissen, erfahren sie hier im Interview.

Paul Kalkbrenner Berlin 28.02.2018_6449-162175317

Tach, Paule. Torsten hier vom FAZE Magazin. Grüß dich. Beziehungsweise: stör ich? Bist du gerade auf einem Kindergeburtstag?

Fast. (lacht) Ich hab gerade meine Tochter vom Kindergarten abgeholt und wir kommen soeben zuhause an. Schuhe aus und ready for FAZE.

Prima, dann legen wir doch gleich mal los: Ein paar Monate sind vergangen, seit du deinen letzten Longplayer „Parts Of Life“ veröffentlicht hast. Wie ist die Resonanz bei Fans und Kritikern?

Das ist eine gute Frage. (lacht) Ich versuche, möglichst nichts zu lesen, weil es einen beeinflussen könnte in der Denke. Aber ich habe gehört, dass es gut aufgenommen wurde. Die Verkaufszahlen haben mich zum ersten Mal ein wenig enttäuscht. Aber anscheinend sind die Zeiten der großen Albumverkäufe wohl vorbei. Andererseits: Was zum Beispiel die Spotify-Streams angeht – da waren alle Beteiligten sehr zufrieden. Ich bin dahingehend aber echt ein Laie, was die Welt der Zahlen angeht.

Bedeutet: Ob dein Album zwei oder fünf Sterne bei Amazon hat, ist der egal?

Mittlerweile schon, ja. Ich verlasse mich lieber auf das direkte Feedback des Publikums. Du musst ja bedenken, dass bei Amazon vielleicht 40 oder 50 Leute eine Bewertung abgeben. Wenn ich live spiele, hab ich ein paar tausend Leute vor mir, die mir direkt signalisieren „Top“ oder „Flop“!

War das zu deinen Anfangszeiten anders? Nimm mal einen Schriftsteller, der seinen Debütroman veröffentlicht. Der guckt doch zehn Mal am Tag, ob und welche neuen Bewertungen er einheimst.

Natürlich! Ich hab das total verfolgt damals! Und es war so immens wichtig, was irgendein Typ über deine Platte dachte. Damals, vor 20 Jahren, hab ich genau geguckt, ob ich drei oder zehn von zehn Punkten bekomme. Wie beispielsweise die Bewertungen in der Raveline oder im kleinen Technoheft Partysan. Kaum kamen die Dinger an den Kiosk, hatte ich sie schon durchgeblättert und geguckt, wie mein Sound so ankam. Heute: Schnurzpiepegal.

Man stumpft ab – was sicherlich am Erfolg liegt, dass man es krass gesagt nicht mehr nötig hat, auf einzelne Rezensionen emotional zu reagieren.

Genau so! Seit „Berlin Calling“ war und ist das so. Es macht einfach für die Seelenhygiene mehr Sinn, sich nicht auf solche Kritiken einzulassen. Wobei ich natürlich sagen muss, dass die Kritiken durch die Bank weg positiv waren. Es ist ja auch zum Beispiel so, dass ich gewisse Boulevardblättchen – und ich nenne jetzt keine Namen! – gar nicht erst lese. Da sitzen Redakteure, die den ganzen Tag über irgendwelche Z-Promis, Royals und Schlagerbarden schreiben. Und dann mein Album rezensieren. Und diese Rezension soll mich interessieren? Äh: nope. Allerdings bin ich jetzt auch niemand, der fokussiert im öffentlichen Interesse steht, wie vielleicht ein Fußballnationalspieler oder so. Für solche Medien bin ich – zum Glück – zu uninteressant.

Na ja, du hast doch aber schon einen großen Namen. Ich meine, „Sky & Sand“ läuft immerhin seit VÖ auch in den ganz normalen Mainstream-Radios, wie WDR 2, Bayern 3 etc. Wobei mir einfällt: Wie gehst du denn mit dem Vorwurf um, wenn eingefleischte Technofans meckern „Boah, seit ‚Sky & Sand‘ ist der Paule nur noch voll Kommerz“?

Ach, weißt du, ich bin da entspannt. Mittlerweile. Ein Jahr nach Release von „Berlin Calling“ hat es mich schon genervt, wenn man auf diesen einen Track reduziert wird. Aber ich liebe ihn noch heute und spiele ihn auch noch heute in fast jedem Live-Set in allen denkbaren Versionen.

War ja auch ein großer Door-Opener für dich. Sowohl Film als auch Soundtrack.

Definitiv. Und wie gesagt: Ich stehe absolut hinter „Sky & Sand“. Entscheidend wäre für mich eher, wenn ich keine Lust mehr hätte, den Titel bei meinen Shows zu spielen und wenn die Leute nicht abgehen würden. Ist beides nicht der Fall.

Live-Shows. Gutes Stichwort. Erzähl doch mal.

Och ja, wir sind gerade zurück aus Südamerika von der Tour. Jetzt ist erst mal Durchatmen angesagt. Und die Leute im Background, die machen ihr Ding. Alle sind zufrieden, lässt man den etwas schleppenden Vorverkauf in Bratislava mal außen vor. (lacht) Ansonsten: Zufriedenheit und große Vorfreude auf die Tour.

Die Tour beginnt Anfang 2019. Im Frühsommer 2018 kam dein Album. Die meisten Künstler gehen direkt mit Album-VÖ auf Tour. Warum wartest du so lange?

Hat viel mit Logistik zu tun, wobei ich schon sagen muss, dass der Abstand zwischen meinem Album-Release und meinem Tourstart schon das Maximale an Zeit ist, die man sich leisten kann. Dem Album folgte ja auch erst einmal der Festivalsommer mit vielen Shows. Und ich wollte nicht direkt an die Summer-Events eine Hallentour machen. Außerdem bin ich auch keine Pop-Band oder so. Ich glaube, die „müssen“ nach dem Album direkt touren. Deren Community kauft das Album, hört das eine Woche lang in „heavy rotation“ und dann wollen die ihre Künstler auch live sehen. Meine Leute sind ja a) nicht chartorientiert und b) sind es eher die Liebhaber, die sich für das Anhören auch eine gewisse Zeit nehmen, um sich auf das Album einzulassen. Meine Songs musst du ja mehr als nur einmal anhören. Bei den Chartbands hört man die Songs und denkt „Ach cool, kenne ich“. Oder sie denken, sie seit langem zu kennen.

Viele Leute denken auch, dich zu kennen! So erwarten sie bei der anstehenden Tour bestimmt wieder aufwendige Visuals – deren Produktion zuletzt die Pfadfinderei übernommen hat. Diesmal ist alles anders?

Richtig. Es ist doch heute so, dass jeder Künstler – egal ob Superstar oder Newcomer – sein Package an Hightech dabei hat. Visuals, Moving Lights, LED-Wände und so weiter. Vor allem bei den DJs ist das so. Und nichts gegen DJs, aber da gibt es ja auch in Sachen Performance nicht so viel zu sehen. Bei mir und meinen Shows ist das anders. Bei mir gibt´s viel zu sehen. Und deshalb haben wir uns entschieden, sechs Kameras zu installieren, die auf große Leinwände mein Live-Acting übertragen. Die Leute im Publikum können mir quasi über die Schulter gucken und sehen, wie ich agiere und reagiere, drehe und schraube. Wir bauen eine kleine Armada an Kameras auf – mit Ausrichtung auf den Mixer, auf meine Hände, sogar auf meine Füße.

Sechs Kameras heißt: kein Standbild.

Kein Standbild. Ich habe einen Regisseur, der genauso live arbeitet wie ich. Er wählt aus den sechs Kameraperspektiven aus und schaltet das Bild auf die jeweiligen Monitore. Alles schwarz-weiß. Farbe nur bei den Trennern. Schön dunkle Umgebung. Keine Laser, kein CO2, keine Flame-Jets. Und sind wir doch mal ehrlich: Die meisten Leute kommen doch noch immer wegen …

… der Musik.

Yes! Außerdem wäre es ja auch eher unvorteilhaft, vor einem 24-Kanal-Mixer Konfettis in die Luft zu schießen. (lacht)

Und die Show an sich?

Ist jeden Abend anders. Gut, zum Start spiele ich meist den Flöten-Remix des Spaniers (Kid Simius „The Flute“, Paul Kalkbrenner Remix, Anm. d. Red.), weil der so smooth beginnt. Und zum Ende spiele ich eigentlich immer „Aaron“. Ich muss nur manchmal anhand der Vielzahl der Tracks, die ich mittlerweile im Portfolio habe, darauf achten, nicht „Sky & Sand“ zu vergessen. (lacht)

Schon passiert?

Schon passiert.

Ups, aber immerhin: keine vorgefertigte Playlist.

Und kein vorgefertigter Sound. Alles live. Nichts ist vorprogrammiert. Alles authentisch und in Echtzeit. Auch die Fehler, die passieren können. Und deshalb keine Playlist, weil viele Songs stilistisch nicht harmonisch ineinander übergehen würden. Das habe ich aus meinem Remix-Konzept-Album „Back To The Future“ gelernt.

Holst du dir von anderen Live-Künstlern aus der elektronischen Musikszene Anregungen, wie von Schiller, Jean-Michel Jarre oder Giorgio Moroder?

Nein. Von anderen Acts habe ich mir noch nie Anregungen geholt. Ich habe immer selbst geplant und getüftelt – klar, mit meinem Team im Hintergrund. Aber copy & paste war nie mein Ding. Deshalb versuche ich auch, möglichst wenig von anderen anzuschauen. Dann besteht erst gar nicht die Gefahr, etwas abzukupfern.

Dein Team …

… besteht im Festivalsommer aus fünf Leuten und im Tourwinter aus zehn. Was wir dieses Mal übrigens neu haben werden bei der Tour: Wir nehmen keine eigene P. A. mehr mit, sondern nehmen das, was vor Ort ist. Eine große Last auf den Schultern meines fantastischen Sound-Ingenieurs. Dass er das kann, hat er schon bei der USA-Tournee bewiesen. Und – um mal die Kirche im Dorf zu lassen – es ist ja auch nicht mehr nötig, das XXXL-Equipment aufzubauen, weil ich es vorziehe, eher in kleinen Venues zu spielen. Und nicht mehr in Locations wie der Olympiahalle, Mercedes-Benz-Arena oder so. Auch ein Privileg, das ich habe: Ich bin mittlerweile – auch finanziell bedingt – an dem Punkt angelangt zu entscheiden, dass ich lieber vor weniger Leuten spielen möchte. Auch wenn ich die größeren Hallen noch füllen würde. Hab aber keinen Bock auf das Große.

Ergo: lieber kleine Bühne als großes Festival?

Jein. Der Vorteil bei meinen eigenen Live-Shows außerhalb der Festival-Saison: Ich kann sehr früh spielen. 19 Uhr. 20 Uhr. Um die Zeit chillen die Festival-Leute noch auf dem Campingplatz beim Vorglühen! Hab ich im 2018er Sommer wieder gemerkt: Von 04:00 bis 06:00 Uhr spielen, dafür fehlt mir irgendwie der Punch! Alles so bis Mitternacht ist perfekt. (lacht)

Früh schlafen gehen kannst du doch, wenn du in Rente bist! Bis es soweit ist, freuen wir uns auf „Back To The Future 2“.

Ach, echt? Davon weiß ich gar nichts. (lacht) Aber mal im Ernst: Dass das so eingeschlagen hat, ist der Wahnsinn! Das war ein reines Liebhaberprojekt für mich. Die Jungs und Mädels bei Sony haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen als sie von der Idee hörten. Ein weiteres Privileg eines Paules, so etwas machen zu können (lacht). Als Künstler nehme ich mir dann halt auch die Freiheit und setze etwas um, was noch unkommerzieller ist als das, was ich sonst mache. Auch die Tour dazu war ja total überschaubar, intim und ganz klein gehalten. In zwei Worten: einfach geil.

Du bist natürlich auch in der Position, um sagen zu können: „Mache ich“ oder „Mache ich nicht“.

Absolut. So ein Album – das trägt mich erst einmal wieder für zweieinhalb Jahre. Zeit zum Runterkommen. Deshalb denke ich momentan überhaupt nicht an die Arbeit, oder daran, ins Studio zu gehen. Klar – im Fokus steht die Tour, aber die ist planungstechnisch so gut wie abgeschlossen. Kann losgehen! (lacht) Außerdem – du musst ja überlegen: Ich bin ja auch Vater. Und: 41! Ich ruhe mich auch gerne einfach mal aus. Bisschen was rauchen, bisschen was lesen, bisschen mit meinen Oldtimern fahren. (lacht)

Paule, in diesem Sinne: Gute Fahrt und eine erfolgreiche Tour.

 

 

Paul Kalkbrenner „Parts Of Life“-Deutschlandtour – die Termine:
06.02.2019 Leipzig, Haus Auensee
07.02.2019 Köln, Palladium
08.02.2019 Dortmund, Warsteiner Music Hall
09.02.2019 Bremen, Pier 2
12.02.2019 Hamburg, Mehr! Theater
13.02.2019 Dresden, Alter Schlachthof
26.02.2019 Stuttgart, Wagenhallen 28.02.2019 München, Zenith
30.03.2019 Berlin, Max-Schmeling-Halle

 

Aus dem FAZEmag 083/01.2019
Text: Torsten Widua
Fotos: Studio Olaf Heine

Das könnte dich auch interessieren:
Das Interview zum Album: Paul Kalkbrenner – Schnell ist geil
Die 10 besten Tracks von Fritz und Paul Kalkbrenner