Rave in Ruinen – Berliner Rave-Fotoband lässt die 90er wiederaufleben

Rave in Ruinen – Berliner Rave-Fotoband lässt die 90er wiederaufleben

Wie oft wünschen wir uns zurück. In die unbeschwerte Rave-Zeit vor Handy-Wahnsinn und Social-Media-Overkill. Alle diejenigen, die damals schon feiern gewesen sind. Und auch alle Jüngeren, die Geschichten aus der ‘guten alten Zeit’ gehört haben und oftmals vor Neid erblassen. Jetzt gibt es ein großartiges Buch aus dem Verlag Bodo von Hodenberg, das diesen Spirit wieder aufleben lässt.

Der Fotoband BERLIN POSSIBILITY des Fotografen Christian Brox zeigt Berlin im utopischen Ausnahmezustand der 90er Jahre, als die halbe Stadt zum Abenteuerspielplatz einer Generation von Glückspilzen wurde: Ein heißer und ein kalter Krieg hatten das historische Stadtzentrum in einen Abenteuerspielplatz aus Ruinen, Brachen und Leerstand verwandelt, in der sich jugendliche Fantasie und Übermut ungehemmt austoben konnten. Jeder leere Laden, jeder leere Keller bot die Möglichkeit für einen neuen Club: Berlin Possibility.

Mit rund 300, größtenteils unveröffentlichten Bildern, vermittelt der Fotoband einen rohen Eindruck des Treibens im einmaligen Möglichkeitsraum, in dem aus Hausbesetzungen, freidrehender Kunst und ungehemmter Partylust die Clubkultur entstand, für die Berlin heute berühmt-berüchtigt ist. Christian Brox hat diese Entwicklung nicht nur miterlebt, sondern als einer von nur wenigen Fotografen auch immer wieder dokumentiert, seine “Aufnahmen zwischen Rausch und Kater” erinnern den Spiegel “an den frühen Wolfgang Tillmans, weil die Euphorie noch echt ist und die Enttäuschung nur eine Ahnung”.

Das großartige Werk lädt zu einer Zeitreise in eine nahe und gleichzeitig frappierend ferne Vergangenheit Berlins, die im Spannungsfeld zwischen – echten und vermeintlichen – Gegensätzen oszilliert, am augenfälligsten durch den Kontrast zwischen überbordender Lebensfreude und der von Zerstörung geprägten, dystopischen Stadtlandschaft. Eher auf den zweiten Blick fällt auf, wie mit der spielerischen Aneignung von Räumen die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem neu verhandelt werden, womit sich im letzten Moment der analogen Vergangenheit bereits die Auflösung dieser Kategorien im folgenden, digitalen Jahrzehnt andeutet.

 

Hier ein Auszug aus dem Vorwort von Anton Waldt, (ex-De:Bug):

In den 90ern passierte außer Techno und Abenteuerland erst mal nicht viel in der Stadtlandschaft, weil Politik, Stadtplanung und Bauwirtschaft sich zunächst vom Mauerfallschock erholen mussten, um anschließend die neue Lage überhaupt erst einmal zu erfassen, um draufhin gründlichst in Grübeln zu geraten, was denn nun zu Machen und zu Tun sei. Viel Zeit also, zum Raven und Ruinen erkunden, was meistens Hand in Hand ging, zumal von einem durchgehenden Feierbetrieb von Donnertag bis Montag noch lange keine Rede sein konnte: Der Tresor, der im März ´91 eröffnete, machte gegen sechs zu (was bis heute so ist und inzwischen richtiggehend niedlich wirkt), im E-Werk, das ´93 um die Ecke dazu kam, ging es bis 9 oder 10 Uhr, manchmal wurde es sogar Mittag. Noch etwas später kam der erste explizite Afterhour-Laden, der Walfisch, wo es erst um 6 Uhr Morgens losging, was aber auch unter Ravern erstmal als extrem harte Nummer galt. Aber die beste Afterhour war sowieso nicht der nächste Club, sondern der großen Abenteuerspielplatz Ostberlin. Mit oder ohne Drogen aufgedreht vom Raven kommend irgendwohin latschen, den Berufsverkehr in der U-Bahn bestaunen, Brachgrundstücke erkunden, in Fabrikruinen einsteigen, Sachen finden, DDR-Hinterlassenschaften plündern, auf Acid mit dem Fahrrad längs trödeln, sowas.