Redshape – Innere Wildheit

Credit: Lisa Wassmann

Würde Sebastian Kramer, besser bekannt als Redshape, seine Karriere dieser Tage beenden, wäre sein musikalisches Erbe ein äußerst beeindruckendes. Die gute Nachricht ist allerdings, dass daran noch lange nicht zu denken ist. Vielmehr erweitert der Berliner seine beeindruckende Diskografie mit der Veröffentlichung der im Mai erscheinenden 4-Track-EP „Release Me“ auf Running Back. Und dabei frönt er nicht nur seiner mittlerweile langjährigen Freundschaft mit Gerd Janson, respektive dessem Label, sondern auch seiner Leidenschaft für Acid und Einflüssen aus Detroit sowie Chicago. Dabei war die Musik Kramers schon immer inspiriert von tiefem Interesse für jegliche Stilrichtung, durchtränkt mit einem stets zeitgenössischen Kontext. Sowohl sein Debüt-Werk auf Delsin im Jahr 2009 als auch die zwei darauffolgenden Langspieler auf Running Back 2012 und zuletzt auf Monkeytown in 2018 stellen diesen Umstand mustergültig unter Beweis. Seine rote Maske, die im Laufe der Zeit zu seinem Markenzeichen avancierte und zeitgleich seine Identität im Geheimen hielt, hat der DJ und Live-Act mittlerweile abgelegt. Ein Schritt, der ihm mitnichten leicht gefallen ist. Unser FAZEmag-Download-Mix-Akteur des Monats im Interview über damals, heute, morgen und vieles (!) mehr.

Sebastian, wie geht es dir und wie waren die letzten Wochen und Monate für dich?

Die letzte Zeit bestand hauptsächlich aus Musik, Musik und Musik. Die schwierige Zeit, die wir im Moment alle durchleben, hat zu einer Art Überfokussierung geführt. Dadurch, dass ich noch mehr Zeit im Studio verbracht habe, sind aber auch viele neue Tracks entstanden, Ideen konnten gewissenhaft verfolgt und mein Wissen dadurch erweitert werden.

Mitunter ein Ergebnis dieser Studio-Sessions ist eine neue EP auf Running Back. Erzähle uns mehr zu deiner Verbindung zu Gerd Janson und seinem Label.

Gerd habe ich vor einigen Jahren beim Melt Festival kennengelernt. Ich spielte damals als „Palisade“ auf der Laid Records-Stage. Er kannte meine Musik und ich kannte sein Label, so kamen wir ins Gespräch. Seither verbindet uns eine gute Freundschaft. Wir telefonieren ab und an und sprechen über Musik, die Szene, aber auch über Literatur, da wir beide viel lesen. Es lag nahe, mal einen Lesetipp zu äußern. Daraus entwickelte sich dann ein Dialog über Schriftsteller*innen, ihre Werke und die Entwicklung ihrer Sprache. Sein Label Running Back stand für mich immer für ein idealisiertes Bild von Clubbing. Eine lebhafte, bunte, aber auch raue Idee: klassisch, sehr körperlich und dennoch nicht zu fassen. Ich denke, deswegen haben meine Veröffentlichungen auf dem Label auch immer diesen, sogar für meine Verhältnisse, altmodischen Touch.

„Release Me“ ist in der Tat ziemlich Acid-lastig und erscheint in zwei Versionen.

Die Faszination für Rolands Silver Box hat mich seit meinen Anfängen niemals wirklich losgelassen. Kaum ein anderer Synthesizer kann so viel Leben und Emotion in einen Track bringen wie die TB-303, das hat sicher mit ihrer Herkunft als Gitarrenersatz zu tun. Grundsätzlich finde ich die Idee, ein Stück in zwei Versionen zu veröffentlichen, immer sehr spannend. Es erinnert mich an die Zeit der Maxi-Singles: Ich kannte einen Track, kaufte die Single und entdeckte den „Club Mix“ oder die drei Minuten längere „Dub Version“ etc. Das fand ich immer aufregend. Bei den Tracks ging es mir hauptsächlich darum, den Vibe klassischer Acid-House-Platten einzufangen und ihn in die Moderne zu transportieren; mit einem großen Augenzwinkern. Momentan arbeite ich auch schon an einer Fortsetzung. Während der Produktion von „Release Me“ kamen mir so viele neue Ideen, dass eine einzige Platte wohl nicht genug sein wird.

Dein erstes Album ist 2009, also vor ca. 13 Jahren, auf Delsin erschienen. Wie, würdest du sagen, hat sich dein Sound in dieser Zeit verändert bzw. entwickelt?

Das war eine wilde Achterbahnfahrt. Seither hat sich im Kern aber nicht viel verändert, würde ich sagen. Wohl aber im Ausdruck. Ich habe viel gelernt: Musiktheorie, Klangtheorie und Produktionstechniken. Die Art, wie ich jetzt einen Gedanken musikalisch umsetze, ist im Vergleich zu der ersten Redshape-Veröffentlichung etwas fundierter. Die innere Wildheit allerdings habe ich mir bewahrt. Manchmal mag ich nur eine Drummachine, einen Bass und einen Lead Synth anschließen, um damit dunkle, kantige Tracks aufzunehmen. An einem anderen Tag wiederum möchte ich die Sphären des Pop erklimmen und kann gar nicht genug Spuren stapeln. Damals wie heute geht es mir um Synergien verschiedener Stile und Gefühle. Das ist mal mehr, mal weniger komplex, aber ich arbeite mich immer noch daran ab.

Hat sich dabei dein Workflow im Studio verändert?

Über die ersten Jahre damals habe ich mein Studio langsam aufgebaut. Besonderes Augenmerk galt schon seinerzeit eher den Klangprozessoren als den Klangerzeugern: gute Wandler, der Raum, das Monitoring. Seit jeher faszinierte mich Klang immer am meisten. Ich muss allerdings zugeben, dass ich das am Anfang gar nicht so genau wusste. Mit der Zeit bemerkte ich aber den Umstand, dass durchdachte Klangbearbeitung dieselbe musikalische Botschaft sehr viel besser und ausdrucksstärker transportieren kann als eine nachlässige Bearbeitung. Bei den Instrumenten gilt meine Liebe weiterhin den klassischen Analoggeräten der 80er, ihrer Euphorie, ihren Begrenzungen und Fehlern.

Was sind deine aktuellen Favoriten in Sachen Soft- und Hardware?

Wiederentdeckt und schätzen gelernt habe ich meine kleinen Avantone-Lautsprecher. Im 0,5m-Dreieck direkt neben dem Bildschirm aufgebaut bieten sie ein unwahrscheinlich „haptisches“ Musikerlebnis und eine Energie, an die selbst meine Hauptabhöre nicht ganz heranreicht. Bass haben sie allerdings so gut wie keinen. Softwareseitig bin ich immer auf der Suche nach neuen Entwicklungen, aber mein Plug-in-Ordner quillt schon über. Dennoch kann ich meinen Allzeit-Favoriten-Fabfilter ProQ3, die Valhalla-Plug-ins und den neuen PA Knif Soma EQ empfehlen, welchen ich als Ergänzung zu meinem Hardware Curve Bender EQ auf der Stereosumme nutze.

Man merkt deine Leidenschaft bei diesem Thema. Neben deinen eigenen Produktionen dient dein Studio auch als Basis für einen Mixing-Service, den du anbietest.

„Mixed by Redshape“, ja. Die Idee dazu schwirrte schon lange in meinem Kopf herum. Früher hatte ich mich immer gefragt, warum musikalisch ähnliche Tracks, bei gleichem Pegel, doch so unterschiedlich klingen konnten. Ich schob das immer auf das Mastering, musste aber feststellen, dass auch beim Mastering keine Wunder vollbracht werden können. So fing ich an, viel zu lesen, zu probieren und auch externere Mixer zu beauftragen, zum Beispiel für mein erstes Album „The Dance Paradox“ 2009, das du eben angesprochen hast. Spätestens dann war meine Leidenschaft fürs Mixing geboren.

Inspiriert von Legenden wie Bruce Swedien (Michael Jackson) und Andrew Scheps (Red Hot Cilli Peppers), aber auch von Leuten wie Mick Guzauski (Daft Punk), Nigel Godrich (Radiohead) und David Wrench (Caribou) wuchs meine Begeisterung für den „richtigen Mix“ zu meiner wohl größten Passion. So traf ich 2019 die Entscheidung, auch andere Menschen daran teilhaben zu lassen, für sie als Mix-Engineer komplett objektiv zu arbeiten, völlig losgelöst von meiner eigenen Kunst. Es macht mir sehr viel Spaß und ich freue mich, mein System immer weiter optimieren zu können.

Lange Zeit warst du als geheimnisvoller Act mit roter Maske bekannt, ehe du diese abgelegt hast. Was hat dich dazu veranlasst, deine Identität preiszugeben?

Das ist mir nicht leicht gefallen. Ich habe Jahre überlegt, ob ich die Maske absetze oder nicht. Schlussendlich hatte mir die Maske aber zu viel Aufmerksamkeit bekommen, das gefiel mir nicht. Mir ging es immer nur um Musik, das Gefühl der Kommunikation. Am Anfang half mir die Maske, meinen Bezug und meine Überzeugung auszudrücken, dann aber verselbstständigte sich die Sache zusehends. Sicher, meiner Popularität war sie nicht abträglich, doch im Grunde bin ich kein allzu verschlossener Mensch und möchte mich auch nicht mehr verstecken. Die Maske als Objekt, als Erweiterung meines Schaffens allerdings finde ich nach wie vor sehr reizvoll. Ich habe angefangen, an einer neuen zu arbeiten. Als Identitätsschutz hat sie definitiv ausgedient, als Erweiterung der Show möglicherweise aber nicht – wir werden sehen.

Wie, würdest du sagen, unterscheidet sich dein Künstler-Dasein gegenwärtig, im Vergleich zu der Zeit mit Maske?

Kurz vor einer Show fragen die Leute schon noch manchmal, warum ich „heute“ keine Maske auf habe, aber im Allgemeinen ist alles beim Alten. Anders ist aber, dass ich jetzt entspannt, ohne mich verstecken zu müssen, auf der Bühne existieren kann. Ich kann mit Leuten sprechen, kurz zu meinem Setup gehen und etwas anpassen oder nach meinem Auftritt ein entspanntes b2b-Set mit jemandem spielen, ohne mir über die Konsistenz des Projekts „Redshape“ Sorgen machen zu müssen.

Unter deinem bürgerlichen Namen hast du eine Art Re-Launch gefeiert, was hat dich dazu bewegt?

Meine ersten Veröffentlichungen habe ich als Sebastian Kramer gemacht. Damals liebte ich den harten Techno-Sound. Meine ersten Platten mit den Titeln „Pure Plastic“, „Coda“ und „Content“ haben mich auch erstmalig über die Landesgrenzen gebracht und mir die internationale Partyszene vorgestellt. Als „Minimal“ sich dann durchgesetzt hatte, sank das Interesse an schnellem Techno, und so erschuf ich „Redshape“, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Doch meine alte Liebe vergaß ich nie. Mit der Zeit fehlte mir immer etwas, und ich begann, auf alten Festplatten und Minidiscs nach Tracks dieser Zeit zu suchen, hauptsächlich, um bisher unveröffentlichte Sachen in meine DJ-Sets einzubauen. Die Resonanz auf diese Tracks, als ich sie zum Beispiel erstmalig im Berghain gespielt habe, hat mich aus den Socken gehauen. Damals kam mir die Idee zum Re-Launch von Sebastian Kramer. Mord Records half mir und so entstand „RKVE 1999-2003“, eine Sammlung von Lieblingsstücken meiner frühen Schaffensperiode. Der Erfolg dieses Albums bewog mich ebenfalls dazu, mein altes Technolabel Content wiederzubeleben.

Und mit Present ist dies nun dein zweites, aktives Label. Nach dem Sommer sind wieder Releases geplant. Wie würdest du die Philosophie der beiden Imprints beschreiben?

Im Prinzip sind es Autoren-Labels. Content ist mein erstes Label. Wie für viele Menschen mit eigenem Label war es die einzige Möglichkeit, früh eigene Produktionen zu veröffentlichen. Der Content-Sound war immer etwas dunkler, emotionaler und offener als reiner Funktionstechno. Das Ungreifbare, Neblige im Techno erlebbar zu machen, war immer ein Ziel des Labels. Der wohl größte Unterschied zwischen den beiden Labels ist, dass während Content eher einen Fluss symbolisiert, Present für die Stadt steht, es schafft die Basis für meine persönlichsten Veröffentlichungen als Redshape. Die Struktur der Platten mit nur zwei Tracks ist sehr herausfordernd und selten plane ich eine Produktion speziell für das Label, dann kommt aber ein Track daher, von dem ich weiß: Das wird die nächste Present.

Was genau ist Release-technisch geplant?

Die letzten Monate habe ich unentwegt an neuer Musik für beide Labels gearbeitet, dabei entstanden auch die ersten neuen Techno-Produktionen seit über zehn Jahren. Content-Katalognummern 07, 08 und 09 sind fertig, das ist spannend und ich kann es kaum erwarten, sie zu veröffentlichen. Außerdem kommt noch der dritte Teil meiner „Retro Shock Serie“ auf dem Label, ein richtiges Biest und tatsächlich eins meiner frühesten Stücke. Für Present möchte ich gern in die etwas abstraktere Richtung schauen, auch als Gegenpol zu meiner Musik auf Running Back. Den Raum zwischen Dancefloor und dem bewussten Hören von Musik zu erforschen und auszufüllen, ist mir wieder wichtiger geworden und Present-Nummer 17 wird diese Reise beginnen.

Und was steht neben genanntem Output auf deiner Agenda?

Neben der Planung der neuen Veröffentlichungen auf meinen Labels und der Arbeit an einem ganz neuen Live-Act baue ich auch meinen Mixing-Service aus. Ich beschäftige mich zum Beispiel schon seit einer Weile mit dem Mischen für Dolby Atmos. Das finde ich sehr interessant. Ich denke, die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für einen dynamischeren, größeren Sound sind vielversprechend. Speziell weil Musik heute vermehrt auf Kopfhören konsumiert wird, kann eine räumliche Präsentation ein neues Hörvergnügen bereiten. Deswegen arbeite ich auch an Dolby Atmos‘ Versionen ausgewählter Tracks meiner Diskografie für Present. Irgendwo, ganz versteckt, gibt es auch ein ganz neues Projekt, ein Album, schon vollendet, wartend auf den richtigen Moment.

In diesem Monat zeichnest du für den offiziellen FAZEmag-Download-Mix verantwortlich, was dürfen die Hörer*innen erwarten?

Es ist Juni, richtig? Auf geht’s zu den Festivals, an die Seen und in den Urlaub. Reisen mit Musik im Ohr ist definitiv angenehmer als ohne, deswegen werde ich mir Mühe geben, genau dieses Gefühl durch den Mix zu transportieren. Eine bunte Mischung aus dem Alten und dem Neuen und den Erwartungen einer großartigen Zeit – immer mit der Sonne im Rücken.

Aus dem FAZEmag 124/06.2022
Text: Triple P
Credit: Lisa Wassmann
www.instagram.com/redshapeofficial