Einsame Wälder mit meterhohen Bäumen, in Nebel getaucht. Eine lange, verlassene Straße im Niemandsland. Rauch im Hintergrund. Irgendwo immer klein und versteckt eine Person. Umherstreifend, den Kopf meist gesenkt. Bei den Bildern, die man zu ihm findet, erscheint das Wort Melancholie eine ungeahnt künstlerische Bedeutung zu bekommen. Mystisch und verhaltenes Auftreten nach außen, elektrisch angehauchter Popsound mit Tiefgang nach innen. Das ist S O H N. Und dieser veröffentlicht am 4. April sein erstes Album „Tremors“ auf 4AD.
Bei der Flut neuveröffentlichter Musik hat man immer seltener das Gefühl, dass einen Stücke wirklich mitreißen, sie einen in eine nachdenkliche und dennoch glückliche Stimmung führen. Bei S O H N bekommt man genau das geliefert. Doch wer ist dieser Typ überhaupt? Oder kann man S O H N als Band bezeichnen? Als Projekt? Viel ist über ihn nicht bekannt, den Mann, der seit Sommer 2012 unter eben jenem Namen eine immer aufstrebendere Karriere erlebt und bereits Remixe für Laura Mvula, Rhye und Lana Del Rey produzierte. S O H N veröffentlicht keine Details und keinen Namen. Keine Informationen, die sich auf ihn beziehen und von seiner Musik ablenken könnten. „Eigentlich war das am Anfang die Art, meine Privatsphäre zu schützen, um mich und die Menschen voll und ganz auf meine Musik zu fokussieren. Es ist nicht so, dass ich mich verstecken will. Vor allem mit dem Album gebe ich doch so einiges über mich selbst preis. Das Wichtige ist einfach: Ich bin S O H N. Alles andere ist überhaupt nicht wichtig. Mich interessiert das auch nicht bei anderen Musikern. Letztens dachte ich noch über Four Tet nach. Sein Name wird in letzter Zeit ja wieder oft erwähnt. Aber als Zuhörer, der Four Tet echt gerne mag, interessiert es mich nicht, wie sein richtiger Name lautet. Er ist er, that’s it. Ich brauche nicht zu wissen, was er zum Frühstück isst“, erzählt S O H N im Interview mit FAZEmag. „Ich fände es total bescheuert wenn Leute solche Details über mich schreiben. Jeder kennt David Bowies echten Namen oder den Elton Johns. Aber interessiert es jemanden? Nein, das ist David Bowie, das ist Elton John. Selbst wenn jemand mal meinen richtigen Namen erfährt, Glückwunsch, was bringt es ihm dann?“
Als gebürtigen Londoner hat es S O H N vor einiger Zeit in das österreichische Wien verschlagen. Die kalte, verregnete und vor allem sehr hektische Stadt auf der anderen Seite des Ärmelkanals hat er gegen malerische Berge, weite Landschaften und die urösterreichische Gemütlichkeit eingetauscht. Diese prägen nun seinen Tagesablauf – und natürlich auch seine Art, Musik zu machen. „Die Umgebung ändert einen immer. Hier ist viel mehr frische Luft zum Atmen, das macht den Kopf klar und gibt neue Ideen.“
Seine erste EP „The Wheel“ und die kurz darauf veröffentlichte Single „Bloodflows“ wurden von Kritikern viel gelobt. Er spielte zahlreiche ausverkaufte Konzerte, und auch sein erster Auftritt in Deutschland beim Berlin Festival 2013 begeisterte. Jetzt also folgt das Debütalbum „Tremors“ auf 4AD. Mit elf Tracks und der ebenfalls anstehenden Tour will er nun die Menschen erneut in seinen Bann ziehen. „Wir möchten das Publikum dazu bewegen, sich ganz tief in unsere Songs einzufühlen, richtig einzutauchen. So weit, dass sie für einen Moment vergessen, wo sie sind und dass sie überhaupt existieren. Einfach abschalten. Wir möchten sie mit unserer Musik in eine Art Bann ziehen. Dann sind wir glücklich.“ S O H N gibt ohne Frage ein Bild von sich, das durch die Tiefe der Musik und seiner Art, Gedanken und Ziele zu formulieren, auf einen sehr tiefgängigen Menschen schließen lässt. Einem, dem es wirklich am Herzen liegt, Musik nicht für die Masse zu produzieren, sondern für Menschen, die echten Tiefgang wollen. Die sich Platten bewusst anhören und auf eine musikalische Reise geschickt werden möchten. „Das Album ist als großes Musikstück konzipiert. Es macht Sinn, es in Zusammenhang zu hören, jeder Song passt zu dem anderen. Die Musik führt dich durch das Album hindurch.“ Der Titel des Longplayers soll dem Ganzen einen leitenden Charakter geben. „Tremors“, zu Deutsch Zittern oder Beben, beschreibt, worum es in jedem einzelnen Stück eigentlich geht. „Natürlich nicht wörtlich gemeint“, korrigiert S O H N. „Mehr vor dem Hintergrund, dass Gedanken und Erinnerungen verschwinden können, sie aber trotzdem nie weg sind. Irgendwann kommen sie wieder, und du fühlst immer noch diese innerliche Vibration der Erinnerungen von damals. Es geht darum, Gedanken zurückzuholen, die schon lange in dir schlummern.“
Sein Konzept der tiefgründigen und besonders nachdenklichen Musik scheint aufzugehen. Dass das Album nun auf dem traditionsreichen Label 4AD erscheint, ist einerseits einem Zufall geschuldet, andererseits auch dem langjährigen Wunsch des Künstles, dort zu releasen. Als es darum ging, eine Plattform für sein anstehendes Album zu finden, erstellte S O H N eine Liste mit Labels, die er cool fand. Hier stand das Londoner Imprint ganz oben. Anstatt sein Demo in jeden Briefkasten zu stecken, wurde gezielt selektiert. Sich selbst ein wenig rar zu machen und Ansprüche zu stellen, ist natürlich auch eine Art des Marketings. Andererseits ist es auch die Liebe und die Überzeugung, die hier eine Rolle spielt. Der Anspruch, mit seiner Musik nicht irgendwo zu landen, sondern dort, wo man sich am besten aufgehoben sieht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass 4AD als erste und letztendlich auch einzige Station angefragt wurde: „Wenn man nun darüber nachdenkt, war das im Prinzip alles zu einfach: Sie hatten Interesse, wir haben uns getroffen, und dann waren wir dabei.“ 4AD, seit 1987 im Musikgeschäft, ist vor allem wegen seiner Nähe und familiären Basis bekannt. The Guardian beschreibt 4AD als „das Label, das immer noch mit Liebe geführt wird“. Und auch S O H N ist mit der Zusammenarbeit absolut zufrieden: „Du fühlst dich als Teil eines Ganzen, nicht nur als einer von vielen. Es fühlt sich richtig gut an.“ Auch Deutschland fühlt sich für ihn immer wieder gut an. Seit seinem Konzert in Berlin freut sich S O H N, auch endlich wieder hier spielen zu dürfen. „Wir waren total hin und weg. Gleich als wir angefangen haben, war das Publikum voll dabei. Alle Konzerte, die wir in Deutschland spielen, sollen bitte genauso großartig sein.“ Vor allem die Tatsache, dass sein erstes Album hier bereits im Handel ist, wenn er spielt, reizt ihn. „Für uns ist es sehr interessant zu sehen, welches Stück die Gäste am meisten mitzieht, welches sie am liebsten hören möchten und welches vielleicht nicht so.“
S O H N live:
04.04. A-Salzburg, Rockhaus
05.04. A-Dornbirn, Conrad Sohm
08.04. Köln, Gebäude 9
11.04. Hamburg, Uebel & Gefährlich
12.04. Osnabrück, Lagerhalle
13.04. Berlin, Heimathafen
20.04. Frankfurt, Zoom
23.04. A-Wien, Arena
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