Santé – Entwicklung & Sonne

Fünf Jahre nach seinem Debüt-Album „Current“ veröffentlicht der Berliner DJ, Produzent und Label-Inhaber Philipp Maier aka Santé sein zweites Studio-Album. Auf „Current II“ wird die gesamte musikalische Entwicklung deutlich, die Santé in den vergangenen Jahren durchlebt hat. Er widmet sich auf den 13 Stücken einem eher dunkleren Klang und ästhetischeren Sound-Elementen aus den verschiedensten Genres wie Detroit-Techno, Chicago-House, Acid, Jungle, R&B oder Garage. Auch klingt er nun wesentlich analoger als noch im Jahr 2014. Dabei wurde das Werk – am 24. Mai auf AVOTRE erschienen – nicht in einem bestimmten Produktionszeitraum aufgenommen, vielmehr ist „Current II“ ein über die Jahre entstandenes Kooperationsprojekt mit Freunden, Sängern und Produzenten, darunter unter anderem Mathias Kaden, Tian Karl und Joaquin DeKoen. Ein Interview über früher, heute und die portugiesische Küste, die Santé aktuell seine Heimat nennt.

Philipp, Glückwunsch zum zweiten Album!

Vielen Dank, es fühlt sich super an. Ein Album ist immer etwas Besonderes für einen Künstler, da man wesentlich mehr Facetten zeigen und sich in verschiedenen Genres austoben kann. Aber der Druck, der da mitschwingt, wenn es darum geht, ein Album zu veröffentlichen, fühlt sich immer größer an als bei einer Single oder EP. Man steckt wesentlich mehr Zeit und Energie in das gesamte Werk, arbeitet mit vielen verschiedenen Leuten an einer primären Auswahl von Tracks. Verwirft dann meist wieder viel, hört sich das ganze Album mit befreundeten Künstlern und Managern an und selektiert dann eine Endauswahl. Wenn es dann endlich zum Vertrieb geht und der Upload läuft und man anfängt, PR für das Release-Date zu machen, freut es einen schon sehr, das Kunstwerk abgeschlossen zu haben.

„Current II“ ist der Nachfolger deines Debütalbums von 2014. Wie rekapitulierst du die letzten fünf Jahre?

Seit dem ersten Album ist so viel passiert, die Zeit ist wie im Flug vergangen. Dass zwischen den beiden Alben nun bereits fünf Jahre liegen, ist mir auch erst aufgefallen, als wir das Album-Artwork fertig gemacht haben. Nach Veröffentlichung des ersten Albums hatte ich meine erste große Ibiza-Residency bei Steve Lawlers „Warriors“. Im Jahr darauf haben wir dann unsere eigene Residency mit DO NOT SLEEP geschaffen. Beide Reihen sind ja britisch angehaucht. Und da beide Inseln, Ibiza und UK, eine Art Spotlight für Booking-Agents weltweit sind, führte das zu einem megavollen Booking-Kalender. Vor allem Südamerika und die USA haben sich für mich zu interessanten Märkten entwickelt. Besonders freut es mich, dass in den letzten Jahren Argentinien zu einem Land geworden ist, in dem ich immer häufiger spiele.

Du hattest in Buenos Aires sogar eigene Label-Nächte, korrekt?

Ja, das war der Wahnsinn. Ausverkaufte Clubs wie das Crobar und The Bow. Auch in anderen Städten wie in Cordoba und Rosaria lief es super, da hat sich eine richtige Fangemeinde aufgebaut. Und da die Fliegerei dann doch immer ganz schön an die Substanz geht bei solchen Langstrecken-Flügen, bleibt die Studio-Zeit meist auf der Strecke. Da ist die Produktion von Singles und kleineren Sachen schon wesentlich einfacher und überschaubarer. Umso glücklicher bin ich, dass es nun doch geklappt hat.

Wie hat sich dein Sound deiner Meinung nach seit 2014 verändert bzw. entwickelt?

Ich glaube ehrlich gesagt, dass mich in den letzten Jahren die Musik, für die ich ja selbst ein großer Vorreiter war, immer weniger inspiriert hat und ich immer weniger Freude daran fand, immer dieselben Schablonen zu spielen und zu produzieren. Tech-House ist meiner Meinung nach inzwischen leider nicht mehr das, wofür es ursprünglich einmal stand – eine freshe Mischung aus den beiden elementarsten Genres unserer Szene, House und Techno. Seit Ende 2017 spiele ich persönlich wesentlich mehr stripped-back Sound. Alles klingt wieder roher, reduzierter. Weg von den großen Breaks mit Trommelwirbel. Ich habe angefangen, Edits von klassischen House-Tracks wie von Kerri Chandler und Inner City zu machen. Auch Vinyl ist für mich wieder ein großes Thema geworden. Entweder spiele ich die Platten so oder ich digitalisiere sie, wenn es auf Reisen geht. Somit hat man auch wieder etwas exklusivere Stücke in seinen Sets, die nicht unbedingt mit einem Klick bei Beatport erhältlich sind. Im gleichen Zug habe ich angefangen, über ein neues Album-Konzept nachzudenken, das es mir ermöglicht, mich musikalisch auch neu zu positionieren.

Das tust du mit Styles wie Detroit-Techno, Chicago-House, Acid, Jungle, R&B und Garage. Lass uns zurück in deine Jugend gehen: Was bzw. wer hat dich damals inspiriert?

Meine ersten musikalischen Erfahrungen sammelte ich damals mit meinem guten Freund Heiko, der mich in seinem Plattenladen in Ulm zur elektronischen Musik brachte. Nun schließt sich der Kreis und wir haben auf dem Album einen gemeinsamen Track namens „Enemy“ feat. Iko Mowsa. Danach war für mich wie für viele andere in dieser Zeit Daft Punk ein riesiger Einfluss. Von Daft Punks Umgang mit Samples war ich so fasziniert, dass ich meinen ersten AKAI MPC 2000 kaufte und Tag und Nacht damit experimentierte. Anschließend habe ich dann angefangen, mehr Equipment und meine erste Studio-Einrichtung zu kaufen. Das war alles um 2000 herum, sodass gleichermaßen große Einflüsse aus Detroit, Chicago und dem Acid-Genre bei mir hängengeblieben sind. An vieles von damals habe ich mich nun auch bei der Produktion des neuen Albums erinnert und das entsprechend einfließen lassen.

Wie lange hast du am Album gearbeitet?

Ich glaube, das waren jetzt dann doch fast 18 Monate. Ich habe die Chance genutzt und mich in den letzten Monaten, sobald ich mal eine Woche zwischen dem Touring hatte, mit Freunden oder allein im Studio eingeschlossen und versucht, die Zeit produktiv zu nutzen. In Melbourne habe ich zum Beispiel mit Damon Trueitt gearbeitet, der auf dem Track „Emotional Closure“ zu hören ist – auch wenn er nicht genannt ist. (lacht) In NYC war ich eine Woche im Studio und habe viele meiner Inspirationen von dort in Musik umgewandelt. Mit Joaquin DeKoen habe ich in Argentinien ein paar Tage gesessen und den Vocal-Track mit Damon zu Ende produziert. Bei meinem letzten Aufenthalt in Los Angeles, der ein paar Wochen dauerte, habe ich mit meinem guten Freund Stickle den Track „Lost Sould“ geschrieben und aufgenommen. Auch in London habe ich mit Freunden gearbeitet. Und natürlich in Lissabon, meiner neuen Heimat. Dort habe ich eigentlich den Großteil gemacht. Die Live-Aufnahmen vom Piano und den ganzen analogen Synths habe ich in Berlin in den Riverside Studios aufgenommen.

Ein guter Mix aus der gesamten Welt …

In der Tat. Sehr viele verschiedene Erfahrungen, Eindrücke und Emotionen. Ich bin sehr glücklich über die Tatsache, auf so vielen Kontinenten Inspiration für meine Arbeit zu bekommen.

Du hast neben den bereits genannten Personen auch mit Mathias Kaden und weiteren Künstlern gearbeitet.

Ja, mit dem Großteil von ihnen wollte ich schon seit Jahren mal etwas machen. Es sind alles Leute, die ich seit Ewigkeiten kenne und mit denen ich immer wieder connectet war. Sei es durch gemeinsames Touren oder noch durch Kindheits-Erfahrungen wie bei Heiko aus dem Plattenladen in Ulm. Nun hat es endlich geklappt und man kann sagen, dass das Album ein gutes Stück Gemeinschaftsarbeit war.

Lass uns über deine Arbeit im Studio sprechen. Wie hat sich diese seit dem letzten Album verändert?

Da ich in Berlin kein Studio mehr hatte, fing ich in den letzten Jahren damit an, Ideen unterwegs bzw. am Wochenende im Flieger oder am Flughafen zu sammeln. Meist kommen da ganz gute Inspirationen, wenn man nach einem geilen Abend in den Flieger steigt oder ins Hotel-Zimmer kommt und die Crowd gut abging. Bevor man dann straight ins Bett geht, bastelt man halt noch eine Weile an einer Bassline oder einem Beat. Auch lasse ich mich immer gerne von anderen DJs am Abend beeinflussen. Oder vom Radio in den verschiedenen Ländern oder dem Mixtape, das der Promoter im Auto laufen hat. (lacht) Das Fehlen eines festen Arbeitsplatzes hatte den wunderschönen Vorteil, dass ich mich unterwegs immer wieder für ein paar Tage irgendwo eingenistet habe und verschiedenste Einflüsse aus aller Welt hier zum Tragen kommen konnten.

Welche Tools aus den Bereichen Soft- und Hardware favorisierst du?

Auf dem Album habe ich mit den klassischen „Instrumenten“ der House- und Techno-Musik gearbeitet, um dem Ganzen einen authentischeren Sound zu verleihen. Somit hört man eine Menge 909, 303 und 106. All diese tollen Spielzeuge standen im Riverside in Berlin und ich durfte sie nutzen. Dazu habe ich viele weitere Sachen eingespielt, beispielsweise mit einem Klavier oder verschiedenen Neumann-Mikrofonen, und danach alles in Ableton bearbeitet. Das klingt letzten Endes in meinen Augen wesentlich wärmer, als wenn man alles nur aus der Software herausquetscht.

Das Album erscheint auf deinem eigenen Label AVOTRE. Wie verändert bzw. entwickelt sich das Label mit deinem neuen Sound?

Nach all den Jahren als Vorreiter des „neuen“ UK-Sounds habe ich mich letztes Jahr entschlossen, etwas Neues passieren zu lassen. Der immer gleiche Trommelwirbel mit anschließendem XXL-Break ist einfach langweilig geworden. Deswegen habe ich nicht nur meinen Sound, sondern auch den des Labels ein wenig umgestellt. Es ist jetzt wieder minimaler, roher und auch grooviger geworden. AVOTRE ist in dem Sinne wieder ein wenig experimenteller geworden, auch wenn wir dem House-Sound natürlich treu bleiben.

Du bist vor einiger Zeit nach Portugal ausgewandert. Was hat dich dazu bewegt?

Nach 15 Jahren in Berlin und den vielen Reisen, bei denen ich andere Länder und Kulturen entdecken durfte, war es für mich an der Zeit, was anderes auszuprobieren. Ich dachte an eine kleine Veränderung: Sonne, Strand und Surfen könnten eine tolle neue Lebenserfahrung sein. Und so ist es.

Erzähl uns mehr über diese Passion.

Ich muss sagen, das Surfen ist wie eine Art Meditation für mich. Ich fing damals als Jugendlicher mit Skateboarden an, dann kam ich im Winter zum Snowboarden und als dann ein Freund von uns ein Surfcamp in Peniche in Portugal aufgemacht hat und ich bei ihm das Surfen gelernt habe, war ich völlig hin und weg von dem Feeling. Es ist ein super Ausgleich zum hektischen Alltag unterwegs. Beim Surfen gibt es keine Ablenkung, kein Internet, keine Social Media, Messages, Likes, Emoticons und so weiter. Nur die Welle und du und an manchen Tagen, wenn die Wellen richtig hoch sind, muss man sich echt konzentrieren, um wieder heil aus dem Wasser raus zu kommen.

Das klingt in der Tat sehr schön. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr DJs aus Berlin wegziehen. Was sind deiner Meinung nach die Beweggründe dafür?

Ich kann da nur für mich sprechen, aber ich finde, Berlin hat in den letzten Jahren viel von seinem ursprünglichen Charme verloren. Das Clubsterben, die surrealen Mietpreiserhöhungen und der damit verbundene Platzmangel für kreativen Raum sorgen dafür, dass Kunst, wie ich sie schätze, immer weiter ausstirbt. Allein das Mieten eines Studios wird in Berlin dieser Tage zu einem Albtraum. Alles in allem ist Berlin immer unentspannter geworden. Und wenn man dann noch alle paar Tage fliegen muss, ist diese Stadt sowieso aktuell nicht der beste Spot mit der Flughafen-Situation vor Ort.

Wie sieht ein normaler Tag bei dir in deiner neuen Wahlheimat Portugal aus?

Ein perfekter Tag beginnt für mich mit Kaffee am Morgen gegen 8:00 Uhr. Glaubt mir niemand, aber so ist es wirklich. (lacht) Dann die Wellen und den Wetterbericht für den Tag checken. Anschließend schnappe ich mir das Board und ab geht’s ins Wasser für die erste Runde am Morgen. Dann komme ich meist gegen halb zwölf wieder nach Hause, frühstücke etwas und setze mich an den Rechner – entweder für E-Mails, Label-Angelegenheiten oder für Management-Sachen. Dann versuche ich ein wenig Musik zu machen oder arbeite wie momentan an Interviews rund um ein Release. Wenn das Wetter gut ist, versuche ich oft noch eine Nachmittags-Session im Meer hinzubekommen. Dann lasse ich den Tag ausklingen mit Dinner oder einem Drink mit unseren Freunden hier.

Was gefällt dir am Land besonders gut, was stört dich?

Bis jetzt finde ich alles top, muss ich sagen. Ich hatte befürchtet, dass es nach der „Sechs Monate Honeymoon“-Phase anfängt, ein wenig zu nerven, weil vieles hier doch sehr langsam vorangeht wie zum Beispiel Besuche beim Amt, Internet und Telefon ins Haus legen lassen und vieles mehr. Aber ich muss sagen, man gewöhnt sich dann doch irgendwie daran und das kleine Land am Ende Europas gewinnt an Charme. Das Einzige, was manchmal als DJ sehr anstrengend ist, ist die Tatsache, dass rund die Hälfte aller Flüge oder mehr aus oder nach Portugal Verspätung hat. So sitze ich fast jedes Wochenende ein paar Stunden länger als gewollt irgendwo fest. Aber dann hat das Surfen am nächsten Tag so einen Erholungswert, dass man die Strapazen vom Wochenende sofort hinter sich lässt.

Der Umzug war sicherlich ein großer Schritt. Wo siehst du dich denn in fünf bis zehn Jahren?

Ja, das war es. Momentan genieße ich die Freiheit, zwischen verschiedenen Orten pendeln zu können, sehr. Da meine Frau auch Künstlerin ist, sind wir da sehr flexibel, was die Wahl des Wohnortes angeht. Im Januar haben wir sechs Wochen in L.A. verbracht und generell wäre diese Lösung wohl mein großer Traum – Portugal und Los Angeles. Dazwischen noch ein paar Wochen in Buenos Aires und ein paar Wochen im Jahr an den besten Surfspots der Welt.

Was steht in den kommenden Wochen bei dir und beim Label auf dem Plan? Wird es Remixe bzw. Single-Auskopplungen von den Album-Tracks geben?

Ich freue mich besonders, dass wir in den nächsten Wochen eine EP von Rich NXT auf AVOTRE herausbringen. Dann haben wir noch EPs von Dimmish und Daniel Stefanik gesignt und natürlich wird es zwei Remix-Auskopplungen von meinem Album geben. Jetzt schon bestätigt sind Remixe von Seb Zito, Dimmish & Cuartero und wir arbeiten noch an einigen anderen Namen.

Was steht in diesem Sommer auf deiner Agenda ganz weit oben? Erzähl uns mehr über Südamerika, Ibiza und Co.  

Ich bin dieses Jahr zum ersten Mal gar nicht so sehr mit Ibiza verbandelt. Ich habe keine volle Residency und da ich mich musikalisch auch weiterentwickelt habe, passen die meisten Events dort dieses Jahr nicht mehr so richtig zu dem, wo ich mich musikalisch sehe. Ich habe ein paar Shows im neuen Sankeys, das jetzt Octagon heißt, mit Unusual Suspects und ein paar Dates im Amnesia mit Abode und Amnesia selbst. Aber ansonsten konzentriere ich mich darauf, ein paar größere Touren in Ländern zu machen, die gerade für mich abgehen, wie beispielsweise Kolumbien, Australien, Argentinien und die USA. Ich komme gerade von einer 14-tägigen Australien- und Neuseeland-Tour wieder und im Juli bin ich zurück in Argentinien mit einer Sechs-Stopp-Tour über zwei Wochenenden. Es wird im August meine erste größere Kolumbien-Tour geben, auf die ich mich total freue, und auch zwei Wochenenden in den USA mit großen Festival-Dates.

 

Aus dem FAZEmag 089/07.2019
Text: Triple P
Foto: Jonny Wilson