Timo Maas – Im Hier und Jetzt

Timo Maas – Im Hier und Jetzt Foto: Noa Grayevski

Zwei Worte definieren die seit nunmehr über vier Jahrzehnte anhaltende Karriere von Timo Maas seiner Ansicht nach am besten: Reputation und Relevanz. Erste hat er sich zweifelsohne im Laufe der 40 Jahre mit unzähligen dieser waschechten Hits inklusive zweier Grammy-Nominierungen aufgebaut. Er bespielte dabei die größten und renommiertesten Festivals bis hin zu den intimsten und kleinsten Clubs und wohl alle relevanten Spots auf diesem Globus. Tomorrowland bis Kazantip, von Creamfields bis Coachella. In den goldenen Jahren der Circoloco-Reihe im DC10 auf Ibiza war er 17 Jahre lang Resident, was beweist, dass er der Zeit quasi immer einen Schritt voraus war. Die Rezeptur, die Maas dabei verwendet, um die dafür notwendige Relevanz immer wieder aufs Neue zu erzielen, verfeinert der Niedersachse dabei pausenlos. Dabei überschreitet der DJ, Produzent und Label-Manager in regelmäßigen Abständen seine eigenen Grenzen und lotet neue, bis dato unbekannte Felder aus. Wie sonst schafft es ein einzelner Mann es, mit knapp über 50 Jahren Kollaborationen mit Künstler*innen wie Depeche Mode, Madonna, Placebo, Paul McCartney und Co. vorzuweisen? Auch der Parameter Fleiß spielt dabei eine ungemeine Rolle. Mitte April feierte Maas mit einem Remix einer afro-peruanischen Band sein Debüt auf dem berühmt-berüchtigten US-Label Nervous Records. Nur zwei Wochen später ist mit „Die Zeit“ eine Kollaboration mit Marc Romboy auf dessen Label Systematic erschienen, weiteres Material der beiden Wizzards ist in der Pipeline. Wir haben ihn zum Interview gebeten.

Timo, dass du eine Legende in deinem Metier bist, ist unbestritten. Dennoch schaffst du es, in all den Jahren immer relevant zu bleiben. Wie würdest du Timo Maas im Jahr 2023 beschreiben?

Auf jeden Fall als sehr reflektiert. Ich bin seit geraumer Zeit dabei, offen und ehrlich den Spiegel in die Hand zu nehmen und nicht nur mich, sondern die gesamte elektronische Szene im Allgemeinen zu reflektieren. Der elektronische Kosmos hat ja schon vor rund zehn bis 15 Jahren gedacht, er könnte nicht größer werden. Und siehe da, wir wurden alle eines Besseren belehrt. Mir ist es sehr wichtig, mich immer wieder neu zu erfinden und dabei nicht nur für mich selbst, sondern auch für das Publikum dort draußen möglichst den aktuellen Zeitgeist zu treffen. Ohne sich dabei zu verbiegen.

Zwei Parameter sind dir dabei besonders wichtig, stimmt’s?

Korrekt. Ich verwende dafür immer wieder gerne die für mich zwei berühmten R – Reputation und Relevanz. Erstere habe ich mir im Laufe der Zeit meiner Meinung nach erarbeitet mit all den verschiedenen Projekten, die ich in meiner Laufbahn gemacht habe (lacht). Es ist dabei jedoch immens wichtig, sich nicht auf Erfolgen oder Lobeshymnen von gestern auszuruhen oder anzunehmen, dass diese morgen noch einen sonderlich großen Stellenwert haben. Womit wir auch schon bei der Relevanz wären. Die Szene und der Markt entwickeln sich rasant weiter, wie wir Jahr für Jahr, Saison für Saison feststellen können. Das beste Beispiel dafür liefert die Corona-Pandemie – es ist ja mitnichten so, dass jemand auf Pause gedrückt hat und es anschließend dort weiterging, wo es im Frühjahr 2020 aufgehört hat. Stattdessen hat sich auch ohne Festivals und Clubs der Trend stark zu höheren BPM gewendet. So sehr, dass das Thema schon einer wahren Jugendbewegung gleicht. Das sehe ich immer wieder auch bei meiner Tochter und der Musik, die in den Clubs läuft, die sie regelmäßig besucht. Ich bin gespannt, in welchem Tempo dieses Thema durch Kanäle wie Social Media wieder abnimmt, was ja naturgemäß mit jedem Trend früher oder später passiert.

Kommt dir der aktuelle Sound nicht irgendwie bekannt vor?

Absolut. Ich habe vor ein paar Wochen mal ältere Mixtapes aus den 90ern herausgekramt, und bis auf die Soundqualität könnte man diese als aktuelle Podcasts veröffentlichen und die Hörer*innen würden es feiern, ohne dabei den Unterschied festzustellen. Genauso wie in der Mode kehren Trends in gewissen Abständen immer wieder zurück, das ist unbestritten.

Du bist seit über vier Jahrzehnten dabei und hast in dieser Zeit nahezu alles erlebt: die Entstehung unserer Szene, die Digitalisierung, sämtliche Trends, kleine, intime Clubs bis hin zu den größten Festivals, eine Pandemie sowie zwei Grammy-Nominierungen. Was ist deiner Meinung nach der Schlüssel, um über solch einen Zeitraum relevant zu bleiben, was du zweifelsohne immer wieder schaffst?

Genau das ist es, was mich abends unruhig ins Bett gehen lässt und Tag für Tag aufs Neue motiviert. Selbst zu absoluten Peaks, wo ich mich wie der größte Superstar hätte fühlen können, war ich immer davon getrieben, weiter am Ball zu bleiben und im Mikrokosmos der elektronischen Musik mit etwas Überraschendem um die Ecke zu kommen und damit meine Relevanz zu bestätigen. Warum genau sollte die heutige Generation daran interessiert sein, dass ich vor 20 Jahren mal ziemlich erfolgreich war? Es gibt dafür keinerlei Gründe, genau deshalb sollte man sich als Künstler*in zu keinem Zeitpunkt „angekommen“ fühlen. Ich hätte mich locker auf den glorreichen Zeiten mit Martin Buttrich ausruhen können und mit ihm gemeinsam dasselbe Schema F bis ins Rentenalter wiederholen können. Aber dafür sind wir beide nicht die Typen, es geht immer wieder um den neuen Reiz. Selbstverständlich birgt das auch eine Menge Gefahren und weniger rosige Zeiten. Aber auch das gehört dazu. Ein sehr weiser Kollege hat mal den treffenden Spruch geäußert: „Einen wahren Künstler erkennt man daran, dass er ständig an sich zweifelt.“ Ich persönlich liebe diese tägliche Herausforderung und dabei neue Felder zu erkunden. Teils auch in Ecken, in die ich mich vielleicht noch nicht bewegt habe.

In einem kürzlich erschienen Interview stellst du für dich fest, die Szene unterteile sich heutzutage nicht nur in „Artists“, sondern auch in „Performer“. Kannst du das etwas näher beschreiben?

Es klingt natürlich immer nach einer großen Portion Nostalgie, wenn man nach all den Jahren von „früher“ spricht, und ich bin absoluter Befürworter dessen, dass unsere Szene auch in gesellschaftlichen Themen eine Vorreiterrolle einnimmt. Politik und soziale Themen haben die Geburtsstunde von House und Techno ja maßgeblich beeinflusst. Dennoch stimmt es mich immer häufiger nachdenklich, wenn Promoter und Festivals ihre Line-ups nicht mehr nach Qualität und musikalischem Programm ausrichten, sondern rein ausschließlich nach Geschlecht, Anzahl der Social-Media-Follower*innen und den buntesten Kostümen, die man im besten Fall ein paar Tage vorher noch in einem weiß gekachelten Berliner Raum einen Livestream hat abhalten sehen. Ich persönlich gehe auf ein Konzert, weil ich die Band und ihre Songs toll finde. Diesen Ansatz würde ich mir auch in unserer Szene wünschen, statt vermeintlichen Influencer*innen mit meinem Handy und einer Powerbank hinterherzureisen, um die 100. Instagram-Story zu kreieren. Genau das meine ich mit dem Unterschied zwischen Künstlern und Performern. Kunst und vor allem gute Kunst – und in unserem Metier ist das nun einmal die Musik – sollte niemals durch andere Parameter, wie Outfit, Geschlecht und Social-Media-Auftritt, verwässert werden.

Deiner Kunst verleihst du recht oft Ausdruck. Im letzten Jahr hast du zahlreiche Remixe abgeliefert, in 2023 steht erneut viel Output bevor.

In der Tat. Ich arbeite gerade recht intensiv mit einigen Leuten zusammen, darunter Francesco Mami aus Italien, und auch sehr viel mit Marc Romboy. Marc und ich haben beide sehr ähnliche Karrieren, ähnliche Erfahrungen und verstehen uns sehr gut. Wir ergänzen uns extrem gut mit der Tatsache, dass Marc eher der geradlinige Typ ist, während ich eher der Punk bin. Wir sind extrem kreativ zusammen und mit den ersten Ergebnissen sehr zufrieden. Wir unterhalten uns immer offen, vollkommen selbstkritisch und immer mit einer wertvollen Meinung gegenüber den Ideen des anderen. Sowohl mit ihm als auch mit Francesco kommen mir sehr ungewöhnliche Ansätze. Während Marc und ich aus der gleichen Generation stammen, ist Francesco mit Mitte 30 ungefähr zwei Generationen jünger. Ich mag seine abstrakte Art zu denken und zu produzieren. Mit ihm ist der Remix zum Stück von Novalima aus Peru entstanden, der Mitte April auf dem legendären Label Nervous Records erschienen ist.

Zu Peru hast du sowieso eine besondere Beziehung, deine Frau stammt von dort.

Stimmt, ja. Während der Pandemie hat sie mir an einem Abend Musik aus ihrer Heimat gezeigt. Novalima ist dort eine unglaublich erfolgreiche Band, die schon für einen Latin Grammy nominiert wurde und mir bis dato absolut unbekannt war. Bei „Beto Kele“ war ich sofort fasziniert vom Vibe und den Vocals und hatte direkt Ideen, wie ich das alles neu interpretieren könnte. Ich habe die Band dann kontaktiert und sie nach den Parts gefragt, ohne ihnen zu sagen, dass ich einen Remix machen möchte. Zwei oder drei Tage später hatte ich sie, im letzten Jahr bin ich das Projekt dann mit Francesco angegangen. Es war mir wichtig, den Künstler nicht vorher zu informieren, um zu vermeiden, eine Art Druck oder auch eine Erwartungshaltung zu erzeugen. Genauso ist damals auch der Remix zu Paul McCartney mit James Teej entstanden. Ich hatte damals die Parts, und nach sieben Jahren, nach einer improvisierten Jam-Session, waren wir plötzlich für einen Grammy nominiert. Bei Novalima habe ich Anfang des Jahres die Band über meine Idee informiert und sie fanden den Remix super. Andrew von Nervous hat sich ungefähr eine Stunde nach meiner Mail gemeldet und wollte die Single signen.

Glückwunsch zu deinem Debüt auf Nervous. Auch in Sachen Shows stand Ende letzten Jahres ein Debüt an, das nun zu einer Art Regelmäßigkeit werden könnte, stimmt’s?

Marc Romboy und ich hatten letztes Jahr im Dezember eine grandiose Zeit in der „Nacht“ in Mönchengladbach, einem meiner Lieblingsclubs in Deutschland. 120 Leute, ein super Vibe. Wir kennen uns natürlich beide schon sehr lange, hatten aber bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammen gespielt. Das Ende vom Lied war ein gemeinsames Set von über fünfeinhalb Stunden, bei dem wir sehr viel Spaß hatten. Normalerweise bin ich beim Auflegen recht egoistisch. Bei diesem Set habe ich aber realisiert, wie schön es sein kann, ein Set gemeinsam zu kreieren. Ende April ist mit „Die Zeit“ eine gemeinsame EP von uns auf seinem Label Systematic erschienen, Mitte Mai kommt mit „Yume No Yoma“ eine weitere EP auf Dskonnect heraus und im Sommer stehen einige Shows zusammen an, darauf freue ich mich sehr. Wir planen auch, ein Live-Element in die Sets einzubauen, das Beste aus beiden Welten quasi.

Was steht für den Rest des Jahres außerdem auf dem Plan?

Für Juni steht auf Analytic Records ein Remix für Terry Francis aus UK an, sowie ein gemeinsamer Remix von mir und Francesco Mami zu einer weiteren Single von Novalima. In diesem Fall heißt der Track „La Danza“ und ich bin sehr gespannt auf das Feedback. Auf Ibiza Global Radio und Ibiza Global Radio UAE habe ich eine monatliche Radioshow, so ganz lässt mich diese Insel also wohl niemals los (lacht).

Aus dem FAZEmag 135/05.2023
Text: Triple P
Foto: Noa Grayevski
www.instagram.com/timo.maas