TSHA – Wahrhaftig

TSHA – Wahrhaftig / Foto: Nicole Ngai

Dieser Tage zählt Teisha Matthews aka TSHA zweifelsfrei zu den spannendsten Akteur*innen unserer Szene. Sie ist auf jedem nahezu renommiertem Line-up zu lesen, ziert die wichtigsten Gazetten und verbringt wohl aktuell mehr Zeit im Flieger als im eigenen Bett. In den vergangenen Wochen und Monaten avancierte die Londonerin zu einem der gefragtesten Headliner und überzeugt im Wochentakt mit ihrem versierten Stilmix zwischen House und Techno. Am 7. Oktober erscheint mit „Capricorn Sun“ ihr Debütalbum auf Ninja Tune. Dabei gleicht das Werk mit seinen zwölf Titeln einer Art Statement, wo sie als Künstlerin und Produzentin aktuell steht, als auch einer Reflexion über sie als Mensch mit all ihren Herausforderungen und Problemen.

Denn genauso schnell wie sich Matthews Erfolg einstellte, sie vor zehntausenden Menschen in den legendärsten Venues wie dem Red Rocks Amphitheatre in Colorado oder beim diesjährigen Glastonbury spielte, genauso rasant kamen Thematiken wie Selbstzweifel, Druck und weitere mentale Hürden auf die junge Britin zu – oftmals gefördert durch Hasskommentare im Netz. Mit diesen Topics geht sie auf ihren sozialen Kanälen beeindruckend offen und transparent um, ziert sich nicht, es offenzulegen, wenn es ihr schlecht geht und mitunter auch eine Show dadurch abgesagt oder gecancelt werden muss.

Umso persönlicher und emotionaler ist das Ergebnis des Albums geworden, an dem sie rund zwei Jahre gearbeitet hat. Zu hören gibt es eine Mixtur aus Underground-Elektronik und intelligenter Pop-Sensibilität mit verschiedensten Vibes und Emotionen. Die Verbindung zu elektronischer Musik entwickelte Matthews bereits im Kindesalter in ihrer Heimat Fareham – einer kleinen Stadt außerhalb von Portsmouth – durch die Plattensammlung ihres musikbesessenen Bruders Colton. Generell ging es in der Familie oft um Musik, erinnert sie sich: „Meine Mutter liebt Skrillex, mein Bruder liebte alles zwischen Garage und Jungle und legte in London und Umgebung auf“, erzählte sie dem DJ Mag UK kürzlich: „Seine Decks waren im Wohnzimmer und ich habe quasi stundenlang getanzt“, erinnert sie sich. „Ich stand immer wieder daneben, stellte Fragen und schaute in die Plattenbox und zog Platten heraus.“ Kurze Zeit später folgte der erste eigene Computer: „Ich fing an, alles über die Szene in Chicago zu erfahren, über die Art von Menschen, die an House-Musik beteiligt waren – queere Menschen, Schwarze, Latinos. Es fühlte sich wie ein Safe-Room an, und so verliebte ich mich in diese Musik.“

Sie war gerade erst 16 Jahre alt, während alle in ihrem Umfeld eher ein Fable für R&B und Hip-Hop hatten: „Sie hörten Beyoncé und Sean Paul, die Standard-Sachen eben. Aber wegen meiner Familie, glaube ich, dass ich die Einzige war, die ein Verständnis für Tanzmusik und ihre Kultur hatte.“ Sie besuchte die University of East London und schrieb sich bei „Dance: Urban Practice“ ein. Im Rahmen des Kurses studierte sie ein Modul in House-Musik und Tanz. Es folgten Auftritte als mobiler DJ bei Hochzeiten und Co., bei dem sie von Boxen, DJ-Equipment bis hin zu Licht alles auf einem Trolley mitbrachte. Nach einer Art magischem Moment bei einem Konzert von Bonobo im Jahr 2017 in der Brixton Academy in London folgte 2018 mit „Dawn“ dann ihre Debüt-EP, die den Weg zu ihrem heutigen Erfolg ebnete.

Auf dem nun erscheinenden Werk kollaborierte Matthews mit einigen Künstler*innen, darunter ihrem Partner Mafro bei der Leadsingle „Giving Up“. Auf „Anxious Mind“ sowie „Dancing In The Shadows“ ist die Sängering Clementine Douglas zu hören: „Obwohl meine Songs normalerweise sehr fröhlich und positiv klingen, ist ,Anxious Mind‘ etwas düsterer, was mich vielleicht mehr repräsentiert als der Rest meiner Sachen“, erzählt TSHA. „Auf ,OnlyL‘ habe ich mit NIMMO aka Sarah Nimmo und Reva Gauntlett gearbeitet.“ „Sister“ schrieb sie inmitten des Lockdowns, als sie über ihren Vater, den sie fast ihr ganzes Leben nicht gesehen hatte, herausgefunden hatte, dass sie eine ältere Halbschwester hat: „Ich bin sehr glücklich, ein neues Mitglied meiner Familie zu haben, da ich in meinem Leben nicht viel davon hatte. Der Song ist ein Ausdruck all dieser Gefühle.“

Da sie selbst Steinbock vom Sternzeichen ist, habe sie sich zunächst von den Geschichten der antiken griechischen Mythologie angezogen gefühlt, die von einem Wesen mit dem Körper einer Ziege und dem Schwanz eines Fisches erzählen, was auf die duale Natur des Sternzeichens und die Idee anspielt, dass eine Persönlichkeit zwei verschiedene Seiten hat: „Ich identifiziere mich gerne mit einigen der positiven Eigenschaften eines Steinbocks: der Härte und der Arbeitsmoral. Aber auch der Sensibilität“, erklärt TSHA. „Der Name des Albums, ‚Capricorn Sun‘, war ein guter Weg, um zu sagen ‚Das bin ich‘.“

Aus dem FAZEmag 128/10.2022
Text: Triple P
Foto: Nicole Ngai
www.instagram.com/tshamusic