Yann Tiersen – Jedes Mal ein neues Abenteuer

Der in der Bretagne geborene und lebende Yann Tiersen ist schon seit seiner Kindheit musikalisch aktiv. Mit vier Jahren lernte er Klavier, mit sechs Geige. Und mit 13 kaufte er sich seinen ersten Synthesizer. Mitte der 90er-Jahre veröffentlichte der nun 51-Jährige sein erstes Album. Bekannt in Deutschland wurde er auch durch seinen Soundtrack für den Kinofilm „Goodbye, Lenin!“. „11 5 18 2 5 18“ – hinter dieser Zahlenfolge versteckt sich keine Zahlenkombination für einen Tresor oder die französischen Lottozahlen. Es ist der Titel des neuen Albums von Yann Tiersen, das eine innige Beziehung zu seinem nicht einmal ein Jahr alten Vorgänger „Kerber“ hat. Das war noch nicht veröffentlicht, da saß der französische Multiintrumentalist und Analog-Gear-Liebhaber schon am neuen Werk. Schuld daran war die Superbooth, wie er uns im Interview erzählt.

Kannst du uns erklären, wofür die Zahlen stehen?

Das ist wirklich einfach. Das Album ist im Grunde genommen meine Arbeit an einer Live-Version meines Albums „Kerber“ für die Superbooth im letzten Jahr. Anstatt dort das Album zu spielen, habe ich einfach alles gesampelt, was mir wichtig erschien – das waren dann neue Songs, die auf dem „Kerber“-Material basierten. Aber es hat nicht mehr viel mit dem Originalmaterial zu tun, nur, dass es die gleiche Quelle ist. Da das Ganze stark auf Granular-Synthesizern und digitaler Klangmanipulation beruht, habe ich versucht, die früheren Titel in Zahlen zu übersetzen, die einem bestimmten Code folgen. Wenn man so will, war das genau derselbe Prozess, den ich musikalisch gemacht habe.

Als das neue Album im Kasten war und die Superbooth vorbei – woran hast du dann gearbeitet?

Remixe. Ich habe einen Remix zum 50. Geburtstag des ersten NEU!-Albums und eine Reihe anderer Remixe gemacht. Außerdem wurde ich gebeten, eine neue Maschine zu testen, den Elektron Syntakt. Ich arbeite also hauptsächlich: Sampling, bearbeite Sounds – und machte weitere Remixe. Die letzten, die ich gemacht habe, sind superlang. Insgesamt 40 Minuten oder so, fast ein Album (lacht).

Erzähl uns von deinem Studio, das sich ja auf Ouessant befindet, einer bretonischen Insel.

Ich lebe seit 2003 auf der Insel, seit mehr als zehn Jahren auch ausschließlich. Ich wollte schon immer einen passenden Ort finden, an dem ich mein Studio aufbauen kann. Schließlich fand ich diese alte Diskothek, die zum Verkauf stand – eine Ruine, aber ein sehr wertvoller und früher wichtiger Ort. Also habe ich sie gekauft und etwa drei Jahre gebraucht, um sie umzubauen. Jetzt ist sie fast fertig und es gibt mehrere Studios mit großartigem analogen Equipment und modularen Synthesizern, aber auch einen Konzertraum. Erst kürzlich haben meine Frau Émelie und ich ein Modular-Wochenende mit ein paar Gleichgesinnten und Synthesizer-Freaks aus der ganzen Welt veranstaltet. Das war wirklich großartig.

Wie hat die Bretagne als deine Heimat dich und deine Musik geprägt?

Ich weiß es nicht, ich bin hier geboren … es ist ein keltisches Land, wir sprechen bretonisch. Wichtig für mich und meine Frau ist auch die Musikkultur hier, es gab schon immer eine starke, lebendige und dynamische Szene, viele gute Veranstaltungsorte und Gigs, als ich jung war. Und das ist immer noch so.

Welches Equipment hast für die Produktion von „11 5 18 2 5 18“ verwendet?

Keine Software. Ich habe nicht mit einem Computer gearbeitet. Ein Elektron Octatrack ist wichtig, Midi-Track-Progamming, vier Stimmen auf meinem Modular-Setup, eine 303, Granular-Zeug und eine Drummachine. Das ist wirklich ein ziemlich kleines Setup – und ein DJ-Mixer ist auch noch superwichtig. Ich benutze das Model 1 von Ritchie Hawtin, das Album kommt im Grunde als Zwei-Spur-Stereosignal direkt aus dem Mixer und wird auf Band aufgenommen.

Wie und wo bist du aufgewachsen, welche Beziehung hattest du als Kind zur Musik und wie bist du mit elektronischer Musik und analogen Synthesizern in Berührung gekommen?

Meine erste wichtige Platte war von OMD. Und ich habe mir schon mit 13 Jahren einen Juno 106 gekauft, damit fing alles an. In diesem Sinne ist das, was ich heute mache, auch eine Rückkehr zu meinen Wurzeln.

Du veröffentlichst deine Musik seit über 25 Jahren. Wie würdest du deine Entwicklung in diesem Zeitraum sehen, wann gab es für dich die auffälligsten Veränderungen? Wie hat sich dein Sound in den letzten Jahren verändert (oder auch nicht)?

Ich bemühe mich wirklich, mich nicht immer wieder zu wiederholen. Jedes neue Album ist ein neues Abenteuer, wenn man so will – das meine ich wirklich so.

Wie laufen die Vorbereitungen für deine Albumtour? Wie sieht dein Liveset aus?

Es ist das gleiche Equipment, das ich im Studio benutzt habe. Plus zusätzliches Live-Drumming. Ein Setup, das vor allem auch für Improvisationen offen ist.


KURZ & KNAPP:

Dein erstes Konzert:

Ich weiß es nicht mehr. Das erste, an das ich mich wirklich erinnere, war New Order, 1986 in Rennes. Ich habe bei einem lokalen Radiosender ausgeholfen und versucht, ein Interview mit der Band zu machen, und Peter Hook hat uns auf der Bühne die Sampler gezeigt. Sehr beeindruckend.

Dein erster Auftritt und deine erste Gage:

Der erste richtige Gig war mit meiner Band damals in Lyon – wir gewannen einen Wettbewerb und wurden eingeladen. Also mieteten wir uns zwei Wohnmobile und fuhren hin. So viel zu deiner Frage nach meinem ersten Honorar, wir haben natürlich mehr ausgegeben als wir eingenommen haben.

Dein Lieblings-Synthesizer:

Roland SH101

Paris ist …

ein Drecksloch

Ein Tag ohne Musik …

ist manchmal ganz angenehm.

 

EUROPATOUR:
Im Juni ist Yann Tiersen in Nordamerika unterwegs, bevor er dann ab Juli durch Europa tourt. Hier eine Auswahl an Terminen in näherer Umgebung:
04.09.22 Alhambra, Genf (Schweiz)
05.09.22 Arena d’Coque, Luxemburg (Luxemburg)
06.09.22 Paradiso, Amsterdam (Niederlande)
07.09.22 Cirque Royal, Brüssel (Belgien)
10.09.22 Tempodrom, Berlin

 

„11 5 18 2 5 18“ erscheint am 10. Juni via Mute digital und auf CD, am 30. September folgt eine limitierte Doppelvinyl-Version.

Aus dem FAZEmag 124/06.2022
Text: Tassilo Dicke
Foto: Richard Dumas
www.yanntiersen.com