Zeitgeschichten – DJ Quicksilver

Mit dem Produzenten-Duo Orhan Terzi und Tommaso De Donatis – besser bekannt als DJ Quicksilver – ging in den 90er-Jahren ein neuer Stern am deutschen Dance-Music-Himmel auf. Hits wie „Bingo Bongo“ und natürlich „Bellissima“ stürmten die internationalen Charts und brachten DJ Quicksilver  eine Platin-Auszeichnung, zwei Goldene Schallplatten sowie Nominierungen für BRIT Awards und Echo ein. Wir haben Orhan Terzi, der das Projekt seit 2009 alleine betreibt, zu einem kleinen Nostalgie-Talk gebeten.

Hey, Orhan. In einem Interview mit der WAZ im Jahr 2008 hast du mal gesagt: „Die Musik hat ihre Seele verloren.“ Wie denkst du heutzutage darüber?

Zu der Aussage stehe ich auch heute noch. Ich will nicht sagen, dass alles schlechter geworden ist, aber die Musik ist definitiv zu einem Wegwerfprodukt verkommen. Heute muss alles ganz schnell gehen, solange der Hype da ist. Das sieht man prima am EDM-Wanderzirkus der 2010er-Jahre, dessen Beteiligte jetzt alle auf den Techno-Train aufgesprungen sind. Alle legen plötzlich „Techno“ auf. Aber auch das ist bald vorbei. Die Musikrichtungen ändern sich sehr schnell heutzutage, selbst die Produzenten und Plattenfirmen sind irritiert, in welche Richtung die Reise geht. Ich komme aus der „Generation Gänsehaut”. Wir haben die Musik geliebt, gelebt und wertgeschätzt . Die Leute von heute bekommen keine Gänsehaut mehr und können die Musik nicht fühlen (die meisten zumindest nicht). Es gibt aber auch heute noch tolle Künstler, deren Klänge aber nicht beachtet werden, weil ihn vielleicht das nötige Kleingeld für eine Promotion fehlt, um ihre Musik zu bewerben. Solange es den Plattenfirmen mehr um das Geld als um gute Musik geht, wird es munter so weitergehen, bis die Musik irgendwann komplett stirbt.

In den 90ern schien ja noch alles okay gewesen zu sein. Wann nahm deiner Meinung nach das „Unheil“ seinen Lauf und was waren die Auslöser für die negative Entwicklung innerhalb der elektronischen Musikbranche?

Zu wissen, dass man die wahrscheinlich vier besten Jahrzehnte (60er, 70er, 80er, 90er) der gesamten Menschheit erlebt hat, erfüllt einen mit einem gewissen Stolz, nicht nur musikalisch. Die Musik der 90er war natürlich der Peak. Ab den frühen 2000ern hat sich das für mich alles in eine komplett falsche Richtung entwickelt. Die Plattenfirmen haben „Dance Musik“ aus ihrem Programm gestrichen, obwohl sie über ein ganzes Jahrzehnt weltweit damit Milliarden (!) umgesetzt haben. Eigentlich mochten sie die Dance Musik nicht wirklich, konnten aber damit gutes Geld damit verdienen. Anschließend wurde es dann die Klippen runtergeschmissen. Man hat dann eine Zeitlang auf Hip Hop in den Clubs gesetzt, was dann anfangs auch gut lief, aber im Laufe der Zeit wieder verbannt wurde. Die 2000er-DJs hatten dann ihre Zeit. Auch das lief zu Beginn nicht schlecht, hatte aber irgendwann auch ein Ende. Spätestens, als man auf 0,99€-Partys setzte, war der Drops gelutscht und das große Diskothekensterben setzte ein.
Heute geht es gefühlt wieder von vorne los, die Geschichte wiederholt sich, wenn auch etwas anders als damals. Alles aus dieser Zeit ist wieder hip und auch die 80er, 90er Festivals sind proppenvoll. Wovon natürlich auch ich profitiere.

Im Interview mit der WAZ hast du damals auch über Fame-Geilheit und Geldgier gesprochen, die du diversen bekannten (meist niederländischen) Namen attestiert hast. Provokante Frage: Hattest du nie die sprichwörtlichen „Dollarzeichen im Auge“?

Ich bezeichne mich gern als DJ des kleinen Mannes. Nach meinen Sets bin ich immer zu meinen Fans gegangen, die Geld gezahlt haben, um mich zu sehen. Das ist für mich eine Sache des Respekts. Ich würde auch niemals auf irgendwelchen Raves in der Wüste auflegen, während andere zum Zuhausehocken verdammt sind – wie während der Pandemie – und ich würde auch keine überteuerten Accessoire- und Merchandise-Artikel an meine Fans verkaufen. Sie sind die, die eure Taschen füllen, also zieht sie bitte nicht ab.
Ich habe auch „großes“ Geld verdient. Na und? Wichtig ist es, niemals die Bodenhaftung zu verlieren und immer Ehrfurcht davor zu haben, dass man mit seinem Hobby Geld verdienen darf. Wenn das von heute auf morgen einbrechen würde, hätte ich kein Problem damit. Arbeiten und Geld verdienen kann man überall. Alles ist vergänglich, aber wie heißt das so schön: „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“

Großer Künstler, großes Geld. In den 90ern bist du zusammen mit Tommaso De Donatis von Erfolgswelle zu Erfolgswelle gesurft. Was für ein Leben hast du zu den Hochzeiten geführt? Nimm uns mit auf einen kleinen Exkurs.

Als ich nach dem „Bingo Bongo“-Deal plötzlich auf Skiern für den Videodreh auf einem Gletscher in Österreich stand, wusste ich in dem Moment nicht, was mich in Zukunft so alles erwartet. Wir landeten einen Hit nach dem anderen und ich war plötzlich mittendrin in diesem Jetset-Leben, das größtenteils aus Shows, PR-Terminen, Jetlag, Stress und Schlafmangel bestand. 850 Termine hatte ich zwischen 1997 und 1999, ich war also praktisch kaum Zuhause. Trotzdem bin ich immer der Orhan aus dem Plattenladen in Bochum geblieben.

Welche anderen Artists hast du damals in den 90er- und 2000er-Jahren bewundert?

Künstler wie Carl Cox, Sven Väth, Richie Hawtin oder Jeff Mills fand ich immer cool, weil sie mit ihrem Sound die Vorreiter unserer damals frischen Technoszene waren. Und jetzt kommen wir wieder zum Thema „Dollarzeichen“. Was war da nochmal?

Sprechen wir über DJ Quicksilver. Kannst du dich noch an deinen ersten Gig erinnern? Wie und wo war das? Was hast du damals aufgelegt?

Mein erster offizieller Gig war im Kulturbahnhof Wattenscheid Anfang der 90er. Aufgelegt habe ich damals Techno, House und so UK Acid Zeugs. Ein war ein tolles Erlebnis, Teil dieser in der Entwicklung steckenden Subkultur zu sein. 

Womöglich unmöglich zu tippen, aber versuchen wir es dennoch: Was schätzt du, welchen Track hast du am häufigsten in deinen Sets gespielt?

DJ Quicksilver – „Bellissima“.  Die Platte hängt mir zwar manchmal aus den Ohren raus, aber ich muss sie einfach spielen, da es alle von mir erwarten. Die Nummer zündet auch nach 26 Jahren noch und ist jedes Mal ein Highlight.

Nochmal zurück zum WAZ-Interview von 2008: Dass die Loveparade nach NRW umgezogen ist, riss dich damals wenig vom Hocker. Nun gibt es mit Rave The Planet  den offiziellen Nachfolger – zurück in Berlin. Deine Meinung?

Die Loveparade gehörte für mich schon immer nach Berlin, alleine schon wegen der großflächigen Architektur und seinen breiten Straßen. Die Nummer in NRW fand ich damals wiederum sehr bedenklich. Es ist schön, wenn es einen Nachfolger gibt und ich wünsche dem Motte mit Rave The Planet alles Gute damit. Es ist zwar nicht mehr wie früher, trotzdem finde ich es gut, den elektronischen Geist weiter aufleben zu lassen. PEACE & LOVE!  Lasst einfach die neue Generation ihre eigene Erfahrung damit machen. Aber diese höher-schneller-weiter-Denkweise sollte außen vor bleiben, sonst endet es irgendwann wie die Ur-Parade. 

Abschließend noch eine Frage, die wir jedem Artist in diesem Feature stellen: Was ist das Verrückteste, das dir je bei einem Gig passiert ist?

Das war wohl beim letzten Auftritt meiner Indien-Tour 2012. Ich sollte von zwei bis drei Uhr spielen und dachte mir: „Okay, du hast drei Wochen Indien ‚überlebt‘ – darauf einen leckeren Mojito. Ich fing an, der Mojito war on point und ehe ich mich versah, stand schon der nächste Cocktail bereit. Nach einer Stunde hatte ich einen totalen Filmriss und kam erst im Hotel wieder zu mir. Mit dicker Birne rief ich meinen Tourguide an und er sagte: „Du hast ein fantastisches Drei-Stunden-Set (!) gespielt und sogar einen Stage-Dive gemacht!“ Abends sollte ich dann über Dubai nach Düsseldorf zurückfliegen. Ich schlief irgendwann ein, und als ich zum ersten Mal vom Aufsetzen des Flugzeugs wach wurde, war ich nicht etwa in Dubai, sondern in Düsseldorf. Fragt mich nicht, wo die 2,5 Stunden Aufenthalt hin sind.

Aus dem FAZEmag 143/01.2024
www.dj-quicksilver.com