25 Jahre Handle With Care

Berlins Vinyl-Manufacturing-Koryphäe Handle With Care feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Seit mittlerweile 1998 stellt der Traditionsdienstleister analoge und digitale Tonträger, wie Vinyl-Schallplatten, CDs, DVDs, sowie (fast) alles aus dem Bereich Merchandise her und blickt auf unzählige Kooperationen mit herausragenden Instanzen der elektronischen Musik zurück. Egal ob BPitch, Cocoon, Perlon oder Gigolo – Handle With Care hatte sie alle. Inhaberin Silke Maurer hat mit uns über die Historie der Manufaktur gesprochen, die sie 1998 im Rahmen eines Soloprojekts gegründet hatte.

Hey, Silke. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum 25-jährigen Jubiläum! Beginnen wir doch ganz von vorne. Erzähl uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Handle With Care.

Vielen Dank! Mir kommt es gar nicht so lange vor …

Gemeinsam mit DJs und Produzenten wie Ricardo Villalobos, Anthony Rother, Heiko Laux und Sammy Dee habe ich damals beim Medienvertrieb Neuton in Offenbach gearbeitet und mich dort um die Herstellung von Schallplatten gekümmert. Wenig später zog ich dann nach Berlin, um meinen eigenen Tonträgerherstellungsservice zu gründen.

Die Anfänge waren rückblickend eigentlich sehr lustig. Mein Vater lieh mir Geld für ein Faxgerät, einen Computer, eine Software, eine Ibico-Mappen-Bindemaschine, Kugelschreiber und genügend Blatt Papier, um ein halbes Jahr über die Runden zu kommen. Mein erstes Büro war in meiner damaligen Wohnung in Berlin-Moabit. Natürlich dauerte es, bis sich herumgesprochen hatte, dass es in Berlin jetzt EINE gibt, die sich nur um die Herstellung von Platten kümmert. CDs und DVDs hatte ich damals gar nicht mit im Repertoire. 1999 bin ich dann zu den Jungs vom Label Formaldehyd in ein kleines Räumchen in deren Bürogemeinschaft eingezogen. Eine großartige Zeit, als der Prenzlauer Berg in Berlin noch grau und Underground war.

Erste Bekanntheit erlangte ich schließlich, nachdem ich für DJ Hell mit Gigolo eine sehr eilige Platte für seinen damaligen Gig auf der Loveparade herstellte. Ich war eine Heldin und man wurde auf Handle With Care aufmerksam. Mitte der 00er-Jahre stellte ich dann meine erste Mitarbeiterin Maren ein. Sie arbeitet noch heute für uns. 

Was waren, abgesehen von der Hell-Platte, die ersten großen Releases, die bei euch in Auftrag gegeben wurden?

Damals waren die ersten großen Releases von Morr Music, Kitty-Yo, Gigolo, Cocoon, Formaldehyd, Sonar Kollektiv und natürlich Perlon, gefolgt von vielen weiteren großartigen Labeln wie BPitch Control, City Slang und vielen mehr.

Eines der aktuellen Highlights ist eine Bio-Vinyl, die ihr für Rave The Planet macht. Das klingt interessant.

Die Schallplatte aus Bio-Vinyl haben wir seit diesem Sommer ganz neu im Programm. Neben der  Recycling-Vinyl ist die Bio-Vinyl eine wirklich nachhaltige Schallplatten-Alternative.

Bei der Herstellung kommt bio-basiertes PVC zum Einsatz. Das Erdöl im herkömmlichen PVC wird in dem Fall  durch Recycling von Altspeiseöl oder industriellen Abgasen ersetzt, was eine erhebliche CO2-Einsparung ermöglicht.

Nachhaltigkeit ist super. Aber birgt das irgendwelche Nachteile hinsichtlich der Qualität?

Nein, die akustische und optische Qualität der Bio-Vinyl ist identisch zur konventionellen Schallplatte und ist aktuell in Schwarz und elf weiteren Farben verfügbar. Die Bio-Vinyl ist zu 100 Prozent recycelbar und wiederverwertbar.

Sehr vielen unserer Kund*innen ist der Nachhaltigkeitsaspekt immer wichtiger. Wir sind daher sehr froh   darüber, dass wir die Möglichkeit haben, mit der Bio-Vinyl ein wirklich innovatives Produkt und eine echte Alternative anbieten zu können.

Wie habt ihr in den 25 Jahren die Entwicklung und Beliebtheit von Vinyl als Trägermedium miterlebt? Über den derzeitigen Boom könnt ihr euch ja sicher nicht beklagen, oder?

Für uns, wir besetzen ja eine Nische mit Independent-Labeln und Musiker*innen, hat sich eigentlich nie viel verändert. Neue Label sind dazugekommen, ein paar Label haben aufgehört. Wir haben kontinuierlich unsere Kund*innen gepflegt, dem Markt angepasste Stückzahlen bestellt und immer nach der Maxime agiert: Wer zu uns will, kommt zu uns, wer bleiben will, bleibt und wer gehen will, geht.

Erzähle uns mehr über eure Strukturen. Welche Tätigkeitsbereiche gibt es bei euch? Wie viele Beschäftigte habt ihr?

Bei uns gibt es Medienberater*innen, Kundenbetreuer*innen, Grafiker*innen, Buchhalter*innen/Controller*innen, ein Mechanical Rights-/GEMA-Department und die PR-/Social-Media-Abteilung. Insgesamt, inklusive dem Bereich   Merchandise, sind wir 16 Mitarbeitende, fast alle in Vollzeit.

Ihr verfügt außerdem über ein Office in Schweden. Wie kam es zu dieser Standortwahl?

Mit unserem jetzigen Mitarbeiter Seren hatten wir schon seit Längerem überlegt, den englischsprachigen Raum intensiver zu betreuen. Als Seren, gebürtiger Londoner, nach Schweden zog, haben wir gemeinsam die Idee eines Büros für Skandinavien und UK entwickelt und umgesetzt.

Eigentlich ist es einfach aus einer Lebenssituation heraus entstanden. Der skandinavische Markt ist mittlerweile ein sehr wichtiger Markt für uns geworden. 

Während der gesamten Zeit warst du immer mit viel Herzblut dabei. Was macht dir an der Arbeit am meisten Spaß?

Dass wir ein tolles Team sind, uns alle supergut verstehen und vor allem auch für und mit einer wunderbaren Art von Menschen – Künstler*innen, Musiker*innen und Individualist*innen – arbeiten können. Es ist  toll, wenn du die schönen Produkte in der Hand hältst oder in einen Club oder auf ein Konzert gehst und sagen kannst: „Diese Schallplatte wurde bei uns hergestellt.“

Dazu kommt unser langjähriges, sehr freundschaftliches Verhältnis zu unseren Lieferant*innen, das die tägliche Arbeit sehr angenehm macht.

Gibt es auch beschwerliche Aspekte? Man hört ja häufig von langen Lieferzeiten & Co.

Das ist glücklicherweise Schnee von gestern. Pandemiebedingt und durch den Krieg in der Ukraine waren etliche Lieferketten durcheinandergeraten, das stimmt. Es kam teilweise zu Rohstoffmangel und Einschränkungen der gesamten Kette. Für Musiker*innen und Bands brach das Live-Geschäft weg und es wurde sich verstärkt auf Tonträger fokussiert, wodurch mehr bestellt und gekauft wurde. In den letzten anderthalb Jahren haben unsere Partner*innen enorme Anstrengungen unternommen, um die genannten Probleme zu reduzieren. Darüber hinaus sind viele kleine Presswerke dazugekommen und durch das weltweit gewachsene Pressvolumen verteilt sich alles etwas mehr. Wir sind inzwischen wieder ganz schnell.

Wer heutzutage ein Presswerk eröffnen möchte, sollte sich das, trotz des Vinyl-Booms, also lieber zweimal überlegen? 

Definitiv. Wie gesagt, es haben in letzter Zeit viele neue kleine Werke eröffnet, wodurch es zu globalen Überkapazitäten kommt. Ein neues Werk in einer derzeitigen Situation zu eröffnen, würde ich mir sehr genau überlegen.

Anfangs haben wir bereits über eure ersten großen Aufträge gesprochen. Abschließend möchten wir von dir wissen: Welche sind die herausragendsten Produkte, die bei euch hergestellt wurden?

Da fällt es natürlich schwer, etwas herauszustellen. Spontan kommt mir da „Berlin Calling“ von Paul Kalkbrenner auf BPitch in den Sinn, das nach dem Film abging wie Schmidts Katze und bis heute noch nachbestellt wird. Dafür haben wir dann auch unsere erste Goldene Schallplatte bekommen.

Abgefahren war auch ein Auftrag für einen der bekanntesten taiwanesisch-chinesischen Musiker, der eine Best-of-Vinylbox zu seinem 20-jährigen Bühnenjubiläum wollte. Die Box sollte aus 14 Doppel-LPs bestehen, die geplante Auflage lag bei 1.000 Exemplaren, insgesamt also 28.000 Platten. Über Nacht ging das Produkt durch den Vorverkauf derartig durch die Decke, dass daraus dann insgesamt 448.000 Platten wurden. Das war schon eine der zahlenmäßig größten Pressungen, die wir jemals gemacht haben.

Zu erwähnen ist sicherlich auch, dass wir von Anbeginn bis zum heutigen Tag alle Perlon-Platten (außer 01 und 02) und alle Cocoon-Boxen hergestellt haben. Dazu kommen zahlreiche weitere herausragende Releases von tollen Labeln, aber dafür bräuchten wir wohl noch ein paar mehr Seiten Platz.

Zum Schluss möchte ich die Gelegenheit des Interviews nutzen und Danke sagen für 25 großartige Jahre und jedes einzelne Produkt, das wir herstellen durften.

 

Aus dem FAZEmag 142/12.2023
www.handlewithcare.international