Anthony Rother – Zurück auf Dystopia

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Ist es nun ein Luxusproblem? Oder ernstzunehmende Falle? Als Künstler einen Nischensound besetzt, ja mit definiert zu haben, spaltet zwangsläufig irgendwann die Lager. In die abgöttisch Liebenden, die nichts anderes wollen, als genau diesen Sound. Jede Abweichung bedeutete Verrat. Und natürlich die Ablehnenden, die in jedem Festhalten an erfolgreichen Strukturen eine Mischung aus Verweigerung und Unfähigkeit der künstlerischen Entwicklung vermuten.

Anthony Rother stand für diese Polarisierung lange Zeit wie kaum ein anderer. Als wohl bekanntester Protagonist des deutschen Electro wurde er einerseits bis ins ferne Detroit bei Fans und Musikern tief verehrt. Speziell in der deutschen Presse gibt es dagegen die Tendenz, alles irgendwie nach Kraftwerk klingende, aber nicht Kraftwerk seiende als anachronistischen Plagiatismus abzulehen. Es kommt offenbar einer Gotteslästerung gleich. Zumindest, wenn in Deutschland produziert. Käme Rother aus eben jenem Detroit, erwartete ihn hier womöglich die breite mediale Verehrung. Ab dem Album „Popkiller“ (2004) war für den Offenbacher aber ohnehin alles anders. Rother hatte einen sägenden Sound auf der Grenze zwischen Techno und Electro geschaffen, der Kritiker milde stimmte, alte Fans mitnahm und sogar noch kommerziell erfolgreich war. Er war der Nischenfalle also geschickt entronnen. Jetzt, im Jahre 2014, plötzlich die Rückkehr zum puristischen Electro. Das neue Album „Netzwerk der Zukunft“ schließt mit seinem zehn Titeln in seiner Ästhetik fast nahtlos an „Hacker“ (2002) an. Unfähigkeit, etwas anderes zu produzieren, kann es nicht sein – das hat Rother im Überfluss bewiesen. Auch ein kommerzieller Reibach ist damit kaum zu machen. Warum also die verstummten Kritikerstimmen wieder wecken? Könnte es tatsächlich musikalische Liebe sein?

Anthony, warum plötzlich die Rückkehr zum klassischen Electro, nachdem du dich mit dem „Popkiller“-Sound bereits erfolgreich davon entfernt hast.

Das Album war in diesem Umfang gar nicht beabsichtigt. Ich hatte nach meiner letzten Maxi ein kleines Zeitfenster von fünf Monaten, während der die ersten Tracks „Schöpfer“ und „Medium“ entstanden. Dabei fiel mir auf wie sehr mir dieser Sound fehlte und dass ich schon ewig kein neues Album gemacht habe. So ist aus den geplanten fünf Monaten Produktionszeit dann doch ein ganzes Jahr geworden. Ein Nebenprodukt wurde zum Hauptprodukt.

Vier Jahre seit „Popkiller 2“ sind lang, aber nicht ewig.

„Popkiller 2“ würde ich auch eher als Retortenprodukt werten. Es war als Popkiller-Nachfolger ganz klar auf Erfolg getrimmt. Die Tracks funktionieren zwar alleinstehend sehr gut und hatten auch ihre Tiefe, Es gibt aber keine übergeordnete Dramaturgie, Also das, was ich für ein Album als unverzichtbar betrachte. Tatsächlich waren die Alben Simulationszeitalter und Hacker die letzten Alben, die ich auf diese Weise produziert hab. Die erste Popkiller hatte zumindest noch den Ansatz. Inzwischen hatte ich nahezu vergessen, wie man diese Dramatik entwickelt. Oder sich entwickeln lässt. So ein Album führt ja irgendwann ein Eigenleben. Sperrt sich auch gegen gewisse Tracks. Ebenso hatte ich vergessen, wie gut sich das anfühlt. Sowohl im Entstehungsprozess als auch nach Fertigstellung des komplettem Albums. Es ist ein völlig anderes Gefühl der künstlerischen Befriedigung. Eine „Popkiller 2“ würde ich in der damaligen Form nicht mehr machen.

Soundmäßig ist es jetzt wieder puristischer Electro. Womit der kernige Popkiller-Sound begraben ist?

Nein, ganz und gar nicht. Ich arbeite ja bereits wieder an einem neuen Datapunk-Album mit direkten Sounds und clubbigeren Strukturen. Netzwerk der Zukunft ist eher ein Abstecher. Der wegen des klassischen Electro-Klangs auch auf meinem alten Electro- Label Psi49Net erscheint. Das gilt es unbedingt zu unterscheiden. Psi49Net steht für klassischen Electro. Datapunk für den gröberen Clubssound.

Wie schwierig war es, auch deinen klassischen Electro-Sound wieder herzustellen? Vom Soundset sind die Ähnlichkeiten zu Hacker oder Simulationszeitalter unverkennbar. Gibt es so etwas wie ein abrufbares Preset im Studio?

Nein, das kann es schon alleine deshalb nicht gegeben haben, weil ich mit meinem Studio wieder einmal umgezogen bin und alles neu aufgebaut habe. Dabei sind auch einige Instrumente hinzugekommen, andere dafür rausgeflogen. Vom zwischenzeitlich Digitalen bin ich auch wieder völlig weg. Ich musste mir die einzelnen Sounds also komplett neu erarbeiten. Hört man Hacker und Netzwerk direkt nebeneinander, merkt man den Unterschied schon deutlich. Vor allem in der Klangpräsenz. Ich habe beim Mastering diesmal ohne Kompressoren gearbeitet. Ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Sounds zusammendrücken oder beschneiden. Der Preis, den ich dafür zahlen musste, ist, dass das Album insgesamt etwas leiser aufgenommen wurde. Aber selbst auf einem iPod klingt das Album jetzt dynamischer als alle vorherigen.

Auch thematisch geht es beim Netzwerk um die früher klassischen Rother-Themen Technik, Gesellschaft, Zukunft und das Göttliche. Gab es neben dem Klanglichen auch einen inhaltliche Ausgangsidee? NSA und Big Data springen einem bei Tracks wie „Netzwerk“ natürlich in den Sinn.

Ja, beides spielt natürlich schon mit hinein, war aber keine wirkliche Grundidee. Wäre auch ein bisschen spät. Denn das, was inzwischen herausgekommen ist, bestätigt ja nur das, was ich auf Hacker und sogar Simulationszeitalter schon skizziert habe. Ob nun Genveränderung oder Ausspähung. Wenn man eine neue Facette finden möchte, dann vielleicht die, dass die Überwachung nicht mehr nur von staatlichen Organen, sondern Unternehmen vorangetrieben wird. Wenn man so will, die zerstörerischen Auswüchse des Kapitalismus, Wie er sich monopolisiert und mit aller Macht bis in die intimsten Bereiche unseres Lebens vordringt. Wirklich schlimm wird es dort, wo Staaten und Konzerne inklusive Banken durch Privatpersonen an der Spitze so verflochten sind, dass der Staat kein wirksames Gegengewicht mehr bilden kann. Da sind dann wir als Bürger gefragt.

Wobei dein Ausblick schon sehr pessimistisch klingt…

Ja, aber in der Musik wohl auch übertrieben pessimistisch. Sie hat für mich immer auch die Aufgabe der Selbstreinigung. Ich stecke dort komprimiert alle negativen Gefühlen hinein. Nach Fertigstellung bin ich dann erst mal befreit. Ich muss allerdings auch bei jedem Album wieder betonen, dass ich niemanden aufklären oder belehren möchte. Sondern lediglich eigene Gedanken formuliere, an denen ich andere teilhaben lasse. Meist sind es sehr diffuse Ängste, die ich, mit allen Widersprüchen, versuche zu konkretisieren. Ob es für die Allgemeinheit wirklich besser ist, den Bankensektor crashen zu lassen oder nicht, kann ich doch letztendlich gar nicht beurteilen. Und je mehr ich zu einem Thema lese, desto unsicherer werde ich bei der Beurteilung.

Eher konkret fällt die Schelte bei beim Song „Technokultur“ aus. Neben dem Feierbiotop Frankfurt bekommt auch die Medienzunft ihr Fett weg.

Ach, naja, in jeder Stadt gibt es so viele Geschichten. In Frankfurt, In Berlin, überall. Man sieht viel, man hört viel. Wer wem grad wieder in den Rücken fällt. Ich bring das einfach mal auf den Tisch. Lasse auch hier einfach mal Dampf ab. Die Medienkritik habe ich ja auch schon ewig. Heute noch mehr als früher. Es ist offenbar alles irgendwie gekauft. Das, was medial erscheint, bildet inzwischen schon fast gar nicht mehr das ab, was draußen qualitativ passiert. Es geht nicht um Vermittlung von Kultur sondern finanziellen Profit. Wer Geld hat, kann sich die Präsenz kaufen und bestimmt den Inhalt. Die totale Verzerrung.

Naja, es war aber schon immer so, dass der große Künstler mit Budget den kleinen ohne Budget mitfinanziert. Oder mitfinanzieren muss. Denn nur von Heftverkäufen kann kein Special-Interest-Magazin leben. Entscheidend ist nur, dass man den Spagat hinbekommt. Solange beide Künstler für Teile des Publikums relevant sind, ist das ja kein Problem. Dass immer alle Artikel eines Heftes alle Leser interessieren, hat es ja noch nie gegeben.

Natürlich. Aber inzwischen existiert ja auch diese gesunde Mischung schon nicht mehr.

Auch das ist natürlich jetzt deine subjektive Sicht. Irgendwo muss ja jede Redaktion eine Auswahl treffen. Dass von 100 Acts, die sich alle selbstverständlich alle selbst für mindestens coverwürdig halten, letztendlich 90 pissed sind, weil sie es gar nicht ins Heft geschafft haben, ist auch nicht wirklich neu. Aber dein Text macht Künstlern ja ohnehin Hoffnung…

Stimmt: „Egal, man für uns die Wahrheit inszenierst, wir sind die Kraft, die alle Mächte kontrolliert!“ zielt natürlich darauf ab, dass wir mit den elektronischen Medien eine Plattform hinzugewonnen haben, um uns selbst wieder selbst zu Gehör zu bringen. Wir sind also auf die zentralisierten Meinungsmacher gar nicht mehr angewiesen. Ebenso die Leser, die aufgrund des immer schlechter werdenden Contents ja schon gar keine Hefte mehr kaufen.

Dann ist aber deine Kritik bereits überflüssig, weil ja ohne die zentralen, gekauften Medien inzwischen eh alles geschmeidig läuft. Jeder macht für sich selbst und alle werden reich und glücklich. Und sogar wir dürfen uns hemmungslos weiter ausverkaufen, und dank der Werbegeldschwemme zehn neue goldene Hähne in den Redaktionspalast schrauben.

(lacht) Ich nehme das FAZEmag natürlich ausdrücklich von der Kritik aus.

Na, da bleibt ja nicht mehr viel. Die Print-de:bug wurde unlängst eingestellt. Des kommerziellen Ausverkaufs und mageren Contents eigentlich ziemlich unverdächtig.

Ich beziehe mich wirklich vor allem auf englische Magazine. Offenbar gekaufte Charts beim DJ Mag. Solche Geschichten.

Es gehört außerdem auch zur Wahrheit, dass die meisten Nachwuchskünstler auch bei Selbstvermarktung unterhalb jeder Wahrnehmungsschwelle bleiben werden. Und dass ihre Tracks im Falle des Erfolgs dann auch noch kostenlos gesaugt werden. Menschen zahlen für musikalischen Content genauso ungern wie für redaktionellen. Mit Qualität hat das nur bedingt zu tun.

Du hast recht. Inzwischen werden Veröffentlichungen auf Vinyl und sogar CD ja sogar nur noch als Promo-Tools gesehen, um an Gigs zu kommen. Selbst bei Streaming-Anbietern verdient man kein Geld. Musik ist nur noch ein Vehikel oder eine Ware, um sich selbst zu promoten oder um in der Masse Werbung für Upload-Portale zu generieren. Die Freiverteilung machen ja inzwischen nicht mal mehr private Sharer sondern ebenfalls professionelle Firmen. Das muss am Selbstbewusstsein jeden Künstlers kratzen, wenn seine Musik jeden künstlerischen Wert verloren hat.

Deine Konsquenz?

Für Netzwerk der Zukunft gibt es eine kleine Vinylauflage und natürlich CDs, die ich diesmal ausschließlich über Amazon anbiete. Sonst nirgendwo. Weder beim Mediamarkt noch bei Beatport. Den Digital-Download biete ich exklusiv über meine psi49net-Seite an, zahlbar über Paypal. Und auch nur als gesamtes Album, nicht in Einzeltracks. Sollte das nicht funktionieren, kann ich immer noch auf einen Vertrieb ausweichen.

Amazon gehört nicht zu den Bösen?

Ich habe da natürlich auch drüber nachgedacht. Aber ich kenne im Moment keine bessere Lösung. Ich nutze sie ja nur als Direktvertrieb. Liefere an und lasse von dort in alle Welt liefern. Ginge ich über einen Indie, würden die ja auch über Amazon gehen. Das Schlimme an großen Netzwerken ist ja, dass man Ihnen kaum komplett entrinnen kann. Und sie natürlich auch positive Aspekte mitbringen. Gleiches gilt ja für Facebook. Kein Künstler kann es sich leisten, dort nicht stattzufinden.

Auf einen Track möchte ich abschließend noch zu sprechen kommen: In Digital Dominus. Den Text konnte ich nicht entschlüsseln.

Ja, das ist auch ein wichtiger Track für mich. Dabei habe ich versucht, mich dem Begriff der Unendlichkeit zu nähern. Und zwar als Wesen, das unendlich lebt, dieser quälenden und sinnlosen Unendlichkeit jedoch entrinnen möchte. Es hat sich dafür über Milliarden Jahre einen Zyklus konstruiert, den wir Leben nennen, Die Strecke von der Geburt bis zum Tod ist also lediglich eine real erscheinende Illusion, bis in alle Ewigkeit wiederholt. Daraus erklärt sich auch unsere Urangst vor dem Tod, weil nur die uns unser Leben sinnvoll und bis zum manchmal bitteren Ende aushalten lässt. Man könnte sonst an jedem beliebigen Punkt aussteigen, um neu anzufangen. Ohne die Angst vor dem Tod hätte also auch das Leben seine Wertigkeit verloren.

Klingt, als wäre die Angst vor dem Tod das eigentliche Thema.

Natürlich auch. Ich gebe zu, ich hab Angst. Total. Welcher Mensch um die 40 hat die nicht? Die Hälfte der Wegstrecke ist gegangen. Ein paar Leute haben uns schon verlassen. Peters Tod [Peter Kuhlmann aka Pete Namlook, Anm. d. Red.] geht mir immer noch sehr nah. Bitte lass mir dieses Gedankenmodell, es beruhigt mich total und hilft mir, loszulassen. Wir können es eh nicht auflösen. Weil das System so wasserdicht konstruiert ist, dass es mit Logik nicht gesprengt werden kann. Höchstens als Eventualität erklärt. Deshalb gibt es für mich auch keine Erleuchteten. Niemand kann hinter diese Schwelle blicken. Und wenn es doch nicht stimmt – auch egal…

Anthony Rother „Das Netzwerk der Zukunft“ ist Peter Kuhlmann gewidmet.

 

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