Avicii – True To The Game (Coverstory Oktober 2014)

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Werft alle DJs mit wohlklingenden Namen und Millionen von Fans in einen Topf, rührt die Melange um und braut euch daraus den Superstar-DJ Number One. Das Ergebnis kann nur Avicii sein. Weder David Guetta noch Tiësto und auch nicht Armin van Buuren oder Richie Hawtin, kein Paul van Dyk und nicht Sven Väth haben aktuell solch eine Popularität aufzuweisen wie der schmächtige Schwede Tim Bergling, den sogar meine Mutter unter dem Namen Avicii kennt.

Das Avicii-Hotel und der Avicii-Store in Miami sind beispielhaft für die magische Anziehungskraft, die der 25-jährige momentan auf Kids und Junggebliebene ausübt. Auch wenn man seine musikalische Umorientierung nach dem ersten großen Erfolg „My Feelings For You“ aus dem Jahr 2010 durchaus kritisch sehen kann, seine Fähigkeit, Ohrwurm-Melodien in Dance-Korsetts zu kleiden, ist einmalig. Zumal der Stockholmer alles selbst produziert; in dieser Branche mehr als ungewöhnlich. Da war es keine Frage für mich, der Einladung des Handy-Herstellers Alcatel Onetouch zu folgen, und Avicii im Rahmen der Internationalen Funkausstellung in Berlin einen Besuch abzustatten. Tim Bergling hat nämlich in Zusammenarbeit mit Alcatel Onetouch die Software des Alcatel Onetouch Hero 2 mitentwickelt. Das hat der internationale Hersteller zum Anlass genommen, Journalisten aus der ganzen Welt nach Berlin einzuladen, um diese einen ganzen Abend zu bespaßen. Zuerst wurde interessierten Journalisten die Möglichkeit gegeben, Avicii Fragen zu stellen, dann wurde das neue Smartphone vorgestellt und danach spielte Avicii ein Set für die geladenen Gäste im Kraftwerk, direkt
neben dem ‚neuen‘ Tresor.

Wie schnell ist man als Außenstehender mit Vorurteilen behaftet, wenn es erfolgreiche Musiker betrifft: arrogant, abgehoben, egozentrisch, weltfremd sind da nur vier Adjektive, die man immer wieder hört und die auf jeden einzelnen DJ zuzutreffen scheinen. Konjunktiv in diesem Fall. Denn auch wenn diese Attribute bei einigen Künstler passen mögen, bei dem jungen Schweden sind sie unangebracht. Sehr freundlich und bodenständig erscheint Tim Bergling im Interview – und tatsächlich auch kritikfähig.

Die Karriere von Avicii begann langsam. Kein Vergleich zu kometenhaften Aufstiegen wie bei deutschen Künstlern wie Wankelmut oder Robin Schulz, denen ein Edit zum Durchbruch genügte. Der Startschuss zu seiner Karriere war ein Remix der Titelmusik des Commodore 64-Spiels „Lazy Jones“. Die jungen Leser werden mit dieser Produktbezeichnung nicht mehr viel anfangen können. Achtung, Nachhilfe: Der C64 war Anfang der 1980er Jahre der heiße Scheiß und gilt als der meistverkaufte Heimcomputer weltweit. Laut Wikipedia wurde der 8Bit-Computer mit sagenhaften 64 KB Arbeitsspeicher 30 Millionen Mal verkauft. Nachhilfeschluss. Er nannte diesen Track „Lazy Lace“ und veröffentlichte ihn später unter dem Namen Avici auf dem recht unbekannten, kolumbianischen Label Strike Recordings. Als er realisierte, dass der Name Avici – ein Begriff der Hölle im Buddhismus – bei Myspace schon vergeben war, addierte er einfach ein zweites ‚i‘. Die britische Radio One-Ikone Pete Tong, der schon immer ein gutes Gespür für Talente aufweisen konnte, signte Aviciis Track „ManMan“ 2008 für sein eigenes Label Bedroom Bedlam. Obschon es sich bei „ManMan“ prinzipiell um einen House handelte, addierte er hier bereits viele Elemente, die man heute in jedem EDM-Track hören muss/darf. Die Nummer erlangte einige Aufmerksamkeit, so dass Bergling im selben Jahr von At Night Management unter Vertrag genommen wurde und außerdem bei der australischen Plattenfirma Vicious Grooves unterschrieb. Das Label war House-Liebhabern vor allem durch diverse Madison-Avenue-Releases wie „Don’t Call Me Baby“ ein Begriff. Hier erschien 2010 zusammen mit Sebastien Drums sein Durchbruch-Track „My Feelings For You“. Es war bereits die siebte Single für Vicious Grooves und wurde durch das bereits durch Cassius bekannte Gwen McCrae-Sample aus „All This Love That I‘m Givin‘“ ein Welterfolg. In Deutschland erschien die Single bei Superstar Recordings. Auch der nächste Erfolg Aviciis, der Track „Seek Bromance“ basiert auf einem anderen Stück bzw. ist ein Mash up aus zwei verschiedenen Tracks: „Bromance“, ein Instrumental, das Avicii unter seinem weiteren Künstlernamen Tim Berg produzierte und „Love U Seek“ des Italieniers Samuele Sartini. Auch diese Single konnte sehr gute Verkäufe vorweisen. Im Sommer 2011 gab es dann einen weiteren Popularitätsschub für den Schweden, denn die erfolgreiche britische Sängerin Leona Lewis releaste eine Single namens „Collide“. Dieses Stück basierte jedoch auf Aviciis Instrumental „Penguin“ aus dem Jahr 2010, was Tim Bergling gerichtlich wegen Plagiatsvorwurf verfolgen ließ. Als Ergebnis er- schien sein Name ebenfalls auf der Single von Leona Lewis. Das war allerdings nur ein müder Aufgalopp zu „Levels“, das im Herbst 2011 erschien. Zum einen war es sein weltweiter Durchbruch und zum anderen für viele der offizielle Start von EDM, wie sie heute so beliebt und verhasst ist. Der Song integriert ein Vocal-Sample aus Etta James‘ Stück „Something’s Got a Hold on Me“ lebt aber von seiner unwiderstehlich-geloopten Synthesizer-Sequenz und ist eine Mischung aus Großraum-House und Trance-Momenten.

Ab diesem Zeitpunkt war Avicii für viele House-Fans gestorben, aber Millionen neue Fans, darunter die Bosse von Universal Music, die ihm einen millionenschweren Plattenvertrag anboten, machten das wett.

Vergangenes Jahr eröffnete er mit der Single „Wake Me Up“ die Promotion-Phase für sein Debütalbum „True“, das neben der überaus erfolgreichen Kollabo mit Aloe Blacc, die in unzähligen Ländern u. a. in den USA Top -Ten-Platzierungen erreichte, auch „Hey Brother“ enthielt. War „Wake Me Up“, das via Spotify 72 Millionen Mal gestreamt wurde, noch ein reinrassiger Dance-Track, irgendwo zwischen EDM und House angesiedelt, kann man die Zusammenarbeit mit dem Countrysänger Dan Tyminski nur noch als reinen Pop mit Dance-Momenten bezeichnen. Aber auch dieser Song wurde ein europaweiter Erfolg und erreichte in mehreren Ländern Platz eins der Verkaufscharts. Anfang dieses Jahres veröffentlichte Avicii das Remixalbum „True – Avicii By Avicii“. Wer jetzt dachte, damit wäre erst einmal das Ende der Fahnenstange erreicht, musste zweimal nach- fragen als bekannt gegeben wurde, dass es sich bei dem Coldplay-Hit „A Sky Full Of Stars“ um eine Avicii-Produktion handelte.

Wir haben mit dem Schweden über seine Zusammenarbeit mit Alcatel Onetouch und das bevorstehende zweite Album gesprochen.

Du bist ständig unterwegs. Wie nutzt du die heutzutage verfügbare Technologie?

Zuallererst einmal bediene ich mich der üblichen Möglichkeiten, die wohl jeder aktuell nutzt. Ich arbeite mit Twitter, Instagram und Facebook. Aber das wichtige Instrument für mich ist mein Telefon, um ständig mit meinem Team in Kontakt stehen zu können. Ich muss Emails beantworten, Termine absprechen und diese Sachen. Ohne ein funktionierendes System wäre das nicht denkbar.

Du bist mit deinem Projekt Avicii ganz oben angelangt. Weltweite Nummer-1-Hits, ausverkaufte Hallen, Grammy-Nominierung, dein eigenes Hotel undsoweiterundso- fort. Eine Steigerung ist kaum vorstellbar. Alcatel Onetouch ist sicherlich bekannt und ein erfolgreiches Brand, aber wenn man an Smartphones denkt, landet man eher bei Samsung oder Apple. Was war dir besonders wichtig an der Zusammenarbeit mit Alcatel Onetouch? Was hat dich überzeugt?

Mein Management und ich, wir machen uns immer ausführliche Gedanken, mit wem wir zusammenarbeiten. Die Marke muss zu mir passen. Und wir gehen dabei keine Kompromisse ein. Ich kann ehrlich von mir behaupten, dass ich mich nicht als ‚sell out‘ sehe, wenn ich jetzt mit Alcatel Onetouch arbeite. Ich war von Anfang an eingebunden in die Entwicklung des Hero 2. Ich habe meine Vorstellungen eines perfekten Begleiters an Alcatel Onetouch weiter gegeben und sie haben meine Wünsche wahr werden lassen. Mit dem Hero 2 hat man alles dabei, was man benötigt: eine großartige Kamera für Fotos und Videoaufnahmen, einen leistungsstarken Video-Editor, einen sehr schnellen Android-Prozessor und zu guter Letzt – und für mich ausschlaggebend – die Möglichkeit, unterwegs Musik zu produzieren und zu mixen. Es ist ein tolles Telefon für kreative Menschen. Außerdem ist es eine großartige Möglichkeit, noch mehr Menschen für das Produkt Musik zu interessieren und damit zu konfrontieren.

Du arbeitest gerade an deinem neuen Album. Es ist bekannt geworden, dass das Album unter anderem eine Kollaboration mit Jon Bon Jovi featuren wird. Das klingt erst einmal absurd. Ich weiß, dass du eine Leidenschaft für das Produzieren im All- gemeinen und im Speziellen von Melodien hegst. Mit welchen anderen Musikern würdest du gern zusammen arbeiten?

Ich arbeite immer an einem Album (lacht). Ich weiß noch nicht genau, wann es erscheinen wird. Es gibt sehr viele Abstimmungen mit den internationalen Label- und mit den Kollaborationspartnern, die man beachten muss. In Bezug auf Wunschpartner: Elton John wäre toll. Auch mit Adele würde ich gern arbeiten. Paul Simon wäre ein Traum. Ich liebe seine Songs, er ist ein großartiger Songwriter. Und das ist es, was mich an Kooperationen interessiert. Es geht mir absolut nicht um Namedropping. Es geht mir darum, schöne Melodien zu erschaffen und etwas von anderen Produzenten zu lernen.

Du hast einmal gesagt, dass „Wake Me Up“ ursprünglich anders klingen sollte. Was meintest du damit?

Es war nicht geplant, dass der Song so abgespeckt-akustisch ausfällt. Ich fuhr aus meinem Studio nach Hause und war extrem geflasht von den Instrumenten und dem für mich neuen Vibe. Für mich ist alles, was ich mache, House, auch wenn es einige Menschen anders sehen. Aber „Wake Me Up“ war für mich ein Fingerzeig für mich, was ich noch alles mit den anderen Songs anstellen konnte. Genres zu vermischen finde ich sehr spannend. Wie bei „Hey Brother“ – Country-House. Bei „True“ habe ich mit vielen verschiedenen Sängern und Musikern zusammengearbeitet. Es war ein tolle Erfahrung für mich. Ich habe viel gelernt als Produzent. Und ich sehe mich immer noch primär als Produzent. Es ist in dieser Branche nichts Außergewöhnliches, dass man Instrumentals verschickt und irgendjemand singt dann über die Backings. Das ist aber nichts Neues und langweilig. Bei „True“ habe ich zusammen mit dem Sängern den Song geschrieben. Gemeinsam. Das ist eine komplett andere Erfahrung, ein anderer Prozess. Und das neue Album wird noch eine Stufe besser werden. Ich bin als Songwriter gewachsen. Von jedem Partner lerne ich etwas. Jon Bon Jovi beispielsweise war sehr aufgeschlossen und hat mir eine Menge beigebracht.

Was war die erste Rockband, die du gehört hast?

Ich glaube, das war KISS. Da war ich aber sehr jung. Aber ich habe schon immer alles gehört. Melodien waren dabei stets das Wichtigste für mich. Ich liebe Melodien. Melodien werden auch auf dem bevorstehenden Album der rote Faden sein.

Laut Berichten hast du in 2011 320 Gigs gespielt, mittlerweile lässt du es ein wenig ruhiger angehen, spielst nur noch ausgesuchte Events, vermehrt sehr große Veranstaltungen. Reizt es dich nicht, mal wieder in kleinen intimen Clubs zu spielen, um die Nähe zum Publikum zu spüren. Das ist ja auf einem Event für 20.000 Gäste eher schwer möglich.

Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber ich habe so viele Club-Gigs in ganz kleinen Clubs gespielt, dass ich sehr froh bin, dass ich momentan so viele Leute mit meiner Musik erreiche. Ich kann mich noch an meine Anfänge erinnern. Da wusste man nicht, ob sich der kleine Club überhaupt füllt. Da freue ich mich doch natürlich, wenn möglichst viele Menschen zu mir kommen, um mich zu erleben. Im Augenblick kann ich dir nicht sage, was in fünf oder zehn Jahren sein wird. Aber ich genieße jedes Event, auf dem ich spiele. Und je mehr Menschen ich erreiche, desto besser für mich. Allerdings ist es nicht so, dass ich Gigs in kleineren Clubs nicht mag. Es gibt bei jedem Auf-
tritt magische Momente. Das kann bei 50.000 Gästen oder bei 200 Gästen sein. Wenn ich spüre, dass ich alle Personen in der Location in der Hand habe, mit ihnen spielen kann, ist es großartig. Aber aktuell freue ich mich, möglichst viele Menschen zu erreichen. Es kann jedoch gut sein, dass ich in einem Jahr Lust verspüren werde, mit einer Club-Tour durch kleinere Clubs zu ziehen, da ich die intime Stimmung vermisse.

Du hast einmal in einem Interview gesagt, dass du zum Ausspannen gern eine Woche in deine Heimat Schweden fliegst und dann das Projekt Avicii ausknipst. Dann bist nur Tim aus Stockholm. Aber was ist das Geheimnis Schwedens? Wieso stammen so viele hervorragende Produzenten aus dem skandinavischen Land? Angello, Prydz, Ingrosso, Axwell, Adam Beyer, Cari Lekebusch …

In Schweden ist es sehr kalt. Die Sonne scheint niemals, zumindest kommt es einem so vor. Junge Menschen haben deshalb keine Lust, vor die Tür zu gehen und verschanzen sich vor ihrem Computer und finden viele Gleichgesinnte. Ich glaube, deswegen ist die Musik-Community so stark in Schweden. Jeder beobachtet, was der andere macht, jeder steht in Kontakt mit den anderen Produzenten. Man befruchtet sich gegenseitig, hilft sich und versucht, aus Schweden wegzukommen.

Aus dem FAZEmag 032/10.2014

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