Bjarki – Musik und Identität

bjarki

Der isländische Produzent Bjarki ist ein Mysterium für sich. Seine eigene Reise in die Musik begann bereits in frühen Jahren, als er sich vor den Hausaufgaben drücken wollte. Musik war für ihn immer schon ein Bereich, in dem ihm niemand etwas vorschreiben konnte. Mit elf Jahren begann er bereits, auf Farbdosen zu klopfen, bevor er ein richtiges Schlagzeug bekam. The Prodigys „Music For The Jilted Generation“ inspirierte ihn dazu, selbst Musik zu kreieren. Nach jahrelanger harter Arbeit, bei der er seine Technik verfeinerte, absolvierte er einen Abschluss in Tontechnik an einer Amsterdamer Universität. Seine ersten Werke veröffentlichte er unter dem Namen Kid Mistik. Seine Musik ist so vielfältig, wie es seine Pseudonyme sind. Unter den Aliasen Bbbbbb, q-cumb oder Cucumb45 verbreitete er bereits unterschiedlichste Musik – und in dieser macht Bjarki heute Karriere. Aber vielleicht noch wichtiger ist, dass die Musik noch immer zentraler Bestandteil seiner Identität ist.

Du stammst aus Reykjavík, gibt es dort einen Ort für dich, an dem du das Gefühl hast, alle Sorgen hinter dir lassen zu können und an dem du dich vollkommen frei fühlst?
Ich war immer der Meinung, dass das Erschaffen von Dingen mich frei fühlen lässt. Es gehört zu meinen Grundbedürfnissen, etwas Neues zu erzeugen. Wenn ich das nicht tue, werde ich total verrückt und verspüre Angst. Deshalb bin ich nicht wirklich frei, jedoch bin ich gerne in dem Glauben frei zu sein, weil ich die Flucht genieße. Unser Gehirn ist in diesem Zusammenhang sehr intelligent. Es erzeugt eine Illusion von unserem ganz eigenen Gefühl von Freiheit und Glück. Wir sind alle nur ein Haufen von Atomen und Molekülen, welche mit den arkanen und mathematischen Regeln interagieren. Demnach können unsere eigenen Gedanken unser Gefängnis sein. Ich fühle mich als ein Gefangener meiner eigenen Schöpfung. Versuche meine Erkenntnis zu erlangen, indem ich meine Umgebung besser verstehe. Aber auch wie ich meine Emotionen in verschiedenen Formen ausdrücke. Ich bin jetzt in der Phase angekommen, in der ich die Natur besser verstehen möchte, um mich selbst besser verstehen zu können.

Ich habe gehört, dass die isländische Szene sehr offen sein soll. Es gibt kein spezielles Genre, das im Vordergrund steht und die Künstler spielen meistens in mehreren Bands. Das muss eine unglaublich lockere Atmosphäre mit sich bringen, kannst du mir etwas dazu erzählen?
Ich denke, es ist ein großer Fehler, eine starke Vorstellung davon zu haben, wie ein bestimmtes Genre klingen soll oder wie Musik sein soll. Ich habe großen Respekt vor der Vergangenheit. Ich habe hunderte von Musikstücken erzeugt, die die klassischen Formen respektieren, welche ich über die Jahre genossen habe. Ich bewundere Produzenten und Musiker sehr, die einfach alles zusammen mischen und etwas völlig Neues zu erschaffen. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, wenn wir die letzten 20 Jahre nur Jungle kreiert hätten, um den Klang von Drum and Bass besser beherrschen zu können. Wie würde das wohl heute klingen? Kein Genre im Vordergrund zu haben ist etwas sehr Gutes. Jeder von uns mag Musik, doch einige von uns wollen, dass sie über das hinausgeht, was unser Geist erwartet. In Island verbindet uns der gegenseitige Respekt füreinander, und der Glaube an unsere Leidenschaft zu einer richtigen Gemeinschaft. Wir genießen es, zusammen zu arbeiten und die Möglichkeit, sich von anderen Perspektiven aufklären zu lassen. Das kann einen manchmal wirklich überraschen. Ich denke das ist es, was eine lokale Szene wirklich interessant machen kann. Ich war schon immer ein Außenseiter in meiner lokalen Szene. Letztes Jahr habe ich jedoch ein paar Künstler kennengelernt, mit denen ich eine tiefe Freundschaft aufgebaut habe. Deren Freunde machen genau das, was du sagst.

Mittwochabend spielen sie Rock-and-Roll-Musik und am darauffolgenden Morgen kreieren sie diesen als Hardcore-Techno um.  In den letzten Jahren bin ich viel herumgereist und habe viele erstaunlicher Menschen getroffen, welche eine ähnliche Gemeinschaft betreiben. Etwas, das ich sehr bewundere sind Kollektive in kleinen Dörfern. Sie bringen die Dinge richtig zum Laufen, indem sie zusammen Veranstaltungen planen. Selbst dann, wenn die Leute verschiedene Genres und Interessen haben. Dieser gegenseitige Respekt ist der Schlüssel um voranzukommen und die Dinge wachsen zu lassen.

In einem vergangenen Interview hast du erzählt, dass du dich schon immer von Filmen hast beeinflussen lassen. Das erkennt man auch an deinen Musikvideos. Wieso hat es dich nicht in diese Richtung verschlagen und welche Regisseure sind für dich inspirierend?
Der gute, der schlechte und der hässliche Fernseher. Welcher unsere Sicht auf die Welt völlig neu erfasste. Er ist der mächtigste Generator unseres Erinnerungskollektivs und zugleich der schockierende Spiegel der Gesellschaft und zugleich unvermeidbar. Video ist und bleibt für immer der mächtigste Manipulator und das beängstigendste Ding der Welt. Bevor ich 2015 auf Tour ging, machte ich etwas Musik für die Werbung, um die Miete zu bezahlen. Nachdem ich vier Jahre in Holland lebte, kehrte ich für ein Jahr zurück nach Island. Danach ging ich nach Dänemark mit einem sehr guten Freund, der eine Filmkarriere anstrebte. Ein paar seiner Leute lebten und studierten dort an einer dänischen Filmhochschule. Manchmal machte ich Musikstücke für sie. Heute fühle ich mich sehr privilegiert, von Menschen umgeben zu sein, die Erfahrung in der Video- und Filmarbeit haben. Der visuelle Ansatz war für mich immer sehr natürlich und war ein großer Teil von mir, bereits seit ich als Kind fernsah. Wenn es darum geht, Musikvideos für meine Arbeit zu erstellen, gibt es viel Aufregung. Das Storyboard ist meistens innerhalb einer Stunde fertig, nach ein paar Zigaretten und Bier oder noch am selben Tag.

Seit ich ein kleiner Junge war, wollte ich immer meine eigenen Filme machen. Ich habe einige meiner Kindheitsjahre im Theater verbracht, in denen ich habe einiges an Bühnenerfahrung gesammelt habe. Ich habe ein paar kleine Geschichten geschrieben, von denen einige seltsamer sind als andere und einige auch wirklich pervers. Es war eine gewisse Voodoo-Sache. Wenn mich etwas geplagt hat, ob gut oder schlecht, konnte ich eine Notiz machen oder schrieb eine kleine Geschichte über diese Person. Der schnellste Weg, Dinge zu verarbeiten war jedoch, meine Gedanken in Musik zu verwandeln. Ich könnte ein komplettes Album veröffentlichen, über Menschen, die sich als die größten Arschlöcher des Universums – in meinem Leben – herausstellten.

Es gibt viele Regisseure, die ich bewundere: Andrei Tarkovsky, Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock, Abbas Kiarostami, Jean-Luc Godard, Ingmar Bergman, Akira Kurosawa, Quentin Tarantino, Gaspar Noé, Federico Fellini, François Truffaut und viele mehr. In letzter Zeit sind mir nur wenige Künstler wirklich aufgefallen. Besonders die frühen Pioniere der Videoarbeit: die Isländerin Steina Vasulka (Steinunn Briem Bjarnadóttir). Sie gründete „The Kitchen“ in den 70er Jahren in New York, wo einige meiner Lieblingskünstler wie Arthur Russel auftraten.

Jetzt kommen wir aber mal zu deinem Album. Mit „Happy Earthday“ hast du nun dein Debütalbum auf einem der bedeutendsten Label – !K7 Records – rausgebracht. Wie kam der Kontakt zustande? Und wie fühlt sich das an, endlich den eigenen Longplayer in den Händen halten zu können?
Ich habe nicht wirklich eine Ahnung darüber, wie der Kontakt zustande kam. Ich habe davon geträumt, mit gemeinsam mit einem großen Musiklabel zu veröffentlichen. Mein Agent zeigte heimlich meine private Arbeit einigen wenigen Labels und !K7 war sehr interessiert. Ich denke es ist ein cooles Label mit netten Leuten. Habe es von dort aufgehoben. Natürlich ist es immer schön in den Backofen zu schauen und dem Teig beim Backen zuzusehen, bis er letztendlich zu einem gebackenen Kuchen wird. Und das auch noch genauso, wie man es sich vorgestellt hat.

Du hast im Jahr 2017 dein eigenes Label bbbbbb Records gegründet. Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich mit dem Label verstärkt auf isländische Musik konzentrieren möchtest. Was ist das Besondere an der isländischen Musik und Kultur für dich?
Ich denke, wenn du in der Position bist, eine Plattform für junge Künstler – aus deiner Heimat – erschaffen zu können, dann solltest du das tun. Als es mit meiner Karriere anfing, konnte ich in diesem Sinne zu niemanden hinaufschauen. BBBBBB Records ist ein sehr arkanes Label, welches jungen Künstlern als Sprungbett oder Start dienen soll. Ich mache nicht wirklich Verträge mit den Künstlern, die ich veröffentliche, soweit ich weiß. Vielleicht machen wir das. Aber wir veröffentlichen keine Musik, um jemanden abzuzocken. Es ist sehr entspannt. Im Vergleich zu einigen anderen Plattenfirmen denke ich einfach, dass viele falsch an die Sache herangehen. Das System hat zu viele Fehler und alte Vertragsvorlagen. Ich habe da eine andere Einstellung zur Musikindustrie.

Die Musik auf deinem neuen Album unterscheidet sich sehr zu deinen bisherigen Veröffentlichungen. In der Pressemitteilung hast du angegeben, dass es sich dabei um sehr persönliche Momente deines Lebens handelt. Wie fühlt es sich für dich an, einen Teil deines Innersten zu veröffentlichen?
Niemand wird die Musik so verstehen, wie ich sie geschrieben habe. Was ich zu diesem Zeitpunkt gedacht habe, als ich sie produziert habe. Nicht, dass es nötig ist, diese Information zu teilen. Aber es ist einfach ein bisschen komisch, seine Arbeit zu veröffentlichen die nie dafür bestimmt war. Die Hauptsache ist, dass die Arbeit jetzt öffentlich ist und andere spekulieren können. Unsere Lieblingsmusik ist unsere Rüstung – unser Schild – sie schützt unsere Persönlichkeit und füllt uns mit Erinnerungen. Sie erinnern uns oft daran, wer wir sind, wer wir sein wollen und wo wir sein wollen. Manchmal ist Musik so emotional, dass wir sie nicht teilen wollen oder mit anderen anhören möchten. Das Beste ist, wenn wir mit anderen Menschen auf einem musikalischen Level sind. Wenn wir jung sind, nehmen wir viel Zeit und verbringen sie damit, nach dem zu suchen, womit wir uns wirklich beschäftigen wollen. Diese Suche kann viele Jahre dauern und ist manchmal nie abgeschlossen. Das ärgerlichste an der Musik ist vielleicht, dass wir in einer Zeit leben, in der die meisten Geschichten bereits erzählt wurden. Und die meisten neuen Stücke beabsichtigen, die gleichen Geschichten noch einmal zu erzählen. Nur in einem komprimierteren Audioformat, das unser Gehirn sehr schädigt und alle unsere Sinne blockieren kann. Einige Geschichten müssen immer wieder erzählt werden.

Wo wünscht du dir, dass die Musik von „Happy Earthday“ gespielt wird? Bzw. wo hörst du solche Musik selbst am liebsten?
Normalerweise höre ich meine eigene Musik über meine Kopfhörer und am liebsten unterwegs. Sodass ich nachdenken und über Dinge spekulieren kann, die in meinem Kopf herumschwirren. Es ist sehr wichtig, dass mir die Musik, die ich höre, noch einen gewissen Kopfraum lässt. Nur um mich umzusehen und mit meinen alltäglichen Gedanken umgehen kann. Natürlich gibt es Musik, die intensiver ist und dem Geist weniger Raum zum Staunen lässt, aber dann wird das absichtlich und mit unterschiedlicher Kompression gemacht.

Was hat es mit den Track-Titeln auf sich? Du bist ja sehr umweltfreundlich engagiert, steckt dahinter eine wichtige Message?
Das erste, was ich auf die DAT-Bänder schreibe oder die Session benenne, ist immer der Titel des Tracks. Es sind keine Lieder, sondern Geschichten oder mein Tagebuch. Es gibt manchmal versteckte Botschaften in den Dingen, die ich tue. Als ich mich entschied, ein Album zu liefern, wollte ich, dass es einen ehrlichen Ansatz verfolgt. Im vergangenen Jahr stand ich sehr unter dem Einfluss, mein Bestes zu geben um etwas zu ändern. Ich werde versuchen, weniger Zeit im Studio zu verbringen, um auf meine Familie und Freunde, aber auch die Menschen um mich herum zu wirken. Ich möchte über die Umwelt und die Natur aufklären. Es wird wohl so enden, dass ich von Tür zu Tür gehe und sage: „Entschuldigung, hast du einen Moment Zeit, um Herrin und Retterin Mutter Natur zu sprechen?“

Aus dem FAZEmag 084/02.2019
Text: Sofia Kröplin
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