Blindsmyth – Den Field-Recorder immer dabei

Foto: Tobias König

2016 begann die Reise des musikalischen Globetrotters mit der EP „Secret Walls“, die auf dem Label Cosmic Society erschien – wie auch zwei Jahre später das Debütalbum „Blind“. Es folgte mit der Single „Frozen“ ein Ausflug zu Diynamic, bevor er 2020 bei Connaisseur Recordings landete, wo nun gerade sein neues Album „All That Fiberglass“ herausgekommen ist, das mit Hilfe von Field Recordings, selbstgebauter Hardware und künstlichen Vocals entstanden ist. Wie das alles zustande kam, erzählt uns Simon Schmidt, wie sein bürgerlicher Name lautet, im Interview.

Vier Jahre nach deinem Debütalbum „Blind“ kommt nun der Nachfolger „All That Fiberglass“ raus. Wann hast du mit dem neuen Album angefangen, wann war die Zeit reif für dich und wie lange hast du daran gearbeitet?

Ich hatte bereits Anfang 2019 einen Draft für ein Album. Der war allerdings nicht sonderlich zusammenhängend und ich habe mich dazu entschieden, die Tracks doch lieber auf unterschiedliche EPs zu verteilen. Es schien mir doch interessanter zu sein, einmal von einem größeren Thema aus zu arbeiten und die Tracks in kürzerer Zeit zusammenhängend zu produzieren. Bei „Blind“ habe ich über einen Zeitraum von fast fünf Jahren produziert und dann am Ende des Prozesses Tracks, die zusammenpassten, kuratiert.

Bei diesem Album wollte ich fokussierter vorgehen und mehr von einem Konzept heraus arbeiten. Im Sommer 2019 entstanden die ersten Ideen für ein Konzept und die allgemeine Soundästhetik. Ich würde sagen, Ende 2019/Anfang 2020 war dann der Moment, bei dem es „Klick“ machte. Das Thema, unsere digitale Welt, die wir uns geschaffen haben mit all ihren Chancen und Problemen, brodelte bereits eine Zeit lang in meinem Kopf. Aber zum Jahreswechsel kamen die ersten Lyrics und musikalischen Schnipsel. Ich hatte dann Januar und Februar eine sehr intensive Produktionsphase, die dann nahtlos in den Lockdown im März/April überging. Am Ende dieser Periode hatte ich zahllose Track-Entwürfe, teilweise auch schon ganze Songs. Aber das Ganze war noch etwas unstrukturiert und brauchte mehr Form. In dem darauffolgenden Sommer habe ich etwas Abstand zu den Tracks genommen und im Herbst ging es dann in die heiße Produktionsphase. Wirklich zur Vollendung kam es dann mit dem Feedback von Connaisseur im Januar 2021.

Du thematisierst auch die Pflichten und Ablenkungen der digitalen Welt, die sich dir als Künstler stellen. Was überwiegt für dich? Wie gehst du generell mit dem Thema um?

Ich bin wirklich nicht der Typ, der für Social Media gemacht ist. Ich weiß, dass es wichtig ist, hier Präsenz zu zeigen und dass es natürlich auch eine Chance ist, als kleiner Künstler mit einfachen Mitteln Reichweite zu generieren. Aber eigentlich will ich am liebsten nur meine Musik machen und Konzerte spielen.

Du hast dein Album mit Field Recordings, selbstgebauten Instrumenten und Hardware sowie der Bearbeitung deiner eigenen Stimme produziert. Kannst du uns das im Detail etwas näher darlegen?

Ich hatte vor Corona eine Phase, in der ich meine ersten internationalen Gigs gespielt habe. Das war in Istanbul, Kiew und ein paar Mal in der Schweiz. Ich habe die Gelegenheit dann stets genutzt, etwas länger an diesen Orten zu bleiben und mit dem Field-Recorder Aufnahmen zu machen. Dabei sammle ich vor allem perkussive Klänge, also ich trommle auf allem, was mir unter die Finger kommt und baue damit meine Drums. Aber ich suche auch immer nach rauschartigen Texturen, wie Regen, Wasserfälle, Sturm etc., die man dann anstelle von White Noise auf verschiedenste Arten verwenden kann.

Zu dem DIY-Faktor: Ich arbeite seit einigen Jahren an einem selbstgebauten Soundmanipulations-Setup auf Basis der Open-Source-Hardware Axoloti. Das ist ein Gerät, das man selber programmieren und verlöten kann, um so Effekte, Synthesizer, oder was man sich auch vorstellen kann, zu bauen. Damit habe ich mir einen Looper, Granular-Sampler, Sequencer und abgefahrene granulare Effekte programmiert. Dieses Setup ist so ausgelegt, dass ich da sowohl Instrumente als auch Sounds aus meinem Rechner hineinschicken und sehr spielerisch elektronisch verbiegen kann. Man hört die Klänge, die ich damit gemacht habe, eigentlich auf jedem Track und dann natürlich auch in meiner Live-Performance.

Für die Bearbeitung meiner Stimme habe ich einen sogenannten Vocal-Harmonizer benutzt. Das ist ein Gerät, das aus einer einzelnen Stimme mehrere künstliche Stimmen generiert, je nachdem, welche Noten man auf dem Midi-Keyboard hineinspielt. Ich habe den Harmonizer bewusst so eingestellt, dass er einen sehr künstlichen gläsernen Klang hat. Ich wollte, dass es auf „All That Fiberglass“ zum Beispiel so klingt, als wäre hier eine menschliche Stimme in einem digitalen Raum gefangen und würde probieren auszubrechen.

Mit all diesen Elementen will ich das Thema von dem Album auf verschiedenen Ebenen ausdrücken.

Wie kam es eigentlich zum Albumtitel?

Das ist eins der Textfragmente, die mir zum Jahreswechsel 2019/2020 in den Kopf kamen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich vieles von dem, was ich mache, nicht in diesem Social-Media-Kontext ausdrücken kann, dass einfach nicht alles Gefühl in diese verdammte Highspeed-Fiberglass-Datenleitung reinpasst. Deswegen: „All That Fiberglass can’t carry what I feel“, die Lyrics des Titelsongs.

Du bist schon viel in der Welt herumgekommen und lässt dich auch durch deine Reisen inspirieren. Was genau steht da für dich im Mittelpunkt? Die Menschen, das Land selbst? Andere Faktoren?

Tatsächlich ist die Musik und Musikkultur in dem Land immer von großem Interesse. Ich liebe es einfach, mit Instrumenten herumzureisen und das Land und die Menschen so kennenzulernen. Man kann so auf einem Level miteinander kommunizieren, was anders nie möglich wäre. Sämtliche Sprach-, Kultur- und Sozialbarrieren verschwinden plötzlich!

Während der Pandemie war/ist das Reisen – gerade in entferntere Länder nicht so einfach bzw. gar nicht möglich gewesen. Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe angefangen, die Schönheit der Orte um mich herum mehr zu schätzen. Man kann auch in Brandenburg Bikepacking machen und so wunderschöne Orte entdecken. Ich habe mich schon auch etwas mehr in mich gekehrt und mich in diverse Projekte gestürzt. Das sind vor allem die DIY-Projekte, die ich oben beschrieben habe. Aber auch dieser ganze Albumprozess ist fast schon Coping Strategy mit Corona. Für diese Field-Recording-Sache habe ich im Lockdown angefangen, elektromagnetische Störgeräusche von Alltagselektronik mit einem speziellen Pick-up auf zu nehmen. Diese Sounds kann man sehr gut in „All That Fiberglass“ und „Connection Error“ hören, aber auch in anderen Tracks.

Im Mai wirst du bei der Africa Rising Music Conference (ARMC) auftreten, Connaisseur wird dort ein Showcase ausrichten. Wie kam es dazu und ist es dein erster Besuch in Südafrika? Was hast du für Erwartungen? 

Ja, ich bin superaufgeregt und freue mich unheimlich drauf. Es ist mein erster Besuch in Südafrika. Alex von Connaisseur hat mich gefragt, ob ich bei dem Showcase dabei sein will und ich habe sofort zugesagt. Ich habe viel Gutes über die elektronische Musikszene in Südafrika gehört. Ich freue mich vor allem, lokale Musiker*innen kennenzulernen und bin gespannt, was da unten so abgeht.

Was hast du noch für Pläne für 2022, was wünschst du dir?

Viele neue Tracks machen, Gigs spielen und den Übergang von der Pandemie zur Endemie. 🙂

Kurz & knapp

Meine erste Party:

Hmmm, naja, Geburtstagsparty eines Kumpels mit 14 Jahren. Das erste Mal etwas großes Elektronisches war wohl der Love Family Park 2008.

Mein erster eigener Gig:

Ich bin Musikerkind, ich hab schon mit zehn Jahren die Stücke meines Vaters aufgeführt. 😉

Meine erste Gage:

Das muss wohl mit irgendeiner der Metal-/Hardcore-Bands gewesen sein, in denen ich als Teenager gespielt habe.

Mein erstes Musikinstrument:

Klassische Gitarre

Als Anfang März 2012 das erste FAZEmag herauskam, habe ich …

… in Groningen studiert und an meinem ersten Live-Set gearbeitet.

 

Aus dem FAZEmag 121/03.22
Text: Tassilo Dicke
Foto: Tobias König
www.soundcloud.com/blindsmyth