Elektronische Musik aus Deutschland genießt einen guten Ruf. Auf der ganzen Welt fallen da Schlagwörter wie Berlin, Tresor, Berghain, Kraftwerk – Begriffe, mit denen beinahe jeder etwas anfangen kann. Auch Boris Brejcha genießt im Ausland eine hohe Aufmerksamkeit. Besonders in Mittel- und Südamerika werden seine Tracks hoch- und runtergespielt. Der aus Ludwigshafen stammende Künstler entdeckte seine Vorliebe für elektronische Musik im Schulunterricht. Doch statt Flöte, Triangel und Xylophon hörte er hier zum ersten Mal Hardcore. Geschockt und doch voller Neugier beschäftigte er sich weiter mit elektronischer Klangerzeugung und so veröffentlicht er nun bereits sein fünftes Album. „22“ heißt es und ist zeitgleich der erste Longplayer auf seinem eigenen Label Fckng Serious. Grund genug, ihm ein paar Worte zu entlocken!
Das Album heißt „22“. Wieso? Liegt das an deinen Initialen?
Der Zusammenhang mit meinen Initialen ist eigentlich nur Zufall. Die Zahl an sich gefällt mir jedoch schon lange. Nachdem mir die Verbindung zu meinen Anfangsbuchstaben bewusst geworden war, ist sie auch zu meiner Lieblingszahl geworden. Also wieso nicht das fünfte Album so nennen? Die Idee dazu kam spontan und hat mir gefallen, ein besonderer Hintergrund verbirgt sich allerdings nicht dahinter.“ Wie du eben schon angesprochen hast, ist „22“ dein fünftes Album, jedoch das erste auf dem eigenen und noch sehr jungen Label Fckng Serious. Ein wichtiger Meilenstein in der eigenen Karriere. Wie fühlt sich das für dich an?
„Es war super wichtig, dass ich diesen Weg mit dem eigenen Label gegangen bin, denn es gab in der Vergangenheit doch auch immer wieder Komplikationen mit Harthouse. Das ist zwar ganz normal, aber das Gute an meiner jetzigen Situation ist, dass ich nun veröffentlichen kann, was ich will, ohne dabei auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Unser Label hat sich auch von Beginn an breit aufgestellt, es gibt also nicht nur eine Musikrichtung, vielmehr macht jeder unserer Künstler etwas anderes. Das finde ich ziemlich cool und das macht in dem Stil auch sonst niemand. Um aber wieder auf das Album zurückzukommen, ich hatte da eine ganze Menge an Liedern, die einfach raus mussten. Was das Produzieren angeht, bin ich sehr schnell unterwegs und deshalb dachte ich auch, es wäre an der Zeit, ein Album rauszuhauen – ohne eine großartige Intension, aber eben doch ein Stück persönliche Geschichte.
Was unterscheidet „22“ von deinen früheren Releases?
Dieses Album soll die Leute wissen lassen, woran ich in letzter Zeit gearbeitet habe und was sie Zukunft von mir hören werden. Im Gegensatz zu früheren Zeiten bergen die Tracks nämlich eine ganze Menge an Electro-Einflüssen. Da hat auch EDM ein wenig auf mich abgefärbt.
Und obwohl du so viel Material hast, packst du alles auf ein Album? Die meisten hätten da doch zwei oder mehr Alben daraus gemacht.
Natürlich kann man auch nur acht, neun oder zehn Lieder mit einem Album veröffentlichen, aber ob das nun sinnvoller ist, weiß ich auch nicht. Diese 22 Tracks jedoch bieten einen tollen Mix – ob man daheim bleibt und chillt, im Club ist und abtanzt, ob man eine Vorliebe für Electro oder für Techno hat. In diesen Liedern finden die Hörer meine ganze musikalische Bandbreite. Ich mache Musik, wie ich mich fühle, und versuche nicht, mir einen gewissen Stil aufzuzwingen. Und obwohl 22 Tracks schon eine Menge sind, hätte ich noch 133 weitere bisher unveröffentlichte Lieder in petto. Ich habe mir sogar überlegt, ob ich nicht über die nächsten zwei Jahre hinweg jede Woche ein Lied veröffentlichen soll, einfach so zum Spaß. Das wäre auf jeden Fall etwas Neues!
Das ist wirklich eine ganze Menge Holz! Hast du nicht das Bedürfnis, alle deine fertigen Lieder zu veröffentlichen und deinen Fans zu präsentieren?
Schön wäre das schon, denn eigentlich bin ich der Typ, der heute einen Track fertig produziert und ihn morgen direkt raushauen will. Das Lied ist dann noch frisch und die ganzen Emotionen, die man in die Arbeit hat einfließen lassen, sind noch aktuell. Aber manchmal ist es auch gar nicht so schlecht, die Tracks eine Weile liegen zu lassen, denn dann hört man sie nochmal anders und stellt fest, dass man den einen oder anderen vielleicht doch nicht releasen möchte. In Zukunft werde ich da aber weniger Zeit vergehen lassen – es ist einfach zu schade, wenn du einen Track schon tausendmal gehört hast, bevor er überhaupt veröffentlicht wird.
Und was passiert nun mit den anderen 133 Tracks?
Das kann ich so jetzt gar nicht sagen, allerdings werde ich deshalb kein neues Label oder ein neues Pseudonym ins Leben rufen. Ich finde, man sollte sich auf einen Namen konzentrieren.
Ein Pseudonym bei Vielseitigkeit im Stil – ein interessanter Punkt. Wenn ein Musiker sich gehen lässt, Inspiration aus verschiedenen Genres schöpft und sich ausprobiert: Macht ihn das als Künstler nicht erst authentisch?
Meine Fans kennen mich genau so. Aber es kommt schon manchmal vor, dass in Kommentaren gefragt wird, wieso ich jetzt diese oder jene Musik mache. Das sind dann Leute, die mich vielleicht einmal gehört haben, meine musikalische Entwicklung aber nicht kennen. Diejenigen aber, die diese Entwicklung mitgehen, tun sich leichter. Wenn du natürlich von heute auf morgen dein komplettes Genre wechselst, ist der Shitstorm vorprogrammiert. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, zehn Jahre lang die gleiche Musik zu machen – das wäre absolut langweilig.
In einem früheren Interview wolltest du nicht preisgeben, wie du bei deinen Produktionen vorgehst und auf welche Weise du deinen Sound erzeugst. Verrate uns doch stattdessen, wie dein Studio aussieht, welches Equipment zum Einsatz kommt und was essentiell für dein fünftes Album „22“ war.
Also im Grunde ist mein Studio absolut simpel aufgebaut. Ich nutze einen Mac mit Cubase, habe ein Midi-Keyboard, ein Mikrofon und ein paar Boxen. Ansonsten verwende ich keinerlei Hardware mehr. Ich hatte den Virus TI ausprobiert, doch wegen der Softwarebugs habe ich ihn nach zwei Wochen wieder verkauft. Ich habe mit Software angefangen Musik zu machen und das hat sich für mich auch bewährt. Auch (Software-)Synthesizer benutze ich nur wenige ausgewählte. Für das Album kamen zum Beispiel die Spectrasonics Omnisphere und Trilian zum Einsatz oder der Alchemy von Camel Audio. Diese Instrumente bieten extrem viele Möglichkeiten, eigene Sounds zu erstellen und zu kombinieren. Außerdem nutze ich die Plug-Ins von FabFilter. Besonders praktisch jedoch ist der Nexus, denn wenn du mal an einer Stelle im Lied hängst und nicht weiterkommst, dann findest du hier sicher eine Möglichkeit, deinen Sound zu komplettieren.
Da du sehr viel unterwegs bist – und das in der ganzen Welt –, bietet es sich an, möglichst wenig Hardware zu verwenden. So bleibst du flexibel und hast dein „Studio“ immer mit dabei. Entstehen die Tracks bei dir auch im Flugzeug oder in der Hotelbar?
Das habe ich auch probiert, aber dafür bin ich nicht der richtige Typ. Ich brauche die passende Umgebung, mein Studio, meine Boxen, die richtige Akustik. Ich sage es mal so: Wenn es darum geht, eine Melodie festzuhalten, dann ist das alles schön und gut – aber in der Regel wird ja Techno gemacht und da brauchst du Boxen! Wenn ich unterwegs bin, habe ich für so etwas auch kaum Zeit. Da gehe ich lieber raus und sehe mir die Stadt an, in der ich gerade bin, anstatt mich hinzusetzen und Musik zu machen.
Du bist ja sowieso permanent auf Tour. Wird es für dein Album „22“ eine gesonderte Eventreihe geben oder dürfen sich die Besucher deiner Gigs so oder so auf diese Tracks freuen?
Eine Tour zum Albumrelease ist eine gängige Sache, aber selbst bei Harthouse haben wir das nicht gemacht oder geplant, warum auch immer. Deshalb habe ich auch gar nicht daran gedacht. Zumal wir sowieso gerade dabei sind, das Label in Schuss zu bringen, und uns auf Labelnights konzentrieren möchten.
Obwohl du aus Deutschland kommst, genau genommen aus der Pfalz, scheint es, als seist du im Ausland präsenter als in der Heimat. Woran liegt das?
Wir wirken da nicht aktiv oder erzwingen Gigs in einem bestimmten Teil der Welt. Wir machen alles auf Anfrage. So läuft das auch bei mir persönlich. Und weil die erste Booking-Anfrage nach meinem Release 2006 aus Brasilien kam, habe ich eben dort gespielt statt in Deutschland. So kam es übrigens auch zu dieser Maske, denn als ich eingeladen wurde, war dort Karnevalszeit. Heute kann ich sie gar nicht mehr weglassen. In Deutschland hat es mit den Gigs einfach länger gedauert, wobei es auch hier mittlerweile relativ viele geworden sind.
Lass uns noch etwas über dein Label Fckng Serious sprechen. Wie wichtig ist das für die eigene Karriere, ein eigenes Label?
Ehrlich gesagt, wenn du ein Label gefunden hast, das dir Freiheiten gibt und mit dem du dich gut arrangieren kannst, dann brauchst du kein eigenes. Das bedeutet in erster Linie nämlich einfach Mehrarbeit. Man verbringt Zeit mit der Releaseplanung oder damit, wie man das ganze Projekt voranbringen kann – Zeit, die man auch in die persönliche Karriere hätte investieren können. Bei mir war der Wohlfühlfaktor allerdings nicht mehr gegeben und da ich mich auch nicht nach einem anderen potenziellen Label umschauen wollte, habe ich mein eigenes gemacht.
Neben dir gehören auch die Artists Ann Clue, Deniz Bul und das Duo Theydream zu Fckng Serious. Welche Pläne habt ihr für 2016 geschmiedet?
Bei mir steht natürlich das Album jetzt erst mal im Vordergrund und auch die anderen Acts werden mit einigen Releases versuchen, sich mehr und mehr zu etablieren. Natürlich wollen wir, wie auch im vergangenen Jahr, einige Labelnights realisieren. Im März feiern wir in Paris und weitere werden in Tel Aviv sowie in der Schweiz steigen. In Mexiko, Brasilien und Argentinien konnten wir uns bereits präsentieren und das hat super funktioniert. Auch arbeiten wir an einer besonderen ,Fckng Serious Show’, diese geht jedoch über eine normale Labelnight hinaus. Bei unserer ersten in Sao Paolo hatten wir eine Stunde vor regulärem Einlass ein Meet & Greet für die ersten 100 Kartenkäufer angesetzt. Alle Gäste erschienen dem Dresscode entsprechend und auch die Visuals auf der riesigen Leinwand leisteten ihren Beitrag zu einer großartigen Nacht. Stück für Stück werden wir dieses Event nun auch nach Europa holen. Lets get fckng serious! / Gutkind
Die Review zum Album: Boris Brejcha – 22 (FCKNG Serious)
Aus dem FAZEmag 049/03.2016