Die Maske – als Instrument, als Statement, als Schutz, um Aufmerksamkeit zu erregen oder einfach nur als Accessoire. Es gibt viele Gründe, als Künstler eine zu tragen. So vielfältig diese Gründe sind, so verschieden sind auch die Typen hinter den Masken. Von der Anonymität der Snuff Crew über das ewige Versteckspiel von Daft Punk bis hin zur Skurrilität eines Anklepants und der fast lächerlichen Maskerade von Cazzette und DJs from Mars. Eine goldene Version trägt Claptone. Einer von der mysteriösen Sorte – kaum greifbar, aber dennoch präsent und nah am Publikum. Einer, der sich nur über seine Musik definieren möchte, keine Ablenkung zulässt – obwohl ein solches Verhalten noch viel mehr Fragen aufwirft. kürzlich ist sein Debütalbum „Charmer“ erschienen. Der Weg bis dahin war gepflastert von Clubhits. Und wir pflastern nun Claptones Weg mit Fragen …
Vor vier Jahren erschein deine erste Single, der Anfang eines ziemlich steilen Aufstieges. Wie schaust du darauf zurück?
Das ist schon vier Jahre her? Es war eine hektische Zeit … Ich habe sie sehr positiv wahr genommen und freue mich. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich die erste EP gesehen habe, die bei Beatport in die Charts ging, bzw. ein Titel davon, den ein bekannter DJ gechartet hatte. Das war natürlich ein großer Erfolg für mich. Dann kam die zweite EP, und die ging plötzlich auf Platz 1, was mich wie- der sehr gefreut hat. Und so kamen immer weitere Überraschungen dazu, von denen ich dachte, dass das nicht mehr besser geht – obwohl es jetzt na- türlich nicht der Anspruch ist, einfach nur hoch in 18 sämtlichen Charts zu sein. Aber diese Akzeptanz der
Tracks durch die Hörer habe ich so nicht erwartet. Die größte Überraschung dabei war sicherlich „No Eyes“. Das war eigentlich die B-Seite von „Wrong“. „Wrong“ kletterte auf Platz 1 der Beatport-Charts, „No Eyes“ auf Platz 2 – und schließlich war das Stück dann auf dem ersten Rang. Danach wurde es sogar im Radio gespielt. Es war nicht vorherzusehen, dass das so groß rauskommt, vor allem weil es doch eher ein Song als ein Track ist. Bis heute funktionieren die Dinge unglaublich gut und überraschen mich immer wieder.
Wie geht man mit diesem unerwarteten Erfolg um?
Durch meine Jahrhunderte lange Erfahrung bin ich wohl schon geerdet. Trotzdem und grundsätzlich ist besteht natürlich die Gefahr, dass man sich zu wichtig nimmt. Und es ist wichtig zu realisieren, dass sich die Erde nicht um einen selbst dreht. Man hat ein paar Freunde und ein paar Feinde, muss sich damit arrangieren und findet seinen Platz. Die Musik hilft mir dabei, mit der Welt umzugehen und mit ihr zu kommunizieren.
Was hat sich am meisten verändert in den letzten Jahren, hast du da besondere Erfahrungen gemacht?
Wirklich umwälzend sind die sozialen Medien. Und davor schon die Digitalisierung der Musik, das Streaming. Dass jeder deine Musik kennt, man durch deren Verkauf aber kaum mehr Geld verdient. Auf der anderen Seite jedoch findet eine Kompensation durch das Auflegen statt. Aber das ist das Tolle an Musik, diese stetigen Veränderungen der letzten Jahre, das hält einen im Kopf jung. Zudem inspi- rieren die Masse und die Vielfalt an Produktionen. Musik wird nicht schlechter, weil es jetzt viel mehr davon gibt und sie jemand kauft oder nicht kauft. Oder dadurch, dass jeder Musik machen kann. Die Strukturen verändern sich fortwährend. Die Zyklen, in denen sich die Musik verändert, werden kürzer. Immer mehr Subgenres entstehen, die werden immer schneller abgelöst. Das fasziniert mich, und daher begrüße ich die ganzen Veränderungen auch.
Viele Fragen dazu sind bis heute unbeantwortet.
Unbeantwortete Fragen sind viel spannender als beantwortete Fragen. Mich reizen Geheimnisse viel mehr als platte Statements. Ich lasse gerne Dinge einfach mal so stehen, dann kann jeder etwas hineinlesen und bringt sich so in den Prozess mit ein. Ich möchte die Menschen einbinden, anstatt zu sagen: „Da geht es lang“ oder „Hier geht es lang“ und die Masse soll bitteschön folgen. Das ist nicht mein Anspruch, und daher bin sehr froh, dass so viele Fragen aufgeworfen werden, die man sich vielleicht bemüht zu beantworten oder eben nicht, die einen aber immerhin involvieren.
Claptone ist natürlich auch eine Figur, die mit ihrem Auftreten und ihrer Präsenz Fragen aufwirft …
Ja, auf jeden Fall. Ich mag Geheimnisse. Ich möchte, dass die Leute sich insofern mit Claptone auseinandersetzen, als dass sie Fragen stellen. Und ich frage dann zurück.
Gerade ist dein Debütalbum erschienen. Wann hast du dich erstmals diesem Projekt gewidmet?
Es gab lange Zeit keinen konkreten Plan, ein Album zu machen. Ich war damit zufrieden, Singles zu produzieren und damit erfolgreich zu sein. Aber dann hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Den Moment habe ich bereits beschrieben: Als „No Eyes“ mit Jaw von dOP als B-Seite und kompletter Vocaltrack ins Radio geholt wurde und in Belgien in den Charts landete, ohne dass man das irgendwie forciert hätte. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, aber es hat mir gezeigt, dass es geht, Clubmusik zu machen,
20 die eingängig ist. Das man sich zwischen Club und Pop positionieren kann, ohne dass es peinlich ist, ohne dass man den Club ausverkauft oder dass man Musik produziert, die man im Radio nicht hören möchte und sofort wieder ausschaltet. Man kann schöne Songs schreiben, die sowohl im Club, als auch zu Hause, im Radio und im Auto funktionieren. An diesem Punkt startete der Denkprozess für „Charmer“. „No Eyes“ war der Auslöser dafür, mehr zu wagen. Der Titel wurde als das wahrgenommen, was er für mich war: ein Clubtrack mit Vocals. Alles, was darüber hinaus funktioniert, wie Radio und Auto, ist Zugabe – und es ist nicht peinlich, das ist ganz wichtig.
Du bist viel unterwegs. Fiel es dir schwer, dir Zeit für ein Album zu nehmen?
Aktuell bin ich in der Tat viel auf Reisen. Beim Produktionsprozess des Albums, der sich über zwei Jahre hin zog, war es nicht so schlimm, da habe ich mir auch einfach die Zeit genommen. Jetzt ist es allerdings sehr schwierig, daher nehme ich vorerst keinen Remixauftrag an und arbeite nicht an neuen Songs. Bis März ist alles dicht. Ich liebe die Studioarbeit und sehne mich gerade danach zurück. Wahrscheinlich auch, weil ich keine Zeit habe. Sobald ich anfange, Musik zu machen, gleite ich in eine andere Dimension, da sind die Ohren nur noch auf die Musik gerichtet, und ich nehme nichts anderes mehr wahr und esse oft lange nichts. Ich tauche erst wieder auf, wenn ich extrem hungrig bin oder mir den Wecker stelle, weil ein Termin ansteht. Wenn man das Ganze lebt, dann geht es auch um das Endprodukt. Auch wenn es natürlich wichtig ist, dass man mit dem Ergebnis zufrieden ist. Aber Musik zu produzieren ist auch eine Art Meditation.
Wie bist du bei der Auswahl der Gesangspartner vorgegangen?
Ich habe die Leute angeschrieben oder nach einem Konzert gefragt, deren Stimme mich schon über viele Jahre inspiriert hat, deren Platten mich verzaubert, mitgenommen und umgehauen haben. Ich habe ihnen dann Layouts geschickt. Viele haben auch Nein gesagt oder ihnen ist am Ende nichts eingefallen. Aber einige haben eben Ideen, Texte und Gesang zurückgeschickt, und das hat dann erschreckend oft hundertprozentig gepasst für mich. Ich wollte vermeiden, ein Album zu machen, bei dem ich mir alle möglichen Sänger fürs Studio miete und dann alles klingt wie *******. Das passiert viel zu oft bei solchen Projekten.
In der Tat eine sehr bunte und abwechslungsreiche Mischung …
Ich habe einfach versucht, Sänger mit extrem viel Charisma einzubinden, die eine ganz eigene Stimme und Qualität haben und trotzdem zum Universum von Claptone passen. Da steckt jeder seinen definierten Bereich ab. Wie Jimi Tenor. Der kommt verrückt-spaßig daher, hat einen fast schon sarkastischen Text abgeliefert, aber dennoch eine Partyhymne gesungen. Oder Jay-Jay Johanson, der sehr einfühlsam und zerbrechlich ein Liebeslied singt. Peter Bjorn & John, die eindringlich politisch rüberkommen und dazu ein bisschen Indie in den verschrobenen Funk-Stampfer „Puppet Theatre“ einbringen. So wollte ich das. Ich wollte nicht eine weitere Platte machen, bei der der Verlag sagt: „Arbeite mal mit dem Songschreiber XY zusammen, dann geben wir dir den Sänger ABC dazu. Dann haben wir eine gute Mischung und garantiert einen Top 10- oder Radiohit.“
Das klingt ein bisschen so, als hättest du nicht ohne Grund einen Bogen um Majors gemacht und dich schließlich für PIAS/ Different entscheiden …
Ob ich die normalen Klischees aufwärmen soll? Aber die sind schon ziemlich nah an der Wahrheit. Ich arbeite mit PIAS/Different und immer noch Exploited zusammen, weil diese Labels mit Künstlern zusammenarbeiten. Es ist für mich wichtig, dass ich machen kann, was ich will und mir keiner erzählt: „ XY ist Nr. 1 in den Charts, mach doch mal einen Track wie XY.“ Sechs Monate später ist jemand anders Nummer 1 mit einem Saxophon, und dann heißt es: „Mach doch mal einen Track mit Saxophon.“
Noch mal zurück zu den Kollaborateuren. Jaw taucht auch bei „Charmer“ auf. Er scheint dich nachhaltig zu faszinieren …
Das Interessante war, dass ich ihn ursprünglich wegen seiner Funk-Stimme einbinden wollte, eine Stimme, die er auf „No Eyes“ eigentlich gar nicht zeigt. Jaw hatte sich aber eben diesen Track ausgesucht und mir dann eine Seite von sich präsentiert, die ich gar nicht kannte. Er ist extrem vielseitig, und auf dem Album kommt eher der Jaw zur Geltung, der auch oft bei dOP zu hören ist. Er hat eine Stimme mit extrem viel Charakter, und eben deswegen reiht sich Jaw nahtlos in die Liste der Gäste auf „Charmer“ ein. Es schwingt immer eine einzigartige Stimmung mit, beziehungsweise es singt immer eine einzigartige Stimme mit. So wollte ich es fürs Album, damit ich mich als Claptone auch in den Schatten hinter diese Stimme stellen kann. Ich sehe mich gerne dort. Ich muss mich nicht auf tausend Fotos sein, ich signiere nichts, ich mache kein Foto mit einem Fan im Arm. Dabei hilft mir brauche ich aber jemanden, der als Stimme vor mir steht. Der für mich den Mund aufmacht. Und genau das können die Sänger auf dem Album. Sie machen zwar andere Musik, aber ich sehe den Bezugspunkt zwischen uns und arbeite ihn heraus. Alle Kollaborationen auf „Charmer“ erscheinen mir stimmig. So stimmig, dass es sich fast an- gefühlt hat, als ob ich selbst den Mund aufgemacht hätte. Das Album kommt meiner Vision extrem nahe.
Was fehlt denn noch zur kompletten Vision?
Ich glaube, wenn man 100 Prozent zufrieden ist, kann man auch aufhören. Ich habe sehr viele Leute angesprochen und gefragt, ob sie mit mir zusammenarbeiten würden. Bei einigen hat es zeitlich einfach nicht hingehauen. Das heißt, es könnten beim nächsten Mal noch ein paar andere dabei sein. Und vielleicht wird ja der eine oder andere durch dieses Album erst auf Claptone aufmerksam. Wobei das nicht zwangsläufig bedeutet, dass mein zweites Album unbedingt wieder mit Gastsängern stattfinden muss. Es kann auch sein, dass ich ein Instrumentalalbum mache oder jemanden treffe, der so eine Stimme hat, dass ich mit ihm komplett das ganze Album gestalte.
Wie kann man das Gefühl beschreiben, mit Leuten zu musizieren, deren Alben man nicht ohne Grund in der eigenen Plattensammlung hat?
Es ist wunderschön und erfüllend, diese Möglichkeit zu haben. Das bietet einem Musik. Musik ist Kommunikation. Ich muss die Leute nicht mal treffen. Man schickt sich Sachen hin und her, man hat sich was zu erzählen – und am Ende kommt ein Song dabei heraus, der einen glücklich macht.
Wo liegen die musikalischen Wurzeln von Claptone?
In der Liebe zur Musik im Allgemeinen. Die schließt letztlich nichts an Genres aus, basiert eher auf einer umfangreichen Musiksammlung und Erinnerungen, die zurückreichen in die Urzeit des Pop – mit den Beatles, den Doors, Beach Boys –, dann aber mit Clubmusik revolutioniert wurden. Wenn du mit der Frage nur auf den Club abzielen möchtest, würde ich sagen, dass Claptone im ursprünglichen House seine Wurzeln hat. Also angelehnt an diesem Feeling von echter Housemusik, organisch, leicht dreckig und mit dem Versuch, menschlich zu sein. Denn letztlich weiß ich als Claptone ja nicht so recht, ob ich ein Mensch, ein Vogel oder eine mystische Figur bin. Der Sound hilft mir, menschlich zu werden. Ich versuche, mein Menschsein durch die Musik zu erfahren und meine Seele über den Sound zu finden. Zudem möchte ich Musik machen, die Menschen emotional berührt. Das bedeutet nicht, dass alle Leute meine Musik lieben sollen, sie sollen sie auch hassen. Es geht doch darum, dass meine Musik für jemanden etwas bedeutet, bei dieser Flut von Musik, die wir haben. Musik wird ja nur dadurch relevant, dass man zu ihr eine Beziehung aufbaut, aufbauen muss. Dass man sie verknüpfen kann mit traurigen oder glücklichen Erinnerungen oder anderen Dingen, die einen persönlich berühren. Das hat eben viel mit dem Sound zu tun, der versucht, organisch und menschlich zu sein. / Tassilo Dicke
Review: Claptone – Charmer (Different/PIAS)
Aus dem FAZEmag 046/12.2015
Foto: Andreas Waldschütz