Das Ketamin-Experiment – Interview mit einer Ketakonsumentin

 

Als ich das erste Mal von Ketamin hörte, wurde mir erklärt, dass es sich dabei um ein Pferdebetäubungsmittel handelt. Daraufhin stellte sich mir die Frage, wie bescheuert muss man eigentlich sein, sich ein Medikament reinzuziehen, das eigentlich für Tiere mit einem Durchschnittsgewicht von einer halben Tonne bestimmt ist. Jedoch gibt es hier klare Unterscheidungen. Überwiegend wird das Narkosemittel in der Tiermedizin verwendet. Unter bestimmten Bedingungen setzen es Mediziner auch beim Menschen ein. Durch den Einsatz des Betäubungsmittels kann das Schmerzempfinden stark reduziert werden und Bewusstlosigkeit hervorrufen. 

Doch was passiert eigentlich mit uns, wenn wir das Anästhetikum außerhalb der Klinik einnehmen? Viele von uns haben schon mal Leute auf Keta gesehen, wenn nicht sogar selbst ausprobiert. Aber wie genau hast du dir die Person angeschaut, ihr Verhalten gemustert oder auf ihre Reaktionen geachtet? Da mich das Thema sehr interessiert, habe ich den Versuch gewagt und ein Interview mit einer Konsumentin gestartet, während sie die Droge intus hatte.

Mein Interview startete am Samstag, den 18. Mai um 10:11 Uhr. Ich, frisch ausgeschlafen, mein sogenanntes Versuchskaninchen war noch wach. Wir starteten im Wohnzimmer, zum aktuellen Zeitpunkt befanden sich fünf Menschen im Raum.

Hallo Konsumentin. Wie viel hast du heute geballert?

Viel. Nicht genug. Keine Ahnung. Was war die Frage?

Frage wiederholt:

Schwer zu sagen.

Eher viel oder wenig?

Mittelmäßig. Mittelprächtig. Mittelprächtig geballert würde ich sagen.

Was machst du beruflich?

Das ist ne gute Frage, was ich beruflich mache. Frage ich mich auch oft. Ähm. Was mach ich um mein Geld zu verdienen? Womit verdiene ich mein Geld? Ey, mein Gott.

Kannst du die Frage beantworten?

Ich sitze grade hier auf dem Sofa. Das ist so verstrickt. Die Couch wird irgendwie voll lange grade. Also eine räumliche Wahrnehmung hab ich nicht mehr.

Ah, also ich bin Marketinganalystin und Projektmanagerin. Ich bin auf jeden Fall busy und so. Buuuuuusy.

Was magst du an deinem Job?

Meine Kollegen. Die sind einfach so korrekt. Einfach so aufs-Maul-korrekt.

Was hasst du an deinem Job?

Ich hasse es, Leuten hinterherlaufen zu müssen und sie an Dinge erinnern zu müssen. Ich hasse es Leuten hinterher zu laufen, da ich mich selbst nicht erinnern kann, weil ich alles vergesse. Und wenn ich mich nicht erinnern kann, wer erinnert sich dann?

Muss mal kurz meine Augen schließen, sorry. Ey die sind aufgebraucht. Seh keine Farben mehr. Jedes Mal wenn ich ein Wort sage, schnalze ich so mit der Zunge, dass es knackt. Es knistert in meinem Kopf.

Was hast du gestern gegessen?

Heute ist doch jetzt – Samstag ne? Heute ist der Samstag ne? Wenn du gestern sagst, meinst du Freitag oder? Arrabiata.

Wie geht es dir im Moment, kommst du noch klar? 

Ich bin heftig am Fliegen, kann nicht mehr gerade aus gucken, nicht mehr konzentrieren, kann keine WhatsApp mehr lesen. Perfekt. Zittrig.

Zittrig?

Ja, es kribbelt so richtig angenehm warm. Bis unter die Fingerspitzen. Bis in die Fingerspitzen.  Dann kann ich Schattenspiele spielen (Fängt an, währenddessen mit ihren Händen zu spielen).

Um meiner Verbraucherin das Interview angenehmer zu ermöglichen, beschlossen wir, das Setting zu wechseln. Auch die Anzahl der Personen mussten wir reduzieren, da es ihr schwer viel, sich auf mich zu konzentrieren. Ab diesem Zeitpunkt waren wir zu dritt in einem Raum. Wir gingen in das Schlafzimmer, wo sie es sich auf einer Récamière gemütlich machte. Bevor wir den Raum switchten, zog sie noch mal eine Line. Dazu hörten wir ein Set von der Fusion aus dem Jahr 2018 – NINZE & OKAXY.

Konsumentin: Oh mein Goooooott, ich liebe das Lied. Also das Set.

Ab dem Zeitpunkt, wo wir anfingen, Musik nebenbei laufen zu lassen, war die übrig gebliebene Aufmerksamkeit wie erloschen. Sie fing an, mehr von sich aus zu reden und uns ihre Halluzinationen zu beschreiben. Es war wohl das erste Mal, dass sie unter dem Einfluss von Ketamin Visuals hatte. Zudem fielen ihre Antworten mit einem Mal viel klarer aus. Ihre Aussagen habe ich nicht verändert. 

Konsumentin: Die Decke sieht aus wie ein Ventilator, wie ein Kreis aus Lichtern, die sich drehen und tanzen. Wie Autos, die im Kreis fahren. Die Ästhetik hat mich sehr befriedigt. Sehr nice, fühle mich gerade, als gebe es kein Morgen. Keine Ahnung, wie viel Uhr wir haben, ist ja auch egal.

Und die Musik?

Boa. Alter. Hört ihr das selber? Ey, das ist Ketapop. Das ist das Genre 2019. Ich hör ganz stumpf die Geräusche von den Autos (Die Wohnung befindet sich im Erdgeschoss, direkt neben der Hauptstraße). Ich starr an die Nähte der weißen Decke, die Tapeten sind dunkler als der Rest. Und das sieht aus wie ein Haar. Wie eine Leiter. Da wurde nicht richtig geklebt und da auch nicht. Wie ein Schatten. Kann dir nicht sagen, ob es Schatten sind oder schlechte Tapeten. Auf jeden Fall eine Raufasertapete und die einzelnen Raufastermoleküle tanzen. Wie die Milchstrasse.

Was hörst du, wenn du dich auf die Musik konzentrierst?

Braucht lange zum antworten. 

Ich hör eine Melodie, die nie endet. Ich schaue nur an die Decke und die Schatten der Autos bewegen sich wie Fächer, die im Kreis rotieren. Die Decke kommt immer näher, umso länger man die anguckt, ich kann mir auf einmal alles vorstellen was ich möchte. Habe mir ein Dachgeschosszimmer vorgestellt, und die Decke ist einfach tiefer geworden, wie bei einer kleinen Dachgeschosswohnung.

Da es ihr schwer fiel, sich auf die Musik zu konzentrieren, stellte ich weitere Fragen.

Wann ist man deiner Meinung nach erwachsen?

Ich denke, (lange pause, seufzt) unfassbar schwierige Frage erstmal. Man braucht auf jeden Fall die nötige Reife, um das Leben zu verstehen. Um zu erkennen, das man nicht alles wissen kann und sich doch bemühen sollte, so viel zu wissen wie man kann.

Hast du diese Reife?

Ich hab die Reife und auch das Selbstbewusstsein. Und ich denke, ich könnte gerade überall sein wo ich möchte, aber ich habe keine Ziele. Ich müsste mir mal meine Ziele klar machen und wissen was ich mit meinem Leben anfangen will.

Was würdest du am liebsten mit deinem Leben anfangen?

Lange Pause. Ich musste die Frage wiederholen. 

Ganz ehrlich, ich würde mein Liebesleben gerne so lange wie möglich gesund halten. Ich bin ja sehr faul. Effizienz. Faulheit mit Intelligenz.

Ist von der Box abgelenkt. Die Musik wurde gestoppt und sie steht auf, um die Lautsprecher wieder anzuschließen. Hat den Faden verloren. Tanzt durch den Raum. 

Konsumentin fängt von sich an, über Ketamin zu reden:
Für mich ist Keta voll nice, habe nicht das Gefühl, dass ich meine Gedanken kontrollieren kann. Ich bestehe nur noch aus Gedanken. Meine 65 Kilogramm sind von mir abgefallen. Bestehe nur noch aus Gehirn, meiner Hülle, meiner Haut, Klamotten und so.

Das erste Mal macht sie sich über ihre Antworten Gedanken. Hat Angst, wie sie sich fühlen wird, wenn sie das Interview lesen wird. Will danach wahrscheinlich erneut Drogen nehmen. Steht auf, um eine weitere Nase zu nehmen. Muss um 15 Uhr arbeiten, es ist 10:50 Uhr. Als sie zurückkommt, setzt sie sich wieder hin. Zündet sich eine Zigarette an. Das Hören der gespielten Musik macht sie glücklich. Sie konzentriert sich nur noch auf den Sound und bittet uns, lauter zu machen. Sie beklagt sich über das grelle Licht und schließt die Augen. Steht erneut auf, weil sie die Musik aus dem Nebenraum hört, was sie als störend empfindet. Macht die Musik lauter. Tanzt erneut durch den Raum. Setzt sich wieder hin. 

Wann hast du das letzte Mal geduscht?

Überlegt lange. Kurz nachdem ich gestern aus Versehen Keta gezogen habe, anstatt Koks.

Wann war das?

Ich denke Freitag.

Du denkst Freitag, welcher Tag ist heute?

Samstag.

An welchem Ort wärst du jetzt am liebsten?

Musste die Frage wiederholen. 

Warum? (Stöhnt vor Anstrengung). Warte, lass mich nochmal nachdenken. (Redet wieder über die Musik. Beschreibt die Melodie). Klingt, als ob jemand ein Haus baut. Irgendwo am Strand. (Wackelt mit den Füßen, liegt im Moment. Raucht ihre Zigarette).

Ich wiederhole die Frage erneut. 

Darauf gibt es so viele Antworten. Aber eigentlich auch keine. Da wo ich jetzt gerade bin, möchte ich auch bleiben. Es ist perfekt. Man kann seine eigene Musik hören. Sich mit seinen besten Leuten unterhalten (Hört weiter der Musik zu).

Wann hast du das letzte Mal geträumt?

Weiss ich nicht. Aber ich glaube letzte Nacht. Aber habs wieder vergessen. Aber ich träume eigentlich jede Nacht. Immer irgendeine kranke Scheisse. Ich werde immer verfolgt oder umgebracht. Es ist immer wie ein Actionfilm oder Thriller. Aber das hat nix mit Drogen zu tun. Das habe ich schon immer. Habe auch total realistische Träume. Wirklich mit Menschen und Gebäuden, die ich kenne (Tanzt mit den Händen im Liegen).

Was magst du an Keta?

Musste die Frage wiederholen.

Ich mag, dass (Pause) Keta mich von meinem physischen Zustand löst. Psyche und Physis gehen getrennte Wege. Der Körper wird taub, man spürt ihn nur noch leicht, wie eine Feder.

Und weiter?

Oh mein Gott.

Person macht die Tür auf und schaut was wir machen. Die Versuchsperson schaut auf, bleibt weiter ruhig liegen. 

Frage erneut gestellt.

Das ist das, was ich an Keta mag.

Was denn?

Ketamin ist keine Droge, die einen halluzinieren lässt. Keine out-of-body experience. Der Körper wird freigemacht von jedem Ballast. Meine Handbewegung ist genauso leicht wie Ein- und Ausatmen (Macht Atemübungen).

Wie oft hast du schon Keta genommen?

Lass mal ausholen und sagen 9 Mal. 10 Mal. Keine Ahnung. Ich glaube 10 Mal.

Hast du es jemals bereut?

Ja, ich habe mir schon oft gedacht, hätte jetzt nicht sein müssen, weil ich nichts gemerkt habe davon. Weil ich immer sehr vorsichtig bin damit.

Ab diesem Zeitpunkt ist das Interview vorbei. Da es sich als sehr anstrengend erwies, haben wir beschlossen, es zu beenden. Die Konzentration wurde immer schwächer, Reaktionen auf die gestellten Fragen blieben oft aus. Meiner Konsumentin fiel es schwer, sich auf eine Sache zu fokussieren. Sie hatte ständig neue Ideen, die sie umsetzen wollte. Auch die Antwortzeit wurde immer länger, sodass es sich als schwierig erwies, fortzufahren. Die Länge des Interviews belief sich auf ca. 1-2 Stunden. Als wir den Raum verließen, lag sie auf der Liege und hatte die Augen geschlossen. Ganz friedlich. 

 

 

Text & Foto: Sofia Kröplin

 

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