Das komplette Interview: Ricardo Villalobos – Facebook und Twitter machen unsere Kultur kaputt

Ricardo_Villalobos-19295Ricardo Villalobos gehört zu den außergewöhnlichsten Künstlern in der elektronischen Musikwelt. Als Soloproduzent schuf er große Hits wie epische, versponnene Stücke, die auch gerne mal polarisieren. Als DJ kennt man ihn für lange, ausschweifende Sets und Partys. Wer sich einmal näher mit dem Phänomen Ricardo auseinandergesetzt hat, etwa durch die wenigen, ausführlichen Interviews, die er der Musikpresse bisher gab, oder durch den Dokumentarfilm „Villalobos“, den Romuald Karmakar über ihn drehte, der trifft auf einen Menschen, der eine ganz eigene Meinung vertritt. Eine Meinung, die ihn von vielen seiner Kollegen unterscheidet. Im Gespräch mit FAZE wird dies erneut deutlich.

 

Wie schwierig ist es für dich, mit dem ganzen Hype, der um deine Person herum entstanden ist, umzugehen?

Ricardo: Er ist mein größter Feind. Es ist für mich so, dass ich Opfer meines Erfolges werde. Ich bekomme extrem viel Aufmerksamkeit, und es wird extrem zu viel von mir erwartet. Doch eigentlich geht es doch wirklich nur darum, gemeinsam eine schöne Party mit seinen Freunden zu feiern, kollektiv eine schöne Zeit zusammen zu verbringen.  Und da bin ich nur ein Bestandteil der ganzen Sache. Doch dieses Feiern einer Person und diese spezielle Aufmerksamkeit und Verantwortung, die einem praktisch in die Schuhe geschoben wird, das ist wirklich mein größter Feind. Ich versuche daher mehr oder weniger, Methoden zu finden, das nicht mehr so an mich heranzulassen. Eben weil ich im Endeffekt einfach mit meinen Freunden eine schöne Party feiern und etwas zu deren Gelingen beitragen will. Ich bin genauso wichtig wie jeder einzelne Tänzer, wie der Türsteher oder der Typ, der die Boxen aufbaut. Und nichts anderes. Demgegenüber ist dieser ganze Hype natürlich oberkrass.

 

Welche Vorurteile und Geschichten über dich, die in der Öffentlichkeit kursieren oder auf dich projiziert werden, nerven dich denn am meisten?

Sachen, die in der Öffentlichkeit passieren, etwa im Internet, die lasse ich gar nicht an mich heran. Wenn sich etwa irgendwelche Gruppen von Leuten im Netz darüber auslassen, ob die Party jetzt gut oder schlecht war, setze ich mich nicht damit auseinander. Ich habe auch schon seit drei Jahren keine E-Mail-Adresse mehr, mache keine digitale Promotion. Das ist mir alles ein viel zu großes Diktat, dem ich mich nicht aussetzen will. Oder wenn ich auf Partys spiele und eine einzige Person mir versucht zu erklären, dass das, was ich mache, scheiße ist, kostet das extrem viel Energie, darüber hinweg zu kommen. Da brauche ich wirklich 20 bis 30 Minuten, um mich wieder zu sammeln. Man versucht ja, auf die Person einzugehen. Ein anderes Beispiel ist, wenn Leute Partys vergleichen. Man kann doch keine Party, keine Situation mit der anderen vergleichen. Menschen, die in ihrem Denken ihr Leben lang Dinge moralisch vergleichen, tun mir leid. Man kann keinen Sex vergleichen und man kann auch keine Party vergleichen. Es ist einfach ein Moment, zu dem sehr sehr viele Faktoren gehören, die entscheiden, ob eine Party gut wird oder nicht. Der Sound, die Mischung der Leute … Und wenn man es mal nicht so macht, wie es jemand erwartet hat, bekommt man gleich die volle Breitseite. Und das ist manchmal schwierig zu verdauen. Doch auch damit lernt man umzugehen.

 

Du hast ja schon erwähnt, dass du dich aus dem Internet  heraushältst. Verfolgst du denn dann überhaupt die Entwicklung von Plattformen wie Facebook, die ja viele deiner Kollegen nutzen, und das meist auch zur Promotion?

Jegliche Art von Promotion ist für mich der Anfang vom Ende. Wenn jemand die Selbstsucht hat, auf allen Medien präsent zu sein … Doch für mich ist gerade bei Partys, die einzige Promotion, die dafür zuständig ist, die Party selbst. Der Moment. Die richtigen Platten dafür zu finden. Wenn man schon viele Jahre Platten kaufen geht, den Motor dafür hat, die richtigen auszusuchen und dann im Moment der Party entscheidet und etwas wichtiges beiträgt. Dazu gehört auch die Zeit vorher, der Aufwand, sich nur damit zu beschäftigen, Musik zu hören. Eine gute Party promotet sich selbst.

 

Siehst du das genauso bezogen auf deine eigene Musik, oder die auf deinem Label Sei Es Drum, die oft ausschließlich auf Vinyl erscheint?

Die Veröffentlichungen kommen daher auf Vinyl heraus – und das werden auch alle Traktor-DJs  irgendwann merken – weil die Vergütung der durch das Internet verkauften Musik eine Verarsche ist. Wenn man aber eine Platte herausbringt, verdient der Plattenladen mit daran, der Vertrieb, der Künstler … Deswegen ist es so wichtig, diese Fahne hochzuhalten und ein originäres Produkt herzustellen, von dem man weiß: Okay, daran hat jeder, der daran teilnimmt, etwas verdient.

Alles andere ist Betrug. Und es werden alle DJs irgendwann merken, dass unsere Szene sonst kaputt gehen wird. Im Endeffekt muss man eine Entscheidung treffen, welche Platte man spielt. Und wenn man weiß, man hat die Platte gekauft und der Musiker bekommt etwas dafür, gibt einem das ein viel besseres Gefühl, sie zu spielen. Dann ist man mit der ganzen Situation im Reinen. Wenn ich jetzt nur Digitalfiles spielen würde, käme ich mir vor wie ein Ausbeuter.

 

Du meinst also, dass das Wertgefühl für Musik unbedingt wieder gesteigert werden muss?

Ja. Und genau deswegen ist es Labels wie Perlon oder auch meinem so wichtig, physische Tonträger zu machen, an denen alle mitverdienen. Ich glaube aber auch, dass die Szene wieder merken wird, dass es nicht nur darum geht, irgendwelche Platten und Informationen im Internet zu bekommen, sondern darum, eine gesamte Kultur aufrecht zu erhalten.

 

Spürst du denn schon eine Tendenz, dass es wieder besser wird?

Im Moment ist der Aha-Effekt noch nicht vorhanden. Meine DJ-Kollegen haben noch nicht begriffen, dass die Misere von Kunst, Musik, Motivation und dem Faktor, von Musik leben zu können, in Zusammenhang steht mit der ganzen Szene. Das Bewusstsein dafür existiert derzeit noch nicht. Aber ich glaube, es kommt. Ich glaube auch, dass DJs, die Platten spielen,  unterbewusst mehr Wertschätzung bekommen.

 

Vielleicht geht es dann ja auch wieder weg aus dem Internet und den Social Communities –  hin zu mehr zwischenmenschlichem Kontakt?

Wie persönlich ist denn Internet? Es ist total unpersönlich! Es schreibt dir deine Interessen vor. Über Facebook haben die Polizei und die Behörden alle Informationen, wo welche Party stattfindet.

Es ist so, als würdest du einen riesigen Big Brother in dein Haus lassen, der dann mit deiner Frau schlafen kann. Das ist Facebook. Es ist genau das, wovor George Orwell gewarnt hat.

Mein Freund Zip (von Perlon), wurde nach Amerika gebucht. Als er im Flieger saß, hatten die Behörden schon herausgefunden, auf welcher Party er spielen wird. Die warteten dann am verdammten Flughafen auf ihn und fragten: Haben Sie eine Arbeitsgenehmigung? Und dann wurde er einfach wieder nach Hause geschickt. Geht’s eigentlich noch?  Wenn man bei Facebook mitarbeitet, arbeitet man als Spion eines Spionagesystems. Und deswegen mache ich da nicht mit. Facebook und Twitter machen unsere Kultur kaputt. Die Kultur, die wir haben, ist der Moment, in dem wir etwas Gemeinsames erleben. Das ist es, worauf es ankommt. Alles andere ist scheiße. Ich möchte auch nicht wissen, ob jemand meinen Track oder mein Set gut oder schlecht fand. Wenn es einer nicht gut fand und er schreibt das im Internet, kann so eine subjektive Meinung zum Riesen werden, obwohl 300 andere es gut fanden. Das darf nicht sein. Aber das passiert, wenn Menschen nicht mehr persönlich miteinander reden. Entweder ist die Party gut, oder nicht. Es gibt nichts darüber zu sagen. Es geht nur um diesen Moment. Und deswegen möchte ich auch keinen Setmitschnitt von mir im Internet hören.

Aber es geht dir doch auch um die Exklusivität mancher Stücke, wenn du dein Set nicht öffentlich verfügbar machst?

Wenn ich im Studio Musik mache und denke: Okay, das kann man vielleicht als Platte herausbringen, dann lasse ich 300 Kopien davon machen, die gerade reichen, um sie meinen DJ-Kumpanen aus Frankfurt, Berlin usw. zu geben. Es wird einfach ausgetauscht. Die geben mir auch Stücke von sich. Die spielen die Tracks und können damit praktisch zu einer guten Party beitragen.  Dann denkt man sich: Das kann ich veröffentlichen. Es geht einfach darum, alle Informationen für eine Party zu liefern. Natürlich kann keiner von 300 verkauften Platten leben. Aber es gibt Sachen, die trotzdem wichtig sind, sie rauszubringen, dann macht man 300 Stück, oder eben nicht. Aber wenn diese Musik zu einem bestimmten Moment im Club läuft, dann hat sie ihren Soll erfüllt. Deswegen – und das machen wir schon seit vielen Jahren – kommen 99 Prozent der Tracks, die wir produzieren, nicht offiziell heraus. Sie werden aus einem bestimmten Gefühl heraus für eine emotionale Situation gemacht und wir tauschen sie dann untereinander. Darum gibt es bei Sei Es Drum auch keine Promos. Es reicht mir wenn ich die Sachen dem Raresh, dem Radu, dem Dorian Paic, der Vera und dem Zip gebe. Das ist die Promotion. Für die perfekte Party. Promotion generell ist der letzte Aufschrei, nach dem Motto: Hier bin ich, schaut mal … Und da mache ich nicht mit.

 

Für dich als etablierten Künstler ist es aber vielleicht einfacher, das so zu sehen, als für ein neues Label, das noch keiner kennt und das dann durch die Promos von vielen DJs positives Feedback bekommt. Es ist doch nicht verwerflich, wenn Musik, die gut ist, durch die Promo noch bekannter wird.

Gute oder schlechte Musik gibt es nicht. Musik ist eine subjektiv wahrgenommene Sprache, die man entweder versteht oder nicht. Musik sucht sich, weil es eine Sprache ist, ihren Zuhörer. Und sie qualifiziert sich aus sich selbst heraus. Da braucht man keine Promotion. Die Luftmoleküle sind Promotion genug. Und die Gefühle, die beim Hören hervorgerufen werden oder nicht. Ab und zu muss man über Musik reden oder sie erklären. Das ist dein Job als Journalist. Wenn aber jemand ein neues Label startet, mit Musik, die niemanden etwas angeht, niemandem etwas generiert, dann kann man so viel Promotion machen wie man will. Wenn jemand 20.000 Flyer für eine Party drucken lässt, sagt das doch auch nichts über die Party selbst. Deshalb ist die Information, die von Mund zu Mund weitererzählt wird, eine viel bessere Werbung als so viele Flyer. Wer mit Promotion anfängt, der ist schon am Anfang vom Ende.

 

Als Produzent bist du bekannt für epische Tracks und Remixe. Wäre denn das Format digitaler Tonträger nicht doch interessant, da nicht diese zeitliche Begrenzung wie bei CDs oder Vinyl herrscht?

Ich finde, auf der Suche nach Musik braucht man einfach viel Zeit  und sehr viel Aufwand und Interesse. Etwa in einen Laden zu gehen und genau diese Platte zu finden, von genau diesem Label und genau diesem Musiker, der seine Sache so gut macht. Das ist die Information, die ich brauche, um mich gut dabei zu fühlen, DJ zu sein. Bei den digitalen Releases wird Musik ja oft einfach so ins Netz gestellt, ohne einen Qualitätsfilter zu durchlaufen. Wenn man eine Platte kauft, dann haben schon fünf oder sechs Leute entschieden, dass sie gut und notwendig ist. Und darum geht es.

Einfach nur Musik zu veröffentlichen, obwohl es keine Sau interessiert und ohne dass irgendwer Geld dafür bekommen wird, das ist der Tod unserer Szene. Und deswegen kämpfen Leute wie Zip oder ich für unsere Sache, und versuchen sie den Kiddies vorzuleben, und das werden wir auch die nächsten 20 Jahre tun. Wir werden niemals digital werden. Es ist eine Aufopferung für eine Sache, die wir auch leben. Und es ist an der Zeit, Farbe zu bekennen und zu sagen: Wir machen es so, denn sonst geht die ganze Szene flöten. Es sind ja auch die gleichen Werte, wie etwa einen Brief zu schreiben oder zu telefonieren, also Werte aus der Vor-Computer-Zeit, die es gilt, aufrecht zu erhalten. Das sind Werte, die sich über eine lange Zeit qualifiziert haben. Es kann nicht sein, dass man nur noch am Computer sitzt und solche Dinge verkümmern. Wir verkörpern daher auch den menschlichen Kontakt, das Kollektiv. Das gemeinsame Erleben. Auch Familie, Freunde oder meinetwegen auch Sportverein verkörpern solche Werte. Es geht darum, eine Basis zu finden, um gemeinsam etwas erleben zu können. Meine Freunde und ich machen das wirklich konsequent und werden es auch konsequent weitermachen.

 

Wie schwierig ist es für dich, deinen Job als reisender DJ, sowie als jemand, der viel im Studio sitzt, mit deiner Rolle als Familienvater unter einen Hut zu bringen?

Es ist schwierig, und man muss sich gut organisieren und die Aufgaben teilen. Meine Frau muss da mitziehen, und es ist natürlich wichtig, dass sie wertschätzt, was meine Arbeit ist. Wenn man den gemeinsamen Nenner gefunden hat, sagt man: Du kümmerst dich darum und ich mich hierum. Und dann geht das. Dann kann man Kinder haben, aber auch DJ sein.

 

Heutztage gibt es ja auch viele andere DJs, die Väter sind …

Es ist ein extremer Aufwand und ein extremer Kampf. Aber man kommt durch, und ich bin das lebende Beispiel dafür, dass es geht. In den ersten Jahren ist es schwer zu organisieren und auch mit Missverständnissen verbunden, aber bei mir und meiner Familie hat es jetzt geklappt.

 

Du wohnst schon viele Jahre in Berlin. Wie bewertest du denn die Veränderungen, die um dich herum passieren? Ist dir da viel Negatives aufgefallen in der letzten Zeit?

Wir leben ja in einer Blase, die wirklich nicht relevant ist. Solange kein DJ-Terrorist von der CIA erschossen wird, ist unser Leben noch in Ordnung. Man muss ein paar Werte respektieren, aber dann kann das auch ewig so weitergehen. Ich sehe auch keinen Nachteil darin, etwa vor einem Publikum zu stehen, das keinen blassen Schimmer von rhythmischer Musik oder Tanzmusik hat. Man muss die Leute dann einfach mit den ersten drei, vier Platten überzeugen, dass man darauf  tanzen kann auf der Party und zwar so lange wie möglich. Man sollte einfach glücklich sein, dass man diese Situation in den Clubs überhaupt noch haben darf. Das hat man sonst nur noch bei Rockkonzerten und Fußballspielen. Wir müssen einfach alle dazu beitragen, das Kollektiv, das Zusammensein zu kultivieren. Da muss jeder seinen Teil für leisten, egal ob alt oder jung.

 

Du arbeitest regelmäßig mit vielen anderen Musikern und Produzenten zusammen. Gerade Berlin bietet auch dafür ja die ideale Umgebung …

Die ganzen Leute, die praktisch für diese Kultur kämpfen, die sind alle in Berlin. Wir treffen uns als Freunde in den Studios. Dann wird zusammen Musik aufgenommen und teilweise auch veröffentlicht. Wir versuchen, uns gegenseitig zu helfen. Es gibt genug Plattformen hier, und es ist auf jeden Fall ein Schlaraffenland. Die Mieten für Studios und Proberäume sind billig, und es ist die Stadt mit den meisten Clubs der Welt. Es geht hier aber nicht darum, große Massen zu befriedigen, sondern darum, spezialisierte Situationen gemeinsam zu erleben. Da ist Berlin ganz vorne. Mit den speziellen Regeln, die es gibt. Keine Sperrstunde, viele Möglichkeiten. Man merkt schon, das es allgemein in eine andere Richtung geht. Aber die Restriktion hat in Berlin bisher nicht gegriffen. Etwa das Rauchverbot, das vier Monate durchgesetzt wurde, dann war es schon wieder gegessen. Denn die Berliner lassen sich ihre Gewohnheiten, die zu dieser ganzen Kultur gehören, nicht nehmen. Doch man spürt schon den kalten Wind.

 

Die Stadt Berlin begreift ja erst sehr langsam, wie viel die ganzen Clubkultur und die Partytouristen dem Image und den Kassen der Stadt bringen …

Ja, in Berlin gibt es das eben alles noch. Und die Leute haben immer noch die Moral, einander zu helfen. Da werden eben keine Wucherpreise gemacht. Und es gibt jenen Partyanarchismus, der entsteht, wenn man eine gute Party hat. Wo die Regeln außer Kraft gesetzt werden und wo unterbewusst einfach mitgemacht wird. Wo man aus dem Bauch heraus sagt: Hier will ich bleiben und mit den anderen Leuten tanzen, etwas Gemeinsames erleben. Das ist das, was wir kultivieren müssen. In Berlin existiert es noch, aber wir müssen anfangen, uns zu wehren. Und da gibt es ein paar schlaue Leute, die sich mit den Regeln auskennen. Da gibt es Türsteher, die nicht allzu brutal und elitär sind. Und es gibt Leute, die sagen: Okay wir müssen nicht so viel Geld verdienen, wir lieben die Musik und die Situation, wir machen das. So entstehen dann viele kleine Clubs, in die 150 bis 200 Leute passen, wo nicht zu viel riskiert wird. Man muss einfach einen Weg finden, sich mit den Behörden zu verständigen. Das ist wichtig. Obwohl natürlich der Tanz und das, was wir machen, politisch relevant ist, aber nicht als politisch-relevant definiert wird. Denn wenn wir damit anfangen, haben wir ein Problem. Wenn man dann von Anarchismus redet, wird man direkt in die linke Ecke gesteckt. Solange es aber keinen DJ Bin Laden gibt, werden wir unser Ding hier machen können. Aber man muss sich schlau verhalten und mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten, die einen schützen. Und sei es der Türsteher, der einen davor schützt, dass komische Leute in den Club kommen.

 

Inwieweit hat sich denn dein Leben in Berlin auf deine Arbeit als Musiker und deinen Sound ausgewirkt?

Es ist wunderschön. Wir haben Kollektivstudios. Wir unterstützen uns gegenseitig. Und damit geht die Musik schon durch den ersten Qualitätsfilter. Da kann man schon bestimmte Sachen ausprobieren und sich vorspielen. Man gibt Stücke an Freunde und schaut, wie sich diese Stücke bewähren. Das gemeinsame Produzieren und Arbeiten ist etwas, das man probieren muss. Es ist wie im Sportverein. Aber statt nachmittags Fußball zu spielen, trifft man sich, um Musik zu machen.

Würdest du auch sagen, dass du dadurch mehr zum Musiker wurdest, der Jam-Sessions macht?

Ja. Wir setzen uns in den Studios zusammen und machen einfach drauf los. Und alle, die im Studio sind, machen mit. Da kann auch jemand kommen, der gar keine Ahnung vom Produzieren hat, der dabei sitzt. Der wird dann einfach auch beteiligt. So machen wir das. Wir werfen die Egos komplett über Bord und legen alles in eine gemeinsame Waagschale. Einfach aufnehmen und jammen. Ohne große Arrangements. Am Ende wird dann zusammenengeschnitten.

 

Bei deinem Soloproduktionen bist du ja bekannt dafür, auf der einen Seite vertracktere Stücke zu machen, auf der anderen Seite die offensichtlicheren Tracks, wie „MDMA“, „Easy Lee“, „Enfants“, die dann zu Hits wurden.  Verwirfst du oft Ideen, wenn dir etwas zu offensichtlich oder zu introvertiert erscheint?

Ich denke, Musik sucht sich ihren Weg. Sie ist ein Teil von Kunst und Kunst muss notwendig sein. Wenn es nur für dich selbst notwendig ist, ist es keine Kunst. Daher kann es passieren, dass man sagt: Das ist zwar jetzt ein Superstück, aber es ist jetzt nicht so offensichtlich. Ab und zu entsteht auch ein danciges, offensichtliches Stück und man bringt es heraus, weil es einfach danach schreit, herausgebracht zu werden. Es gibt aber auch ein Level von Clubmusik, die nicht den Tanzzwang hat. Dazu kann man dann tanzen, muss es aber nicht, sondern man genießt einfach beim Hören die Party. Wichtig ist, nicht immer auf die offensichtlichste Art Musik zu machen, nur um dabei zu bleiben. Über die Jahre gelangt man dann in eine Position, wo man erkennt: Das sind total abgefahrene Frequenzen, die die Leute dazu zwingen, sich endlich mal eine bessere Anlage zu kaufen. Es geht bei Clubmusik nicht nur um die direkte Message, sondern auch um Sachen, die im Hintergrund laufen. Frequenzen, die einen stimulieren und einem ein gewisses Gefühl geben. Das ist auch Bestandteil unserer Clubkultur. Darum ist es bei meiner Musik  mal so, mal so. Wie es eben gerade herauskommt. Die Musik auf Sei Es Drum zum Beispiel ist einfach Musik, die herauskommen muss. Deshalb auch der Titel Sei es drum. Man denkt nicht darüber nach, sondern die Releases haben sich von sich aus schon dazu qualifiziert, veröffentlicht zu werden. Das ist das Schöne daran. Aber man muss immer eine Notwendigkeit sehen. Als DJ muss man notwendig sein. In der Gesellschaft muss man einen Platz finden, an dem man sich nützlich machen kann. Ich höre Musik, was ein großer Teil meiner Arbeit ist. Andere gehen ins Kino. / Benedikt Schmidt

Aus dem FAZEmag 001/03.2012

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