Dave Clarke – Amsterdam, neue Remix-Kollektion und eigene Bühne auf dem Mysteryland

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Dass Dave Clarke einer der prägendsten Techno-Interpreten aller Zeiten ist, ist wahrlich kein Geheimnis. Angefangen mit Hip-Hop, weitergemacht mit Acid House, hat er sich dann doch dem Techno verschrieben. Mit großer Hingabe zur Musik lebt er diese in Form von unterschiedlichsten musikalischen Projekten. Seit einiger Zeit leiht er seinen Namen den Bühnen großer Festivals und darf ganz allein entscheiden, wer dort auftritt. So auch auf dem anstehenden Mysteryland. Aber ob es ein Fehler war, sein ganzes Leben der Musik zu widmen? Zweifel gab es bei ihm, wie er in unserem Interview verrät. Ein Gespräch über gute sowie schlechte Zeiten. 

Dave, es ist jetzt das zweite Mal, dass eine Stage auf dem Mysteryland Festival deinen Namen trägt, und du bist in diesem Jahr auch der einzige, dem dieses Privileg zuteilwird. Wie war deine Reaktion, als die Organisatoren das erste Mal auf dich zukamen?

Das erste Mal ist schon etwas länger her. 2006 war das, glaube ich. Natürlich war ich glücklich darüber. Es ist immer eine Freude bei solchen Events – und besonders dieses Jahr lief alles schnell und glatt. Ich glaube, wir haben ein ganz gutes Line-up hinbekommen. Wenn du auf so kommerziellen Festivals eine eigene Stage hast, fühlt es sich an wie ein kleiner Sieg für deine Musik. Normalerweise sind die Promoter auch sehr offen, was natürlich hilft.

Auch auf vielen anderen Festivals hattest du bereits deine eigene Bühne. Wird das für dich langsam zur Gewohnheit?

Ich fühle mich immer geehrt, denn im Endeffekt ist es auch eine Ehre, so etwas machen zu dürfen.

Wie darf ich mir den Prozess dahinter vorstellen? Wie gehst du bei der Auswahl deiner Gäste vor?

Ich wähle nie Künstler aus, nur weil ich mit ihnen befreundet bin, und ich wähle auch nie Künstler aus, nur weil ich weiß, ich könnte mit ihnen das große Geld machen. Ich schaue, was die Künstler bieten können, was sie für eine Musik machen. Wenn ich ehrlich bin, geschieht das mit einer gewissen Fan-Boy-Mentalität. Ich liebe die Musik der Künstler, für die ich mich entscheide, und bin auch immer aufgeregt.

Gab es Künstler, die du gerne haben wolltest, die aber nicht konnten?

Nein, in diesem Jahr lief alles glatt und genauso, wie ich es haben wollte.

War das immer so? 

Nein, manchmal hast du natürlich das Problem, dass einige keine Zeit haben, klar. Aber auf einigen Festivals musst du natürlich auch Kompromisse eingehen. Verschiedene Festivals haben verschiedene Vibes und danach musst du dich bei der Zusammenstellung des Programms auch richten. Bisher war es aber so, dass ich meine Wünsche immer zu 90 Prozent umsetzen konnte.

Es scheint bei vielen Festivals auch eine Art Trend zu werden, dass Künstler ihre eigene Stage besitzen.

Das macht im Grunde auch Sinn. Ich meine, die Organisatoren der Festivals wie z. B. Tomorrowland oder Mysteryland sind genauso Musikliebhaber wie du und ich. Und die haben zig verschiedene Bühnen, die alle ihren eigenen Stil besitzen. Also warum auch nicht? Was ich persönlich nicht mag, sind Leute, die ihre Bühnen mit ihrem Label hosten. Ich finde das ein wenig langweilig und denke, es ist viel besser, es von der Seite des Fans anzugehen. Ich meine, die meisten DJs sind auch Fans von anderen Künstlern! Ich wollte nie eine Bühne mit einem Label-Showcase ausstatten. Da sind dann immer die gleichen Künstler zu hören und es ist doch viel schöner, selbst mal Fan zu sein und seine Lieblinge zu buchen.

Du hast dich ja schon sehr früh dazu entschieden, dein Leben der Musik zu widmen. Gab es denn Momente, in denen du diese Entscheidung bereut hast?

Ja, ironischerweise in den Neunzigern in Deutschland. Da habe ich Gigs gespielt, Geld eingesackt und bin lange auf Tour gewesen. Irgendwie habe ich diese Gigs nicht genossen. Ich kam zurück, mit dem Geld in meiner Tasche, und habe mich gefragt, warum ich das überhaupt mache.

Wie kam das?

Die Leute haben nicht wirklich mit mir geredet, mich aber wie einen großen Superstar behandelt. Ich mag dieses Gefühl nicht. Ich kann nicht genau beschreiben, warum ich mich so unwohl gefühlt habe. Ich habe mit nichts gestartet. Ich hatte kein Geld, arbeitete in verschiedenen, teils beschissenen Jobs, seit ich 16 war. Ich musste mir alles selbst aufbauen und habe hart dafür gearbeitet. Plötzlich hatte ich Geld und die Leute hielten mich für etwas Besseres. Das war total bekloppt und ich habe mich schlecht damit gefühlt. Es fühlte sich nicht richtig an und daran erinnere ich mich immer wieder. Ich musste ein paar Tage freinehmen und erst mal realisieren, was da gerade bei mir passiert. Jetzt ist das alles in Ordnung, ich habe mich daran gewöhnt. Aber wenn du erst ein Niemand und plötzlich erfolgreich bist, dann ist das ein großer Schock.

Viele streben diesen Erfolg ja quasi mit der Brechstange an.

Wenn die das wollen, bitte. Ich wollte das nie, ehrlich. Alles, was ich wollte, war Musik spielen und die Welt entdecken. Aber berühmt wollte ich nie werden. Damit konnte ich anfangs auch überhaupt nicht umgehen und diese Momente bleiben mir für immer im Gedächtnis. Vielleicht war es gut, denn das zeigt mir, dass ich nicht abgehoben bin. Aber heute begegne ich immer wieder Leuten, die einfach nur berühmt werden wollen. Das ist wie ein leerer Traum, finde ich. Wenn sie es werden, werden sie sicher glücklich sein, die Frage ist aber: wie lange? Klar, eine kurze Zeit war ich auch mal so. Aber ich habe schnell erkannt, dass es sich darum bei der Musik nicht dreht. Damals hatten wir andere Werte, die wichtig waren. Es ist auch nichts verkehrt daran, viel Geld mit seiner Musik zu verdienen, das soll keiner falsch verstehen. Aber wenn es bei deinem Ego darum geht, welches Bild deinen privaten Jet ziert oder wie viele Autos du in der Garage stehen hast, dann bist du nicht die Person, die ich kennenlernen will.

Tatsächlich war deine Jugend nicht die einfachste. Du bist damals von zu Hause weggelaufen. Schlecht bezahlte Jobs, kein Dach über dem Kopf, standest du lange Zeit mit nichts da. Was glaubst du, hat dich aus deiner Vergangenheit bis heute geprägt?

Die pure Sturheit! Alle Leute und gar meine Familie redeten mir ein, ich wäre absolut wertlos und würde mit meinem Leben nichts anfangen. Musik wäre eine totale Zeitverschwendung, sagten sie mir.

Du hast zum Glück das Gegenteil bewiesen. Nun lebst du in Amsterdam. Wieso dort und nicht zum Beispiel im sonnigen Barcelona oder in der Techno-Hauptstadt Berlin?

Ich könnte niemals in Berlin leben, tut mir leid. Das wäre ein Albtraum für mich. In einer Stadt voller Künstler zu leben, gibt mir nichts. Es ist schön, diese Leute mal zu sehen, aber dieses ständige Quatschen und Plaudern mit anderen würde mich irgendwann nerven. Amsterdam hat eher mich gewählt als ich Amsterdam. Mein erster Gig hier im Jahr 1990 hat das bereits gezeigt. Außerdem habe ich eine niederländische Familie auf großelterlicher Seite. Zwar konnte ich sie nie kennenlernen, aber sie hat mich im Unterbewusstsein zurückgerufen, glaube ich. Es ist einfach so eine schöne Stadt, in der ich auch alt werden möchte. Hier ist das Leben einfach viel einfacher und entspannter.

Du hast jetzt auch ein neues Studio in Amsterdam.

Ja, auf einem Boot!

Dein Studio ist auf einem Boot?

Warum nicht? Hier ist so viel Wasser, da kann man sein Studio auch auf einem Boot haben. Dort bist du aber auch mehr vom Wetter abhängig. Wenn es draußen kalt ist, macht es keinen Spaß, im Studio zu sitzen, weil es dort auch eiskalt ist, und im Sommer willst du lieber draußen sitzen, klar.

John Peel vom BBC hätte wohl eher eine Burg statt eines Bootes vorgeschlagen. Er brandmarkte dich damals als „Baron des Techno”. Viele sagen auch, du würdest Punk in das Genre bringen. Egal wie man es ausdrückt, du bringst eine Art Freigeist in deine Sets.

Ich mache einfach das, was mich selbst erfreut. Manchmal lache ich nicht oft oder mache diese Herz-Gesten auf der Bühne, während ich Musik mache. Ich mag es auch, einfach durchzudrehen beim Auflegen und ungewöhnliche Sachen zu versuchen. Ich glaube, von hier kommt der Vergleich mit dem Punk. Aber Techno sollte einfach nur als Techno verstanden werden und nicht als dieser lahme Tech-House, der nur Marketing ist. Aber jedem das seine.

Du denkst, Tech-House ist pures Marketing?

Ja! Ich meine, du musst ein langweiliges Arschloch sein, um zu sagen: „Alles, was Tech-House ist, ist schlecht.“ Natürlich gibt es da auch gute Stücke, keine Frage. Aber wenn ich das Genre an sich betrachte, langweilt es mich wirklich zu Tode. Für mich scheint es so, als würde es nur zehn „Ghost Producer“ geben, die alle Tracks in diesem Genre produzieren. Sie klingen alle gleich. Da wird viel Geld reingepumpt, um die Künstler an die Spitze der Charts zu treiben …

Klingt ein wenig so, als würdest du Tech-House mit EDM vergleichen.

Exakt! Es ist für mich in gewisser Weise EDM. Aber ironischerweise die viel glaubwürdigere Version von EDM. Ich habe den Eindruck, dass in beiden Genres das Marketing an erster Stelle steht – und nicht die Musik.

Lass uns über eines deiner bislang größten Projekte sprechen. Du produzierst die am längsten bestehende Radioshow im Bereich Techno: White Noise. Radio scheint dein Ding zu sein, denn diese ist nicht deine erste.

Meine Liebe zum Radio begann bereits, als ich zehn Jahre alt war. Damals habe ich einfach so getan, als wäre ich selbst Radiomoderator. Dann habe ich in den Neunzigern in Brighton beim Festival Radio angefangen und einige Shows bei BBC Radio One gemacht. Aber BBC und Pete Tong (bekannt durch die Sendung „Essential Mix auf BBC, Anm. d. Red.) mochten Techno zu dieser Zeit nicht. Also begann ich, meine eigene Radioshow namens „Technology” zu produzieren. Die lief dann zwischen 1997 und 2001 jede Woche im Internet und auf fünf Radiostationen. 2006 startete ich dann mit White Noise – und die läuft jede Woche auf bereits 90 verschiedenen Stationen.

Wie schaffst du es eigentlich, alles unter einen Hut zu bekommen? Radio, Gigs, Studio

Ich weiß es nicht, es ist einfach wie eine Pflicht. Manchmal vernachlässige ich mein Zeitmanagement auch mal. Wenn ich mir einen Tag freinehme, dann läuft alles aus dem Ruder, weil ich den wieder auffangen muss. Es ist schwer. Die beste Entscheidung war, meine Radioshow um eine Stunde zu kürzen. Das hört sich nicht nach viel an, aber hinter der Sendung steckt so viel Vorbereitungszeit und es wurde einfach ein bisschen zu viel. Ich meine, als DJ musst du sowieso Promos hören, du musst neue Musik finden und das ist eine Art, wie ich diesen Prozess verpacke. Das Schlimmste ist aber, wenn du krank wirst oder etwas Unerwartetes dazwischen kommt. Dann verfällst du in einen regelrechten Panikmodus. Immer wenn ich krank werde, denke ich nur daran, was ich nach der Genesung noch alles aufholen muss. So kann ich mich dann natürlich auch schlecht erholen, denn der Stress ist dann noch größer. Aber das ist bei jedem Freiberufler so.

In einem früheren Interview sagtest du, dass es besser sei, Freunde zu haben, die nicht in der gleichen Industrie arbeiten. Vor allem bei der Musikindustrie sei das so.

Und ich sehe das immer noch so! Wenn die Leute sich einfach mal auf die Musik konzentrieren würden, wäre das großartig und ganz einfach. Aber in der Musikindustrie stecken so viel Paranoia und das Bedürfnis, besser zu sein als der andere. Daher glaube ich, es ist besser, Freunde zu haben, die nicht in diesem Milieu stecken, sondern dich ausbalancieren und dir zeigen, dass es noch eine andere Welt da draußen gibt.

Was meinst du mit Paranoia?

Kokain. Ich habe das nie getan und werde es auch nie tun. Es gibt aber so viele Leute, die ihr Kokain brauchen. Dann werden sie paranoid und denken, sie müssten besser als andere sein. Aber auch ohne Drogen gibt es so viel Neid in dieser Industrie. Ganz nach dem Motto: „Der eine hat dies, dann will ich das auch!” Hat er das vielleicht, weil er einfach nur gut in dem ist, was er macht? Es ist egal, die andere Person muss das auch haben. Egal was. Das ist frustrierend, weißt du? Da habe ich lieber Freunde, die nichts davon verstehen. Solche, die nicht denken, dass die Musikindustrie die einzige auf der Welt ist. Ich blicke bislang auf eine ganz gute Karriere zurück. Ich hätte besser sein können, ich hätte auch schlechter sein können – es ist mir egal. In einem anderen Moment wollen Leute, dass du ihre Erwartungen erfüllst. Machst du es nicht, sind sie enttäuscht. Ich will solche Freundschaften nicht haben.

Ganz anders sieht es ja bei dir und Mr. Jones aus. Ihr beide produziert erfolgreich unter dem Namen _Unsubscribed_. Eure neue EP „Penultimate” kommt Ende April. Wie habt ihr euch gefunden und warum funktioniert es bei euch?

Jones und ich haben uns auf einer Party backstage in Utrecht kennengelernt. Er hatte mir schon viele seiner Stücke gesendet, die ich auch in meiner Radiosendung vorgestellt habe. Wir haben über Musik geredet und es hat bei uns geklickt. Ich habe zuvor immer allein gearbeitet. Das war ein interessantes Experiment für mich.

Auch eine krasse Umstellung für dich, nehme ich an. Wie verlief das Experiment am Anfang?

Es hat mindestens ein Jahr gedauert, bis wir den Dreh raus hatten, wie wir am besten zusammen arbeiten. Wer macht was, warum und wie? Das war eine witzige Ära. Zu Beginn hat Jones angefangen, zu produzieren, während ich auf dem Sofa saß, gelesen oder Sim City gespielt habe. Aber mit einem Ohr war ich immer dabei, sprang plötzlich vom Sofa auf und begann mitzumachen, Samples neu zu arrangieren und so weiter. Es war ein gegenseitiger Lernprozess. Man muss einander wirklich mögen und vertrauen. Vor allem wenn man wie ich über 20 Jahre lang allein gearbeitet hat.

Auch deine neue Remix-Compilation Entitled Charcoal Eyes: A Selection Of Remixes From Amsterdam” steht in den Startlöchern. Du hast Nummern von Interpreten wie Placebo, Gazelle Twin oder I am Kloot deinen persönlichen Touch gegeben. Was steht hinter diesem Projekt?

Ich hatte schon immer viele unfertige Remixe bei mir liegen. Als ich sie hintereinander gehört habe, passten einige davon ganz gut aneinander. Dann war mein neues Studio fertig und ich und mein Manager kamen auf die Idee, alle auf einer Compilation herauszubringen. Das Cover dazu habe ich auf einer Kunstausstellung entdeckt, mich spontan verliebt und die Erlaubnis bekommen, es zu nutzen. Mein letzter Manager hat eigentlich nichts für mich gemacht. Jetzt arbeite ich mit Ade Fenton zusammen und es passt einfach hervorragend. Er versteht genau, wohin ich mit meiner Musik will, und hat mir geholfen, dieses Projekt voranzubringen.

Deine letzte eigene Produktion ist aber schon eine Weile her, dein letztes Soloalbum erschien 2013. Wann können wir in dieser Hinsicht etwas Neues erwarten?

Kein Scherz, ich arbeite tatsächlich gerade hart an einem neuen Soloalbum und hoffe, dass ich es im ersten oder zweiten Quartal 2017 veröffentlichen kann.

Entitled Charcoal Eyes: A Selection Of Remixes From Amsterdam von Dave Clarke erscheint am 16. April auf N.E.W.S.

Aus dem FAZEmag 050/04.2016
Text: Janosch Gebauer / www.daveclarke.com
Foto: Marilyn Clark