
„And I miss you. Like the deserts miss the rain.“
Wer diese Lyrics kennt, ist entweder 40+ oder hat in der Plattensammlung seiner Eltern diesen Klassiker aus den 1990er-Jahren entdeckt. Mit „Missing“ erreichten Tracey Thorn und Ben Watt alias Everything But The Girl Platz 1 der Deutschen Single-Charts und blieben 29 Wochen in der Hitliste vertreten. Und zwar in der Remix-Version von Todd Terry. Das war 1994. Und dann? War „Missing“ ein One-Hit-Wonder? Gut, zugegeben: An den damaligen Erfolg konnte das britische Pop-Duo nicht mehr anknüpfen – was aber nicht heißt, dass die beiden von der musikalischen Bildfläche verschwanden. Im Gegenteil.
Nachdem EBTG einen Hit gelandet hatten, der eine ganze Generation prägte, erschien direkt ihr Debütalbum „Amplified Heart“. Auch der Nachfolger „Walking Wounded“ etablierte sich in den weltweiten Charts, und die ausgekoppelten Singles „Wrong“ und „Walking Wounded“ fanden internationale Beachtung, vor allem durch die Mischung aus House und Drum ’n‘ Bass. Tracey und Ben waren aber nicht nur beruflich erfolgreich. Auch privat. Sie bekamen drei Kinder und konzentrierten sich ab dem Wechsel ins neue Millennium erst einmal auf die Familie und verkündeten die Auflösung von Everything But The Girl.
Doch dann, im Jahr 2007, kam die Rückkehr ins Musikbusiness. Tracey veröffentlichte seit diesem Zeitpunkt vier Soloalben sowie einen Soundtrack zum Film „The Falling“. Außerdem entdeckte sie ihr schriftstellerisches Talent und schrieb vier Bücher. Und Ben Watt? Ihr Ehemann stieg ins DJ-Geschäft ein und avancierte zum gefragten Remix-Künstler. Zehn Jahre lang betrieb er das Electronic-Label Buzzin‘ Fly, ehe er mit einer Trilogie von Soloalben zwischen 2014 und 2020 zu seinen Singer-Songwriter-Roots zurückkehrte.
Heute schreiben wir das Jahr 2023. Und ab dem 21. April dieses Jahres steht dann das neue Album von Everything But The Girl in den Startlöchern. „Fuse“, so der Titel, ist ein Überraschungsei. Weil? Niemand mit einem Comeback des Duos tatsächlich gerechnet hatte. Doch letztes Jahr die große Verkündung: Ein neues Album sei in Planung. Als erste Single ist „Nothing Left To Lose“ erschienen. Produzenten sind nach wie vor einzig und allein Tracey Thorn und Ben Watt, die mit dem Werk eine moderne Interpretation des elektronischen Soul geschaffen haben, den man der Band seit Gründung des Projekts zuschreiben kann. „Der konkrete Sound war tatsächlich das Letzte, was für uns eine Rolle spielte, als wir im März 2021 anfingen“, erzählt Tracey über die Entstehung des Albums. „Natürlich waren wir uns des Drucks bewusst, den ein so lang erwartetes Comeback mit sich bringt. Wir versuchten, in einem Geist offener Verspieltheit zu beginnen, noch ohne klare Richtung und offen für Neues.“
Das Zehn-Tracker-Album wurde in ganz familiärer Atmosphäre aufgenommen, in ihrem Zuhause in Bath. An den Reglern: Tontechniker Bruno Ellingham. Und zunächst hatte man überlegt, das Album unter dem Pseudonym TREN (TRacey & bEN) auf den Markt zu bringen. Doch dieses Kürzel erschien letzten Endes dann doch nur als namentlicher Platzhalter in den Audiodateien. Schneidende Beats, Sub-Basses, berauschende Synthesizer, Ambient-Sound-Montagen – so die anfänglichen Ergebnisse des stetig wachsenden Album-Werkes. Ideen, die später in die atmosphärischen Tracks „When You Mess Up“ und „Interior Space“ einflossen. Die Texte: zwischen Hoffnung, Verzweiflung und lebhaften Flashbacks – mal metaphorisch, mal konkret und detailliert, wie es ist, neu zu beginnen. „Es war aufregend. Eine ganz natürliche Dynamik entstand“, erklärt Ben. „Wir konnten ohne viele Worte, oft nur über flüchtige Blicke, kommunizieren und instinktiv zusammen schreiben. Es wurde ganz von selbst zu mehr als der Summe unserer beiden Persönlichkeiten – eben zu Everything But The Girl.“
Übrigens. Der Bandname entstand aus einer Idee heraus, als die beiden den Werbeslogan eines ortsansässigen Möbelhauses hörten, in dem es sinngemäß hieß: „Wir verkaufen Ihnen alles fürs Schlafzimmer – bis auf eine Frau.“
Aus dem FAZEmag 134/04.2023
Text: Torsten Widua
Foto: Edward Bishop
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