Englische Version des Interviews: Fatima Hajji – Addicted to Techno
Die Techno-Frauen-Power ist allgegenwärtig. Neben Deborah de Luca, Charlotte de Witte, Amelie Lens und vielen anderen aufstrebenden weiblichen DJs gibt es einen Wirbelwind aus Spanien, der die internationale Techno-Szene aufmischt. Vorhang auf für Fatima Hajji!
Hallo, Fatima, wie geht’s dir? Hattest du bisher einen schönen Sommer?
Hi! Mir geht es ziemlich gut und ich bin froh, hier bei euch zum Interview zu sein. Und ja, das ganze Jahr war bisher erstaunlich, aber vor allem der Sommer mit einer Vielzahl von Open-Air-Partys, vielen Meetings und allgemein sehr guten Vibes.
Du kommst aus Salamanca. Welche Art von Musik ist dort besonders beliebt und wie stehen die Leute dort zu Techno?
Ja, ich bin in Salamanca geboren und habe dort die ersten 18 Jahre meines Lebens verbracht. Während dieser Zeit war die beliebteste Art von Techno die dunkle, groovebasierte und stampfende Variante. Meine Wurzeln liegen in dem Klang, den ich während der ersten Clubnächte, die ich besuchte, hörte, aber auch in allem, was ich zu Hause hörte. Ich hörte Techno-Musik, lange bevor ich legal in die Clubs durfte. Außerdem habe ich die Tapes meines älteren Bruders „geklaut“, auf denen er DJ-Sets hatte, die in nahe gelegenen Clubs aufgenommen wurden.
Wo wohnst du jetzt und was sind für dich die Kontraste zu deiner Heimatstadt?
Jetzt lebe ich in einer kleinen Stadt in den Bergen in der Nähe des Flughafens Madrid, aber mitten im Wald, und das nach zehn Jahren mitten im Stadtzentrum. In meiner Heimat Salamanca wohnen 100 000 Menschen. Die Stadt ist also im Vergleich zu Madrid recht klein. Es ist ein Ort, an dem jeder jeden kennt. In Madrid ist alles größer und es gibt viel mehr Möglichkeiten. Vor allem in Sachen elektronischer Musik: An einem einzigen Wochenende findet man mehrere Optionen für alle Musikrichtungen. Auch die Flughafenanbindungen hier erleichtern mir vieles.
Erzähl uns doch was über deine Kindheit und dich selbst. Was wolltest du werden, als du klein warst?
Im Nachhinein betrachtet habe ich zu jung angefangen zu arbeiten – und meine Schulzeit war nicht sehr schön. Von Anfang an wusste ich, dass Musik für mich extrem wichtig ist, und mit zwölf Jahren versuchte ich, zu Hause mit Tapes zu mixen. Eines Tages entdeckte ich eine Anzeige zu „DJ-Kursen“ und ich begann zu lernen, wie man Vinyl mischt, ohne es einem meiner Freunde oder meiner Familie zu sagen. Das Lernen, wie man mixt, war so lustig und einfach für mich – das war sehr motivierend und ich konnte nicht aufhören.
Wo hast du die Musik gefunden? Und wie sah dein erster Auftritt aus?
An dem Ort, an dem ich gelernt habe, zu mixen, verkauften sie auch Platten – und Kleidung und mehr – und sie gaben mir fünf Vinyl-Scheiben, nachdem ich einige für einen Freund gekauft hatte, der sie sich bis dahin in Madrid besorgt hatte. Nach und nach verkaufte man an immer mehr Menschen in Salamanca – das war sozusagen der lokale Techno-Händler. Was meinen ersten Auftritt angeht: Das war ein Contest, der nur wenige Wochen nach diesem DJ-Kurs startete. Mein Lehrer hat mich dafür angemeldet, er fand in einem sehr coolen Club in Salamanca statt. Alle meine Freunde, Brüder und ihre Freunde waren sehr aufgeregt. Alle spekulierten, was beim Wettbewerb passieren könnte, es war so verrückt, aber es gab dadurch auch viel Druck. Als ich an der Reihe war, spielte ich Techno mit hartem Bass – die Stilrichtung des Sets war jedem Teilnehmer selbst überlassen. Glücklicherweise gelangen mir einige gute Mixe, obwohl ich sehr nervös war. Aber der Crowd gefiel es und sie drehten durch. Es war ein magischer Moment. Dieses Gefühl der Verbundenheit mit den Tänzern hat mich süchtig gemacht.
Was war deine erste große Veröffentlichung und wie unterscheidet sie sich von den heutigen Releases?
Die Veröffentlichung mit der größten Wirkung war mein Track „Violines“, ein Hard-Bootleg-Remix aus einem Mythos-Gesang des Rai-Sängers Cheb Khaled. Die Leute liebten es – es lief in meinen Sets vor einigen Jahren, als ich harten Techno spielte. Bis heute wird dieser Track oft angefragt und ich spiele ihn immer noch zu besonderen Anlässen. Aber derzeit bin ich in einem ganz anderen Bereich, wenn ich Techno produziere, also unterscheiden sich meine neuen Stücke stark von dem, was ich früher veröffentlicht habe. Dennoch versuche ich, die stampfenden Bässe beizubehalten.
Wie würdest du deine persönliche Beziehung zur Musik beschreiben?
Musik ist mein Leben. Das ist es, was ich liebe, und ich bin ziemlich glücklich, diese Leidenschaft leben zu können. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, etwas anderes zu machen.
Du zeigst bei Pressefotos und Gigs oft ein professionelles Pokerface. Aber wenn man sich deine YouTube-Interviews anschaut, merkt man, dass du wirklich liebenswert bist. Wie wichtig ist das Image, um in der Musikindustrie erfolgreich zu sein?
Danke für das Kompliment! Normalerweise konzentriere ich mich, wenn Bilder auf Partys aufgenommen werden, aber im Fotostudio ist es für mich etwas schwieriger – ich bin nicht gut im Posieren. In der heutigen Zeit sind Bilder wichtig, die Menschen haben sie im Kopf. Dennoch bin ich mir ziemlich sicher, dass es viel wichtiger ist, natürlich und man selbst zu sein und die Musik sprechen zu lassen, als zu versuchen, etwas vorzutäuschen, was man nicht ist. Ich halte es aus Erfahrung für das Beste, mich um mein Image zu kümmern, um selbst glücklich zu sein, statt zu versuchen, jedem zu gefallen.
Du hast 1999 mit dem DJing angefangen und konntest dir im Laufe deiner Karriere einen guten Überblick über die Veränderungen verschaffen, die die elektronische Musik in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat. Welche Zeit war für dich besonders unvergesslich?
Ich hatte in den vergangenen 20 Jahren viele unvergessliche Momente. Ich kann sie nicht alle aufzählen, aber einige – wie mein allererstes Set, von dem ich vorhin erzählt habe. Ich erinnere mich auch gern an die Zeit, als ich durch Spanien von Ecke zu Ecke fuhr. Ein episches Event war mein erstes Mal bei Florida 135 und unvergesslich war auch jeder Auftritt auf dem Monegros Festival – besonders das eine Mal, als ich das Eröffnungsset meines Zeltes spielte: Ich hatte einen leeren Floor, aber jedes Mal, wenn ich mich umdrehte, um ein Vinyl zu holen, kamen immer mehr Leute – irgendwann wurde es einfach perfekt und eine unvergessliche Party. Natürlich müssen hier auch alle Awakenings- und Tomorrowland-Festivals erwähnt werden, bei denen ich gespielt habe, meine All-night-long-Events in der Fabrik Madrid und im Depot Amsterdam und viele weitere tolle Partys. Außerdem hat jedes Land, das ich besucht habe, eine Erinnerung bei mir hinterlassen, mir einen neuen Blick auf unseren Planeten gegeben. Ich bin so glücklich, dieses Leben zu leben, und ich bin sehr dankbar für jede neue Erfahrung. Sie gibt mir mehr Kraft, jeden Tag hart zu arbeiten, um mich zu verbessern.
Elektronische Musik hat sich in den letzten Jahren weg von einer Lebensphilosophie und hin zu einem Geschäft entwickelt. Wie hast du diese Veränderung wahrgenommen und was wünschst du dir für die Zukunft der Tanzmusik?
Die Szene ist in diesen zwei Jahrzehnten stark gewachsen und das bedeutet mehr Publikum und mehr Profis auf allen Ebenen und natürlich mehr Geld – das hat Vor- und Nachteile, die jeder kennt. Aber das ist ein Zeichen der Elektronikszene. Techno ist lebendig und wächst. Es gibt mehr Produzenten als je zuvor und mehr Musik als je zuvor; es ist unmöglich, jede Woche alle neuen Veröffentlichungen anzuhören. Damit geht einher, dass es auch mehr qualitativ hochwertige Events, bessere Soundsysteme und natürlich mehr Clubber gibt, die die Szene jeden Tag größer machen. Wir können uns auf die positiven Aspekte dieses Wachstums konzentrieren oder auf die negativen. Mein Tipp aus meiner Erfahrung: Man muss sich entscheiden. Was du magst oder für gut befindest, versuchst du zu pushen und größer zu machen. Wenn du deine Zeit mit den Dingen verschwendest, die du nicht magst, vergeudest du deine Energie. Ich denke, Techno als Szene besteht hauptsächlich aus leidenschaftlichen Menschen; es gibt eine Gemeinschaft, die Techno lebt! Diese Gemeinschaft reist um die ganze Welt, nur um jedes Wochenende die Stimmung zu spüren. Das sind die Punkte, die Techno großartig und langlebig machen. Deshalb schaue ich optimistisch in die Zukunft und denke: Diese Gemeinschaft wird weltweit weiterwachsen und immer lauter werden.
Kommen wir zurück zu deiner Musik. Erzähl uns von deinen neusten Veröffentlichungen!
Meine aktuelle EP heißt „Melodream“, weil der Main-Track der EP auf einer Melodie basiert, die ich während eines Wachzustandes im Kopf hatte. Ich lief schnell ins Studio und produzierte den Track um die Melodie herum. Das passiert mir nicht sehr oft, also war es für mich etwas ganz Besonderes.
Wie funktioniert die Arbeit im Studio? Mit welcher Ausrüstung produzierst du?
Für die Produktion verwende ich Ableton live. Ich besitze auch eine Roland TB-303, die mir bei den Bässen sehr hilft, und die Roland TR-909 ist großartig für die Rhythmen.
Viele deiner Tracks wurden auf deinem eigenen Label Standbite Music veröffentlicht. Was ist hier für die Zukunft geplant?
Standbite war mein erstes Label, hier habe ich alle meine harten Sachen veröffentlicht. Am Ende dieser Hardtechno-Phase wurde es für mich sehr schwierig, frische Sets mit neuer Musik zu spielen und Musik auf meinem Label zu veröffentlichen, da es nicht viele neue Platten und Inspirationen in diesem speziellen Genre gab. Zu der Zeit begann ich mich mehr für „Produzenten-Techno“ zu interessieren. Außerdem entschied ich mich, ein neues Label und eine neue Marke zu gründen und eine wöchentliche Radioshow zu starten. So tauchte ich in den vergangenen zwei Jahren in Techno-Sounds ein, und das half mir, eine neue Phase meiner musikalischen Karriere einzuleiten.
Du sprichst von Silver M.
Ja, das ist meine aktuelle Plattform, auf der ich einen großen Teil meiner Musik veröffentliche und die Produktionen von anderen Künstlern, die ich mag. Viele unserer Releases sind als Demos via E-Mail zu uns gekommen. Aus diesen Einsendungen wähle ich das aus, was meiner Meinung nach wirklich zu Silver M passt. Ich kümmere mich nicht um Namen oder um frühere Veröffentlichungen oder andere Faktoren; es ist der Sound, der zählt. Ich höre nur zu und wähle aus. Das ist eine Möglichkeit, der Szene einen kleinen Teil dessen zurückzugeben, was ich von ihr erhalten habe. Ich fühle mich großartig, wenn ich merke, dass einige meiner Lieblingsproduzenten ein Teil des Labels sein wollen.
Worauf können wir uns in Zukunft freuen?
Ich konzentriere mich auf die Weiterentwicklung und Verbesserung meiner Studio-Fähigkeiten. Ich habe seit einigen Monaten nicht veröffentlicht, aber ich arbeite mehr denn je im Studio – ich war nur mit dem, was ich geschaffen habe, nicht mehr ganz zufrieden. Ich möchte mit meinen eigenen Tracks als Produzentin selektiver sein. In diesem Moment kann ich sagen, dass ich kurz davor bin, einige Tracks mit einem wirklich neuen Sound fertigzustellen. Das macht mich unglaublich glücklich und gibt mir viel Energie.
Ist es jemals passiert, dass du es nicht rechtzeitig ins Studio geschafft hast und die Melodie in deinem Kopf verloren ging?
Haha, ja, jeden Tag. Ich denke, es ist mehr eine mentale Illusion als eine Tatsache, aber ich kenne dieses Gefühl sehr gut.
Gab es im Laufe deiner Karriere einen Moment, in dem du alles wegwerfen wolltest, weil dich das ständige Reisen zu sehr mitgenommen hat?
Nein, ich tue gerne, was ich tue, und Reisen ist ein Teil davon. Nur muss ich meine Schlafenszeit organisieren und jedes Mal, wenn ich im Flugzeug oder im Auto bin, kann ich mich ein wenig ausruhen.
Wenn ich mir deinen Tourplan ansehe, stelle ich fest, dass du viel Zeit in Spanien verbringst. Ich kann mir vorstellen, dass dir die Zeit in deinem Heimatland viel Kraft gibt. Gibt es Orte, an denen du ähnliche Gefühle hast?
Tatsächlich hatte ich im letzten Jahr noch mehr Gigs in Spanien, aber es ist wahr: Das Land, in dem ich am häufigsten spiele, ist meines. Ich habe das Glück, dass viele Menschen in Spanien meine Arbeit unterstützen, da die Clubber so energisch sind – es ist immer ein Vergnügen, hier zu spielen. Ich fühle mich auch geehrt, dieses Gefühl in einigen anderen Ländern wie Portugal und den Niederlanden und einigen Gebieten wie den baltischen Ländern und Italien genießen zu können. Es gibt andere Orte, an denen ich nicht so oft spiele, aber ich spüre diese Verbindung auch, wenn ich zum Beispiel Südamerika oder zuletzt Nordamerika besuche. Insgesamt ist Techno eine globale Sache und die Menschen, die die gleiche Leidenschaft teilen, geben mir positive Gefühle.
Man kann nicht leugnen, dass du eine steile Karriere hingelegt hast. Wie fühlt sich das für dich an, wenn du mal innehältst, um eine Zwischenbilanz zu ziehen? Ist deine Familie stolz auf dich?
Ich habe von Anfang an hart gearbeitet und kann aus irgendeinem Grund nicht aufhören. Ich verbessere mich gerne jeden Tag, also ist der Ist-Zustand nichts, was jemanden stolz machen soll. Das ist einfach meine Art zu existieren.
Im Bereich der elektronischen Musik haben sich in letzter Zeit viele starke Frauen einen Namen gemacht – du stehst also nicht allein da.
Es war eine Frage der Zeit, da die Gesellschaft – langsam – auf Gleichheit zwischen Männern und Frauen setzt, um Frauen gewissermaßen die gleichen Chancen zu bieten wie Männern. So können mehr und mehr Frauen auch die elektronische Szene erreichen. Und das Schöne ist: Besonders im Techno treffen die Leute ihre musikalische Auswahl nach den Fähigkeiten und der Energie des DJs; das Geschlecht, die Hautfarbe oder andere sekundäre Faktoren spielen keine Rolle.
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Aus dem FAZEmag 091
Text: Sofia Kröplin/Sven Schäfer