Gary Numan – Erde vs. Menschheit

Nach „Cars“ und „A Prayer For The Unborn“ ist der Song „A Black Sun, den Gary Numan mit seiner Tochter im Zuge des Albums „Intruder“ geschrieben hat, ihm zufolge eines der wichtigsten Stücke, die der Pionier elektronischer Musik produziert hat. Zu Beginn noch als Punk-Rocker aktiv, wurde er aus seiner damaligen Band ausgebootet und machte daraufhin mithilfe seiner Passion für Synthesizer neuartige Musik: Synth-Pop. Mit „Cars“ kam dann der globale Durchbruch. Es kam Numan so vor, als würde dieser Song seine nachfolgende Musik überschatten. Inzwischen sei er dankbar für diesen immensen Erfolg, der sich heute noch darin äußert, dass „Cars“ selbst gegenwärtig noch in den Unterhaltungsmedien präsent ist. Auch nach über 40 Jahren im Geschäft lässt er nicht locker und bringt am 21. Mai ein Werk heraus, mit dem er sich einmal mehr neu erfunden hat. Gary hat uns Fragen beantwortet, die ihn und das neue Opus betreffen, mit dem er aktuell relevante Themen kritisch betrachtet – ein sehr persönliches Album, das laut ihm auch so klingt.

 

Glückwunsch zum neuen Album! Was waren die Umstände, unter denen du „Intruder“ produziert hast?

Danke! Ich habe im März 2019 damit angefangen, es zu produzieren. Anfangs ging es sehr langsam voran. Ich entschied mich, von Pro-Tools auf Logic umzusteigen. Mit jedem Teil, das ausgetauscht wurde, schienen die restlichen Teile umzufallen. Das, was ich dachte, das ein paar Tage dauern würde, dauerte in Wirklichkeit Monate. Der Großteil des Albums, ich schätze etwa 75 Prozent, wurde vor der Pandemie geschrieben und aufgenommen, sodass die Ideen, die Themen und Inhalte fast schon feststanden. Es beinhaltete sogar schon die Idee, dass die Erde sich gegen die Menschheit wehrt. Als das Virus zuschlug, war das ein sehr bizarrer Zufall, denn in vielerlei Hinsicht könnte man das als einen Versuch der Natur interpretieren, die Menschheit auszulöschen, was wahrscheinlich tatsächlich passieren muss, wenn der Planet überleben soll.

Was hat dich dazu bewegt, in dem Werk u. a. das Thema Klimawandel aufzugreifen, und wie blickst du in die Zukunft?

Das letzte Album „Savage“ hat sich auch damit beschäftigt. Dabei habe ich mir allerdings die Welt 100 Jahre oder so nach der Klima-Apokalypse angeschaut. Genauer gesagt, was die Menschen werden müssten, um in dieser Umgebung zu überleben und wie die überwältigende Grausamkeit dieser Welt sie auf unterschiedliche Art beeinflussen würde. Meiner Meinung nach wäre es entsetzlich brutal, daher der Titel „Savage“. Doch es ging um den Zustand des Menschen. Bei „Intruder“ ist das Thema sehr aktuell und ich habe versucht, meine Meinung darüber zu äußern, was die Erde sagen würde, wenn sie sprechen könnte und wie sie sich heute fühlen könnte, angesichts dessen, was wir ihr antun. Fühlt sie sich verraten, ist sie verletzt, desillusioniert, enttäuscht? Möchte sie sich wehren? Oder, was vielleicht wichtiger ist, wehrt sie sich bereits? Ist Covid nur der Anfang? Werden solche Abwehrmechanismen der Erde immer effektiver, bis wir nicht mehr in der Lage sind, uns zu wehren? Der Klimawandel scheint ein sichtbares Zeichen dafür zu sein, dass die Erde damit zu kämpfen hat. Und ist es daher überraschend, dass sie als System die Fähigkeit haben könnte, sich zu wehren? Werden wir nun vom Planeten als eine gefährliche Plage angesehen, die vernichtet werden muss? Was die Zukunft anbelangt, bin ich nicht sehr optimistisch. „Intruder” bietet nichts, was optimistisch stimmt. Es ist meine Hoffnung, dass die besorgten Menschen der Welt genug Lärm machen können, um genug Personen in Machtpositionen zu zwingen, genügend dafür zu tun, dass die Zerstörung verlangsamt wird, damit die Kinder von heute zu den Anführern von morgen werden können. Ich glaube, die Zukunft des Planeten liegt in ihren Händen. Ich hoffe, dass diese Generation genug Unterstützung und Entschlossenheit haben wird, um zu tun, was nötig ist. Die Sorge ist jedoch, ihnen die Zeit zu verschaffen, die sie dafür brauchen.

Was ist deine Meinung zur Pandemie im Kontext zu deinem Song „The Gift“?

In „Intruder“ schlägt die Erde zurück. Der Song „The Gift“ vertritt den Standpunkt, dass Covid ein bewusster Angriff des Planeten auf uns ist. Tatsächlich der erste von vielen zunehmend effektiven Angriffen. In vielerlei Hinsicht ist es sarkastisch und kalt. Die Gesangsmelodie ist fast fröhlich, sie hüpft irgendwie vor sich hin, aber sie fragt, ob wir das Geschenk mögen, das man uns geschickt hat und das uns nun „den Atem raubt”. Während sich der Song aufbaut, werden das Denken und die Verbitterung dahinter immer klarer. Wenn ich die Erde wäre, würde ich genau das tun. Wir sind entsetzlich zerstörerisch. Von dem Moment an, als die Kreaturen, die sich zu uns entwickeln würden, zum ersten Mal aus dem Meer krochen, hat uns die Erde alles gegeben, was wir brauchten, um nicht nur zu überleben, sondern zu gedeihen. Wir wurden willkommen geheißen und umsorgt. Nun krabbeln wir wie Treiberameisen über sie, missbrauchen und zerstören alles. Ich glaube nicht, dass jemand der Idee widerspricht, dass es der Erde und allem auf ihr ohne uns gut gehen würde. Wir sind das Problem. Mein Argument ist, dass wir das Krebsgeschwür sind, das der Planet bekämpft. Wir sind der Feind. Wir sind einer der seltenen Fehler der Natur. Bei aller Brutalität, die die Natur ausmacht, geht sie in uns einen bösen Schritt zu weit. Die Erde weiß das und daher müssen wir nun weichen. Das ist im Wesentlichen das, was „Intruder“ aussagt.

Hilft dir dein Asperger-Syndrom beim Songwriting und hat es auch andere Aspekte?

Ich glaube nicht, dass es beim Songwriting direkt hilft, aber es hat einen Einfluss darauf, wie man die Welt sieht und vor allem, wie man auf Probleme reagiert. Das hat einen Einfluss auf das, was man schreibt, da man versucht, die Worte und die Musik dafür zu finden, Gefühle zu beschreiben. Es hat einen Einfluss auf den Fokus, die Besessenheit, die Entschlossenheit und die emotionale Distanz, wenn Rückschläge kommen. Es hat Einfluss auf alles, aber Einfluss auf Dinge zu haben, ist nicht immer dasselbe, wie zu helfen. Trotzdem möchte ich es nicht loswerden. Ich sehe es als ein Geschenk, für das ich den kleinen Preis bezahle, dass ich schlechte soziale Fähigkeiten habe.

Welche Künstler*innen oder Alben haben dich in deiner Jugend und in den letzten Jahren maßgeblich beeinflusst?

Ich höre nicht mehr wirklich Musik. Ich glaube, ich habe mich seit Jahrzehnten nicht mehr hingesetzt und mir ein Album nur zum Vergnügen angehört. Als ich jünger war, war das Hören von Musik allerdings sehr wichtig. Die Alben, die einen großen Einfluss hatten, sind „The Slider“ von T-Rex, „Aladdin Sane” von Bowie, „Systems Of Romance“ von Ultravox, „Songs Of Faith And Devotion“ von Depeche Mode und „Downward Spiral“ von Nine Inch Nails. Es gibt natürlich noch viele andere tolle Alben und Songs, aber das sind die, an die ich mich erinnere, die den größten Einfluss hatten.

Auf welche Synthesizer greifst du für deine Musik immer gerne zurück?

Auf keinen. In meinem Studio gibt es keine Hardware-Synthesizer, es ist alles virtuell. Ich habe ein Midi-Keyboard, ein Touchscreen-Pult und einen Computer und das war’s auch schon. Ich schreibe alles auf einem Klavier. Das ist wohl mein Zugeständnis an die alte konventionelle Schule. Wenn man Dinge hat, auf die man zurückgreift, sucht man nicht wirklich gründlich genug nach etwas Neuem.

Was denkst du über das Revival der 80er-Sounds, die vermehrt in aktueller Musik zu finden sind?

Für die, die es nicht beim ersten Mal erlebt haben, ist eine neue Version davon – eine Kopie, wenn man so will – sicher akzeptabel. Ich habe elektronische Musik immer als fortschrittlich gesehen, als eine stetige Suche nach neuen Sounds und neuen Wegen, Dinge zu tun. Ich war nie daran interessiert, zurückzublicken und die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, also ist ein 80er-Jahre-Revival für mich uninteressant. Das, was jeden Morgen aufregend ist, ist die Frage nach dem, was kommen wird, was es da draußen Neues zu erschaffen oder zu entdecken gibt. Es ist nicht das Nachdenken über das, was schon war, oder der Versuch, es wiederzubeleben. Aber jedem das Seine. Wenn es Leute glücklich macht, habe ich nichts dagegen, es ist nur nichts für mich.

Was ist von deinem früheren Sound auf dem neuen Album übrig geblieben?

Nun, die Stimme ist die gleiche, obwohl es natürlich eine ältere Version von ihr ist, also wohl ein bisschen reifer und nützlicher. Der Sound ändert sich, weil ich immer auf der Suche nach neuen Klängen und Ideen bin und ich von der Technologie getrieben bin. Also verlasse ich mich nicht auf bewährte Methoden aus der Vergangenheit. Mit jedem Werk versuche ich, neue Dinge zu finden – die Technologie hilft dabei. Das Einzige, was vom Sound der Vergangenheit bleibt, sind hoffentlich Erinnerungen. Ich möchte keinen Signature-Sound haben, außer der Stimme, nehme ich an. Jedes Album sollte ein Schritt nach vorne sein und so viel wie möglich von der Vergangenheit hinter sich lassen. 

Nach 40 Jahren in der Branche bist du immer noch relevant, wie schaffst du das?

Nun, karrieremäßig bin ich jetzt in der stärksten Position, in der ich seit den frühen 80er-Jahren war und das ist sehr ermutigend. Das letzte Album war auf Platz 2 der UK-Charts und die nächste Tour wird mich wieder in eine Londoner Arena führen. Das ist sehr befriedigend, denn es war ein sehr langer, langsamer Aufstieg zurück auf dieses Level. Die Dinge waren eine ganze Weile schrecklich, also schätze ich die Position sehr, in der ich wieder bin. Ich habe mich einfach darauf konzentriert, Musik zu machen, die ich liebe, anstatt mir zu erlauben, müde und fade zu werden. Wo andere Leute mit langen Karrieren dazu neigen, sich in Sicherheit zu wiegen und in die Mittelmäßigkeit abzudriften, ist meine Musik dunkler, schwerer, härter und aggressiver geworden. Das scheint eine neue Generation von Leuten herangeführt zu haben, die sich zu denen gesellt, die ich von früher kenne, sodass es in den letzten zehn Jahren bergauf ging.

 

 

 

Aus dem FAZEmag 111/05.2021
Text: Niklas Fust
Foto: Chris Corner
www.garynuman.com