In Teneil Throssels Karriere lief, milde ausgedrückt, schon einiges außerodentlich gut. Ihr BBC1 Essential Mix in 2018 wurde zum „Essential Mix of the Year“ gefählt, was ihr nicht nur große Aufmerksamkeit in der elektronischen Musikszene einbrachte, sondern auch illustre Fans wie The Chemical Brothers und Jon Hopkins. So ist HAAi sie innerhalb der letzten Jahre zu einer der beliebtesten elektronischen UK-Künstlerinnen der Gegenwart avanciert und ist in den angesagtesten Line-ups der Szene zu finden. Im Frühjahr diesen Jahres zierte sie die Titelseite des DJ Mags UK und mit ihrem am 27. Mai auf Mute erscheinenden Debütalbum „Baby, We’re Ascending“ wird der Hype um HAAi mitnichten abebben.
Kreiert wurde das Album dabei ganz im Zeichen von Kooperationen, denn sowohl musikalisch als auch designtechnisch kollaborierte die gebürtige Australierin mit befreundeten Akteuren und Personen. Das Ergebnis spannt mühelos und sehr charmant einen Bogen von Techno, House über Drum’n’Bass, Downtempo bis hin zu Elektropop und vereint Namen wie Jon Hopkins, Alexis Taylor, Moxie, Obi Franky sowie der Spoken-Word-Poet und Trans-Visibility-Aktivist Kai-Isaiah Jamal: „Als ich während der Pandemie angefangen habe, Musik zu machen, hatte ich nicht wirklich den Plan, ein Album zu machen. Ich habe also schlichtweg Tracks gemacht, jedoch mit dem Hintergrund, dass diese nicht zwingend im Clubkontext stattfinden, sondern auch zum anhören Zu Hause geeignet sind. Zu diesem Zeitpunkt wusste niemand so recht, wann Clubs wieder öffnen würden. Es hatte daher, beziehungsweise gerade deshalb den entscheidenden Vorteil, dass es letztlich ein Studioalbum wurde, statt eines Albums, das unterwegs, an Flughäfen oder in Hotelzimmern geschrieben wurde.“ Je länger sie am Album saß, desto mehr hat sie dabei auch über sich gelernt: „Die Musik, beziehungsweise die Arbeit daran, war wie ein Guide zu mir selbst. Während des ersten Lockdowns habe ich die Diagnose erhalten, dass ich unter ADHS leide. Dieser Umstand spiegelt sich ebenfalls intensiv in der Musik wider, weil ich das recht intensiv darin verarbeitet habe. Irgendwann haben sich, aus all diesem Chaos, das in weiten Teilen unüberwindbar zu sein schien, die Titel zu einem Album geformt und ich habe festgestellt, dass das eben meine Art zu arbeiten ist. Ein linearer Prozess scheint mir einfach nicht zu liegen, so geht es mir auch bei meinen DJ-Sets. Durch die zeitliche Möglichkeit, das Album komplett im Studio fertig zu machen, habe ich auch wesentlich mehr Hardware benutzt, als ich das unter normaleren Umständen mit einem vollen Kalender getan hätte. Wer weiß, wie das Album wohl ohne diese zweijährige Pause klingen würde?“
Ihrer Arbeit im Studio gingen dabei einige ausgedehnte Wohnzimmer-Sessions voraus, berichtet sie: „Wenn ich schreibe, mache ich quasi alles ‚in the box‘ – von der Komposition bis hin zum Sounddesign. Und das zu Beginn sogar alles auf der Couch, haha. Von dort ging es aber ins Studio, wo wie bereits erwähnte Menge Hardware integriert wurde. So konnte ich zum Beispiel die MIDI-Parts, die ich geschrieben hatte, durch die Synths jagen und alles etwas rougher klingen lassen. Besonders der Bass, der aus dem Minimoog kam, lag mir sehr am Herzen. Kleiner Funfact: Das war mal der Minimoog von Gary Numan, den Daniel Miller ihm vor rund 15 oder 20 Jahren abgekauft hat. Es war sehr inspirierend, ohne zeitlichen Druck im Studio zu sitzen und Dinge auch einfach mal ausprobieren zu können. Das hat in meinem Fall für eine Menge Tiefe gesorgt, die bei funktionalen Club-Tracks unter Umständen nicht zwingend gegeben wäre.“
Den Erfolg der letzten Jahre bezeichnet die charismatische Künstlerin als eine Art Reise, die sie „zu genießen versucht“, gepaart mit einer Menge Demut, das konnte man besonders in den Anfangszeiten spüren: „Ich habe so viele tolle Shows spielen dürfen, an wunderbaren Plätzen mit großartigen Leuten. Seit meinem Teenage-Alter bis hin zu dem Moment, als ich Techno entdeckt habe, war Gitarrenmusik meine Welt. Ich hatte drei Jobs in verschiedenen Bands. Es fühlt sich an, als ob Techno mein Leben verändert hat, und zwar auf sämtlichen Ebenen. Ich liebe es, auf Tour zu sein. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin dafür gemacht, stundenlang herumzureisen und dann auf Raves zu sein – als ob mein Hirn einen Schalter hat, den ich auf Rave-Modus umlegen kann. Ich liebe diese Szene und jeden Tag, Grenzen auszuloten um Meilensteine zu erreichen. Und ich hoffe, dass dies alles noch einige Jahre andauern wird.“ Das konnte vor allem auch bei ihrer ersten richtigen Kollaboration umsetzen, die gleichzeitig der Titel-Track des neuen Albums ist. Mit Jon Hopkins, der kürzlich selbst erst sein neuestes Album „Music For Psychedelic Therapy“ veröffentlichte, produzierte sie den gleichnamigen Song „Baby, We’re Ascending“: „Jon und ich sind mittlerweile einige Jahre befreundet, wir haben uns beim Sónar in Barcelona kennengelernt und haben uns recht schnell sehr gut verstanden. Vor einiger Zeit bin ich sogar mit ihm getourt für einige seiner Shows. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie mit jemandem so richtig kollaboriert. Er war immer ein großer Fan meiner DJ-Sets und hat einige Male hinter mir am DJ-Pult getanzt. Als ich an ‚Baby, We’re Ascending‘ saß, bin ich irgendwann nicht weitergekommen und war in Art Sackgasse mit dem Song. Wir verbrachten einen Abend mit Freunden bei ihm, kurz nachdem er sein letztes Album veröffentlicht hatte. Es war eine recht psychedelischer Abend, wenn ihr versteht. Irgendwann fragte Jon nach ein paar Tracks von mir und ich habe ihm genau diesen vorgespielt. Am nächsten Tag schrieb er mir und fragte, ob er daran arbeiten könne, weil er ein paar Ideen hätte. Und so kam eins zum anderen.“
Darüber hinaus entschied sich Teneil, das Album zusammen mit einer Reihe außergewöhnlicher weiblicher und nicht-binärer Künstler*innen zu produzieren, darunter Raissa Pardini, Marta Salogni, Francine Perry, Quinta und Imogene Barron: „Es war extrem hilfreich, weil ich auch fest daran glaube, dass es für kreative Menschen manchmal schwierig sein kann, Ordnung in ihrer Kunst zu halten. So ist es gut, jemanden wie einen Engineer an seiner Seite zu haben, der Struktur bringt. In Sachen Mixing hat Marta Salogni einen großartigen Job gemacht, sie ist meiner Meinung nach die Beste auf ihrem Gebiet. Sie war für das letzte Björk-Album verantwortlich und hat auch schon mit Leuten wie Floating Points gearbeitet. Es war schön, inmitten einer solch kreativen Familie voller Freunde zu arbeiten und diesen Prozess gemeinsam zu gehen.“ Das Thema Katharsis spielte, ähnlich wie bei Jon Hopkins und seinem letzten Album, eine wichtige Rolle: „Das Musik machen an sich kann manchmal äußerst ‚ernst‘ werden, beziehungsweise ernste Gefühle in einem auslösen. Man kann sich extrem in etwas hineinsteigern, besonders beim Produzieren. Mein Anspruch bei diesem Projekt war es letztlich, vor allem weil ich auf manchen Titeln gesungen habe, etwas Besonderes zu machen. Umso herausfordernder und daher kathartisch die Tatsache, das Werk irgendwann freizugeben und loszulassen. Denn plötzlich gehört es nicht mehr ausschließlich dir, sondern der gesamten Welt. Diese Umstellung ist krass.“
Eine weitere Umstellung wird steht ebenfalls bevor, so reist HAAi erstmals in die USA. Und das für Shows in Miami, New York, Philadelphia, Detroit und mehr: „Es ist unglaublich wie sehr ich mich freue, endlich dort zu sein und dann direkt binnen so weniger Tage so viele und besondere Venues zu bespielen wie das Movement in Detroit. In New York werde ich eine Solo-Liveshow spielen, die ich seit einiger Zeit vorbereite. Ansonsten freue ich mich auf den Sommer. Es wird scheinbar ein Mix aus Flughäfen und unzähligen Shows – sowohl in Clubs als auf Festivals.“ Auf ihrem eigenen Label Radical New Theory, das sie mit ihrer Partnerin Alice betreibt, stehen einige weitere Katalognummern bevor: „Wir hatten gerade erst ein Release von Luxe. Wir lieben ihren Sound und sind sehr happy, dass wir ihr eine Plattform bieten können. Auch sie ist happy und wir werden bestimmt noch einige Sachen zusammen machen. Demnächst erscheint eine weitere Platte eines jungen, irischen Künstlers. Ich spiele seine Musik schon eine Weile und darauf freuen wir uns sehr. Generell wird dieses Jahr einiges an guter Musik erscheinen.“
Aus dem FAZEmag 124/06.22
Text: Lisa Bonn
Credit: Imogene Barron
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