Hozho – „Musik ist mein Dharma“

Erst im Oktober vergangenen Jahres haben wir mit dem 1993 in Portugal geborenen Joel Monteiro alias Hozho intensiv über ihn als Künstler, das Genre Melodark sowie seine prägnante Maske als Markenzeichen gesprochen. Zum Zeitpunkt des Interviews war der Hype um seine Person groß, aber mitnichten so enorm wie jetzt, nur sechs Monate später. Hozho tourte in den vergangenen Monaten in Indien, in den USA, in Südamerika und Europa, arbeitete an musikalischem Output und an weiteren Projekten. Grund genug, einen der aktuell wohl aufstrebendsten Shootingstars der Szene aufs Cover der aktuellen Ausgabe zu hieven und erneut ein Gespräch zu führen. In diesem geht es um wandelnde Ansichten, Vor- als auch Nachteile von Erfolg, Pläne und eine Menge Perfektionismus.

Joel, schön, nach unserem letzten Gespräch im Herbst 2022 wieder mit dir zu sprechen. Wie ist es dir in den letzten sechs Monaten ergangen?

Die Freude ist ganz meinerseits. Ich möchte mich noch einmal für euer Interesse und die Gelegenheit bedanken, das Cover dieser Ausgabe zu zieren. Was die letzten sechs Monate angeht, nun, ich würde sagen, mein Leben glich förmlich einer Achterbahnfahrt. Es gab eine Menge Hochs und Tiefs. Ich bin dankbar, dass ich die Welt bereisen und das tun kann, was ich am meisten liebe. Ich hatte die Gelegenheit, zum ersten Mal in bestimmten Ländern und Städten zu spielen und dadurch verschiedene Menschen, andere Vibes und Kulturen kennenzulernen. Wenn ich nicht auf Tour bin, versuche ich, das Beste aus meiner Zeit im Studio zu machen. Manchmal gibt es dort magische Momente, aber auch viel Frustration, wie „verdammt, ich weiß nicht mehr, wie man Musik macht“ (lacht). Aber alles, sowohl gut oder schlecht, ist vorübergehend. Also versuche ich immer, es besser zu machen und einen Tag nach dem anderen zu leben. Im Hier und Jetzt.

In einem sehr emotionalen Recap-Video von 2022 beschreibst du auf deinen sozialen Kanälen dein erstes Jahr als gestandener internationaler Künstler, den Schritt aus deiner Komfortzone heraus sowie deine Vorstellung von „Dunkelheit“, die ein omnipräsentes Thema für dich und deine Kunst ist.

Bevor der Covid-19-Ausbruch Anfang 2020 begann, hielt ich mich noch für einen aufstrebenden Künstler. Und wenn man bedenkt, dass das Jahr 2021 noch stark von der Pandemie geprägt war und Kunst bzw. die Szene quasi still standen, kann ich sagen, dass ich mich erst 2022 in der Welt der elektronischen Musik konsolidiert habe, mit mehreren Shows überall auf der Welt. Ganz zu schweigen von den steigenden Zahlen auf digitalen Plattformen und in sozialen Netzwerken. Aber all diese Entwicklungen hatten irgendwie nicht die Auswirkungen auf mein Privatleben, die ich mir vorgestellt hatte. Es scheint, als seien eine Million Streams auf Spotify doch nicht der Schlüssel zum „Glück“. 100.000 Abonnent*innen auf YouTube zu haben, ist ebenfalls nicht die Antwort. Shows auf dem ganzen Planeten zu haben, auch nicht. Versteht mich nicht falsch, ich bin überaus dankbar für all das. Aber das Leben ist so viel mehr als nur Zahlen. Und ich habe erkannt, dass man manchmal aus seiner Komfortzone heraus muss, um wirklich zu erreichen, was man will. Es geht um die Reise und nicht um das Ziel.

Was waren dabei deine größten Learnings?

Musik ist mein Dharma. Aber bei all den Touren, Shows, Reisen, Flughäfen und Co. vergisst man manchmal leicht, was der eigentliche Sinn unseres Lebens ist, der Grund, warum wir damit angefangen haben. Ich liebe es aufzutreten, die Partys und das ganze Rave-Umfeld, aber vor allem bin ich ein Schöpfer und am wohlsten fühle ich mich in meinem kreativen Raum, also im Studio. Im Jahr 2022 hätte ich mehr produzieren sollen. Aus diesem Grund möchte ich 2023 mehr Zeit im Studio verbringen.

In den vergangenen Wochen warst du unter anderem in Indien, den USA und Südamerika. Was waren deine Highlights?

Ohne die anderen Orte, an denen ich gespielt habe, schmälern zu wollen, würde ich sagen, dass mein Highlight die Tournee durch Nord- und Südamerika war. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Zeit außerhalb meiner Heimat verbracht. Es gab viele Flüge, endlose, schlaflose Stunden, verschiedene Zeitzonen, zwei Hemisphären, mehrere Jahreszeiten, verschiedene Klimazonen, Strände, Wüsten usw. Aber es war unglaublich und am Ende war es das alles wert. Manchmal kann ich gar nicht glauben, wie viel Glück ich habe, dieses Leben zu haben, das zwar sehr anstrengend, aber auch sehr aufregend sein kann.

Deine Agenda für die nächsten Wochen und Monate sieht ebenfalls wahnsinnig intensiv aus. Was ist das Spannendste daran, durch so viele verschiedene Länder und Kulturen zu touren und von so vielen Fans auf der ganzen Welt empfangen zu werden?

Es gibt zwei Dinge, die mich positiv überraschen, wenn ich durch die verschiedenen Länder toure. Erstens die Orte, an denen ich gerne spiele, wo ich mit hohen Erwartungen hingehe, aber am Ende ist es immer besser als beim letzten Mal. Ich liebe dieses Gefühl! Zweitens sind es die Orte, an denen ich noch nie gespielt habe, über die ich sehr wenig weiß und wo ich ohne Erwartungen hingehe und es am Ende zu einer einzigartigen Erfahrung wird. Am Ende des Tages genieße ich es, neue Leute zu treffen, alte Freunde wiederzusehen, an Orten zu spielen, an denen ich schon immer spielen wollte, und meine Kunst auf der ganzen Welt zu verbreiten.

Deutschland war schon immer ein wichtiges Land für dich und deine Karriere. Wie würdest du den Vibe hier beschreiben?

Ich denke, es ist klar, welchen Status und welche Mystik Deutschland in der Welt der elektronischen Musik hat. Als ich 2016 zum ersten Mal in Berlin war, habe ich mich gefragt: „Werde ich jemals die Chance bekommen, hier zu spielen?“ bzw. „Werde ich jemals von der Musik leben können?“ Seitdem war ich einfach fasziniert von der Stimmung in Deutschland. Und jetzt lebe ich zum Glück nicht nur von der Musik, sondern werde im April auch meine erste Show in Berlin haben. Und außerdem werde ich Auftritte in Stuttgart und auf einigen Festivals wie dem Ikarus und Echelon haben. Das macht mich stolz und glücklich.

In unserem letzten Interview haben wir intensiv über deine Anfänge sowie deine Idee und Motivation zu deiner Kunst gesprochen. Zu einem großen Teil beziehst du Motivation aus „düsteren Momenten“. Wie hast du diese in eine Quelle der Motivation und Inspiration verwandelt?

Für mich ist Musik ein Mittel – ein Mittel, um etwas Negatives in etwas Positives zu verwandeln. Schlechte Zeiten, Leid, Frustrationen – all das machen wir alle durch. Aber ich glaube, es ist eine Entscheidung, in diesem Zustand zu bleiben. Und lange Zeit fiel es mir schwer zu akzeptieren, dass es eine Entscheidung ist. Also habe ich aufgehört, mich zum Opfer zu machen und angefangen, all diese negativen Gefühle in meine Musik zu kanalisieren, anstatt sie zu verdrängen. Das Ergebnis ist erstaunlich: Ich mache bessere Songs, wenn ich mich am schlechtesten fühle, und paradoxerweise fühle ich mich dann besser, weil ich kreativer werde. Manchmal zwinge ich mich dazu, mich in schlechte Situationen zu begeben, um Inspiration für meine Musik zu bekommen. Ja, ich bin scheinbar ein seltsamer Typ (lacht).

Ein Künstler, wie er leibt und lebt. Du hast auch erwähnt, dass du bereits mit der Arbeit an deinem Album mit dem Titel „Psychological Issues“ begonnen hast. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer, ein Release-Date zu nennen. Die Ideen für die meisten Songs sind bereits in meinem Kopf und die ersten Loops in der DAW, das heißt, die melodische Idee ist also bereits vorhanden. Der schwierigste Teil ist jetzt, die Tracks zu entwickeln. Die Tatsache, dass ich auf Tour bin, erlaubt es mir allerdings nicht, das Album so effektiv zu entwickeln, wie ich es möchte. Ich brauche mehr Zeit. Und weil es für mich ein besonderes Album ist, möchte ich ihm meine volle Aufmerksamkeit schenken und an jedem Detail arbeiten, mit dem Ziel, etwas zu veröffentlichen, das sagt: „Das ist es! Ich hätte es nicht besser machen können.“

Ende April wird es eine neue Single geben, erzähle uns doch mehr darüber.

Ursprünglich sollte es eine Interpretation des Eröffnungsstücks aus der Serie „The Last of Us“ werden, komponiert von Gustavo Santaolalla. Ich bin großer Fan sowohl der Serie als auch des Künstlers. Ich begann mit den Arbeiten am Track, während ich auf Tour in Südamerika war, aber als ich ins Studio zurückkam, hatte ich das Gefühl, dass es nicht richtig klang, und die Tatsache, dass ich der melodischen Idee des Originaltitels folgen musste, machte mich verrückt, weil ich mich festgefahren fühlte. Also beschloss ich, diese Version beiseite zu lassen und etwas Neues zu kreieren, das aber die gleiche Essenz hat. Der Name des Tracks und das Coverbild, das gerade entsteht, sind ohnehin von der Serie inspiriert. Der Song wird „Endure And Survive“ heißen.

Auch ein neuer DJ-Mix ist geplant, was kannst du darüber verraten?

DJ-Mix 04 ist etwas, das ich schon seit Jahren geplant habe, seit DJ-Mix 03 im Jahr 2018 veröffentlicht wurde und auf YouTube einen großen Erfolg hatte. Aber dann kam die Veröffentlichung meines ersten Soloalbums „Yin Yang“ im Jahr 2019. Anschließend die Pandemie. Und dann tourte ich durch die ganze Welt. Die Idee ist, den DJ-Mix an einem besonderen Ort aufzunehmen. Es soll aber nicht nur ein Set mit guten Kameraeinstellungen werden. Ich möchte, dass es etwas Filmisches ist, mit einer Geschichte, mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Und natürlich nur mit meinen Tracks. Die Idee ist, beim DJ-Mix 04 einige Tracks von meinem kommenden Album zu spielen, um es zu promoten und den Zuhörer*innen einen Vorgeschmack auf das zu geben, was noch kommen wird. Ich denke, große Dinge brauchen ihre Zeit.

Ich habe gelesen, dass du darüber nachdenkst, ein eigenes Label zu eröffnen.

Die Idee, mein eigenes Label zu gründen, gibt es schon eine Weile. Vielleicht seit 2019, als ich das Album „Yin Yang“ veröffentlichte. Das Album wurde unabhängig veröffentlicht. Ich war derjenige, der sich um alles gekümmert hat – Promotion, Marketing, Cover-Design und alles andere. Und ich habe es getan, weil ich das Gefühl hatte, dass kein Label dem Album die Aufmerksamkeit und die Investitionen schenken würde, die es verdient hätte. Die Wahrheit ist, dass es nicht viele Labels auf der Welt gibt, die meine Art von Musik veröffentlichen, und die, die es gibt, werden meiner Meinung nach nie wirklich die Arbeit hinter jedem meiner Songs verstehen. Deshalb möchte ich mein eigenes Label gründen, um die ganze Mühe in jedes meiner Werke zu stecken. Und nicht nur das. Ich möchte, dass andere Künstlerinnen und Künstler das gleiche Gefühl haben und wissen, dass jede ihrer Veröffentlichungen auf meinem Label die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. Und glaubt mir, es gibt da draußen viele Rohdiamanten, die in diesem Musikgenre außergewöhnliche Tracks produzieren. Ich möchte ihnen einfach die Chance geben, die sie verdienen, um mehr Anerkennung zu bekommen.

Ein gutes Stichwort. Heutzutage versuchen viele junge Künstler*innen, in die Welt der elektronischen Musik einzusteigen. Wie würdest du deine persönlichen Techniken und Methoden beschreiben?

Ich versuche immer, etwas zu kreieren, das anders ist. Natürlich habe ich meine Inspirationen und Einflüsse, aber es ist mir wichtig, dass meine Musik meine Erfahrungen widerspiegelt, also das, was ich bin. In Melodark habe ich die Möglichkeit gefunden, mich auszudrücken, eine düstere Stimmung mit Melodien zu kombinieren und gleichzeitig zum Rhythmus des Beats zu tanzen. Ich bin sehr perfektionistisch, wenn es um Details geht, um alle Elemente und Instrumente so gut wie möglich klingen zu lassen, zum Beispiel Equalizer usw. Manchmal führt genau dieser Perfektionismus dazu, dass ich nicht in der Lage bin, Tracks zu produzieren und zu entwickeln, weil ich denke, dass sie nicht gut genug sind. Wenn du also einen Track produzierst, fühle die Musik, stecke deine ganze Leidenschaft hinein und bleibe nicht in der Schleife stecken. Vertrau mir, du wirst wissen, wann du ein Meisterwerk geschaffen hast.

Wie hat sich deine Arbeitsweise im Laufe der Jahre verändert und entwickelt?

Ich lerne immer dazu und verbessere mich ständig. Das bringt der eben angesprochene Perfektionismus mit sich. Ich achte mehr und mehr auf Details, manchmal auf Kleinigkeiten, von denen ich weiß, dass sie sonst niemandem auffallen. Früher waren mir Equalizer und Kompressoren egal. Ich wollte einfach nur etwas erschaffen. Und wenn es gut genug klang, war es bereit, veröffentlicht zu werden. Ich vermisse diese Unschuld, wenig Theorie und mehr Gefühl. Aber die Wahrheit ist, dass es einen deutlichen Unterschied gibt, wenn ich mir meine Tracks von 2016 und die von 2022 anhöre. Und ich glaube, dieses und das folgende Jahr werden noch besser.

Was sind deine Tipps für aufstrebende junge Talente?

Sei anders. Ich erinnere mich immer an einen meiner Lieblingssätze des großen Charles Bukowski: „Wohin die Menge auch geht, laufe in die andere Richtung.“ Ich denke, das ist extrem wichtig, wenn du auffallen willst. Konzentriere dich auf die Qualität deiner Musik, kreiere etwas, das dein Markenzeichen ist. Und anders zu sein, bezieht sich nicht nur auf die Musik, sondern auch darauf, wie du dich in den sozialen Medien präsentierst, was du bist. Sei wählerisch, arbeite an den Details und produziere jeden Tag, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Du wirst sehen, dass du schon nach einem Jahr, einem Monat und einer Woche den Unterschied bemerken wirst.

Was sind deine Pläne neben alldem für dieses Jahr?

In diesem Jahr geht es mir vor allem darum, mich auf die Veröffentlichungen zu konzentrieren und alles für die Tour und die anstehenden Shows zu geben. Was die Releases angeht, so plane ich neben der Single im April und dem Album, das ich hoffentlich bis Ende des Jahres fertiggestellt habe, eine lang erwartete EP mit meinem Bruder Black Hertz und auch eine Solo-EP zu veröffentlichen. Vielleicht ergibt sich auch noch anderer Output. Ich denke, 2023 wird ein großes Jahr werden, ein Jahr harter Arbeit und Hingabe. Sicherlich werde ich Anfang 2024 eine Pause brauchen, um neue Inspiration zu sammeln und ein neues Konzept zu entwickeln. Vielleicht eine neue Maske, ein neues Outfit, neue Musik!

Tourdates

08.04.2023 I Exe Club, Sofia, Bulgarien
14.04.2023 I Lab the Club, Madrid, Spanien
28.04.2023 I Kowalski, Stuttgart
29.04.2023 I Ritter Butzke, Berlin
12.05.2023 I Stihmpra, Gral Fernandez, Argentinien
13.05.2023 I La Normandina, Mar del Plata, Argentinien
17.05.2023 I Rok, Luzern, Schweiz
19.05.2023 I Ankara, Majalis, Türkei
20.05.2023 I Izmir, No Label, Türkei
26.05.2023 I Ikarus Festival
27.05.2023 I Globull, Bulle, Schweiz
07.06.2023 I U-Club, Wuppertal
17.06.2023 I Verträumte Angelegenheit, Obernburg am Main
18.06.2023 I Techno Dampfer, Duisburg
24.06.2023 I Isle of Summer
01.07.2023 I Techno Dampfer, Nijmegen, Niederlande
07.07.2023 I Input, Barcelona, Spanien
14.07.2023 I Techno Dampfer, Zürich, Schweiz
15.07.2023 I Fabrik, Madrid, Spanien
21.07.2023 I E1, London, England

 

Aus dem FAZEmag 134/04.2023
Text: Lisa Bonn
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