Jon Hopkins – Therapiestunde

Credit: Steve Gullick

Nach seinem letzten Langspieler „Singularity“ aus 2018 veröffentlicht der Grammy-prämierte Brite mit „Music For Psychedelic Therapy“ nun kurz vor Jahresende sein sechstes Album. Der Titel ist dabei Programm, haben die neun Stücke tatsächlich eine musikalische Therapiestunde inne – ganz ohne Beats und Drums – die uns dazu anregen, unseren Geist zu erkunden und zu verstehen. Ein besonderes Highlight ist das spirituelle Stück „Sit Around The Fire“, das Aufnahmen des verstorbenen Harvard-Professors Richard Alpert alias Ram Dass enthält. Weltbekannt wurde Dass durch seine bewusstseinserweiternden Experimente, unter anderem mit LSD. Mitunter von Ram Dass inspiriert, erweist sich auch Jon Hopkins als Befürworter dieser psychedelischen Erfahrungen, die einen großen Einfluss auf sein musikalisches Schaffen besitzen. Wir haben mit ihm über sein neues Album gesprochen. Veröffentlicht wird das Werk am 12. November in digitaler Form und auf CD via Domino. Das Vinyl-Release folgt am 22. Februar 2022.

Jon, lass uns zuerst über den Titel des Albums sprechen, „Music For Psychedelic Therapy“. Was bedeutet das für dich?

Mir hat die Idee, den Geist mittels Musik weiter zu erforschen, schon immer sehr gefallen. Natürlich kann man das nicht direkt mit der Wirkung von psychedelischen Substanzen vergleichen, aber ich denke, dass man Musik sehr wohl als Werkzeug nutzen kann, um sich Zugang zu verborgenen Gefilden seiner Psyche verschaffen. Und auch gerade das Zusammenspiel von Musik und Psychedelika kann eine großartige und tiefgründige Erfahrung sein.

Auch du selbst hast derartige Erfahrungen in Form von – nennen wir es – Selbstexperimenten bereits sammeln können.

Während der Produktion dieses Albums habe ich sporadisch immer wieder zeremonielle Listening-Sessions alleine im Studio eingelegt, bei denen ich Ketamin konsumierte, um die Musik feinfühliger wahrnehmen und tiefer in meine psychischen Strukturen vordringen zu können. Vor allem gegen Ende des Trackwriting-Prozesses war mir dies eine große Hilfe, um beurteilen zu können, wie die Tracks als Therapiewerkzeug wirken und ob sie funktionieren.

Nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie passen das Album und dessen Titel perfekt in die aktuelle Zeit, in der die Menschen sich viel mit sich selbst beschäftigen müssen bzw. mussten. Wie hast du die Krise in dieser Hinsicht erlebt?

Es war ohne Frage eine äußerst unwirkliche Zeit, der ich, wie die meisten anderen Menschen wohl auch, zunächst mit einer großen Portion Angst und Unsicherheit entgegengetreten bin. Alles passierte sehr unerwartet. Ich befand mich gerade auf Tour, als Corona voll einschlug und sämtliche Konzerte, Clubauftritte und Co. abgesagt werden mussten. Plötzlich saß ich wieder zu Hause und erkannte irgendwann, dass diese Zwangspause bitter notwendig war, um meine Kreativität wieder neu zu entfachen. Ich merkte zu diesem Zeitpunkt, dass ich bereits vor der Pandemie völlig ausgelaugt gewesen war. Erst nach der Pause konnte ich wieder aus dem Vollen schöpfen, wovon sicherlich auch „Music For Psychedelic Therapy“ profitiert hat.

Denkst du, dass das Album ohne die Pandemie anders geklungen hätte?

Nein, das denke ich nicht, allerdings konnte ich mich durch den Lockdown komplett auf das Album fokussieren, was das Endresultat vielleicht nicht anders, aber definitiv konsistenter und ausgereifter ausfallen lässt.

„,Music For Psychedelic Therapy‘ ist eine Mischung aus Ambient, Klassik und Drone. Für mich ist es sowohl ein Ort als auch ein Klang. Das Album funktioniert für den nüchternen Geist, bekommt aber eine völlig neue Dimension, wenn man es in einer psychedelischen Zeremonie hört. Bei meinen eigenen psychedelischen Erkundungen, bei denen ich diese Musik getestet habe, kam mir ein Zitat, das ich gelesen hatte, immer wieder in den Sinn: ,Musik ist flüssige Architektur, Architektur ist gefrorene Musik.‘ Ich liebe diese Vorstellung von Musik als etwas, das man bewohnt, etwas, das energetisch auf einen einwirkt. In diesem Zustand kam mir auch der Titel in den Sinn. Psychedelisch unterstützte Therapien sind weltweit auf dem Weg in die Legalität, und dennoch hat man das Gefühl, dass niemand über die Musik spricht. Dabei ist Musik genauso wichtig wie die Medizin.“ – Jon Hopkins über sein neues Album

„Music For Psychedelic Therapy“ ist dein mittlerweile sechstes Studioalbum. Wie hat sich dein Sound seither entwickelt, deiner Meinung nach?

Ich denke schon, dass da eine konstante Entwicklung zu erkennen ist. Während der Entstehung meiner ersten beiden Alben war ich noch sehr jung, die lasse ich mal außen vor. „Insights“, mein Domino-Debüt und drittes Album, entstand über einen Zeitraum von vier Jahren, weil ich parallel immer wieder anderen Projekten nachging, die die Produktion hinauszögerten. Das hat sich dann auch auf den Sound ausgewirkt, der dementsprechend von verschiedensten Styles geprägt war. Mit „Immunity“ kam schließlich der Techno hinzu und „Singularity“ war dann eine Kombination aus Techno und Ambient. Auf „Music For Psychedelic Therapy“ richte ich den Fokus nun gänzlich auf beatlose Musik, denn ich glaube, dass es in diesem Segment noch viel zu entdecken gibt, und sie vor allem auf emotionaler Ebene intensiver sein kann, als Musik mit Beat.

Wie sieht es mit deinem Workflow im Studio aus? Gab es hier signifikante Veränderungen, auch im Hinblick auf Hardware und Software?

Gar nicht mal so viele. Eine meiner wichtigsten Anschaffungen der letzten Jahre war auf jeden Fall der Moog One. Das Teil ist einfach überragend und wohl der beste Synth, auf dem ich jemals gespielt habe. Auch bezüglich meiner grundlegenden Techniken im Studio bin ich mir meist treu geblieben: Pianoklänge einspielen und zu etwas völlig anderem transformieren, das mache ich immer noch sehr gerne.

Ein absolutes Highlight auf dem Album ist der Schlusstrack „Sit Around The Fire“, der in Zusammenarbeit dem Produzenten und Zeremonienführer East Forest entstand und auf dem die Stimme des 2019 verstorbenen Guru Ram Dass zu hören ist. Dessen legendäres Buch „Be Here Now“ feiert aktuell sein 50-jähriges Bestehen. Welchen Einfluss hatte Ram Dass auf dich?

Seine immense Relevanz in den Bereichen Meditation und Psychedelika habe ich erst vor wenigen Jahren erfahren. Ich lebte damals in Los Angeles und ein guter Freund von mir brachte mir das Buch „Be Here Now“ als Geschenk mit. Es lag dann auf meinem Nachtschrank und ich schnappte es mir immer wieder, um die Geschichte von Ram Dass und die großartige Metaphorik des Buches zu bestaunen. Ram Dass hat mir aufgezeigt, wie wichtig es ist, sich mit selbst auseinanderzusetzen und Praktiken wie Meditation zu betreiben. Durch ihn sind nach einer sehr langen Pause auch wieder psychedelische Erfahrungen in mein Leben zurückgekehrt. Großartig ist im Übrigen auch das zugehörige Video von „Sit Around The Fire“, für das die wundersame Bildsprache von Ram Dass erstmals visualisiert wurde. Der ganze Clip ist quasi eine achtminütige Therapie.

Was steht bei dir in den kommenden Wochen und Monaten auf der Agenda?

Meine Europa-Tournee wurde leider auf nächstes Jahr verschoben. In Deutschland spiele ich nun am 6. September 2022 in Hamburg und am 26. September 2022 in Berlin. Ansonsten habe ich diesen Monat einige Gigs in England. Anschließend wird es erst einmal etwas ruhiger.

Aus dem FAZEmag 117/11.21
Text: Milan Trame & Triple P
Credit: Steve Gullick
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