Luca Draccar – Licht & Schatten

Luca Draccar ist ein Künstler, der sich nur schwer in ein festes Genre einordnen lässt – und genau das macht seine Musik so fesselnd. Geboren in Italien, aber in Berlin verwurzelt, kreiert er einen einzigartigen Sound, der schimmernden Techno mit dunklen, exotischen Rhythmen verbindet. Seine Produktionen sind mehr als nur Tracks für den Dancefloor – sie sind Klangreisen voller Tiefe, Emotion und Mystik. Mit seiner neuen EP „The Dark Side“, die am 8. März erscheint, geht Luca einen weiteren Schritt in seiner künstlerischen Entwicklung. Das vier Tracks umfassende Werk ist ein vielschichtiger Blick auf die Schattenseiten der menschlichen Existenz – eine Reflexion über innere Kämpfe, unbewusste Ängste und die Schönheit, die sich in der Dunkelheit verbirgt. Dabei kombiniert er rohe, ungeschliffene Emotionen mit präziser Produktion, was zu einem Klangbild führt, das gleichermaßen intensiv wie hypnotisch ist. Von den melancholischen Melodien in „Bad at Love Since Forever“ über die rebellische Energie von „Outlaws Division“ bis hin zu den surrealen, traumartigen Klanglandschaften in „Reckless Flower“ – jeder Track erzählt seine eigene Geschichte. Den Abschluss bildet „Branded Your Brain“, eine tiefgründige Reflexion über Wahrheit und Illusion, die den Hörer mit einem bleibenden Eindruck zurücklässt. Doch „The Dark Side“ ist mehr als nur Musik – es ist eine künstlerische Aussage, ein Werk, in das Luca Draccar all seine Erfahrungen und Emotionen einfließen lässt. Wir haben mit ihm gesprochen.

„The Dark Side“ ist offensichtlich ein sehr persönliches und komplexes Projekt für dich. Durch welche Emotionen und Erfahrungen wurde es geprägt? 

Es zeigt, dass es im Leben manchmal besser ist, sich auf die Reise eines unmöglichen Weges zu begeben, als gar nicht erst loszugehen. Es ist komplex, weil manche Wege unumgänglich sind. Meistens entscheidet nicht man selbst, sondern die Umstände tun es. Es geht um persönliche Kämpfe. Doch ohne Herausforderungen gibt es keinen Fortschritt. All das spiegelt sich in meiner Musik wider – sie wird niemals mehr oder weniger sein, als ich selbst als Mensch bin.

Die EP vereint rohe emotionale Tiefe mit innovativer Produktion. Wie gelingt es dir, Verletzlichkeit mit klanglicher Intensität zu verbinden?

Mit Einfachheit – es gibt keinerlei Überheblichkeit. Mein künstlerischer Weg basiert auf einer ganz normalen persönlichen Entwicklung, einer simplen Übersetzung von Erfahrungen. Aber genau das ist entscheidend, um Magie in der Musik zu erzeugen. Magie ist etwas, das ich von meiner Musik erwarte. Und als Mensch, der aus Südeuropa stammt, kommt bei mir der raue, kantige Geist dabei ganz von selbst zum Vorschein.

Du beschreibst „The Dark Side“ als eine Einladung an die Hörer*innen, sich ihren eigenen dunklen Seiten zu stellen. Wie übersetzt sich dieses Konzept in die Musik?

Ich denke, die Dunkelheit ist sehr erhellend. Man sieht seine Ideen klarer. Es geht dabei nicht um eine makabre Ästhetik. Schatten, Licht und Halbschatten sind keine Konstanten, sondern nur vorübergehende Phasen. Diese Veränderlichkeit zieht sich durch die gesamte EP. Alles geschieht direkt vor deinen Augen. Die Möglichkeit, neue, unerforschte Wege zu beschreiten, ist faszinierend – sie beflügelt die Vorstellungskraft.

Jeder Track auf der EP erzählt eine eigene Geschichte. Kannst du uns auf die emotionale Reise von „Bad at Love Since Forever“ bis „Branded Your Brain“ mitnehmen?

Es gibt definitiv eine Art mystischen Furor, und der Geist eines Kreuzzugs ist ein wichtiger Teil dieser grenzenlosen Verschmelzung. Es ist der Beweis, dass jeder erfüllte Wunsch das Ergebnis harter Arbeit, Stärke und Durchhaltevermögen ist. Beim letzten Song, „Branded Your Brain“, lasse ich die Dinge ein wenig von selbst fließen, statt die Musik in eine bestimmte Richtung zu zwingen. „Bad at Love Since Forever“, aber noch mehr „Reckless Flower“, sind mit einer Art klanglicher Dialektik konzipiert, um eine dunkle, tranceartige Atmosphäre einzufangen. Die Synthesizer sind industriell und kratzend, aber gleichzeitig sauber voneinander isoliert. Es war nicht einfach, diese tonalen Gegensätze miteinander in Einklang zu bringen. Ich habe viel Zeit investiert, und einige Keyboard-Spieler haben mich dabei unterstützt.

Ein gutes Stichwort. Du hast für die EP selbst Klavierunterricht genommen. Wie hat das deinen kreativen Prozess und deine Herangehensweise an die Produktion verändert?

Es hat alles verändert. Und alles entwickelt sich jetzt weit über meine Erwartungen hinaus. Die Hauptvision von „The Dark Side“ war, es so zu sequenzieren wie „The Downward Spiral“ von Nine Inch Nails. Ich liebe Dance Music als Genre, aber in Sachen Sound und Arrangement verfolge ich meinen eigenen Weg – ich jage der Faszination von Vibrationen hinterher, statt Regeln zu folgen. Genau deshalb habe ich mit Klavierunterricht begonnen. Ich denke, Trent Reznor von Nine Inch Nails ist ein Keyboard-Spieler, der das Konzept des Samplings in einer chirurgischen Präzision vereint.

Berlin hat eine starke elektronische Identität, während deine italienischen Wurzeln eine ganz andere Energie mitbringen. Wie verschmelzen diese Einflüsse in deinem Sound?

Berlin ist einer der außergewöhnlichsten Orte für Musik und Clubkultur. Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde Techno zum Soundtrack der Wiedervereinigung. In Italien hingegen dominierten damals House, Eurodance und Progressive die Clubs. Von der italienischen House-Party zur Berliner Techno-Nacht zu wechseln, ist wie extra Chili auf deine Spaghetti zu geben. Die Stadt mit ihrer industriellen Kulisse, zerstört und wieder aufgebaut, ist die perfekte Szenerie für diese wilde Vision. Sie ist groß und weitläufig, mit riesigen Freiräumen für unabhängiges Denken.

Deine Musik wird als hypnotisch und innovativ beschrieben. Was fasziniert dich an der Kombination aus schimmerndem Techno und dunklen, exotischen Rhythmen?

Ich liebe das Inkonsequente – es ist schön, weil es verunsichert. Es ist das Ergebnis von äußerer Ordnung und innerem Chaos. Klanglich spiegelt sich das in einer saftigen Mischung verschiedenster Genres wider. Jeder Stil bringt eine eigene Charakteristik mit, die eine komplette Stimmung verändern kann.

„Outlaws Division“ steht für Rebellion, während „Reckless Flower“ surreale Schönheit erkundet. Siehst du dich als Geschichtenerzähler durch Klang?

Definitiv. Wenn ich einen neuen Song kreiere, habe ich immer eine visionäre Geschichte und eine introspektive Reise vor Augen. Am Anfang ist der Prozess frei und chaotisch. Dann bringe ich alles in eine Ordnung, ohne mich an Logik zu halten. Ich denke, Kohärenz ist ein Albtraum für begrenzte Köpfe. Ich nehme den Genuss an Songs sehr ernst – und so entstehen Tracks mit individueller Seele und außergewöhnlichen, fremdartigen Farben.

Der letzte Track „Branded Your Brain“ spielt mit Wahrheit und Illusion. Welche Botschaft oder Emotionen wolltest du transportieren?

Ganz genau. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Wahrheit und Illusion sind meiner Meinung nach hochaktuelle Themen. Man denke nur an die Diskrepanz zwischen der Welt der sozialen Medien und der realen Welt. In naher Zukunft, mit künstlicher Intelligenz, werden das Reale und das Unreale nicht mehr unterscheidbar sein – und doch bleiben sie grundlegend verschieden. Deshalb erzähle ich Geschichten, denn eine Geschichte wird für immer eine Seele haben.

Techno ist oft mit dem Underground verbunden, doch deine Produktionen erweitern seine Grenzen. Wohin siehst du das Genre sich entwickeln?

Ich habe „The Dark Side“ geschrieben, um die Vielfalt der menschlichen Persönlichkeit auszudrücken – mit einer breiten Palette an musikalischen Stilen. Ich versuche immer, Musik einzigartig, aber verständlich zu gestalten. Ich denke, dass Techno oder andere Musikstile nicht wirklich evolvieren, weil heutige Inhalte oft von ihren Formaten bestimmt werden. Aber in weniger als zehn Jahren werden wir eine Welt haben, die kaum wiederzuerkennen ist, glaube ich. Musik wird mit KI weiterentwickelt, und alles verändert sich in rasantem Tempo.

Du hast an der Bauhaus-Universität Weimar Multimedia-Kommunikation und Interaktives Design studiert. Wie beeinflusst dieser Hintergrund deine Musik?

Bauhaus hat mich gelehrt, dass Schönheit aus Authentizität entsteht, nicht aus Perfektion. Ich habe einen sehr persönlichen Zugang zur Dance Music und generell zur Musikwelt. Am Bauhaus begann ich, interaktives Design mit elektronischer Musik zu kombinieren – mit multimedialen Installationen, die in großem Maßstab mit VJ- und DJ-Sets integriert wurden. Trigger-Pads, Fotosensoren und Motion-Tracking erfassten die Bewegungen des Publikums auf der Tanzfläche. Diese Projekte habe ich damals auf meinen Touren durch Europa mitgenommen und auch in meinem damaligen Residency-Club, dem Stattbad Wedding in Berlin, eingesetzt. Es war eine sehr inspirierende Zeit, aus jeder Perspektive. Diese Erfahrungen prägen meine Musik bis heute – in ihrer Experimentierfreude und der direkten Interaktion mit dem Publikum.

Deine Reise begann mit DJ-Sets bei Mailänder Underground-Raves. Wie hat sich dein künstlerisches Selbstverständnis durch den Übergang zur Musikproduktion verändert?

Das waren harte Zeiten. Ich studierte Architektur am Politecnico di Milano. Es gab kein Internet. Aber wir hatten klare Prinzipien und große Visionen. Wir wollten etwas bewirken. Es waren die 90er. Wir haben vieles ins Rollen gebracht – von kleinen Clubs bis zu großen Raves, national und international. Und alles wurde nur mit Flyern organisiert – nichts weiter als Papier. Genau in dieser Ära entstand die Szene, die heute dominiert. Es ging so schnell und war unglaublich. Ich kann es selbst kaum glauben. Das Entscheidende ist, sich diese Begeisterung und Risikobereitschaft zu bewahren. Risiko hält dich jung.

Welche Rolle spielen Technologie und soziale Medien in deinem kreativen Prozess heute? Siehst du sie eher als Werkzeuge der Verbindung oder als Ablenkung?

David Bowie sagte einmal: „Das Internet wird wie eine außerirdische Lebensform sein – mit positiven und negativen Seiten. Was es mit der Gesellschaft macht, ist unvorstellbar, aufregend und beängstigend zugleich.“ Und genau das ist es – beides. Verbindung und Ablenkung. Ein Werkzeug und zugleich Unterhaltung. Und noch viel mehr.

Was macht Musik in einer Ära des Massenkonsums wirklich besonders und berührend?

Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit. In den letzten drei Jahren hat das Internet das Konzept des Musikmachens komplett verändert – wenn man bedenkt, dass mittlerweile zehn Prozent der globalen Musikproduktion mit KI erstellt werden. Diese Technologie kann den Massengeschmack gezielt bedienen und hat dadurch größere Chancen herauszustechen. Ich denke, in Zukunft wird es spannend sein, KI auf eine konstruktive und unvorhersehbare Weise zu nutzen.

Wie schaffst du es, dich von der digitalen Reizüberflutung zu lösen und deiner künstlerischen Vision treu zu bleiben?

Joggen mit Musik an sehr weitläufigen Orten – hier in Berlin ist das eine zutiefst befreiende Erfahrung. Man taucht tief in sich selbst ein und ist komplett mit der eigenen Welt verbunden. Eine Art Gehirn-Yoga. Das Gleiche gilt fürs Fitnessstudio – wenn man ein Trainingsprogramm wirklich lebt, begleitet es einen rund um die Uhr. Und dann ist da noch die ganze Welt der Longboards – ob Surf-Skate oder E-Boards. Besonders im Sommer fühlt es sich an, als würde man mit dem warmen Wind fliegen.

Welche Pläne hast du für den Rest des Jahres?

Ich arbeite bereits an meiner nächsten EP für 2026. Es wird quasi ein tropisches Jiu-Jitsu, Erdbeer-Blau-Zitronen-Caipiroska (lacht). Ich bin in einem Zustand der totalen Symbiose mit den Keyboards und spüre, dass sich neue Welten öffnen. Immer wieder neue Erfahrungen mit inspirierenden Menschen –  einfach das Leben fließen lassen. Wenn es passieren soll, dann wird es passieren.

Aus dem FAZEmag 157/03.2025
Text: Lisa Bonn
www.instagram.com/lucadraccar