Marvin Aloys – „Ich bin House-Künstler“

Wenn man an coole Events in den österreichischen Alpen denkt, kommt man an dem Namen Marvin Aloys nicht vorbei. Der in München wohnende DJ und Produzent hätte normalerweise in diesen Wochen keine Zeit für ein Interview mit uns. Wie er die Event-freie Zeit nutzt, warum eine Party in den Alpen mit keinem anderen Event zu vergleichen ist und wann wir wieder in Ischgl raven dürfen, hat er uns im Gespräch verraten.

 

Was waren deine ersten Berührungen mit elektronischer Musik und wie und wann bist zur House-Musik gekommen?

Angefangen hat alles 2008 in der Wiener Drum’n’Bass-Szene. Das waren die ersten Berührungspunkte, in der klassischen Underground-World in der österreichischen Bundeshauptstadt. Die ersten CDs kaufte ich damals von Drum & Bass Arena, Andy C und DJ Marky. Über die ersten Jahre ging es dann mit so 18, 19 Jahren zu Classic House: Kerri Chandler, Louie Vega und Armand van Helden. Vieles von dem Zeug spiele ich heute noch.

Was kam bei dir als Erstes? Das Auflegen und Produzieren oder das Organisieren von Partys und Veranstaltungen? Erzähl uns, wie die erste von dir organisierte Party abgelaufen ist.

Relativ zeitgleich. Durch Zufall traf ich in einem Wiener Café einen außergewöhnlichen Charakter-Typen – der meinte noch am selben Tag, ich solle in zwei Monaten eine Party mit ihm im Club Hochriegl schmeißen. Gesagt, getan. Irgendwie wurde voll der Hype daraus und schon bald kannten alle Vienna-Club-Kidz unsere Event-Serie „Beyond Control“. Das Ganze ging dann eine kleine Weile, bis ich als DJ dann zu viel zu tun und mehr aufgelegt hatte. Jahre später habe ich dann mit „ADDICTED“ angefangen. Zuerst bei uns in Ischgl; jetzt vor Covid hatte ich meine Resident-Night im Take Five Kitzbühel, Hearthouse München oder bei Tomschy. Wir werden auch ein kleines Boutique-Festival in den Alpen organisieren, sobald die Politik es zulässt. Die Zielgruppe für real Electronic Music in den Alpen wird einfach immer größer und wir waren da schon ganz früh vorne mit dabei. Ehrlich gesagt macht es einfach irre Spaß und es gibt so viele Möglichkeiten zur Entwicklung. Es kristallisiert sich da wirklich eine coole Szene gerade heraus, die so von Salzburg, München und Kitzbühel bis zum Bodensee durch die Alpen tingelt – Ziel: Electronic Dance Music.

Wie hat deine Familie darauf reagiert, als du begonnen hast, mit Partys dein Geld zu verdienen? Hast du einen seriösen Beruf erlernt?

Als Jüngling einer klassischen Unternehmerfamilie mit konservativ betuchten Werten war das anfangs eine Herausforderung für mich. Da war keine große Akzeptanz da, ich habe dann Medien in München und Südafrika studiert und nebenher die Liebe zur Electronic Music weiterentwickelt. Nach der Uni sagte ich dann: „So, da bin ich wieder, ich bleibe aber DJ.“ Inzwischen haben das alle sehr gut aufgenommen und sind da äußerst supportive. Ich finde auch immer mehr Wege, wie wir klassisches Unternehmertun mit Electronic Music kombinieren können und schaffe so Mehrwerte, die über meine eigene Künstlertätigkeit hinausgehen. Da waren viele Herausforderungen mit dabei, aber inzwischen ist in dieser Frage alles geklärt und es ist äußerst positiv.

Du bist in den Alpen ein Vorreiter für housige Partys. Warum setzt du dich für mehr House anstatt volkstümlicher Musik beim Après-Ski und den Partys in Ischgl ein und wie, würdest du sagen, wird dein Konzept angenommen? Wieso passen die Alpen und Raven für dich zusammen?

In Ischgl sind Menschen aus Israel, Amerika, UK oder Irland – und überall tönt deutsche Musik. Das passt nicht zusammen. Auch der konventionelle Après-Ski war nie meins. Mir ist das eine Spur zu proletoid, es fehlt die Eleganz. Erstens konnte ich mich musikalisch damit nicht anfreunden und zweitens geht es dabei rein um Alkoholkonsum. Mein Großvater hat mir das natürlich auch in die Wiege gelegt, das PACHA AUSTRIA gab es ja schon, als ich ein kleiner Junge war. Ich habe das beobachtet und war dann selbst eben durch meine Schulzeit in Wien auch anders kreativ beeinflusst. Inzwischen hat Dance Music das klassische politisch links angesiedelte Spektrum verlassen und passt irre gut zum Skiurlaub und in schönes alpines Ambiente. Die Menschen lieben es, wenn ich in Kitzbühel bei meinem geschätzten Freund Tomschy auflege, alle zelebrieren dort Dance Music auf einem hohen Niveau. Die Menschen sind glücklich und jeder kann dabei sein, egal ob jung, alt, aus welchem sozialen Milieu und aus welchem Land. Dance Music is for everyone who feels it. Da die Alpen immer internationaler werden, kommen auch neue trendbewusste Gäste zu uns nach Tirol. Das Lieblingslokal von vielen in Ischgl ist ein New-York-City-Style Japanise X French Cuisine Laden, dort wird rund um die Uhr Deep House gespielt, und es arbeiten Menschen aus der ganzen Welt vor Ort. Wir sind nicht mehr so urig, Alpinismus wird immer mehr trendy. Da ist es sehr spannend, dabei sein zu dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Worin unterscheidet sich ein Club in den Alpen im Besonderen von einem Club in einer Großstadt, und wieso?

Die Kulisse ist einfach unschlagbar, wenn die Sonne untergeht und durch die Bergspitze taucht. Der Geruch, der Vibe, die Mischung aus Natur und internationaler Musik, das Urlaubsfeeling. In Kombination ist das wirklich sehr besonders.

Du hast im vergangenen Jahr mit einigen großartigen Produktionen auf dich aufmerksam gemacht. Was war für dich dein Release-Highlight?

Zum Glück arbeite ich viel mit den Jungs von Milk & Sugar zusammen. Die wohnen wie ich in München und machen einfach als Label eine sagenhafte Arbeit. Was House in Deutschland angeht, sind sie ganz vorne mit dabei. Zum Glück haben sie mich entdeckt, und „Let Me Love You“ war dieses Jahr meine Debüt-EP. Für 2021 sind weitere Tracks gesigned. Es ist cool, locally zusammenzuarbeiten, da fahre ich auch mit dem Radl mal ins Studio zu denen und wir hören gemeinsam die Demos bei einem Spezi durch.

Wie gehst du an eine neue Produktion heran und mit welchem Equipment produzierst du?

Früher arbeitete ich so komplett drauf los. Inzwischen überlege ich mehr, was ich eigentlich machen will. Ich suche immer ein „Killer Sample“ oder spiele eine Melodie. Von der geht alles aus. Oftmals lösche ich dann die erste Sample-Idee im Laufe des Tracks wieder, aber habe inzwischen einen ganzen Track fertiggemacht. Es läuft nach dem Motto: Inspirationsquelle suchen und dann drumherum basteln. Auf einmal klickt man „Play“ und hat den Song und benötigt die erste Quelle gar nicht mehr. Ich produziere auf Logic Pro; Ableton habe ich auch mal gemacht, das geht schneller und ist unkomplizierter – aber ich bin einfach verliebt in das Layout und das optische Design von Logic. Weiter nutze ich viel von Native Instruments, Komplete Control usw. und habe mir ein Bopad gekauft, da kann man alles mit den Drumsticks einspielen. Es ist fast wie ein Schlagzeug, nur dass ich jedes Instrument/jedes Sample draufladen kann.

Das Jahr 2020 war für die gesamte Szene katastrophal. Wie bist du mit dieser Situation umgegangen?

Ich bin viel im Studio gewesen natürlich. Aber es ist schon echt eine bittere Pille, gerade dieses Jahr stand so viel in den Startlöchern. Das war wie ein Kartenhaus, das auf einmal zusammenfiel. Zwischenzeitlich war ich echt emotional angeknackst, aber über Musik habe ich mich da rausgeholt. Mit meinem Homie aus London, Pvyssycat, habe ich enorm viel Musik gemacht und einfach gesagt: „Ey, komm nach München, wir sperren uns ein und machen Sound, so unbeschwert wie noch nie, ohne Termine.“ Das war irgendwie auch cool. Weiter haben wir begonnen, eine Doku zu drehen über Musik in den Alpen. Die kommt dann Ende 2021 auch in einzelne auserwählte Arthouse-Kinos, und das ist ein großes neues Projekt. Das habe ich 2020 angefangen. Stay creative & never give up!

Wann denkst du, kann es wie gewohnt bei euch auf dem Party-Gipfel weitergehen?

Für nächsten Winter (2021/2022) bin ich doch sehr optimistisch. Wir bauen das Designhotel Madlein um. Meine Tante, die das mit Herzblut führt, hat da ganz große Pläne und ich darf mich dann mit Musik-Themen kreativ austoben. Da ist auch ein Rooftop-Club über den Dächern im Gespräch. Also, ich hoffe, dass wir 2022 neue Bildwelten und Erlebnisse kreieren. Aber es bleibt spannend: Nur nicht die Hoffnung verlieren. Wir wollen auch wirklich keine Menschenleben riskieren, aber irgendwann muss die Normalität zurückkommen.

Im Bereich der elektronischen Musik gibt es viele Subgenres. Wie schätzt du die immer spezifischere Untergliederung ein? Wo genau ordnest du dich ein?

Ich finde das inzwischen schon crazy eigentlich. Beatport haut gefühlt jede Woche ein neues Genre raus. Wer soll sich da noch auskennen. Für mich ist es alles House und Techno. Und ein paar Unter-Genres dürfen ja sein. Aber ehrlich gesagt blicke ich nicht mehr durch. Ich selbst bin House-Künstler.

Was können wir in 2021 von dir erwarten?

Viele neue Produktionen! Und hoffentlich viele DJ-Gigs ab Sommer. Ich bin da aktuell in Malta viel gebucht, weekly, und sonst natürlich back home – München, Kitzbühel, Mallorca & Co. sowie auch ein paar kleine Underground-Festivals. Mal sehen, ob das dann alles stattfindet. Ich bleibe positiv.

Was siehst du, wenn du einen Blick in die Zukunft wirfst? Wohin geht die Reise für dich, das Pacha, Ischgl und House in den Alpen?

Da wird auch bei uns intern ein Umschwung passieren. Das ist natürlich der Situation geschuldet. Wie oben erwähnt arbeiten wir intensiv an neuen Club-Konzepten. Ich glaube auch, dass wir da mit dem THEMA Electronic Music LIVE! viel mehr in den Alpen erschaffen könnten. Das Potenzial ist riesig, die Zielgruppe wächst konstant. Wir müssen am Ball bleiben und internationale Musiktrends weiter aufschnappen. Für mich persönlich ist schon viel gewonnen, wenn ich endlich wieder auflegen und wie gewohnt reisen darf. Klar ist: We shall never surrender!

 

 

Aus dem FAZEmag 107/01.2021
Text: Malte Scheibe & Sven Schäfer