Es gibt Künstler, die hätten mit großer Wahrscheinlichkeit den leichten bzw. kurzen Weg gewählt, wären sie in seiner Situation gewesen. Sie hätten kommerziell-angehauchte Tracks nachgeschoben und ihre Karriere Charts-affin ausgerichtet – oder vielmehr ausrichten lassen. Anders allerdings im Fall von Miguel Campbell. Nach seinem Überhit „Something Special“ 2012 besinnt sich der aus Leeds stammende DJ eher darauf, musikalisch kredibil zu bleiben. Funk und Disco, beides von der French-House-Ära angehaucht, sind die Genres, in denen er sich wohlfühlt. So investiert der Mann, der bereits seit den frühen 90er-Jahren aktiv in der Szene ist und bereits auf Hot Creations veröffentlichte, seine Zeit in Remixe für Basement Jaxx, Soul Clap und RÜFÜS, in sein mit Matt Hughes geführtes Projekt MAM und natürlich in die Entwicklung seines Labels Outcross Records. Dieses feiert in diesem Jahr 10-jähriges Jubiläum. Passend zu den Festlichkeiten erscheint darauf nach „Night Drive Without You“ 2016 sein drittes waschechtes Album namens „Memoirs“.
Dass Campbell den Fokus auf das Wesentliche legt, belegt die Tatsache, dass er vor wenigen Wochen von Ibiza zurück in seine Heimatstadt Leeds gezogen ist. Strand, Meer und Partys en masse gegen englisches Regenwetter. Dennoch ist er mit dieser Entscheidung mehr als zufrieden. „Ich bin gerade in Neapel, Italien, und freue mich wahnsinnig auf zu Hause. Das Jahr war bislang sehr gut zu mir, ich habe wesentlich mehr Zeit als sonst im Studio verbracht und auch viel öfter meine Familie und Freunde gesehen, die alle noch hier wohnen.“ Hier feierte er 2006 mit einer von Back To Basics gehosteten Party den Launch seines Labels. „Ich erinnere mich, als wäre es letzte Woche gewesen. Am darauffolgenden Montag veröffentlichte ich meine erste Vinyl in den nördlichen Plattenläden Englands. Ich hatte keinen Vertrieb und bin also ein paar Tage vorher mit dem Auto eines Freundes den gesamten Norden Englands abgefahren. Ich habe mir eine Route zurechtgelegt, um an möglichst vielen Läden vorbeizukommen, und habe in jedem ein paar Vinyls gelassen. Es war schwierig, zumal sich genau in der Zeit die gesamte Industrie auf digitale Medien und Downloads konzentrierte und diese Welle damals so richtig losging. Wenige Wochen später habe ich die Jungs von Beatport und Juno in London getroffen und mit ihnen vereinbart, dass meine Tracks pünktlich zum Release auch dort erhältlich waren. Alles lief damals im DIY-Style ab.“
Die Label-Philosophie ist in all den Jahren immer die gleiche geblieben, rekapituliert er. Es ging stets um die Genetik der Housemusik. Und so finden sich in nahezu allen Katalognummern typische Elemente und Sounds aus Funk, Hip-Hop und manchmal sogar Rock wider. „Ich wurde schon früh von französischen Labels wie Crydamoure und Roulé beeinflusst und inspiriert und das zeigt sich wohl auch auf dem Label. Ich bin superglücklich über die bislang veröffentlichten Releases, denn es gibt bis heute keines, das ich bereue oder im Nachhinein nicht herausgebracht hätte. Neben den Tracks, die ich anfänglich veröffentlicht habe, war sicherlich Matt Hughes’ ,Don’t Cry’ eine Art Meilenstein. Ich würde sagen, mit dem Track haben wir auch außerhalb unserer gewohnten Online-Community viele Leute erreicht, die unseren Sound geliebt haben. Wir waren unglaublich stolz und fühlten uns bestätigt, als aus der gesamten Welt auf einmal Feedback kam. Zu dieser Zeit habe ich mit Matt als MAM das Album ,Love Lights Music & More’ fertig gemacht. Auch mein Album im vergangenen Jahr war ein sehr wichtiges für das Label. Nach einigen guten Tracks und Remixen auf fremden Labels war es mir sehr wichtig, das Album als zweifache Doppelvinyl auf meiner Plattform zu bringen. Das Ergebnis war und ist überwältigend.“
Als MAM veröffentlichte er mit Hughes erst vor wenigen Wochen das Album „Garden Of Eternal Summers“. „Ich produziere mit Matt seit nunmehr zehn Jahren, von daher kennen wir uns sehr gut, verstehen uns im Studio sehr gut und sprechen eine gemeinsame Sprache. Ich mag es, neben meinen eigenen Produktionen auch mit ihm im Studio zu sitzen, da wir uns gegenseitig inspirieren. Das jetzige Album ist eine Art Nachfolger von den zwei vorherigen Alben, die ebenfalls in vielen Nächten entstanden sind, in denen wir Synths und Gitarren eingespielt haben. Ich habe das Gefühl, dass sämtliche MAM-Produktionen ganz weit entfernt von den typischen Dance-Music-Richtlinien entstehen. Wir arbeiten mit einer Menge Melancholie und komplexen Progressionen. Und das fühlt sich gut an.“
Denkt der Engländer an seine Anfänge als DJ zurück, begreift er oftmals noch immer nicht, dass aus seinem Hobby eine internationale Karriere geworden ist. Als „Sound für den zweiten Floor“ wurde seine Musik oftmals betitelt und so verbrachte er Jahre in alternativen Clubs oder Weinbars, während die Großkaliber die Minimal-Welle auf den Mainfloors zelebrierten. Erst mit Acts wie Jamie Jones, Soul Clap und auch Wolf+Lamb fand der Funk seinen Weg zu den großen Scheinwerfern. Diese strahlten dann letztendlich auch auf Campbell. „Ich begann, außerhalb von England zu touren und Festivals zu spielen. Irgendwann war ich dann im DC10 gebucht oder bei den VIVa Warriors, wo ich die Möglichkeit bekam, meine künstlerische Freiheit noch viel mehr auszuschöpfen, und ich bin glücklich über den Umstand, dass die Leute auf den Partys, auf denen ich spiele, sehr offen für so etwas sind.“ Vergleicht man den nun erscheinenden Langspieler „Memoirs“ mit dem aus dem letzten Jahr, erkennt man auf beiden Werken zahlreiche Nu-Disco-Elemente. Jedoch hat sich Campbell nun wesentlich stärker auf Groove statt auf den Song-Aspekt fokussiert. „Wie der Titel schon sagt, habe ich nun alle meine Gefühle zusammengefügt, die ich durchlebt habe, als ich in den letzten Jahren meine Lieblingsmusik gehört habe.“ Produktionstechnisch ist er ein großer Freund von Steinberg-Software. So nutzt er Cubase bereits seit seinen Anfängen. „Wir haben kürzlich von Windows XP auf Mac umgesattelt. Es ist ein tolles Gefühl, 64bit-Software ohne Probleme nutzen zu können. Native Instruments nutze ich ebenfalls sehr gerne, z. B. das Komplete Bundle. Die meisten meiner Bässe in den Tracks stammen aus dem alten FM7 vst. Da es ja nun ein Update gab, habe ich sämtliche Bass-Sounds in den neuen FM8 Synth geladen und es klingt zwar anders, aber fast noch besser als vorher.“ In Sachen Hardware schwört der Brite auf den Mini-Moog Voyager XL, den er hauptsächlich für bassige Sounds und Leads nutzt. „Es ist unglaublich, wie vielseitig dieses Ding ist. Ich glaube, ich brauche noch Jahrzehnte, bis ich den Voyager zu 100 % beherrsche. Generell kann man sagen, dass es für meine Arbeitsweise im Studio zwei Wege gibt. Entweder ich habe eine Idee, dann kann vieles sehr schnell gehen. Oder eben nicht (lacht). Grundsätzlich starte ich mit einem Beat, was für mich wesentlich besser klingt als ein Metronom. Ich fange dann an, mit Sounds oder Samples zu spielen. Anschließend passe ich die Bassline noch an. Und wenn diese auf einer Melodie basiert, kümmere ich mich zunächst um die Drums.“
In den kommenden Wochen wird es ihn trotz des Umzugs erneut viele Male auf die Insel ziehen, wo er zur Tribal-Sessions-Reihe seine Residency im Sankeys haben wird. „Für mich ist das einer der besten Clubs auf der Insel. Der Sound dort ist unglaublich und die Reihe findet in diesem Jahr an einem Samstag statt, was ich persönlich super finde. Und ich freue mich, weil ich diese Residency mit meinem Label mache, sodass auch viele Acts von Outcross dort sein werden. Ich habe für Tribal Sessions bereits oft in London gespielt und es war immer eine gute Party mit einer breiten Range an Sounds. Es sieht also danach aus, dass ich erneut die Möglichkeit bekomme, der Genetik der Housemusik auf den Grund zu gehen.“ / Rafael Da Cruz