Oliver Koletzki – Neue Zielsetzungen

Foto: Tassilo Dicke
Etwas mehr als drei Jahre ist es her, dass uns Oliver Koletzki erstmals seine „Großstadtmärchen“ erzählte. Und es war das erste Mal überhaupt, dass er diese Form des Erzählens wählte. War er bis dahin doch der coole DJ, der seinen „Mückenschwarm“ und andere Dancefloor-Hits durch die Clubs jagte, so war der Wahlberliner nun auf einmal der Geschichtenerzähler und Popsongwriter, der auch jenseits von Bassdrum und Viervierteltakt wahrgenommen wurde. Und das war mindestens genauso cool. Was folgte, kann man eigentlich nur als traumhaft bezeichnen. Das Album war ein voller Erfolg – auch privat, denn mit Fran, die er via Myspace als Sängerin für den Song „Hypnotized“ rekrutierte, ist er mittlerweile verheiratet. Es folgte das gemeinsame Album „Lovestoned“ und Anfang des Jahres der zweite Teil der „Großstadtmärchen“. Aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, dieses ausgiebige und intensive Kapitel vorerst bei Seite zu legen, es warten wieder andere Aufgaben auf den Stil vor Talent-Macher …

„Es hat lange in mir geschlummert, dass ich gerne viel mehr mit Melodien und Gesang arbeiten würde, aber lange Zeit habe ich mich nicht getraut, bis ich es dann einfach doch gemacht habe.“ Die Wurzeln des gebürtigen Braunschweigers liegen  eher im Rock-/Pop-Bandbereich, erst mit der Single „Mückenschwarm“ wendete sich das Blatt eindeutig in Richtung elektronische Tanzmusik, aber dann eben doch nur vorerst. Für Oliver ist es Luxus, eine solche Wahl zu haben, und er ist wahnsinnig froh darüber, dass es so ist. Musik sollte es schon immer sein, aber erst in seinen frühen 30ern war Oliver soweit, davon leben zu können, losgetreten von eben erwähnter Single, die er 2005 auf Cocoon veröffentlichte.

Die letzten drei Jahre waren recht intensiv, denn neben der Veröffentlichung der drei Alben gab es die Live-Umsetzung der Musik mit der eigens dafür gegründeten Band The Koletzkis, die zahlreiche Konzerte und Festivalauftritte nach sich zog. Und auch die DJ-Karriere verlangte ihm immer wieder Gigs ab. „Ich habe jede Woche drei bis vier Mal gespielt oder aufgelegt. Erst in diesem Jahr habe ich es eingeführt, mir ein Wochenende pro Monat frei zu halten, was mir auch wirklich gut tut. Schließlich gibt es ja auch noch mein Label Stil vor Talent, das in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Und inzwischen habe ich auch eine Ehefrau, die darauf achtet, dass ich mir nicht zu viel zumute und die mich ins Bett schickt, wenn ich zu krank bin. Es ist sehr schön zu wissen, dass es jemanden gibt, der auf einen aufpasst.“

Und so endet das alte Jahr zwar etwas ruhiger, aber schon mit neuen Aufgaben im Visier, die anstehen oder gerade frisch anlaufen. Mitte November startete er sein neues Label Light My Fire, benannt nach dem großen Hit der Doors, von denen er  ein großer Fan ist – Oliver spielte vor vielen Jahren sogar mal in einer The Doors-Coverband. Aber warum ein zweites Label? „So erfolgreich Stil vor Talent auch ist, so deutsch klingt auch der Name. Das ist natürlich vollkommen okay, aber ich würde mich auch gerne etwas internationaler ausrichten. Der Name ist schwierig im Ausland, und sogar bei uns höre ich immer wieder Leute, die den Namen englisch aussprechen, also ‚style for talent’. Und so möchte ich einerseits meinem SvT-Künstlerstamm die Möglichkeit bieten, sich im Ausland zu positionieren, aber andererseits natürlich auch neue frische Acts aus aller Herren Länder signen.“ Gesagt, getan. Die Katalognummer 001 von Light My Fire kommt aus Kasachstan: Stephan Knyazev und Alexander Kovalenko aka Frapples liefern „Bealive“ ab. Ein mutiger Start mit absoluten Newcomern, aber letztlich überzeugten ihn die Tracks des Duos so sehr, dass er sofort Nägel mit Köpfen machte und seinen Release hintenan gestellt hat. „Es ist mir egal, ob dieser Anfang riskanter ist, als wenn LMF mit einem Release von mir gestartet wäre. Es ist ein langfristiges Projekt und wenn dann eben die ersten drei Veröffentlichungen nicht laufen, dann brauchen wir eben etwas länger.“ Eine eigene Nummer wird die 002 – immerhin die erste eigene Dance-Single seit der Prä-Großstadtmärchen-Ära – und kommt auch schon dieser Tage auf den Markt, denn die Umorientierung Richtung Dancefloor mit den dazugehörigen Tracks lockt. Trotz einiger Remixe, die in den letzten drei Jahren entstanden sind, hatte der Clubproduzent Koletzki eine längere Auszeit. „Es ist schon toll, wie das alles gelaufen ist, aber ich hätte auch gerne mal den einen oder anderen Dance-Track produziert, was jedoch zeitlich einfach nicht drin war. Und ich hätte auch gerne gesehen, wie der in die beatport-Charts einsteigt und von anderen DJs gespielt wird. Durch die ganzen Popalben finde ich ja leider nur noch auf iTunes statt. Abgesehen davon würde ich selbst gerne wieder meine Tracks spielen.“ Das habe er vermisst und es hat ihn sogar genervt. Dazu gab es einige kuriose Situationen, wenn z.B. junge weibliche The Koletzkis-Fans zur Peaktime im Club zu ihm ans Pult kamen, um sich „Zuckerwatte“ oder „U-Bahn“ zu wünschen. „Ich freue mich ja sehr über meine neuen Fans, aber das war schon recht bizarr. Und vielleicht kennen ja viele jüngere DJs mich auch nur, weil sich ihre Freundinnen beim Bügeln unsere Alben anhören. Aber mir ist es auch wichtig, dass ich als Produzent wahrgenommen werde, der in den Club gehört.“

Zwei Herzen in einer Brust, die Oliver Koletzki bedient, dazu noch die die intensive Labelarbeit, jetzt sogar mit einem weiteren Imprint. „Das passt ganz gut zusammen. Mir ist schnell langweilig, wenn ich mal nichts mache. Das geht schon nach wenigen Minuten los. Und unter Druck funktioniere ich eh am besten, daher setze ich mir auch immer straffe Deadlines.“ Als „Lovestoned“ in Arbeit war, setze er sich eine Frist von sechs Monaten bis zur Veröffentlichung, obwohl zu diesem Zeitpunkt nur drei Songs existierten. Es folgten viele Nachtschichten, die schließlich den Zeitplan gewährten, aber letztlich nicht als Modell für weitere Alben dienten. Gerne würde er auch wieder ein Album in Angriff nehmen, „aber vor 2014 wird das nicht erscheinen.“ Es wird aber auf jeden Fall danceflooraffin sein, weniger Pop, weniger vocallastig – ein Kind der Umorientierung.

Auf Stil vor Talent stehen im kommenden Jahr andere Alben an, wie die von HVOB oder Kellerkind, deren Release er mit seinem Team intensiv vorbereitet. Das Team, das sind Slawjana, die schon von Anfang an dabei ist, sowie Friedrich und Christopher, die im vorletzten Jahr dazugestoßen sind. „Es ist gar nicht so einfach in Berlin zuverlässige Leute zu finden, die auch am Montag schon im Büro sitzen.“ Das Label hat die ersten vier Jahre Verluste eingefahren, trägt sich aber mittlerweile selbst, ohne Unterstützung von DJ-Gagen, wie das häufiger der Fall ist heutzutage. Kontinuierlich hat man mit Leidenschaft ein Label aufgebaut, das vor allem frische Talente gepusht und nie auf Namedropping gesetzt hat. Leute wie Niko Schwind oder die Jungs von Channel X können mittlerweile von der Musik leben.

Aber dennoch ist es jeden Tag ein harter Kampf, und sobald sich das Thema auf Musikpiraterie und Streamingdienste dreht, erleben wir einen höchst emotionalen und engagierten Oliver, der sich tapfer und aus tiefer Überzeugung für die Musik und deren angemessene Anerkennung einsetzt. „Es ist schon Horror, was man für die Musik von Streamingdiensten ausgezahlt bekommt. Das sind Beträge weit jenseits des Kommas, und ich glaube eh, dass diese Firmen wieder verschwinden und die große Blase platzt. Entweder man will nur Musik konsumieren, dann kann man auf YouTube gehen – was natürlich auch noch mal eine andere Geschichte ist – oder man möchte die Musik auch besitzen  – was ich mir wünschen würde, denn so teuer ist es doch eigentlich gar nicht. Da geben junge Leute zehn Euro für zwei Cuba Libre im Club aus, aber der gleiche Betrag ist ihnen ein Album nicht wert. Einen Cubra Libre herzustellen dauert ca drei Minuten und man hat vielleicht 30 Minuten etwas davon. Ein Album herzustellen dauert ein Jahr und man hat ein Leben lang etwas davon! Das steht eben in keinem Verhältnis.“ Er als DJ könne damit noch eher leben und das abfedern, aber als Labelchef hat er eben auch eine Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern, die ihm sehr am Herz liegen, weil man schließlich ein eingeschworener und befreundeter Haufen ist. „Wir stecken da viel Arbeit rein. Wir verkaufen Vinyl, jede Platte mit einem eigenen Artwork – finanziell getragen wird das aber durch mp3-Verkäufe. Chrisse Kunst hat das Cover von ‘Großstadtmärchen’ gemalt. Dafür hat er eine Woche gebraucht, denn im Original ist das Bild riesengroß.“ Viele Label sind von solchem Aufwand längst abgerückt und nutzen Einheitscover, bei denen die Infos nur noch auf dem Vinylaufkleber zu finden sind. „Es geht dadurch einfach sehr viel verloren, das ist sehr schade.“ In seinen Interviews zum letzten Album hat er dieses Thema auch immer wieder angesprochen und wird es mit Sicherheit auf bei seinem kommenden Longplayer machen, den wir sehr gerne als Vinyl-Version und mit eigenem Artwork in der Hand halten würden.

Foto: Tassilo DickeMeine erste selbstgekaufte Platte …
Advanced Chemistry – Fremd im eigenen Land

Meine erste Platte, die ich aufgelegt habe …
Linguist – Die alte Schule

Geheimwaffe …
Kellerkind – Disco On The Discofloor

Der Track geht immer …
Niconé & Sascha Braemer – Caje

Ein Tag ohne Musik ist …
… manchmal auch ganz ok, aber unterm Strich ein verlorener Tag.

Die letzte Platte/der letzte Track, die/den ich mir gekauft habe …
Chilly Gonzales – Knight Moves

 

 

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www.stilvortalent.de
FAZE 010/12.2012 // Fotos: Tassilo Dicke

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