Quarion – Atmosphärischer Groove

Hypnotisch wabern die deepen Chords über einem sehr reduzierten, treibenden Drum-Beat, alle Hände auf dem Floor sind oben. Schon mit seiner Debüt-EP „Karasu” zeigte der gebürtige Genfer Yannek Salvo aka Quarion der Szene seine mannigfaltige, experimentierfreudige Interpretation von zeitlosem Deep House. Die Jahre vergingen und nicht nur unzählige spannende Releases auf Innervisions, Toolroom, Compost, Suol, Watergate, Drumpoet Community und natürlich seinem eigenen Imprint Retreat kamen hinzu, sondern auch Gigs auf der ganzen Welt – sowohl auf den großen Bühnen als auch in intimen Clubsettings. Nun ist ein neuer Punkt seines künstlerischen Schaffens erreicht, denn der Wahlberliner releast auf Drumpoet Community sein Debütalbum „Shades“.

„Ich versuche seit Jahren, ein Album zu realisieren, bin dabei aber einfach nie an den Punkt gekommen, an dem es sich zu 100 Prozent richtig angefühlt hat. Also habe ich dieses Projekt oft verschoben. ,Shades’ wurde in einem ganz bestimmten Zeitraum meines Lebens konzipiert: Meine damalige Beziehung ging zu Ende und gleichzeitig traf ich auf meine jetzige Freundin und erlebte ein Wechselbad der Gefühle. Es gab auch einige schreckliche Ereignisse auf politischer Ebene wie den Brexit oder Trump. All das hat meine Inspiration sehr beflügelt. Das Studio wurde zu einem ,Safe Space’, einem Ort, wo ich meine verschiedenen Gefühle ausdrücken konnte. Dort habe ich jeden Tag Musik gemacht, ohne viel nachzudenken. Nach einer Weile bemerkte ich, dass die meisten dieser neuen Tracks eine bestimmte ,Farbe’ hatten, die sie gut miteinander verband. Zum ersten Mal in meiner Karriere hatte ich das Gefühl, dass nun ein guter Moment wäre, ein Album zu produzieren, und so ergriff ich die Chance.“ Von der ersten Skizze bis zum Release brauchte es drei Jahre – Quarion wurde in dieser Zeit von Ambient, Techno, Jazz und Hip-Hop beeinflusst, was dem geneigten Hörer nicht entgehen wird: die Betonung des Grooves, melancholische, interessante Harmonien, die rollenden Basslines und Elemente der afroamerikanischen Kultur, die der Produzent besonders liebt. Erlebt man ihn im Studio, das er sich in seiner Wohnung eingerichtet hat, zeigt er sich im Spannungsfeld zwischen Konzeption und Free Flow. „Ich folge nicht wirklich einer Formel, wenn es um das Produzieren geht: An manchen Tagen habe ich eine sehr klare Vorstellung davon, was ich erreichen möchte, an anderen Tagen experimentiere ich einfach und sehe, wohin mich die Musik führt. Ich mag es jedoch, mich selbst einzuschränken, indem ich zum Beispiel die Anzahl der Maschinen begrenze, die ich verwende. Zu viele Möglichkeiten können die Kreativität manchmal behindern. Der Flow der rhythmischen Elemente ist mir sehr wichtig, sodass ich viel Zeit damit verbringe, die Drum-Parts so zu arrangieren, dass sie sich natürlich anfühlen. Anstatt an Zwei-Bar-Loops zu arbeiten, dehne ich meine Beats meist über acht oder 16 Takte aus. Was den Sound der Drum-Elemente betrifft, lasse ich oft mehrere Drum Machines laufen. Dann schalte ich einzelne Instrumente aus oder manipuliere bestimmte Klänge, bis ich letztendlich fühle, dass der Groove genau richtig ist.“

„Shades“ ist eine detailverliebte, verspielte, aber auch äußerst gefühlvolle Reise durch den Deep-House-Kosmos: mal drückend, mal schwebend, mal sphärisch, mal straight. Und nicht nur beim Auflegen, auch beim Produzieren achtet Quarion auf Pausen, damit die energiereichen Höhepunkte umso stärker wirken. Sein Track „Azure“ ist in Lausanne im Studio seines Freundes Ripperton während einer gemeinsamen Jam-Session entstanden: „Ich kenne Ripperton schon lange und schätze seine Freundschaft sehr. Wir haben im Laufe der Jahre ein paar Tracks zusammen gemacht und die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr einfach, zumindest für mich. ,Azure’ wurde in einem Take in seinem erstaunlichen Studio gemacht: Wir haben uns beide verschiedene Elemente für dieses Stück ausgedacht und alles gleichzeitig aufgenommen. Ich habe danach noch ein wenig editiert, jedoch nicht viel, denn unsere erste Version hat mich sehr überzeugt.“

In Gedanken ordnet Yannek schon seine Favoriten für ein Remix-Album, doch für den talentierten Musiker steht erst mal wieder eine turbulente Zeit des Reisens von Gig zu Gig an. Dabei gibt es eine bestimmte Show, die ihm schon jetzt ein Lächeln ins Gesicht zaubert: „Ich freu mich sehr darauf, bald wieder in der Zukunft aufzulegen, meiner geliebten Homebase in Zürich!“

 

Aus dem FAZEmag 092/10.2019
Text: Bastian Gies
Foto: Skye Sobejko