San Holo – Der Meister des Indie-EDM

Credit: Haley Lan

Sein 2018 veröffentlichtes Debüt-Werk „album1“ leistete zweifelsfrei so etwas wie Pionierarbeit für das damals noch etwas in den Kinderschuhen steckende Post-EDM-Genre. Es verwischte dabei die Grenzen zwischen Festivalhymnen und Lo-Fi-Schlafzimmerballaden und löste bei sämtlichen Kritikern wahre Begeisterungsstürme aus. Diese waren so groß, dass sie Sander van Dijck aka San Holo den International Dance Music Award für den „Breakthrough Artist of the Year“ und den Edison Pop Award – das niederländische Äquivalent der Grammys – für das beste Dance-Album einbrachten.

Bei seiner Welttournee im Jahr 2019 spielte er 75 Shows und verkaufte weit über 100.000 Tickets in Nordamerika, Europa, Asien, Neuseeland und Australien, darunter im Red Rocks Amphitheatre und im New Yorker Terminal 5. Nun veröffentlicht San Holo am 4. Juni auf Counter Records sein zweites Album mit dem Titel „bb u ok?“, auf dem er abermals bezeugt, warum jede Note für ihn eine Geschichte und jeder Text eine Erinnerung darstellt.

Aufgenommen wurden die insgesamt 20 Titel im berühmt-berüchtigten Viertel Echo Park in Los Angeles. Schon die erste Single-Auskopplung im Dezember letzten Jahres sorgte für große Vorfreude bei seiner beträchtlichen Hörerschaft. Menschen zusammenzubringen, ist generell ein Anliegen von Sans Musik. Seine „stay vibrant“-Philosophie, die Menschen dazu ermutigen soll, mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen sowie miteinander in Kontakt zu treten, hat unter seinen Fans – weit über 1,5 Millionen Follower auf sämtlichen Plattformen – ein starkes Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Kürzlich stellte er die „stay vibrant“-Kollektion vor, eine „sich ständig erweiternde Musiksammlung“,aus der er von März bis Mai 2020 jede Woche einen neuen Beat oder ein Demo teilte, das in sieben Songs mit Luwten, Analogue Dear und ILIVEHERE gipfelte. Gründe genug, den Niederländer zum Interview zu bitten und ihn im selben Zug den offiziellen FAZEmag-Download-Mix verantworten zu lassen.

Sander, u ok?

Haha, mir geht es gut, sagen wir mal 81 Prozent heute, während wir sprechen! Ich arbeite gerade an meiner neuen Show für die Tour, die ich gerade announcet habe, was sehr viel Spaß macht. Ich freue mich wirklich darauf, die Leute wiederzusehen und durch die Welt zu reisen, diese Vorfreude fühlt sich gut an.

Drei Jahre nach deinem ersten Album, mit dem du den endgültigen Durchbruch erzielt hast: Wie fühlst du dich jetzt mit dem neuen Langspieler?

Es war an der Zeit, die Songs endlich zu veröffentlichen, und ich fühle mich mehr als bereit dazu. Ich hasse die Idee oder die Tatsache, dass Songs jahrelang herumliegen, bevor sie veröffentlicht werden, denn, auch wenn sie für euch dort draußen vielleicht neu sind, habe ich die ganze Platte schon seit eineinhalb Jahren fertig. Einige Songs sind sogar noch älter, also bin ich einfach bereit, sie in die Welt hinauszutragen und wieder auf Tour zu gehen, Shows zu spielen und jeden zu sehen.

Unzählige Lobeshymnen, Auszeichnungen und verkaufte Tickets im sechsstelligen Bereich für deine Shows. Wie würdest du die letzten drei Jahre rekapitulieren?

Schlichtweg verrückt. Es war ehrlich gesagt ein wahrer Wirbelwind, ich kann gar nicht glauben, dass es schon fast drei Jahre her ist. Es fühlt sich immer noch so an, als wäre es erst vor Kurzem gewesen, dass wir das Album herausgebracht haben und ich auf die erste „album1“-Tour gegangen bin. Neulich habe ich bemerkt, dass „album1“ fast 100 Millionen Streams hat, was unglaublich ist. Ich bin wirklich dankbar für jede und jeden, der entweder bei einer Show war, das Album gestreamt hat oder einen Merch-Artikel gekauft hat. Ihr alle bedeutet mir die Welt!

Das Album hattest du damals binnen sechs Monaten in einem Airbnb in Los Angeles aufgenommen, hast du uns bei unserem letzten Interview erzählt. Wie war es in diesem Fall?

Ziemlich ähnlich, um ehrlich zu sein. Ich habe etwas mehr als drei Monate gebraucht, wieder in einem Airbnb in L.A., auch wieder im Echo Park. Diesmal hatte ich allerdings mehr eine Richtung im Kopf, als ich anfing zu schreiben. Auch hatte ich das Gefühl, dass es in gewissen Prozessen einfacher war, da ich den Hergang bereits einmal erlebt hatte.

Wie, würdest du sagen, hat sich dein Sound zwischen den beiden Alben verändert?

Ich denke, ich habe einfach den Gitarrensound, den ich damals zu entwickeln begonnen hatte, weiter erforscht. Ich hatte damals das Gefühl, für mich herausgefunden zu haben, „Gitarren in EDM“ auf eine Art und Weise zu integrieren, mit der ich glücklich war. Also wollte ich mich einfach weiter darauf stützen und das intensivieren. In der Zeit vor „bb u ok?“ habe ich viel Indie-Band-Zeug gehört und ich beschloss, dass ich eine „Indie-Band-trifft-EDM“-Platte machen wollte. Es gibt eine Menge Gitarrenmaterial auf der Platte, aber ich habe auch die meisten Tracks selbst gesungen, um dem Ganzen ein persönlicheres Gefühl zu geben.

Demnach ist das Album etwas analoger als der Vorgänger, oder?

Normalerweise bin ich schon ziemlich analog unterwegs im Studio, aber das war sicher ein noch größerer Teil des Aufnahmeprozesses jetzt, das stimmt. Wir haben einen Haufen Zeug durch Bandmaschinen laufen lassen und auch viele akustische Gitarren verwendet. Ich wollte, dass das Album so klingt wie der Aufnahmeprozess selbst – nur ich und meine Freunde in einem Airbnb mit einem Haufen Gitarren, Laptops, DIY-Equipment und einer behelfsmäßigen Aufnahmekabine in einem Wandschrank. Einfach und ehrlich.

Auf dem Album geht es um Verbindungen, hauptsächlich zwischen Menschen. Ein Faktor, der in diesen verrückten Zeiten relevanter denn je geworden ist.

Ich habe diese Platte geschrieben, bevor die Quarantäne begann, also war die ganze Sache mit den Verbindungen am Ende eher purer Zufall und relevanter als zuvor. Ich finde, Musik ist etwas, das Menschen verbindet und zusammenbringt. Ich wollte etwas kreieren, das diese Idee der Verbundenheit auch im Albumtitel widerspiegelt, deshalb haben wir die Platte schließlich „bb u ok?“ genannt. Ich denke, das ist eine Art universelle Frage, die man den Menschen stellen kann, die man liebt. Es ist so leicht, den Kontakt zu sich selbst und zu den Menschen, die man liebt, zu verlieren. Wir brauchen echte Gespräche und Verbindungen, um weiterzumachen … Also, meldet euch heute bei jemandem, der oder die euch nahesteht mit einem einfachen „bb u ok?“.

In einem Interview hast du einmal gesagt, dass du es schwierig bis komplex findest, Gefühle in Worte zu fassen und dies lieber mit Musik machst.

Nun ja, es ist nicht so, dass ich meine Emotionen und Gefühle nicht in Worte fassen kann, ich finde nur, dass es viel einfacher ist, dies durch Musik zu tun. Worte allein scheinen nie wirklich die Essenz meiner Gefühle zu erfassen. Wie soll ich erklären können, was ich fühle, wenn ich es einfach nur aufschreibe? Die meisten Gefühle sind so komplex, dass es fast schon naiv erscheint, sie in Worte fassen zu wollen. Und genau deshalb mache ich Musik. Es ist die einzige Möglichkeit, mich wirklich auszudrücken. Diese Songs handeln von Erfahrungen, Gesprächen und Momenten, die ich im Laufe meines Lebens mit Menschen geteilt habe. Als ich das erste Album schrieb, war ich verliebt und ich denke, das spiegelt sich in der Musik definitiv wider. In diesem Fall hatte ich kurz vor der Produktion des Albums gerade eine Trennung hinter mir. Ich glaube, das hat den Schreibprozess sicherlich geprägt. Ich habe mein Herz in dieses Album gesteckt. Und anstatt zu versuchen, dieses Album in Worten zu beschreiben, würde ich euch es lieber einfach nur hören lassen. Ich hoffe, es bringt euch irgendwo hin! Ihr könnt selbst entscheiden, was es für euch bedeutet – das ist für mich die Schönheit der Musik.

Würdest du sagen, dass du die eben erwähnte Erfahrung bei „IT HURTS“ verarbeitest?

Mitunter sicherlich, ja. Ursprünglich habe ich den Song über die Liebe geschrieben, aber wie vieles in meiner Musik ist es genauso auf das Leben im Allgemeinen anwendbar. Es gibt Höhen und Tiefen im Leben und viele Momente, die „wehtun“. Das Leben kann hart sein. Das Leben kann hässlich sein. Aber es ist der Schmerz, der alles „echt“ macht, ob es nun der Schmerz ist, der aus der Liebe kommt, oder die Kämpfe des Lebens im Allgemeinen. Manchmal ist es besser, Schmerz zu fühlen, als gar nichts zu fühlen. Alles formt dich zu dem, was du bist – das Gute und das Schlechte.

Auch die Kollaboration aus der Single-Auskopplung „You’ve changed, I’ve changed“ mit Chet Porter klingt unglaublich intim.

Ja, das stimmt. In einer Beziehung kommt man sich im Laufe der Zeit immer näher, aber wie die Zeit so vorbeizieht, ändern sich die Menschen, die Gefühle, und manchmal entfernt man sich voneinander und wünscht sich, man könnte wieder so werden wie früher. Diesen Song mit Chet zu schreiben, fühlte sich sehr natürlich an und der Song schrieb sich fast von selbst. Wir hatten beide gerade eine ähnliche Situation hinter uns, sodass dieser Song uns beide sehr berührt hat.

Insgesamt fasst das Album sage und schreibe 20 Titel …

Alle Songs, die es in den finalen Cut geschafft haben, gehören für mich wirklich auf das Album. Ich hatte anfangs auch diesen blöden Gedanken, dass das Album ungefähr 2020 erscheinen wird und die 20 Songs daher einfach Sinn ergeben. Es ist zwar anders gekommen, aber ich bin dennoch happy. Die Kollaborationen haben großen Spaß gemacht, alle Künstler*innen sind einfach bei mir im Airbnb vorbeigekommen, um ein bisschen abzuhängen, und von da an ging das Schreiben los. Ohne Druck oder Ähnlichem. Die einzige Ausnahme war Rivers, mit dem ich schon seit der Zeit, als „album1“ herauskam, an diesem Song gearbeitet habe. Ich bin also froh, dass er jetzt endlich draußen ist.

Das Album wird auf deinem eigenen Label bitbird sowie auf Counter erscheinen. Erzähle uns etwas mehr zum aktuellen Status quo bei bitbird.

Als ich bitbird vor etwa sechs Jahren mit meinem Creative Director Thorwald gegründet habe, war es eigentlich nur eine Art kreative Plattform mit einer Soundcloud-Seite. Seitdem ist es sehr gewachsen und ich bin sehr stolz auf all die Künstler*innen, denen wir geholfen haben, sich zu präsentieren. Es gibt auch so ein schönes Community-Element des Labels, das ich wirklich liebe. Anfang des Jahres haben wir ein komplettes Community-Album mit von Fans eingesandten und von Fans gemachten Kunstwerken veröffentlicht, und wir sind immer auf der Suche nach anderen coolen Möglichkeiten, wie wir nicht nur die Künstler*innen, die ich liebe, sondern auch unsere Hörer*innen und die breitere Gemeinschaft der Musikhörer einbinden können. Dadurch ergeben sich immer wieder tolle und spannende Sachen.

Was steht für den Rest des Jahres auf deiner Agenda?

Dieses Album für so viele Leute wie möglich live zu präsentieren. Und wahrscheinlich irgendwann darüber nachzudenken, wie das nächste Album klingen soll …

 

 

Aus dem FAZEmag 112/06.21
Text: Triple P
Credit: Haley Lan
instagram.com/sanholobeats