Poté – Balance

Credit: Ussin Yala

Sein Sound balanciert seit jeher zwischen gegensätzlichen Impulsen. Auf der einen Seite ist die rhythmische, feierliche Musik seiner karibischen Herkunft, auf der anderen Seite sein Interesse an neugierigem, gefühlvollem Songwriting. Mit Connections zur Lissaboner Kuduro-Szene bis hin zu Benji B und Damon Albarn sind die Einflüsse äußerst divers. Seine Diskografie führt bis ins Jahr 2015 zurück, als er auf Enchufada seine Debüt-EP „Voyeurism“ veröffentlichte. Nun erscheint am 4. Juni auf Bonobos OUTLIER mit „A Tenuous Tale Of Her“ das Debütalbum von Sylvern Mathurin aka Poté. Das Resultat ist hart, zart und ja, ziemlich großartig.

Die elf Titel präsentieren sich eindringlich und atmosphärisch, sie dienen als eine Art Plattform, um den Dialog zwischen den verschiedenen musikalischen Welten und Ideen zu führen. Dabei das Gleichgewicht zu halten, ist ihm bislang ziemlich gut gelungen. Er wurde in Bonobos 2019er „fabric presents“-Mix gefeaturet, war auf dem 2019er Africa-Express-Album „EGOLI“ zu hören, produzierte Remixe für Little Dragon und Gorillaz und trat u.a. bei Colors Berlin auf.

Geleitet von einer imaginären Theaterinszenierung in einem präapokalyptischen Setting hebt Poté den Vorhang für eine verletzlichere, offenere Seite seiner Musik. Die Storyline einer drohenden Katastrophe zieht sich durch viele der Tracks: „Ich war fasziniert von der Idee, wie Menschen auf eine drohende Katastrophe reagieren würden. Ich nahm Elemente aus Emotionen, die ich in meinem Leben gefühlt habe, von Panik und Angst, Selbstlosigkeit und Liebe. Es geht um die Idee, dass selbst bei drohendem Unheil all diese Bandbreite an Emotionen zu finden und es nicht nur das dringende Bedürfnis nach Selbsterhaltung ist. Mich durch Musik auszudrücken, ist sicherlich einfacher, als darüber zu reden, aber ich bin zu dem Verständnis gekommen, dass das nur ein Teil der Reise ist. Seit ich letztes Jahr eine Therapie begonnen habe, habe ich erkannt, dass es noch eine weitere Reise gibt, nämlich die, diese Emotionen zu verstehen und sie zu konfrontieren, um diese Gespräche zu vervollständigen und dadurch als Person weiterzukommen. Es ist eine sehr neue Erfahrung, ich habe den Prozess geliebt, obwohl er schwierig war – und wie er mich offener, emotional neugierig und liebevoller gemacht hat.“

Das Ergebnis fühle sich für Poté an wie eine ehrliche und ausgewogene Audio-Beschreibung seiner mentalen Reise durch seine frühen bis mittleren 20er-Jahre: „Ich bin auch sehr stolz auf die musikalische Reise, es ist eine Mischung aus all den Dingen, die ich liebe und die ich schon immer machen wollte, aber nie ganz sinnvoll umsetzen konnte. Es war auch ein Vergnügen, mit meinen Freunden an einem Projekt zu arbeiten.“ Und so zählen z.B. Protagonist*innen wie Infamousizak dazu, die er schon seit seinem zwölften Lebensjahr kennt und mit denen er gemeinsam die Schulbank gedrückt hat: „Alle Künstler*innen, die ich auf diesem Album gefeaturet habe, sind Leute, die ich schon seit ein paar Jahren kenne, meine Freunde. Das hat den Prozess sehr vereinfacht und Spaß gemacht, da wir schon ein tiefes Fundament hatten. Infamousizak und ich haben eine ganze gemeinsame Geschichte, vom Lehrerhass bis zu frühen Sporterfahrungen. Pierre habe ich, glaube ich, 2018 kennengelernt, als ich auf der Party seines Kollektivs Moonshine in Paris aufgelegt habe. Musikalisch und kulturell matchen wir extrem, was dazu führte, dass wir an ein paar Songs zusammen gearbeitet haben, darunter auch ,Valley II‘. Damon und der Track ,Young Lies‘ war quasi das erste Feature, das ich 2018 für das Album aufgenommen habe, es war eine superschnelle und spontane Session an einem Abend, als ich Remi Kabaka Jr. Von den Gorillaz besucht hatte.“

Seine Entwicklung als Performer hat zweifelsohne auch die Art und Weise geprägt, wie Poté diese Platte geschrieben hat. Als er „Spiral, My Love“ 2018 veröffentlichte, wurde er von Bonobo eingeladen, ihn als Support-Act auf seiner Europa-Tour zu begleiten. Die Shows, erstmals live vor Tausenden Menschen, verliehen ihm das nötige Selbstvertrauen, um seine Musik nicht immer nur straight auf den Dancefloor auszurichten: „Da wurde mir klar, dass das tatsächlich funktionieren könnte“, staunt er. 2019 zog es ihn von London nach Paris. Eine Veränderung, die zeitgleich völlig neue Perspektiven mit sich brachte: „Es bringt deinen Alltag und deine Realität wirklich durcheinander! Es ist für mich eine Verschmelzung von Ideen des Seins, je mehr ich in diesen Städten erlebe, desto mehr nähren sie sich gegenseitig, was mir hilft, mich weiterzuentwickeln. Ich habe zum Beispiel gemerkt, wie sehr Paris mich dazu gebracht hat, mit meinem Look experimenteller zu werden, was mich wiederum dazu gebracht hat, verletzlicher mit den Dingen zu sein, über die ich schreibe. Paris und Frankreich als Ganzes haben mich aber definitiv dazu gebracht, gutes Essen zu schätzen. Sorry, London (lacht).Die Ambition, die beiden Seiten seiner Musik – das harte, rhythmische Fundament und das Ventil für seine rohen Emotionen – noch dramatischer als zuvor zusammenzubringen, ist Poté zufolge das neueste Kapitel seiner Reise.

 

Aus dem FAZEmag 112/06.21
Text: Triple P
Credit: Ussin Yala
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