SG Lewis – Introspektion in Reinform

SG Lewis – Introspektion in Reinform / Foto: Universal Music

Als im Februar 2021 das Debütalbum von Samuel George Lewis aka SG Lewis veröffentlicht wurde, handelte es sich bei den anschließenden weltweiten Kritiken um Lobeshymnen. Pharrell Williams sprach von Lewis als einem „weißen Boy mit Soul“, der „Guardian“ nannte ihn den „Produzenten du jour“, und Robyn, mit der Lewis auf „Times“ kollaborierte, schwärmte, schon lange habe kein Beat sie mehr so zum Tanzen gebracht, wie es der von SG Lewis es nun tut. Neben der Kooperation mit Robyn wirkte auch Disco-Funk-Legende Nile Rodgers damals mit. Beeindruckende Namen und beeindruckendes Feedback für das Debüt-Werk eines 26-jährigen Künstlers, der auch noch am Impostor-Syndrom leidet und damit Angst hat, im Beruf zu versagen oder durch Nichtwissen aufzufallen. Elton John hielt dies nicht ab, Lewis nach einer Studio-Session zu fragen. Auch arbeitete Lewis mit Dua Lipa an ihrem mit Grammys überhäuften Album „Future Nostalgia“. Am 27. Januar erscheint nun mit „AudioLust & Higher Love“ das zweite Album des aus dem englischen Reading stammenden Künstlers. Lest nachfolgend unser Interview mit ihm.

Samuel, herzlichen Glückwunsch zu deinem zweiten Album. Wann wurde die Idee zu „AudioLust & HigherLove“ geboren?

Nachdem mein Debütalbum Ende 2020 fertig war und im Februar 2021 veröffentlicht wurde, hatte ich eigentlich den Plan, dem Studio einige Zeit fernzubleiben. Ich wollte reisen und neue Eindrücke gewinnen. Die Realität sah allerdings etwas anders aus. Ich bin nach zehn Tagen schon wieder ins Studio gegangen und habe angefangen, an ersten Entwürfen für das nächste Album zu arbeiten, Sounds zu definieren und ein Konzept auszuarbeiten.

Das Album ist zweigeteilt. Kannst du uns deine Idee hinter der dunkleren, lustvollen, Ego-getriebenen „AudioLust“ beschreiben, aber auch die tiefere Version „Higher Love“?

Korrekt, das Album ist aufgeteilt in zwei Hälften. Während „AudioLust“ die zum Teil kurzlebigen, rasanten und intensiven Emotionen in Beziehungen thematisiert, geht es auf „Higher Love“ um tiefgründigere und auch nachhaltigere Liebe und Beziehungen. Es geht also um die beiden Ansätze, die oftmals auch miteinander verflochten sind und sich immer wieder abwechseln.

Du hast gesagt, dass du dich in einem „Raum zwischen DJing und Künstlerdasein“ bewegst. Es macht den Eindruck, dass auf deinem neuen Album deine Künstlerseite etwas mehr in den Vordergrund gerückt ist, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass dein Gesang stärker im Fokus ist.

Ich habe nach den Arbeiten zu diesem Album definitiv das Gefühl, etwas mehr über mich zu wissen als vorher. Es gab immer dieselben Fragen, die ich mir selbst gestellt habe: „Wie weit kann ich meine Fähigkeiten als Sänger und Songwriter vorantreiben bzw. wohin können diese mich führen? Bin ich in der Lage, diese zwei Elemente in den Fokus meiner Arbeit zu rücken?!“ Es war wie eine Reise in mein innerstes Ich, bei dem ich viel über mich und meine Persönlichkeit erfahren und gelernt habe. „Chemicals“ war eins der beliebtesten Songs auf dem letzten Album und meine Vocals waren sehr präsent darauf. Das gab mir das nötige Selbstbewusstsein, diesen Pfad weiter zu erforschen, da scheinbar zahlreiche Zuhörer*innen damit räsonierten. Ich habe nun gelernt, wo meine Grenzen sind, aber zeitgleich auch, wie ich mich künstlerisch besser ausdrücken kann. Und genau das war ein langgehegter Wunsch von mir.

Was hast du über den Künstler in dir herausgefunden?

Ich habe das Gefühl, dass man manchmal Musik schreibt und erst wesentlich später merkt – wenn man das Resultat anhört – was das Unterbewusstsein einem mitteilen wollte. Es ist superinteressant zu beobachten, was da in einem geschlummert hat und was es nun mit dir macht. Die größte Überraschung für mich war sicherlich der Fakt, wie sehr ich in der Lage war, meine Stimme so sehr zu highlighten und mich dabei derart wohlzufühlen. Dies war mitnichten immer so in der Vergangenheit.

Dein erstes Album „Times“ war ein großer Erfolg. Wie, würdest du sagen, hat sich dein Sound seit dem Release vor zwei Jahren entwickelt?

Ich finde, mein Debütalbum aus dem Jahr 2021 und das jetzige haben zwei völlig verschiedene Charaktere. Während das erste eine Art Reflexion aus den 70er-Jahren in New York, Disco-Music und Co. ist, geht es beim neuen Album um das Thema Introspektion. Von daher lassen sich beide Alben meiner Meinung nach schlecht miteinander vergleichen. Ich habe jedenfalls versucht, mich nicht zu wiederholen oder etwas bewusst besser zu machen. Diese Herangehensweise hätte für mich nicht funktioniert.

Das neue Album wurde in der Hochphase der Pandemie produziert. Würdest du sagen, dass das Album ohne diese Umstände anders klingen würde?

Absolut, ja. Und dafür sprechen zwei entscheidende Faktoren. Zum einen der Faktor Zeit. Ohne die Pandemie hätte ich wohl niemals über Monate hinweg die Möglichkeit, mich mit verschiedenen Musiker*innen im Studio einzuschließen und mich dabei der kleinsten Details anzunehmen. Das war für mich ein absolut intensiver Prozess, das Schreiben und der ausgiebige Austausch mit Musiker*innen. Statt Wochen im Voraus einen einzigen Studiotag auszumachen, an dem alles im Kasten sein muss, hatten wir die Möglichkeit, uns der Sache komplett hinzugeben. Der andere Faktor ist die Tatsache, dass während der Albumproduktion alle Clubs geschlossen hatten. Somit hatte Clubmusik einen nicht sonderlich großen Einfluss auf mich und das Album, wie es unter normalen Umständen wohl der Fall gewesen wäre.

Gab es auch eine Veränderung in Sachen Studio-Equipment?

Definitiv. Durch den Faktor Zeit, den ich gerade schon erwähnt habe, hatten wir die Möglichkeit, auf umfangreiches Studio-Equipment zurückzugreifen und dieses maßgeblich zu integrieren. Drum-Kits, Live-Instrumente und vieles mehr sind nun Teil des Albums. Wir haben Musik geschrieben, während wir von diesen Instrumenten umgeben waren. Wie eine richtige Band also. Zuvor lag der Fokus eher auf Sessions am Laptop. Unterwegs oder zu Hause. Reuben James saß an den Keyboards, J. Moon an der Gitarre, während Ed Drewett und ich an den Lyrics saßen. Der ganze Ansatz hatte mehr Song-Charakter, das hat mir sehr gut gefallen. Es war also ein eher traditionellerer Ansatz, Musik zu machen.

Auf deinem Instagram-Account beschreibst du die Geschichte hinter dem Song „Lifetime“ und warum der Song dein Lieblingssong aus deiner Diskografie ist.

Als wir im Frühjahr letzten Jahres für mehrere Wochen auf dem Land in den Decoy Studios saßen, um am Album zu arbeiten, waren Ed, Reuben, J und ich eines Abends beim Dinner, als Ed uns die Geschichte erzählte, wie er seine Frau Daisy kennenlernte, als beide noch Kinder waren. Die Geschichte bewegte uns alle so sehr, dass wir zurück ins Studio rannten, um einen Song darüber zu schreiben. Die ersten Akkorde, die Reuben spielte, sind die Akkorde, mit denen der Song beginnt. Wir haben eine Stunde damit verbracht, die Hook des Refrains mit Vocals zu überlagern, dann saß ich draußen und starrte in den Himmel, während der Refrain im Hintergrund lief. Der Song hat bei mir ein Gefühl ausgelöst, das ich bei so vielen meiner Lieblingssongs in meiner Jugend empfunden habe, und er fängt musikalisch etwas ein, das ich vorher noch nicht geschaffen hatte. Es erinnert mich sehr an die Musik, mit der ich aufgewachsen bin: 80er-Popmusik, die meine Mutter immer gerne gehört hat und die mich natürlich sehr beeinflusst hat. Gepaart mit der großartigen Liebesgeschichte, waren dies Gründe genug, diesen als meinen bisherigen Lieblingssong zu betiteln, ja.

Für das Album hast du mit vielen tollen Künstler*innen wie Ty Dolla Sign, Lucky Daye und anderen zusammengearbeitet.

Ja, und es war ein wunderschöner Prozess. Mit allen Kollaborateur*innen auf diesem Album hatte ich dasselbe Konzept – wir haben uns am Anfang des Tages eine Art Intention gesetzt, in welche Richtung es gehen sollte und was wir am Ende der Session fertig haben wollten. Es gab also nur recht selten ein Arbeiten „ins Blaue hinein“. Das hat für Struktur, aber auch mehr Spaß geführt, wie ich finde. Alle Features fanden persönlich im Studio statt. Bei diesem Album war das für mich ein wichtiger Parameter, auch wenn ich schon rein digitale Kooperationen hatte, die gut funktioniert haben. So gab es eine direkte Interaktion und ungefilterte Kommunikation miteinander, was dem Album gut getan hat.

Im März gehst du auf eine Tournee, die dich durch Europa führt, mit einigen Stopps in Deutschland und einem Tour-Finale am 31. März in der o2 Academy in Brixton, London. Das werden besondere Momente, nicht wahr?

Ich kann es kaum erwarten, durch Europa zu touren. Es sind jetzt fast drei Jahre, in denen ich nicht in der Lage war, eine ausgedehnte Tour zu spielen. Ich bin in UK aufgewachsen und bin schon immer mein ganzes Leben durch europäische Städte gereist – ob als Tourist oder als Musiker. Umso mehr freue ich mich, dass das nun wieder auf der Agenda für die kommenden Wochen steht. Ich freue mich sehr auf die jeweiligen Vibes in den Metropolen und werde versuchen, in jeder Stadt so viel wie möglich aufzusaugen. In Sachen Show wird es eine vollwertige Live-Show mit Band-Charakter geben, bei der ich die Vocals live einsinge. Aktuell arbeiten wir an neuen Versionen von älteren Songs, um diese nicht nur für mich, sondern auch für das Publikum frisch zu halten. Nach und eventuell sogar schon während Tour geht es wahrscheinlich direkt wieder ins Studio, da aktuell so viele Projekte anstehen. Eins davon ist mein eigenes Label, das für 2023 geplant ist. Das Label wird den Namen „House of Shy“ tragen und ist für sowohl meine Musik als auch für andere Talente gedacht.

Als ich in den finalen Zügen zu diesem Album war, habe ich gemerkt, wie weit entfernt ich vom aktuellen Club-Geschehen bin. Deshalb habe ich angefangen, wieder an ein paar Club-Sounds zu arbeiten, die dann hoffentlich bald auf dem neuen Label erscheinen werden.

 

Aus dem FAZEmag 131/01.2023
Text: Triple P
Foto: Universal Music
www.instagram.com/sglewis