Solomun – Die Liebe der Musik  

 

Nahezu zwölf Jahre ist es her, als der damals 33-jährige in Bosnien geborene und in Hamburg aufgewachsene Solomun mit „Dance, Baby“ sein Debütalbum veröffentlichte. Zu dieser Zeit hatte er seit rund drei Jahren eigene Musik produziert und galt bereits – zumindest in und um Deutschland herum – als gestandener Headliner sowie Label-Chef. Drei Jahre später begann sein Siegeszug auf Ibiza, Diynamic sowie er avancierten zu nicht mehr wegzudenkenden Brands. Mittlerweile repräsentiert Solomun wie nur wenige andere Akteure elektronische Musik und Clubkultur auf solch einem Level rund um dem gesamten Erdball.

24 eigene Platten und über 50 Remixe hat Solomun in der Zeit nach seinem ersten Langspieler produziert, und dabei mit Künstler*innen wie Depeche Mode, Leonard Cohen, Jon Hopkins, Jamiroquai, Moderat, Interpol, Editors, Foals, Paul Kalkbrenner und Lana Del Rey kollaboriert. Er spielte Festivals wie Coachella, Tomorrowland, Time Warp und eigene Shows mit bis zu 30.000 Besucher*innen. Er wurde mehrfach zum „Best International DJ“ gewählt, seine Residency „Solomun+1“ im Pacha auf Ibiza ist dort die mit Abstand renommierteste Nacht der Nächte und sein Boiler-Room-Set aus dem mexikanischen Tulum im Jahr 2015 ist mit weit über 50 Millionen Plays eines der am meisten gestreamten Sets im Internet. 

Nun veröffentlichte Solomun mit „Nobody Is Not Loved“ am 28. Mai sein langersehntes zweites Album. Auf zwölf Titeln präsentiert er ein unglaublich breites Spektrum an elektronischen Genres, das von Indie Electronica über Synthpop, Wave, Post Punk bis hin zu Solomuns bekanntem Signature-Club-Sound schon jetzt als weiterer Meilenstein in der Karriere des Wahl-Hamburgers gelten dürfte. Zu diesem Status verhelfen sicher wohl auch die Gast-Features mit namhaften Künstler*innen wie Jamie Foxx, Zoot Woman, Planningtorock, ÄTNA, Anne Clark und Tom Smith von den Editors. Zu fünf Singles, die teils bereits im Vorfeld ausgekoppelt wurden, präsentiert Solomun unglaublich starke Musikvideos. „Home“, das zeitlos vieles von dem repräsentiert, was Solomun gerne im Club hört und dessen Video die Sehnsucht porträtiert, die die Jugend derzeit empfindet; „Kreatur der Nacht“, eine 80er-Jahre-Post-Punk-Hymne, die ein Gefühl der Rebellion gegen den Status quo weckt; „Tuk Tuk“, ein hochenergetischer Electronica-Track, in dem Inez, die Sängerin von ÄTNA, die Musik selbst verkörpert und gegen die Mächte kämpft, die sie zu unterdrücken versuchen, sowie „Ocean“, bei dem der US-amerikanische Schauspieler und Sänger Jamie Foxx durch menschenleere Straßen läuft und dabei Meereskreaturen begegnet, mit der unterschwelligen Botschaft: „So lebenswichtig wie Wasser, die Essenz des Lebens, für den Körper ist, ist Musik für die Seele.“ Und genau aus diesem Grund passt die Aussage „Nobody Is Not Loved“ so unfassbar gut. Ein Interview.

 

 

Solomun, danke für deine Zeit und Glückwunsch zum neuen Album. Dein erster Langspieler aus 2009 war in unseren Augen ein Meisterwerk. Fast zwölf Jahre später folgt nun der Nachfolger. In dieser Zeit bist du zu einem der, wenn nicht sogar zu dem gefragtesten Act der Szene avanciert. Wie rekapitulierst du diese Zeit – sowohl musikalisch als auch persönlich?

Dankeschön. Ich finde es ja sehr schmeichelhaft, dass ihr das so empfindet, aber “Meisterwerk” ist schon ein ziemlich starkes Wort. In erster Linie bin ich zwölf Jahre älter geworden und bin voll in den 40ern angekommen. Das habe ich also schon einmal geschafft. Es ist natürlich schwierig jetzt, die letzten zwölf Jahre in einer Antwort oder ein paar Sätzen zusammenzufassen. Nicht nur bei mir persönlich, sondern bei uns allen ist in der Zeit sehr, sehr viel passiert, nicht nur musikalisch, sondern auch gesellschaftlich. Wir sind jetzt in einem neuen Zeitalter der Technologie angekommen, und es wird spannend sein, wo die Reise hingeht.

Wie hast du generell die letzten Monate verbracht und dabei Hoffnung und Mut bewahrt?

Mein Glaube gibt mir Hoffnung und Stärke, natürlich schon lange vor der Pandemie, jetzt aber nochmal zusätzlich. Und so lange es Musik gibt, gibt es immer Hoffnung, das ist es, woran ich glaube. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Welt langsam wieder in Richtung Normalität bewegt und wir dann auch wieder zusammen finden können, auch in der Musik. Denn wir als Menschen brauchen das sehr, zusammen zu singen, zusammen zu tanzen, sich zusammen in der Musik zu verlieren und sich dabei selbst wiederzufinden. Solange das wieder geht, gibt es immer Hoffnung.

Wie würdest du deine soundtechnische Entwicklung der letzten Jahre beschreiben?

Das war und ist immer eine Art fließende Entwicklung. Ich bin natürlich heute in der dankbaren Position, dass ich mich in einem sehr breiten musikalischen House-, Techno- und Electronica-Spektrum ausprobieren darf, mit all seinen Zwischentönen, und die Leute, die mich hören und sehen wollen, mir das Vertrauen schenken, auf solche Reisen zu gehen. Vor allem jetzt beim Album war mir das wichtig, diese Reise in all ihren Genres und Facetten erzählen zu können.

Wie und wann hat sich die Idee zu „NINL“ in deinem Kopf manifestiert?

Für mich war es immer wichtig, eine Geschichte zu erzählen, wenn ich ein Album mache, und dabei nicht nur zehn Dancefloor-Tracks aneinanderzureihen. Ich hatte über die letzten Jahre etliche Skizzen gesammelt, aber der erste konkrete Track, der mich dazu brachte, wieder über ein Album nachzudenken, war eigentlich “Home” – als die erste Version fertig war, nannte ich die Datei tatsächlich „Album Track 1“. Für mich fühlt er sich irgendwie zeitlos an und repräsentiert viel von dem, was ich persönlich gerne in einem Club höre. Es folgten immer mehr Instrumentals, und irgendwann begannen wir, die Künstler*innen anzusprechen, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie zur Idee und Geschichte des Albumkonzepts passen würden. Der letzte Track wurde im Herbst letzten Jahres gemastert, also alles in allem, würde ich sagen, dass es ein Prozess von etwa drei Jahren war.

Die stilistische Diversität der Songs auf dem Album, die sowohl auf als auch abseits des Dancefloors ihren Platz haben, ist hochspannend.

Für dieses Projekt war es mir sehr wichtig, mit verschiedenen Genres und Soundlandschaften zu experimentieren, zu entdecken, was sich richtig anfühlt und passt. Ich wollte mich in den Ideen der Features nicht einschränken, mehr in Song-Strukturen denken, aber ohne einer traditionellen Pop-Formel zu folgen. Ich denke, das ist genau das, was ein Album ermöglichen sollte. Ich hatte schon seit Jahren Ideen und Inspirationen gesammelt und fing langsam an, die Teile zusammenzupuzzeln, die Reihenfolge so zu arrangieren, dass ein Flow entsteht, und damit letztendlich ein Album zu formen, das eine Geschichte erzählt. Es war ein sehr aufregender Prozess, und ich bin sehr froh, dass ich mir die Zeit dafür genommen habe.

Dein Tour-Kalender ist in der Regel Monate im Voraus komplett, deine Studio-Tage dementsprechend selten. Wie „hilfreich“ war die aktuelle Pandemie, um das Projekt zu forcieren und zu finalisieren?

Das Album ist tatsächlich komplett vor Beginn der Pandemie entstanden, produktionstechnisch kamen währenddessen nur noch ein paar letzte Kleinigkeiten hinzu. Das einzige Feature, bei dem die Vocals noch nachträglich kamen, war der Track mit Planningtorock. Die Pandemie hat uns ja alle erst einmal in einen Moment der Angst und des Schocks katapultiert. Niemand wusste, wie lange sie dauern würde, und ich glaube, diese Ungewissheit, wie es weitergehen sollte, war für alle das Schwierigste, weil man es nicht greifen konnte. Alles das, was man in so einem Album-Umfeld eigentlich braucht, nämlich Planung, Events, und das ganze Drumherum, war auf einmal auf den Kopf gestellt. Letztendlich haben wir den Release-Termin dann geschoben, in der Hoffnung, dass wir nach dem ersten Sommer wieder zurück zur Normalität finden würden. Ziemlich zuversichtlich haben wir dann erst einmal auf Februar geschoben, dann später auf Mai korrigiert mit dem Bewusstsein, dass wir nicht noch einmal daran rütteln würden, komme, was wolle. Also, kurzum: Hilfreich war die Pandemie nicht. Aber selbstverständlich ist ein Album-Release sehr, sehr unwichtig, wenn man auf die Gesamtsituation einer Pandemie guckt.

Dennoch freuen wir uns sehr, dass es nun endlich so weit ist. Neben eigenen Singles hast du in den letzten Jahren auch unzählige Remixe für teils unglaubliche Acts produziert. Wie haben sich deine Arbeit und dein Workflow generell verändert im Laufe der Zeit, vor allem im Vergleich zum ersten Album?

Naja, es war eine ganz andere Zeit, als ich das erste Album gemacht habe. Ich war jeden Tag im Studio, ich war auch viel weniger auf Tour. Auf dem zweiten Album habe ich über einen viel größeren Zeitraum Ideen gesammelt als auf dem ersten. Außerdem hatte ich einen viel bunteren Austausch mit anderen befreundeten Produzenten als auf dem ersten; der kreative Prozess hatte jetzt mehr Mitspieler als auf dem ersten Album, bei dem ich alles mit mir selbst ausgemacht habe.

Natürlich habe ich auch heute noch bei allem das letzte Wort, aber es war eine echte Herausforderung, diesen Weg gemeinsam mit anderen zu gehen, sich gegenseitig zu inspirieren, aber auch zu führen. Man kann sagen, dass wir viel engere Freunde geworden sind und dass sich das Ganze am Ende gelohnt hat, egal, wie viele konstruktive Diskussionen wir auf dem Weg führen mussten. 

Die Popularität der meisten Features ist mit Jamie Foxx, den du über Ariel Vromen kennengelernt hast und den die meisten nur aus Hollywood kennen, enorm. Auch Anne Clark ist eine wahre Pionierin im Musikbusiness. Erzähle uns mehr über deine Visionen und Kollaborationen.

„Ocean“ hat eine unglaublich lange Geschichte: Ich hatte eine erste Idee, wie der Track klingen könnte, auf dem eine Rede zu hören sein sollte, kein Gesang. Ich fragte meinen Freund Ariel aus Los Angeles, welche Schauspieler*innen er persönlich kenne, und er erwähnte Samuel L. Jackson – und ich dachte nur so: Ok! Also hat er probiert, Kontakt aufzunehmen. Und zunächst war er nicht einmal dagegen! Es dauerte eine Weile, bis der Kontakt zustande kam, also haben wir uns immer und immer wieder gemeldet und wurden irgendwann so aufdringlich, dass wir fast schon befürchten mussten, eine einstweilige Verfügung zu bekommen. Selbstverständlich hat es mit der Sache dann natürlich nicht geklappt (lacht). Ariel erwähnte dann später Jamie Foxx und ich meinte nur: „Warum hast du das denn nicht gleich gesagt!?“ Ich habe Jamie immer sehr bewundert – er ist so ein herausragendes Talent mit einer unglaublichen Energie. Seine Auftritte bei Jimmy Fallon im “Wheel of Musical Impressions” sind legendär. Ariel hat uns dann connectet, und im Februar schlug er mir vor, nach L.A. zu kommen, um Jamie zu treffen. Da ich im Februar und März allerdings immer eine Pause in Tulum einlege und mir diese Auszeit ausgesprochen heilig ist, bin ich nicht geflogen. Wir haben dann relativ zeitnah ein Instrumental an das Team Foxx geschickt, aber nach drei Monaten ohne Rückmeldung dachte ich: „Das ist auch eine Aussage. Vielleicht war er einfach zu höflich, um zu sagen, dass es nicht sein Ding ist.“

 

 

Also war das Projekt schon fast gestorben?

Fast. Wir haben uns Jamies Auftritte angeschaut, vor allem die Late-Night-Shows, haben neue Inspirationen für den Track gefunden, haben nach einem Weg gesucht, die Art und Weise, wie er singt und agiert, mit einzubeziehen. Dann habe ich ein neues Instrumental gebaut, das mehr auf seine Stimme zugeschnitten war und es ihm geschickt. Dieses Mal gefiel es ihm. Danach mussten wir ihm zwar wieder hinterherjagen, ungefähr ein halbes Jahr lang, aber es klappte. Jamie ist ein vielbeschäftigter Mann, da ist es natürlich eine Herausforderung, etwas von seiner Zeit abzubekommen. Wir dachten: „Vielleicht müssen wir es ihm noch einfacher machen.“ Malky, ein befreundeter Sänger, der auch die Lyrics geschrieben hat, hat dann ein Recording gemacht, wie wir dachten, dass die Stimme am besten passen würde, und das haben wir wieder rübergeschickt. Sie haben es richtig abgefeiert, aber am Ende hat es sich dann wieder ein halbes Jahr gezogen. Dann waren wir fast an einem Punkt, an dem wir die ganze Sache absagen wollten, um jemand anderen zu finden. Dann hat Jamie allerdings, der zu diesem Zeitpunkt in New Orleans gedreht hat, sich ein Studio gemietet und alles mit seiner Stimme eingesungen, was wir ihm geschickt hatten. Und nicht nur das, er hat noch so viele Extras zugefügt, mit seinem persönlichen Touch. Daraus ist dann schließlich „Ocean“ geworden.

Deine Geduld ist beachtlich. Im Netz kursiert ein Video, wie er die Nummer singt, während ihr gemeinsam in einem Restaurant sitzt.

Genau, später trafen wir uns dann endlich zum ersten Mal persönlich in einem Restaurant in L.A., noch vor Corona. Er spielte den Track auf einer Boombox ab und sang ihn live vor den anderen Gästen im Restaurant. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie großartig sich das angefühlt hat. Um auf deine Frage zurückzukommen – Anne Clark ist seit meiner Jugend eine große Inspiration und ein Idol, und ich fühle mich gesegnet, endlich mal mit ihr arbeiten zu können, sie ist so eine Poetin und eine gute Seele. Zuerst habe ich einen Track gemacht, der viel clubbiger war, und das hat ihr absolut gefallen. Nach einiger Zeit hatte ich aber das Gefühl, dass es nicht mehr wirklich in den Gesamtkontext des Albums passt, also habe ich eine beatlose, reduziertere Version mit starken Synthie-Pads gebastelt. Sie feierte beides, war aber ein bisschen traurig, dass die intensivere Version nicht für das Album ausgewählt wurde – also habe ich ihr Letztere als Tribute-Remix für ihre „Classics Re-Worked“-Compilation überlassen.

Eine klassische Win-win-Situation. Generell verbinden dich mit den meisten Kollaborateur*innen besondere Momente. Anne hat dir sogar einen berührenden Brief geschrieben. Und an Planningtorock warst du schon vor ca. zehn Jahren dran.

Genau, das erste Mal, dass ich versucht habe, einen Track von Planningtorock zu bekommen, war vor ca. zehn Jahren, für die „5 Years Diynamic Charity“-Compilation. Dann wieder ganz am Anfang des Album-Prozesses, und beide Male hat es zeitlich nicht gepasst. Deshalb bin ich unglaublich glücklich, dass es jetzt geklappt hat, da das Album verschoben wurde und noch ein Track für ein Feature zur Verfügung stand – und „Your Love Gives Me Gravity“ wurde eine wunderbare Ergänzung zum Rest des Albums. Im Grunde ist das für mich das einzig Gute an der Pandemie – hätten wir das Album nicht geschoben, wäre es wahrscheinlich wieder nicht zu einer Zusammenarbeit gekommen. Und Anne, ja, nachdem “Take Control” fertig war und alle glücklich damit waren, hat sie mir einen unheimlich schönen, sehr persönlichen Brief geschrieben. Ihre Worte werde ich für immer in meinem Herzen tragen. 

Der Album-Titel „Nobody Is Not Loved“ ist inspiriert von einem Graffiti, das du in London gesehen hast und das dich seitdem nicht mehr losgelassen hat.

In der Tat. Vor ein paar Jahren war ich für einen Gig in London, und auf dem Weg dorthin fuhr ich durch eine ziemlich raue Gegend. Da hab ich ein Graffiti gesehen, auf dem „Nobody Is Not Loved“ stand. Die Worte haben einen ziemlichen Eindruck bei mir hinterlassen, besonders wenn man bedenkt, an welchem Ort sie standen. Die Zeit verging, aber diese Worte haben mich nicht mehr losgelassen. Wochen später habe ich mal halb im Scherz gesagt „Falls ich nochmal ein Album machen sollte, wird das der Titel sein“. Und witzigerweise änderte sich daran nichts. Viel später, inmitten des Album-Prozesses, haben wir dann über den philosophischen Hintergrund des Ganzen angefangen nachzudenken. Ich habe mich gefragt, wer so eine Aussage überhaupt machen könnte, und dann dämmerte es mir: Die Musik – nur Musik liebt alle Menschen gleich! Die Bedeutung eines jeden Stückes begann sich zu verändern, und alles begann sich vor unseren Augen zu entfalten. Die ganze Zeit ging es um Musik! Sie war schon immer unsere Heldin, und wir haben erkannt, dass dies die eigentliche Geschichte war, die wir die ganze Zeit über erzählen wollten.

Eine äußerst romantische Vorstellung.

Ich bin ja nun schon zum Glück seit vielen Jahren im Dienste der Musik unterwegs. Darf als DJ die ganze Welt bereisen, um Menschen durch Musik zusammenzubringen. Eines der erfüllendsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. So gesehen liegt in der Musik eine göttliche Kraft, denn sie liebt wirklich jeden Menschen, egal ob er/sie nun böse ist oder gut. Also, eine bedingungslose Liebe, die jeder Mensch erfahren und erleben kann. Ich glaube an Gott, das habe ich schon oft gesagt, aber Musik würde ich auf eine Stufe mit Gott stellen: eine metaphysische Kraft, die alle Menschen vereinen kann. Und alle Menschen gleichermaßen lieben.

Also ist die Musik der Schlüssel?

Ja, denn Musik hat die Kraft, sich über alles hinwegzusetzen. Das habe ich wie gesagt auch versucht, mit dem Musikvideo zur dritten Single „Tuk Tuk“ zu erzählen: Musik hat die Kraft, Menschen zu erwecken, wiederzubeleben. Jeder kennt das: Man hört eine Melodie aus der Kindheit – und schon ist man wieder tief drin in der eigenen Biografie. Ein kleiner Schnipsel reicht, und das ganze Leben ist wieder da. Man fühlt sich wieder so, wie man sich damals gefühlt hat. Der Song zur ersten großen Liebe, man hört ihn beispielsweise in einem Supermarkt und ist wieder 15 Jahre alt und zum ersten Mal verliebt. Es ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, dass Musik Menschen wirklich heilen kann. Es hat mich vor ein paar Jahren total geflasht, als ich gelesen habe, dass Musik sogar schwere Alzheimer-Patienten für einen kurzen Moment wiedererwecken kann. Weil sie durch das wieder Hochholen von musikalischen Momenten, durch ihre Erinnerung wiedererweckt werden. Denn nur Musik hat die Kraft, ein Momentum einzufrieren, alle wertvollen Erlebnisse haben deshalb immer einen Soundtrack. Deshalb ist es auch so wichtig, bei Partys oder Konzerten Momente zu erzeugen und auch zuzulassen. Denn diese Momente können dich viel später einmal ins Leben zurückführen.

„I’m not your saviour, but I’m by your side“ singt Tom Smith auf „Night Travel“. Wie interpretierst du diese kraftvolle Message, vor allem in diesen besonderen Zeiten?

Für mich ist dieser Track das Ende der Reise, die „Nobody Is Not Loved“ darstellt. Es war immer klar, dass das auch der letzte Track des Albums sein würde. Und diese Message hat mich direkt berührt und angesprochen. In dieser Zeit der Trennung und Isolation konnte man einmal sehen, was für eine Sehnsucht wir Menschen nach dieser Verschmelzung haben. Und deshalb ist ja auch Musik für mich der Schlüssel. Und dabei hat, wie bereits erwähnt, besonders dieser Moment, wo man mit anderen Menschen gemeinsam Musik erlebt, etwas Spirituelles, etwas Transzendentes. Man geht auf in der Menge, in der Musik, und ein großes Ganzes entsteht, das mehr ist als nur die Summe seiner Teile.

Bei „Home“ sowie dem Video dazu verleihst du der Sehnsucht nach dieser Verschmelzung von Menschen mit bzw. durch Musik enormen Ausdruck. Generell ist Musik die Heldin deiner Geschichte, die auch durch „Digitale Isolation“ leidet. Wie stellst du dir die Szene nach der Pandemie vor, welche Chancen und Gefahren warten auf uns in deinen Augen?

Genau, da ging es um die Sehnsucht der Menschen nach solchen Räumen, wenn sie geschlossen sind. Da haben natürlich im letzten Sommer viele auch zu Recht an Corona gedacht. Aber eigentlich habe ich dabei vielmehr an die Musik gedacht, die sich nach den Menschen sehnt. Denn die Musik braucht den Menschen ja ebenso, wie der Mensch die Musik braucht. Es ging mir bei der ganzen Geschichte, die ich mit dem Album erzählen wollte, immer nur um die Musik. Die Musik ist die absolute Heldin in meiner Geschichte, das ist richtig.

Und viel wichtiger als Corona ist für mich deshalb auch ein anderes Thema, das ich auch schon seit Jahren beobachte und das die Verbindung von Mensch und Musik gefährdet: die fortschreitende Digitalisierung. Mir ist immer stärker aufgefallen, dass es uns allen immer schwerer fällt, im Moment zu sein, ohne an Social Media zu denken. Wie oft habe ich zum Beispiel Menschen auf dem Dancefloor beobachtet, die nicht mehr aufhören zu filmen, zu schreiben und sich verlieren in Dingen, die mit der Party nichts zu tun haben. Ich verstehe ja, dass man Momente festhalten möchte, aber oft um den Preis, den realen Moment zu verlieren. Diese augenscheinlich selbst gewählte Isolation, wenn man immer nur das Gleiche hört und ein Algorithmus einem irgendwann sagt, was man gerne hören möchte: Man verengt seine Vielfältigkeit, man stumpft ab. Weil man nicht mehr inspiriert wird. Oder hast du das Gefühl beim „Mix der Woche“, dass dich das komplett abbildet in all deinen Facetten, in all deinen Interessen? Der Musiker David Byrne nannte das mal einen „geistigen Unterbietungskampf“. Vielmehr habe ich das Gefühl, wir bewegen uns alle in unseren eigenen digitalen Echokammern, die wir selber geschaffen haben. Und ich kenne das ja auch als DJ, was für eine Erlösung das sein kann, wenn man einige Zeit lang mehr oder weniger denselben Sound gespielt hat. Und dann kommt man plötzlich mit einem ganz anderen Track, einem totalen Bruch und – Bang, alles explodiert, alles transzendiert. Solche Brüche wird uns kein Algorithmus der Welt vorschlagen. Die Sehnsucht nach solchen Erlebnissen ist es, die mich antreibt.

Also ein Plädoyer für mehr Vielfältigkeit in der Musik?  

Auf jeden Fall ein Plädoyer gegen die Einschränkungen, die wir uns selber bauen. Denn dafür ist die Musik zu groß und zu wichtig, finde ich. Wir brauchen die Vielfältigkeit und wir brauchen die Gemeinschaft, das macht uns Menschen schon immer aus. Denn wir machen das seit Anbeginn der Zeit: uns versammeln und zum Rhythmus der Trommeln tanzen. Und dabei auch ein bisschen was trinken. Also, menschheitsgeschichtlich rede ich nur von etwas, das es schon immer gab. Deshalb stelle ich die Musik ja auch auf eine göttliche Stufe. Wir Menschen brauchen die Gemeinschaft in der Musik, und deshalb ist es schlimm, wenn man diese nicht haben kann. Corona wird vorbeigehen und Menschen werden wieder in Clubs oder auf Festivals gehen. Aber diese digitale Isolation, diese Demenz, die man erlebt, wenn man nicht mehr unter Menschen, sondern nur noch mit sich und seinem eigenen Algorithmus, der von ein paar Designern im Silicon Valley vorgegeben wird, alleine ist, die finde ich wirklich gefährlich. Denn auch wenn wir alle wieder zusammen sind, können wir deshalb trotzdem alleine sein.

Wohl wahr. Dann wäre es eigentlich an der Zeit für dein angesprochenes kollektives „Momentum“.

Richtig. Wenn ich sage, Musik liebt jede und jeden, dann brauchen wir das Momentum, um Menschen unter der Musik zu vereinen und zu erwecken. Und da ist es natürlich vollkommen egal, ob das meine Musik ist, von einem Kollegen, ein klassisches Konzert oder ein Rock-Konzert. Es ist aber schwer, dieses Momentum zu erreichen, wenn man Musik nur nebenbei hört. Musik erreicht ihre höchste Entfaltung meiner Erfahrung nach in diesen besonderen, diesen heiligen Räumen, um maximal erlebt werden zu können. Und wenn Menschen und Musik in diesen Räumen zusammenfinden, dann sollte es auch keine Störfaktoren geben. Deshalb hoffe ich sehr, dass wir weiterhin Orte und Momente werden finden können, in denen die Musik die Heldin sein darf.

„Solange die Musik spielt, muss man sich nicht fürchten“, hast du gesagt. Ein wunderbarer Satz.

Ich habe durch meinen Glauben etwas Wichtiges gelernt, nämlich: Fürchtet euch nicht. Und um das zu verstehen, muss man nicht mal gläubig sein. Denn, was macht jeder Mensch, der oder die z.B. alleine durch einen dunklen Wald läuft und sich fürchtet, ganz intuitiv? Er fängt an zu pfeifen oder zu singen. Und fühlt sich dadurch weniger alleine, hat weniger Angst, der dunkle Wald wird plötzlich hell. Schlussendlich ist das die Essenz all meiner Gedanken: Solange die Musik spielt, muss man sich nicht fürchten.

Auch dein Freund Fatih Akin war an einem Musikvideo beteiligt, in diesem Fall beim Feature mit Isolation Berlin. Warum spielt der visuelle Aspekt bei dir eine solch übergeordnete Rolle? Ich habe gelesen, dass Pixars Film „Soul“ eine wichtige Rolle gespielt hat.

Genau, im Grunde sind das zwei Themen, die später zu einem zusammenfließen. Zum einen war es der erzählerische Effekt der Videos, zum anderen der philosophische Aspekt von Soul, damit fange ich mal an. Pixars neuester Animationsfilm “Soul” ist die Geschichte eines Jazzmusikers, der kurz vor seinem großen Durchbruch stirbt und in einer Art Jenseits landet. Die Geschichte ist sehr rührend und auch hochphilosophisch, wie ich finde. In dieser Idee von Jenseits taucht auch die sogenannte „Zone“ auf; ein Ort, an dem Menschen landen, wenn sie sich in etwas verlieren, einer Leidenschaft, sei es Musik oder Sport oder Kochen oder sonstiges. Wenn man sich aus der Welt „herausträumt“ eben. Und diese „Zone“ kennt jeder, der sich schon mal in der Musik verloren hat. Ich nenne das für mich immer Momentum. Die Message des Films ist unter anderem, dass alles da ist, dass der Sinn des Lebens ist, dass man es lebt. Aber ich habe da auch verstanden, dass wir am Leben sind, solange die Musik da ist. Und da musste ich auch wieder an “Ocean” denken: So elementar lebenswichtig Wasser für unseren Körper ist, so ist Musik elementar für die Seele. Und wer spricht ausgerechnet die Stimme des Hauptcharakters? Jamie Foxx. Was für eine Fügung.

Nun zu den Musikvideos: Erfahrungsgemäß erreichen wir die Menschen zunächst mal mit unserer Musik, und ganz oft transportiert diese schon die Emotion, die wir erzählen wollen. Bei „Nobody Is Not Loved“ allerdings wollen wir eine übergeordnete Idee erzählen. Um die zu vermitteln, war es unser Anspruch, neben der Musik auch noch die Kraft des visuellen Mediums zu nutzen, um durch die fünf Videos die NINL-Reise zu erzählen und den Kreis zu schließen: “Home” hat von der Sehnsucht der Menschen nach Gemeinschaft in der Musik erzählt, „Kreatur der Nacht“ von der Rebellion und dem Aufbruch der Menschen dahin. „Tuk Tuk“ sollte von der Erweckung berichten, die Musik vollbringen kann, wenn sich Menschen wieder zusammenfinden. „Ocean“ handelt von der Verschmelzung der Seele im ewigen Stream der Musik. Und „Night Travel“ als letzte Single und letztes Video, das ein bisschen später erscheinen wird, erzählt von der großen Gefahr der digitalen Isolation am Beispiel der alten griechischen Geschichte von Narziss und Echo, und bildet somit das Ende der Reise. Und das Ende führt dann wieder zum Anfang. Für diese Video-Idee zu “Night Travel” haben wir deswegen auch ein bisschen länger gebraucht, weil das natürlich sowohl Abschluss als auch Beginn sein wird. Ich habe die fünf Videos ganz generell als Zyklus gesehen, so unterschiedlich sie auch von der Form und Struktur und Erzählweise sind, was ja auch immer an der konkreten Kreativität und Vision des jeweiligen Regisseurs liegt. Voll und ganz wird man die Idee hoffentlich erst verstehen können, wenn das letzte Video zu “Night Travel” releaset sein wird.

Das Cover des Albums zeigt einen vollen Dancefloor, aufgenommen von Andreas Gurksy bei deinem Set auf dem Connect Festival in Düsseldorf. So etwas wie eine Ode an alte Zeiten, die hoffentlich bald wieder Realität werden?

Andreas, der zu den Superstar-Fotografen unserer Zeit gehört, war unserer Szene ja immer sehr nahe und damit verbunden. Ich habe ihn auch das erste Mal über Sven Väth kennengelernt, die beiden verbindet eine jahrelange Freundschaft, und inzwischen sind Andreas und ich auch mehr als nur Bekannte und treffen uns regelmäßig zum Tennisspielen. Ein Foto von ihm, das er mal auf der MAYDAY gemacht hatte, eines von den vielen sehr bekannten Bildern von ihm, hat mich sehr inspiriert für ein Album-Cover – und da haben wir das Bild mal nur zum Spaß für uns als Album-Cover designt. Als ich ihn dann später auf dem Connect Festival getroffen habe, habe ich ihm davon erzählt, und habe ihm das Design gezeigt. Er meinte dann zu mir, dass er auf einem Gig beim Connect ein paar Jahre zuvor Fotos geschossen hatte und dass er mal guckt, ob er mir davon mal welche schicken könne. Und ein Mann ein Wort, er hat ein paar Fotos zur Auswahl geschickt, und wir durften uns eines als Cover aussuchen. Was für ein Geschenk, tausend Dank nochmal dafür, lieber Andreas! Es ist ja total absurd, dass das Cover, das natürlich schon vor der Pandemie feststand, plötzlich wie eine heutzutage schon utopische Szene aus vergangenen Zeiten aussieht. Das Bild ist ja dasselbe, nur der Kontext hat sich einfach mal um 180 Grad gedreht und plötzlich steht es in einem völlig anderen Licht dar. Aber ja, es ist natürlich traurig und schmerzhaft, und ich hoffe, dass wir bald wieder bedenkenlos zusammenkommen können. 

Ebenfalls eine immens wichtige Rolle beim Album haben dein Freund Jakob Grunert sowie Siriusmo gespielt.

Und wie! Normalerweise arbeite ich ja fast ausschließlich alleine, aber für diesen Album-Prozess musste es ein wenig anders sein. Der Arbeitsprozess mit einer Band wie z.B. Isolation Berlin ist viel aufwendiger. Ich meine, man muss sich immer und immer wieder treffen, bis man endlich eine gemeinsame Basis findet. Das hätte ich im Jahr 2019, während des Tourens, niemals schaffen können. Und für so einen kreativen Prozess braucht man einfach jemanden, der die Leute miteinander verbindet und alles zusammenhält, nicht nur “Isolation Berlin”, auch die anderen Features. Und genau hier hatte ich das große Glück, dass einer meiner besten und ältesten Freunde, dessen Meinung ich wahnsinnig schätze und dem ich über alle Maßen vertraue, mir zur Seite gestanden hat. Jakob hatte nicht nur in der Musik seine Finger im Spiel, sondern hat zum Beispiel auch das Musikvideo für “Ocean” gedreht.

Und auf dem kreativen Weg hat Jakob auch noch einen seiner besten Freunde mit ins Boot geholt: Moritz Friedrich a.k.a. Siriusmo. Einen Produzenten, den ich schon lange sehr schätze und bewundere, und, ja, auch einmal einen Edit für einen Moderat-Remix von ihm machen durfte. Der Austausch mit beiden hat dem Album unheimlich gut getan und ich bin wahnsinnig happy, was am Ende daraus geworden ist.

Welche Pläne hast du für die kommenden Wochen und Monate? Wird es z.B. Remixe zum Album geben? 

Musikalisch habe ich in den letzten Wochen ein paar Remixe abseits des Albums gemacht und wir sind gerade dabei, die letzten Nachzügler für die Album-Remixe einzusammeln, die wir dann hoffentlich im Herbst veröffentlichen werden. In erster Linie hoffe ich, dass es bald wieder weitergehen darf und die Musik die Chance bekommt, in den Orten, die wir als Menschheit dafür geschaffen haben, stattzufinden. Das ist beruflich wie privat mein größter Wunsch.

Um das Album möglichst „erlebbar“ zu machen, planst du aktuell auch mit Art Basel ein Projekt? Kannst du schon etwas darüber erzählen?

Neben den bereits erwähnten Erzählmethoden „Musik zum Hören“ und der „Videos zum Sehen“ wollten wir noch eine Installation kreieren, um die Message wirklich erlebbar zu machen. Damit man das Thema „Musik liebt jeden“ eben nicht nur hören oder sehen, sondern auch direkt körperlich erleben kann. Der ursprüngliche Plan war es, das auf der Art Basel 2021 zu tun. Die Macher sind Freunde von uns und als wir uns im Herbst 2019 über das Thema “Nobody Is Not Loved” und was es für uns inhaltlich bedeutet unterhalten haben, waren sie direkt Feuer und Flamme, weil sie das Thema auch selber sehr interessiert. Aufgrund der Pandemie kann die Art Basel dieses Jahr leider nicht wirklich in Basel stattfinden, weswegen wir gerade an der nächsten Möglichkeit arbeiten, um den Menschen diese Message nahe zu bringen. 

Ibiza war und ist ein enorm wichtiger Ort für dich, wo du zu Nicht-Corona-Zeiten unzählige Male im Jahr deine Residency abhältst. Wie sehr hat die Insel deinen Sound geprägt und geformt?

Ibiza ist natürlich nur ein Fleck in unserer Szene, aber hat trotzdem eine immense Strahlkraft. Musikalisch hat es mich jetzt aber nicht verändert, würde ich sagen. Ich bin jetzt seit zehn Jahren auf der Insel und könnte jetzt ehrlich gesagt auch nicht wirklich sagen, welcher Sound heutzutage noch typisch ist auf Ibiza. Es ist ja auch wichtig, dass man sich treu bleibt und sein Ding macht und im besten Fall das musikalische Angebot, das dort herrscht, sogar noch um ein paar Facetten erweitert. Grundsätzlich habe ich wirklich das Gefühl, dass ich machen kann, was ich will, und das ist eine unheimlich schöne Freiheit.

 

 

Aus dem FAZEmag 112/06.2021
Text: Rafael Da Cruz
www.instagram.com/solomun